Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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Reichshauptstadt zählte. Der Gardeoberst hatte eine prächtige, mit Brillanten besetzte goldene Uhr, die mit einem Schlagwerk versehen war und eine nicht minder kostbare goldene Kette, sowie mehrere Brillantringe. Er zeigte dem Polizeioffizier sein hochelegantes Portemonnaie. Es war mit Gold- und Kassenscheinen dicht gefüllt. Der Gardeoberst bat, seine Freunde, den Leibarzt des deutschen Kaisers, Generalarzt Exzellenz Dr. v. Lauer und den ersten Botschaftsrat bei der Kaiserlich Russischen Botschaft Exzellenz v. Arapoff herbeizurufen. Beide Herren erschienen sehr bald auf der Polizeiwache. Sie waren nicht wenig erstaunt, ihren Freund unter der Beschuldigung auf der Polizeiwache zu finden, – einem armen Mädchen ein schäbiges Portemonnaie, das 1,50 Mark enthielt, gestohlen zu haben. Beide Herren schlugen die Hände über den Kopf, sie konnten vor Erstaunen kaum Worte finden. Sie sagten dem Polizeioffizier: Sie verbürgen sich für den Verhafteten mit ihrer ganzen Person; es sei vollständig ausgeschlossen, daß der Herr das Portemonnaie gestohlen habe. Der Gardeoberst habe ein unermeßliches Vermögen. Er sei einer der reichsten Grundbesitzer in Rußland und habe mindestens hunderttausend Mark jährlich zu verzehren. Der Gardeoberst ersuchte den Polizeioffizier, ihn zu visitieren. Leutnant Friese nahm jedoch davon Abstand mit dem Bemerken: Er sei ebenfalls vollständig von der Unschuld des Herrn überzeugt. Er werde den Herrn sofort entlassen, er sei aber selbstverständlich verpflichtet, vorerst ein Protokoll aufzunehmen und das Vorkommnis zu melden. Damit war die Angelegenheit für diesen Abend erledigt. Allein die Staatsanwaltschaft des Berliner Stadtgerichts teilte nicht die Ansicht des Polizeileutnants. Nach zwei Tagen erschienen am frühen Morgen, – der Gardeoberst lag noch im tiefen Schlummer – zwei Kriminalschutzleute in Meinhardts Hotel und erklärten den Gardeoberst für verhaftet. Der Direktor des Hotel Meinhardt, Herr Mahn, wandte sich sofort an Justizrat Primker. Letzterer
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/50&oldid=- (Version vom 30.4.2023)