Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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wären ‚von Rechts wegen‘ wegen Anreizung zum Taschendiebstahl zu bestrafen.“ Herr Louis Kastan teilte die Ansicht seines Dieners, daß der alte Herr sich lediglich an das hübsche junge Mädchen herandränge, nicht weil das „Gretchen“ sein Wohlgefallen gefunden habe, sondern weil er einen Griff in die Gretchentasche beabsichtige, um der jungen Dame das Portemonnaie zu stehlen. Herr Kastan war von der diebischen Absicht des Herrn so überzeugt, daß er den Diener beauftragte, schleunigst zwei Kriminalbeamte herbeizuholen. Noch ehe diese erschienen, veranlaßte Herr Kastan die ihm persönlich bekannte junge Dame, die 14 ½-jährige Rosa Kobelt, sich in auffälliger Weise ihr Portemonnaie in die Gretchentasche zu stecken und sich alsdann an das Schaufenster zu stellen, in dem die chinesischen Schuhe lagen. Allein die junge Dame war trotz ihrer seltenen Schönheit bettelarm. Sie besaß überhaupt kein Portemonnaie; der exotisch aussehende Herr und vermeintliche Taschendieb wäre mithin gar nicht in der Lage gewesen, die junge Dame zu bestehlen. Herr Kastan wußte sich jedoch zu helfen. Er veranlaßte die Mutter des Mädchens, ihrer Tochter ihr Portemonnaie zu dem angedeuteten Zweck zu geben. Die Mutter zog ein altes, beschmutztes, halb zerrissenes Portemonnaie, in dem sich Mark 1,50 befanden, aus der Tasche und steckte es in etwas auffälliger Weise ihrer Tochter in die Gretchentasche. Ob der Herr diesen Vorgang beobachtet hatte, konnte nicht festgestellt werden. Fräulein Rosa Kobelt, das nicht nur ein schönes Gesicht, sondern auch eine prächtige Figur hatte und körperlich derartig entwickelt war, daß man es für 16–17 Jahre alt halten konnte, stellte sich an den Schaukasten, in dem die chinesischen Schuhe lagen und las, anscheinend ganz ernsthaft, im Katalog. Das anmutige Mädchen hatte es offenbar dem exotisch aussehenden Herrn angetan. Denn, obwohl im Panoptikum noch eine Anzahl anderer junger Damen weilten, stand der Herr wiederum sehr bald dicht neben Fräulein Kobelt. Herr
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/48&oldid=- (Version vom 30.4.2023)