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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/84

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XV. Jahrgang          1906          Nr. 2.




Gedenkblatt zum 31. März 1906.

Dresden am 31. März 1206.

Rastlos arbeitet die Zeit an der Umgestaltung der uns umgebenden Kulturwelt. Naturkraft und Menschenhand wirken zusammen, Altes zu zerstören, Neues zu schaffen. Wie im 19. Jahrhundert durch die Industrie, so haben im Mittelalter durch die Besiedelung manche Gegenden unseres Landes ein völlig verändertes Gesicht erhalten. Wälder und Sümpfe sind damals verschwunden, Dörfer und Städte entstanden und die Einöde ist zu nutzbringendem Leben erwacht. Burgen sind zerfallen und keine Spur verrät dem darüber hinpflügenden Landmann ihre frühere Stätte. Erhalten hat sich aber oft, merkwürdig genug, als alleiniges Zeugnis ihres einstigen Daseins, wiewohl ungleich leichter zerstörbar als der Stein, ein unscheinbares Stück beschriebenes Pergament. Unversehrt ruhen im Schrein der Archive unzählige Urkunden über alte Eigentums- und sonstige Rechtsverhältnisse, die im Wandel der Zeiten längst außer Kraft gesetzt sind. Aber auch sie behalten immer noch ihren Wert als Denkmale der Vorzeit und zuverlässigste Stützen der geschichtlichen Erinnerung.

So auch die Urkunde, die uns hier beschäftigt. Die Burg, von der sie erzählt, ist schon bald nach ihrer Erbauung wieder zerstört worden, das dünne Pergamentblatt aber hat nun schon sieben Jahrhunderte überdauert. Und als ihre eigentliche Bestimmung hinfällig geworden war, hat sie sich doch für alle Zukunft eine unmittelbare Bedeutung erhalten, weil sie zufällig einige Worte enthält, die das früheste Zeugnis für das Bestehen unserer Stadt sind: Dresden am 31. März 1206, so lautet, in unsere Sprechweise übertragen, die Schlußformel – Worte von scheinbar geringfügigem, in Wirklichkeit vielsagendem Inhalt!

Es handelt sich um eine Grenzstreitigkeit zwischen dem Burggrafen Heinrich II. von Donin und dem Hochstifte Meißen. Der Burggraf hatte auf einem Gebiete am Plauenschen Grunde, das der Bischof für das seinige erklärte, eine Befestigung, Thorun genannt (castellum quod Thorun vocabatur), errichtet und dadurch kirchliches Eigentum beschädigt, bischöfliche Untertanen beunruhigt und sie unberechtigterweise mit Abgaben belastet. Auf die Beschwerde des Bischofs hatte Papst Innocenz III. im Jahre 1201 den Erzbischof von Magdeburg und den Probst zu Seeburg beauftragt, den Burggrafen mit kirchlichen Zwangsmitteln anzuhalten, daß er das entfremdete Besitztum herausgebe oder sein Recht daran nachweise[1]. Anscheinend hatte der Burggraf damals den Rückzug angetreten, aber bald nachher die Burg, die wohl nur aus einem Erdwall mit hölzernem Bollwerk bestand, von neuem hergestellt (de novo posuisse). So brach der Streit wieder aus, jedoch einigten sich die Parteien dahin, die Entscheidung der Sache einem Schiedsrichter in der Person des Markgrafen Dietrich (des „Bedrängten“) zu übertragen. Die Urkunde vom 31. März 1206[2] enthält seinen Schiedsspruch.


  1. Codex dipl. Sax. reg. II, 5 S. 66.
  2. Cod. II, 5 S. 70.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/84&oldid=- (Version vom 5.2.2025)