Die Ereignisse des 27. August werden in der Lüdtkeschen Schrift im allgemeinen in Übereinstimmung mit den Überlieferungen der Geschichte kurz besprochen. Eine dabei erwähnte Episode fordert aber noch die Kritik heraus. Nachdem gegen mittag die pirnaische Straße in Besitz der Franzosen gelangt war, die sich schon gegen Reick hin entwickelten, hatte sich Kaiser Alexander, bestärkt durch die Generale Jomini und Moreau, für die Zurückeroberung der Straße ausgesprochen. Man meinte, wenn Barclay mit Wittgensteins und Kleists Truppen und der zahlreichen Kavallerie dieses Armeeflügels gegen Mortier vorbreche, drohe diesem eine völlige Niederlage. Gegen 1 Uhr nachmittags erhielt denn auch Barclay von Kaiser Alexander den Befehl zum Angriff auf Mortiers Truppen. Barclay machte Gegenvorstellungen, meldend, daß er im Falle eines Mißlingens Gefahr laufen würde, seine gesamte Artillerie zu verlieren, die bei dem durchweichten, breiartig aufgelösten, lehmigen Boden nach der Höhe nicht wieder zurück könne und stecken bleiben werde. Den dortigen Bodenverhältnissen entsprechend war dies. Da Barclay keine Antwort erhielt, unterließ er den ihm befohlenen Angriff in der Annahme, der Zar sei mit seiner Einwendung einverstanden.
Nun sagt Lüdtke S. 50: „Diesem (Barclay) kam solche Aufforderung (die Alexanders) durchaus ungelegen, denn mit Absicht hatte er – fußend auf den bisher befolgten Ideen – jedes stärkere Eingreifen in die Kämpfe des Tages vermieden. Nun sollte er um eines entbehrlichen Objektes willen das Programm fallen lassen?“ . . . und weiter S. 52: „Wir aber rechnen es dem russischen Feldherrn als doppeltes Verdienst an, daß er sich trotz seiner Übermacht nicht zu Abenteuern hinreißen ließ, die – ohne einen größeren Erfolg zu versprechen – dem allgemeinen Feldzugsplan widersprachen“.
Auf diese Ansichtsäußerungen ist zu entgegnen, daß es sich bei dem Befehle Alexanders an Barclay lediglich um eine taktische Maßnahme, um Festhalten der pirnaischen Straße handelte, die man bei der Armeeleitung für den Rückzugsfall nicht preisgegeben haben wollte. Ein Programm, auch nicht das Reichenbacher, das nur auf Operationen der Armeen sich beschränkte, ihre Unterabteilungen aber nicht betraf, kam für solch taktische Rücksichten, noch dazu bei einem Untergeneral, gar nicht in Frage. Barclay handelte in dem guten Glauben, daß man nach seiner ohne Antwort gebliebenen Vorstellung die Offensive gegen Mortier aufgegeben habe. Einem nochmaligen Befehle hätte er sich fügen müssen, denn sonst wäre er wegen Nichtbefolgen erhaltenen Befehls vor ein Kriegsgericht zu stellen gewesen, welches die etwaige Motivierung eines Ungehorsams des Unterführers damit, daß die Befehlsausführung irgend welchem Programm oder einem Feldzugsplane entgegen gewesen sei, wohl kaum respektiert haben würde. Barclays Verdienst bestand lediglich darin, daß er auf die Schwierigkeit des Unternehmens gegenüber den Bodenverhältnissen gebührend aufmerksam gemacht hatte. Eine andere Begründung seines Handelns in der Sache ist durch nichts erwiesen und gehört in das Reich bloßer Vermutungen, über welche der selige Barclay, wenn er sie noch vernehmen könnte, schwerlich erfreut sein dürfte. –
Die Schlachtresultate am 27. August bis in die ersten Nachmittagsstunden waren kurz folgende:
Zentrum und rechter Flügel der Verbündeten hielten die, übrigens nicht angegriffenen Höhenstellungen von Plauen über Räcknitz bis Torna – Prohlis; nach 2 Uhr trat auf diesen Fronten, Artilleriefeuer abgerechnet, in der Hauptsache Gefechtsruhe ein; der linke Flügel der Verbündeten, westlich der Weißeritz, wurde durch Murats Offensive aufgerieben.
Als kurz nach 3 Uhr die Meldung über die taktische Vernichtung dieses Flügels eingetroffen war, hatte sich wiederum ein Kriegsrat um ein dürftig brennendes Wachtfeuer auf den Räcknitzer Höhen gebildet, bei dem es sich nun um Entschluß über Schlachterneuerung andern Tags oder Abzug handelte. Den wie immer geteilten Meinungen gegenüber entschied schließlich Fürst Schwarzenberg die Frage in Übereinstimmung mit den österreichischen Generalen durch die Erklärung, daß die Verfassung der Armee, besonders der österreichischen (Mangel an Verpflegung, Bekleidung und vor allem Munition), zum Rückzuge nach Böhmen zwinge[1].
Anknüpfend hieran sagt S. 55 Lüdtke: „Schwarzenberg hat sich auch in diesem Kriegsrate nicht auf den allgemeinen Operationsplan bezogen, sondern gab vielmehr als zwingende Gründe für den Rückzug den Mangel an Lebensmitteln, Schießbedarf und Bekleidung an“.
Diese Gründe waren durchaus zutreffende; sie zwangen in der Tat zum Rückzuge. Derselbe war aber lediglich durch taktische Rücksichten bedingt, wie immer, wenn man von der strategischen Erwägung zur taktischen Ausführung, hier zum Kampfe vor Dresden verschritten ist und glaubt, nicht weiter kämpfen zu können. Da war von dem mehrberegten Programm nicht mehr die Rede, vielmehr nur die Zwangslage entscheidend, die Armee tunlichst bald und so weit möglich ungefährdet in Sicherheit zu bringen – nunmehr ihren Hilfsquellen in Böhmen wenigstens zu nähern, falls man sie nicht, wie geschehen, bis Böhmen selbst zurückführen wollte.
Die Lüdtkesche Schrift schließt dieses Kapitel VI, S. 56 in Sperrdruck mit den Worten: „Man hatte die gewollte Absicht erreicht, die notwendigen strategischen Manöver beendigt – man konnte jetzt zurück“.
- ↑ Über den Armeezustand siehe u. a.: Friederich, I. Band, S. 496 und Aster S. 122/123, 256 and 264.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/57&oldid=- (Version vom 1.2.2025)