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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/167

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– genug, ich begriff von allem, was er mir vordemonstrierte, wenig oder nichts. Besser gelang es ihm mit dem Vorsingen kleiner Arien, die ich, wenn ich sie einigemal gehört hatte, richtig nachzusingen vermochte. Herr Meinelt knipp mich, als er dazu kam, in die Backen und sagte: „Um Dich, armer Schelm, wäre es doch schade; Du könntest einmal ein recht gutes Stimmchen kriegen.“

Mein Vater war der grämischen Stiefschwiegermama am wenigsten im Wege, denn er befand sich die ganze Woche in Dresden, wo es in seiner Profession an vieler und oft gut bezahlter Arbeit damals nicht fehlte. Nur Sonntags früh besuchte er uns und ging des Abends wieder nach Dresden zurück. Zugleich gab er sich alle Mühe um eine Wohnung, die aber itzt ebenso rar als teuer geworden waren. Er mußte also, gleich unzählig andern Abgebrannten, es sich gefallen lassen, zu einem Schuhmacher namens Bucke zu ziehen, der uns seine Kammer einräumte und zugleich den Aufenthalt in der Stube mit erlaubte. Dahin nun zogen wir zu Michaelis 1760, nachdem unser Aufenthalt in Kreischa etwas über sechs Wochen gedauert hatte. . . . .

Zu Ostern 1761 bezogen wir eine eigene Wohnung in der Nähe des Schießhauses, wozu die drei Töchter der Wirtin Veranlassung gegeben hatten, da sie ehedem nacheinander Nähterschülerinnen meiner seligen Mutter gewesen waren und uns itzt viele Gefälligkeiten erwiesen. Meine Mutter gebar um Weihnachten ihr erstes Kind, ein Mädchen. Die Freude, ein Schwesterchen zu haben, war fast noch größer als bei der Geburt meines jüngeren Bruders, dauerte aber nur 17 Tage.

Eine Menge Gegenstände und Ansichten, die ich malen wollte, wie es nach der Belagerung in Dresden aussahe, wenigstens an den Orten, wo ich hingekommen bin, gaukeln mir noch wie Bilder vor den Augen herum. Die lange breite Straße[1] vom Wilsdruffer Tore bis an die abgebrannte Annenkirche enthielt eine darin angelegte zweite Gasse, die aus lauter bretternen Häusern und Buden bestund. Man nannte dieses das Österreichische Hauptquartier. Marketender, Raitzen und Zigeuner fand man hier im wilden Gewühl untereinander. Hier herrschte ein betäubendes Lärmen und Schreien, Tanzen und Geigen vom Morgen bis in die Nacht und bis wieder an den Morgen. Hier wurde gespielt und gesoffen, Unzucht aller Art getrieben, gezankt und geprügelt, duelliert und gemordet. Mehrere halb und ganz verwesete Körper fand man unter den Fußböden, als nach dem Frieden alle diese Hütten den Meistbietenden überlassen und von ihnen weggerissen wurden. Hier konnte man nicht nur fast alles, sondern auch wohlfeiler zu kaufen bekommen, da dieses Gesindel in alles pfuschte und keine Abgaben bezahlte. Ich wurde gewöhnlich hierher geschickt, um Kommisbrote zu holen. Acht Groschen Kupfermünze für eines derselben fassete meine Hand nicht, sie fülleten fast ganz die kleine Tasche meines Westchens aus.

Mein guter Vater mußte sich es freilich damals, wie tausend andere seinesgleichen, blutsauer werden lassen. Außer der Tagesarbeit, die er zuweilen wohl nach dem Feierabende noch durch ein Scharwerkchen verlängerte und deswegen erst manchmal zwei bis drei Stunden später nach Hause kam, wartete er auch die ihn treffenden Nachtwachen auf dem Schlosse ab. Das scheinbar Viele, was er zuweilen zu verdienen glaubte, war gegen die enormen Preise aller Bedürfnisse, soviel damals zu meiner Kenntnis kam, immer nur als wenig zu rechnen. Meine Pflegemutter legte nebst mir die Hände auch nicht in den Schoß, und da sie in ihre Stroharbeiten so ziemlich fertig mich eingehetzt hatte, so stocherten und flochten wir um die Wette miteinander, um auch einen Beitrag zu erwerben. Ohne Übertreibung kann ich wohl sagen, daß der Wert des auf meinen Anteil kommenden Verdienstes ziemlich dem gleichkommen mochte, was ich verzehrte. Durch diese gemeinschaftliche Tätigkeit gewannen meine Eltern doch soviel, daß sie ihr notdürftiges, ob schon spärliches Auskommen hatten, ohne Schulden blieben und auch noch einen Bissen Brot für andere erübrigten. . . . . .

In unserer itzigen Wohnung hatten wir die Ehrlichsche Armenschule noch näher als ehedem, daher ich abermals in dieselbe geschickt wurde. Der nunmehrige Lehrer der Knabenklasse, namens Hennig[2], hatte in jedem Betracht, als Prediger sowie als Schullehrer, Vorzüge vor dem vorigen und hatte manche verbessernde Einrichtungen eingeführt, welche seine Nachfolger allmählich wieder eingehen ließen. Durch sein Versetzen der Fleißigern und Folgsamern über einige Schlechtere weckte er doch bei manchen die Ambition, sich von einer bessern Seite auszuzeichnen. Er entließ uns nie in Masse aus der Schule, sondern las allezeit acht bis zehn von der Liste an der Türe ab, mit Ermahnung, ohne Lärmen zu gehen, sahe ihnen vom Saalfenster ein Weilchen nach, und so mit den Folgenden. Wir mußten uns sowohl Sonntags vor der Nachmittagspredigt in der Lazarettkirche, als Mittwochs vor der Betstunde unausbleiblich in der Schule versammeln und paarweise nebst ihm in die Kirche ziehen, wo die von der ersten und zweiten Tafel Tags darauf vorzeigen mußten, was sie von der Predigt nachgeschrieben hatten. Statt der Sonntags vor dem Altare zu rezitierenden Hauptstücke führte er Festtags gewisse Fragen ein, die wir nicht herbeten,

Anmerkungen

  1. Annen-Straße.
  2. M. Joh. David Hennig, seit 1760 Prediger am Ehrlichschen Gestift, seit 1774 Pfarrer in Loschwitz, gest. 1787.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/167&oldid=- (Version vom 22.1.2025)