das Studium in Wittenberg bis Ostern 1776 fort[1]. Dann kehrte er nach Dresden zurück und erhielt sich hier lange Jahre notdürftig durch Erteilen von Privatunterricht, wie dies damals allgemein das Los der Kandidaten der Theologie war. Man teilte zu seiner Zeit die „informierenden“ Kandidaten in „Bärenführer“ d. h. solche mit fester Anstellung als Hofmeister, und „Renntiere“ d. h. solche, die sogenannte Laufstunden gaben. Er schlug sich zur zweiten Gattung, die unabhängiger, aber wirtschaftlich unsicherer gestellt war. Er bezog aus dem Unterrichten jährlich durchschnittlich kaum 50 Taler, wozu ungefähr noch 50 Taler aus Weihnachtsgeschenken, sowie Honorar für schriftstellerische Arbeiten, Gelegenheitsgedichte und namentlich Druckkorrekturen hinzukamen, so daß seine Einkünfte noch nicht einmal soviel betrugen, als er früher als Chorschüler verdient hatte. Nach seinen ganz genauen Aufzeichnungen hat er in den 24¾ Jahren seines Kandidatenlebens zusammen
Anmerkungen
- ↑ Über sein Zusammentreffen mit dem späteren Oberhofprediger
D. Franz Volkmar Reinhard im Konvikte der Universität
zählt er: Als ich nach meiner Rückkunft von Dresden mich wieder
im Konvikte meldete, wählte mich der Lokator zum Senior am
vierten Tische, an welchem der nachherige D. Reinhard auf die
vierte Stelle gewiesen war und ich dadurch Gelegenheit fand, ihn
näher kennen zu lernen. Er war bereits ein Jahr in Wittenberg,
wo er als ein homo obscurus lebte, in keinem Collegio irgend
eines Professors gesehen wurde, außer bei D. Schmidt, bei dem
er, gleich bei seinem Eintritte in die akademische Welt, als Famulus
figurierte, worüber jedermann sich wunderte und seine
finstere Physiognomie ebenso auffallend als abstoßend fand, sowie
nicht minder seine auszeichnende Kleidung, welche in einem blaßblauen
Rocke, roter Weste, schwarzen Beinkleidern und weißen
Strümpfen bestand. In diesem Anzuge habe ich ihn diese zwei
Jahre über stets und nie anders gesehen. Erst nachdem D. Tittmann
zu Johannis 1775 Propst an der Schloßkirche wurde, besuchte
Reinhard dieselbe, vorher aber wollte ihn niemand in einer
Kirche bemerkt haben. Das einzige Kollegium, wo ich ihn getroffen,
war bei D. Dresde, im Rabbinico, wo er nebst mir und dem nachherigen
Hofprediger Jacobi in Dresden auf einer Bank saß und
nach und nach uns alle überholete.
Soviel auch sonst bei Tische im Konvikte geplaudert wurde: Reinhard allein beobachtete ein Pythagorisches Schweigen. Indes hatte ich zweimal die Ehre, einiger Worte von ihm gewürdigt zu werden. Es sollten einst Kaldaunen verauktioniert werden, welche R. sehr gern aß und ich nicht minder. Indem der Judex dieselben ausbot und ich ihm winkte, auf mein licitum zuzuschlagen, während R. dieselben noch näher besichtigen wollte, ließ er seinen Unwillen darüber gegen mich aus. (Manche Speisen wurden an jedem Tische verauktioniert, so daß nur der sie genoß, der sie erstund, z. B. die großen Rosinen, das Netz von der gebackenen Leber, statt des Bratens, die Rindsflecke oder Kaldaunen.) Ein andermal war er selbst Judex gewesen, welches wöchentlich abwechselte. Statt daß jeder Abtretende das geführte Tischrechnungsbüchlein dem Senior in die Hand gab, welcher nach geschehener Durchsicht es dem sequenti überreichte, tat Reinhard dieses nie, sondern legte es wie verstohlen mir jedesmal auf den Teller. Da mich die konfuse Zusammenstellung der aufgeführten Posten frappierte und ich ganz ruhig ihn fragte, warum es ihm nicht gefallen habe, wie überall geschehen, Einnahme und Ausgabe zu separieren, erhielt ich eine ziemlich hämische Sottise zurück, die ich zu erwidern nicht für gut erachtete, die Tischgesellschaft aber nicht minder frappieren mochte, da auf einmal alles Gespräch stockte und nur nach und nach wieder in Gang kam. Reinhard mochte sich selbst schämen, länger an diesem Tische zu bleiben, da er sogleich folgenden Tages sich an den elften Tisch setzen ließ. Auch hier blieb er nur einige Wochen, da ihn D. Schmidt ganz in sein Haus und zugleich an seinen Tisch nahm, sowie er von nun an der Gründer seines nachherigen Glücks directe und indirecte ward.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/159&oldid=- (Version vom 19.1.2025)