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Seite:Die zehnte Muse (Maximilian Bern).djvu/208

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Verschiedene: Die zehnte Muse

Der Gimpel.

Behaglich sitzt in seinem kleinen Bauer
Der Gimpel, pfeifend sein gelerntes Lied.
Er hängt im Sonnenschein dort an der Mauer,
Er hat es gut und gar nichts fällt ihm sauer,

5
Er ist zufrieden, wie man deutlich sieht.


Das ist die Kunst! Sie führt zu hohen Ehren:
Man hat das kleine Tier bezahlt mit Gold.
Kann man die Nachtigall wohl Lieder lehren?
Man kann es nicht! Drum soll den Gimpel ehren,

10
Wer wahrer Kunstvollendung Beifall zollt!


Nun leiert er sein Lied, der brave Gimpel,
Wie er’s gelernt hat, alle Tage her,
Pfeift seine Melodie so rein und simpel,
Dass alles jauchzt: »Wie schön singt unser Gimpel

15
Das Liedchen doch: „Wenn ich ein Vöglein wär!“«


Heinrich Seidel.





Er sagte jüngst.

Er sagte jüngst, ich wäre nur
Ein ganz unwissend Kind,
Das nie gefragt, was die Natur
Und Gott in Wahrheit sind.

5
Er sprach so schön, so bildervoll

Und gab mir auch ein Buch,
In dem ich fleissig lesen soll,
Sei’s auch nur zum Versuch.

Ich las und las; mir ward davon

10
Ganz wunderlich zuletzt:

Der liebe Herrgott wurde schon
Im Eingang abgesetzt:

»Es ist kein Gott, der denkt, der wie
Ein Künstler wirkt und schafft,

15
Was Gott ich nenne, ist nur die

Im Stoff latente Kraft«

Als ich im Walde diese Stell’
Mit lauter Stimme las,
Sprang von den Buchenwipfeln schnell

20
Der Sonnenschein ins Gras.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/208&oldid=- (Version vom 31.7.2018)