Verschiedenes für das Chor. So lange dieser mich übertraf, wagte ich nur anonymisch mit meinen Erfindungen mich heraus; nach seinem Abgange aber auf die Akademie verleugnete ich meinen Namen nicht ferner.
Da ich als nachheriger Adjunkt mit dem Präfekt in der Direktion des Chores alternierte, setzte ich fast allemal für meine Woche mir eine neue Motette, die ich vorher einprobierete und in meinen Kurrenden mehrmals aufführete. Da sie gewöhnlich auf den Sonntag Beziehung hatten, machte selbst mein Kantor nicht selten in der Vesper vorher davon Gebrauch. Im Jahre 1771 spielte ich ihm zweimal auch zwei von mir vollstimmig mit Trompeten- und Paukenbegleitung gesetzte Kirchenstücke von mir, auf Ostern und den ersten Advent, doch ohne meinen Namen, in die Hände, den er erst erfuhr, nachdem er das zweite mit Zufriedenheit aufgeführt hatte. Mit gleicher Zufriedenheit befriedigte ich auch meinen Meinelt in Kreischa mit zwei andern Stücken aufs Ernte- und Kirchweihfest, so wie er nun auch die wahren Umstände von dem ersten Stücke mit den skandalösen Hörnern erfuhr und sein: „Nun da sehe mir eins einmal“ aufs Neue mehrmals zu repetieren Gelegenheit hatte.
Als Adjunkt war ich ferner gleich meinem Präfekt Hofmann eine Woche um die andere von den Wochenpredigten frei. Da wir nun beide uns vereinigt hatten, nicht nur Theologie zu studieren, sondern auch miteinander die Akademie zu beziehen, so benutzten wir beide die Freistunde unter dem Wochengottesdienste zu einer hebräischen Stunde bei dem Rektor, in der ich es freilich nicht über das mechanisch Grammatische brachte, bis ich zu Wittenberg in einer Rabbinischen Stunde durch das Lesen ohne Punkte näher mit der Grammatik dieser Sprache bekannt wurde.
Seit dem Anfange des Jahres 1771 frequentierten wir beide eine französische Stunde bei einem alten Magister Kohlmann. Unser Zweck ging nicht auf das fertige Parlieren der Sprache, wozu unser Lehrer auch nicht mehr geeignet war, sondern nur eine französische Schrift oder das Sprechen Anderer notdürftig verstehen zu lernen. Wir trieben zu dieser Absicht die französische Übersetzung des Terenz von der Madame Dacier. Hofmann bediente sich hierbei der Grammaire des Peplier und ich Rädleins französischen Sprachmeisters in zwei Teilen, der mir von einem Sprachverständigen seiner besonderen Gründlichkeit wegen empfohlen wurde. In der Folge benutzte ich zu meiner Privatübung den französischen Cornelius Nepos, par le Gras, mit deutschen Noten nach der Methode des Emanuel Sinceri von Kritzinger. Vom folgenden Jahre 1772 an übten wir uns auch vier Monate lang in der englischen Sprache, binnen welcher Zeit wir die sämtlichen Vokabeln der ersten 17 Psalmen memorierten und grammatisch durchpeitschten.
Im Sommer 1770 legte der Pastor Schnabel ein Predigerkollegium in der Annenkirche an, welches Mittwochs sogleich nach der Betstunde gehalten wurde und manche von uns dabei als Zuhörer verweileten. Dies reizte, außer Hofmann und mir, zugleich die beiden nächsten nach uns, auch eine Übung im Predigen unter uns zu veranstalten, wozu wir die sonntägigen Nachmittage des folgenden Winters bestimmten und Hofmanns Stube, als des einzigen, der bei seinen Eltern wohnen konnte, zum Versammlungsorte wählten. Auf gemeinschaftliche Kosten ließen wir ein Pult fertigen, an dem jedesmal einer von uns vieren eine willkürlich ausgeheckte Predigt hielt; die andern drei nebst Hofmanns Eltern, auch etwa jemand von den Hausnachbarn, waren Zuhörer. Des eigentlichen Zensierens enthielten wir uns, doch sprachen wir gewöhnlich, wenn wir nicht sogleich auseinander gingen, über Inhalt oder Vortrag des Gepredigten, so gut wir es zu verstehen glaubten. Solcher Predigten, deren in allem 22 herauskamen, habe ich auf meinen Anteil sieben gehalten.
Doch daran genügte mir indeß noch nicht. Ich wünschte, ehe ich die Akademie bezöge, mich auch öffentlich pro concione zu versuchen, wozu denn ebenfalls Rat geschafft wurde. Ein Kamerad von mir, welcher nahe Anverwandte in Fürstenau[1] an der böhmischen Grenze hatte, ließ, von mir gleichsam angesteckt, vor den Seinigen sich hören zu lassen, dieserwegen bei dem dortigen Pfarrer anfragen und erhielt von demselben zur Antwort: „Er dürfe zwar keinem Unstudierten die Kanzel zu betreten erlauben, der nicht vom Superintendent in Pirna einen Konzessionsschein dazu ihm vorzeigte: wollten wir aber es uns gefallen lassen, in seiner Abwesenheit statt einer vom Schulmeister abgelesenen Predigt eine selbst ausgearbeitete am Pulte zu halten, so könne er uns dieses nicht verwehren.“ Hierzu schlug er uns den ersten Epiphansonntag 1772 vor, wo er als Konfessionarius in matre et filia abwesend sein werde.
Weder die Entfernung von vier Meilen, noch die rauhe Jahreszeit schreckte uns beide ab, dahin zu reisen, jeder von uns mit einer fertigen und memorierten Predigt in der Tasche und im Kopfe. Wir waren darüber einig, daß Bohrmann – so hieß mein Gefährte – als Einheimischer die seinige vor den Ohren seiner Mutter, Verwandten und Bekannten in matre, ich dagegen als Fremder die meinige auf dem Filiale halten sollte. Als wir jedoch an Ort und Stelle kamen, entfiel ihm der Mut und er bat mich, es die Seinigen durchaus nicht merken zu lassen, daß er mit einem ähnlichen Vorsatze als ich, sondern lediglich mir zur
Anmerkungen
- ↑ Wohl Fürstenwalde.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/186&oldid=- (Version vom 11.2.2025)