der Behörde nicht durch religiöse Erregungen zu stören. Leider hatte diese meine Bitte keinen Erfolg. Ich hoffe, daß, wenn die religiöse Erregung sich wieder gelegt und die Behörde in der Lage ist, klar zu sehen, es doch noch gelingen wird, den wirklich Schuldigen zu ermitteln.
Es ist gesagt worden, die Sache bleibt unaufgeklärt, weil es sich um einen Juden handelt. Nein, meine Herren Geschworenen! nicht weil es sich um einen Juden handelt, ist die Sache unaufgeklärt, sondern weil die Sache unklar ist, deshalb hat man zu einem Juden gegriffen. Man behauptete: es ist von einem Juden ein Ritualmord begangen worden. Dazu bedarf es keiner weiteren Motive, es bedarf blos allgemeiner Verdächtigungen. Allein Sie, m. H. Geschworenen, haben die Pflicht, Alles was außerhalb dieses Saales vorgeht, unbeachtet zu lassen, sondern lediglich auf Grund der Thatsachen, die Sie selbst mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört, Ihr Urtheil abzugeben.
Auf Grund der Beweisaufnahme kann ich nicht anders als aus Pflicht und Gewissen den Antrag auf Nichtschuldig stellen. Ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie den Angeklagten frei. (Halblautes Bravo im Auditorium.)
Verth. Rechtsanwalt Stapper (Düsseldorf): Meine Herren Geschworenen! Wenn ich in die Vertheidigung für Buschhoff eintrete, dann erinnere ich zunächst an die Worte des Herrn Präsidenten bei Eröffnung der Sitzung, nur nach bestem Wissen und Gewissen Ihr Urtheil abzugeben. Als in Düsseldorf noch die alte rheinische Kriminalordnung bestand, bis zum 1. Oktober 1879, hatte der Vorsitzende die Pflicht, den Geschworenen den Art. 312 der Kriminalordnung vorzulesen, der folgenden Wortlaut hatte: „Sie schwören und geloben vor Gott und vor den Menschen, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit die Belastungsgründe zu prüfen, welche gegen den Angeklagten vorgebracht werden sollen; nicht zu verrathen das Interesse des Angeklagten, noch das der bürgerlichen Gesellschaft, welche ihn anklagt; mit Niemandem Rücksprache zu nehmen, bevor sie ihren Ausspruch gethan haben, nicht zu hören auf die Stimme des Hasses oder der Bosheit, noch auf die der Furcht oder der Zuneigung; sich zu entscheiden nach den Belastungsgründen und den Vertheidigungsmitteln, nach Ihrem Gewissen und Ihrer innigsten Ueberzeugung, mit der Unparteilichkeit und Festigkeit, die einem braven und freien Manne geziemen“.
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/136&oldid=- (Version vom 31.7.2018)