Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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In den Hallen, in denen die Göttin der Gerechtigkeit mit Schwert und Waage ihres Amtes waltet, ereignen sich oftmals ganz wundersame Dinge. Das Vorkommnis, das im März 1879 die Berliner Gerichte beschäftigte, lieferte jedoch den vollen Beweis, daß der Ausspruch Ben-Akibas: „Es ist alles schon dagewesen“, nicht auf voller Wahrheit beruht. Der damalige Vorgang zeigte, wie leicht sich Richter täuschen können, ganz besonders aber, daß die zweite Instanz in Strafsachen, die bis zum 1. Oktober 1879 bestand und bei den Militärgerichten noch heute besteht, eine dringende Notwendigkeit ist. Am Sonntag, den 2. März 1879 sah man im Passage-Panoptikum, das damals den Gebrüdern Kastan gehörte, ein auffallend schönes, blutjunges Mädchen. Ein älterer Herr mit ausländischem Typus drängte sich an das junge Mädchen heran. Einem Bediensteten des Panoptikums fiel das Benehmen des Herrn auf. Ein Dragoneroffizier soll zu dem Diener gesagt haben: „Das Benehmen des Herrn ist geradezu unverständlich.“ Der Diener, der beobachtet haben wollte, daß der exotisch aussehende Herr sich an ältere und jüngere Damen herandränge, hielt den Herrn für einen Taschendieb. Er machte daher pflichtschuldigst seinem Chef von seinen Wahrnehmungen Mitteilung. Zu jener Zeit waren die „Gretchentaschen“ Mode. Diese bildeten geradezu einen Anreiz zu Taschendiebstählen. Letztere häuften sich derartig, daß ein Berliner Rechtsanwalt, der einen solchen Taschendieb zu verteidigen hatte, im Plaidoyer sagte: „Die Trägerinnen der Gretchentaschen
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/47&oldid=- (Version vom 30.4.2023)