und warm, und sie sprach so traulich und kosend zu ihm, daß Nils allmählig allen Schauer vergaß. Als nun die schöne, schlanke Maid ihm erzählte, wie sie ihn schon oft gesehen, als er ihr Gebiet durchstreifte, um dem Wilde nachzuspüren; wie sie ihn von Tag zu Tag heimlich lieber gewonnen und ihn selbst verlockt hätte an diese Stelle; da ward es dem Jungen so überaus wonnig zu Gemüthe, und es hielt ihn an dem Platze gefesselt, wo ihm ein Liebesfrühling aufging in den blauen Augen des Elliser-Mädchens. Erwiedernd gab er sich ihren Liebkosungen hin. Der gespenstige Spuk im Thalgrunde war verschwunden, und die Sternlein leuchteten so freundlich nieder, wie Ritzen in der Himmelsdecke, durch welche die goldene Mährchenwelt schimmert. Als aber der Mond unterging hinter den Eisfeldern der Isbräden, da bedeutete sie ihm, wie sie nun scheiden müsse, und wie schwer ihr dieß auf's Herz fiele. Nils hatte fast auf den Heimgang vergessen. Zögernd folgte er der Weisung der Jungfrau, welche ihn dem Ausgange der Schlucht zuführte, und als er von ihr Abschied nahm, ward es ihm ganz schmerzlich zu Muthe. Als sie ihn aber bat, sie an gleicher Stelle bald wieder heimzusuchen, da hatte er wohl nie in seinem Leben eine freudigere Zusage gethan. Darnach spielte es wie leiser Hauch um seine Lippen, und die Elfin verschwand im Nebel.
Leicht vermochte nun Nils den Weg in des Vaters Hütte zu finden; leichter noch fand er die Steige wieder, die ihn des folgenden Abends zu seiner Lieb brachten. Da begannen seine seligen Nächte. Der Liebe Kuß erweckte den schlummernden Lenz seiner Seele, und die Lieder, welche ihn das Elfenmädchen lehrte, klangen d'rein wie Nachtigallenschlag.
„Nenne mich Ellide,“ so bat ihn die schöne Maid, und dem Jungen kam es vor, als läge in dem Worte die Sprache der Sterne, der Duft von tausend Blumen. Er nannte sie seine Ellide, und das klang den ganzen Tag über so sehnsuchtsvoll in ihm fort, daß er die Nacht kaum erwarten konnte, wo er es ihr wieder zurufen durfte. Ellide hatte ihm strenge geboten, ihre Liebe mit keinem Laute zu verrathen. Es kam ihn schwer an, den großen, weiten Himmel im engen Raume seines Herzens zu verschließen. Aber er hielt, was er versprach, und war still und einsilbig vor seinem Vater. Diesem fiel aber das träumerische, hindämmernde Wesen seines Nils längst auf. Er merkte in ihm eine böse Veränderung. Der sonst so lebensfrische Junge brütete den Tag über hin, wortlos und in sich verschlossen, und was ihn sonst freudig aufregte, ging nun theilnahmlos an ihm vorüber. Sein empfängliches Herz hatte das mächtigste Gefühl mit solcher Kraft, so ausschließend in sich aufgenommen, daß alles Uebrige unterging in dem einen Gedanken, den er dachte – Ellide. Die Lieder, welche ihm sein Mädchen gelehrt, waren das Liebste, womit er sich den Tag über beschäftigte. Den Alten aber erfaßte es jedesmal wie trübe Ahnung, so oft er den Weisen seines Nils lauschte.
Das dauerte fort eine geraume Zeit. Dem kurzen Frühlinge war ein schnellreifender Sommer gefolgt. Dem Fischer fiel es auf, wie sein Sohn alle Abende die Hütte verließ, wenn sich der letzte Tagesstrahl im Lulea-See spiegelte. Aber ehe es ihm möglich ward, seiner Spur zu folgen, war dieser verschwunden.
Einmal so war Nils wieder in später Nacht heimgekehrt. Er luegte, ob der Vater schlief; und da er sich hiervon überzeugt hielt, nahm er die Geige von der Wand. Er hatte ein Lieblingsplätzchen am See. Ein Felsvorsprung ragte über das Wasser hin. Zwei Birken hatten ihre Wurzeln eingegraben in die Steinritzen. Das hohe Schilf rankte d'rüber hin, und der Wellenschaum netzte das Moos, wenn der See hoch ging. Hierher setzte sich Nils, und es war ihm, als tauchte das Bild seiner Herzliebsten aus den Seewogen empor mit den blauen, lächelnden Augen, und den goldgelben Haaren, und winke ihm sehnsüchtig zu. Da fuhr er über die Saiten, und sang, was ihm seine Ellide erst den jüngsten Abend gelehrt hatte:
Jung Olof ließ satteln sein graues Roß;
Er reitet vorbei an der Meerfrau Schloß,
Er reitet vorbei an des Schloßes Thor:
Da stehet die holde Meerfrau davor.
Wie die Linden zittern im Haine.
Willkommen, willkommen, jung Olof mein,
Wie lange, wie lange schon harrt' ich dein!
Sag, Junge, wo ist dein Heimathland?
Sag, Junge, woher dein gülden Gewand?
Wie die Linden etc.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)