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Walter Ledig, Ferdinand Ulbricht: Die Sekundär-Eisenbahnen des Königreichs Sachsen |
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Die erste Bahn Deutschlands, welche nicht blos in ihrem Bau, sondern auch in ihrem Betriebe durchweg den Charakter einer Sekundärbahn aufwies, war die schmalspurige Brölthalbahn (Spurweite 0,785 m), welche auf der Strasse von Hennef nach Waldbröl angelegt und mit einer Zweigbahn von Schönenberg in das Saurenbacherthal verbunden ist. Dieser Bahn, deren letzte Theilstrecke Ruppichteroth-Waldbröl im September 1870 dem Verkehre übergeben wurde, folgten bald die gleichfalls schmalspurig angelegten Linien von Ocholt nach Westerstede in Oldenburg (Spurweite 0,750 m) und von Salzungen nach Kaltennordheim in Thüringen (Spurweite 1,00 m), welche letztere unter dem Namen „Feldabahn“ allgemeiner bekannt ist. Der Betrieb dieser Linien wurde – im Mangel allgemeingültiger Vorschriften für Sekundärbahnen – durch besondere Polizeiverordnungen der Verwaltungsorgane geregelt.
Die Reichsorgane beschäftigten sich mit der hier in Rede stehenden Materie zuerst im Jahre 1876, woselbst im Reichs-Eisenbahnamt ein Entwurf zu den „Bahnpolizei- und Signalvorschriften für schmalspurige wie für Bahnen von untergeordneter Bedeutung“ ausgearbeitet wurde.
Bereits früher hatten innerhalb der technischen Kommission des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen Berathungen über diesen Gegenstand – namentlich soweit es sich um Fragen betrieblicher Natur handelte – stattgefunden, deren Ergebniss in einem zunächst als Manuskript gedruckten Entwurfe, betreffend die Grundzüge für die Gestaltung der sekundären Eisenbahnen, in einer am 26. Mai 1876 in Konstanz zusammengetretenen Technikerversammlung zur Vorlage gelangte und sodann mit einigen Modifikationen in der am 31. Juli desselben Jahres zu München anberaumten Generalversammlung des Vereins von den Vereinsverwaltungen angenommen wurde. Den Ausführungen dieses Entwurfes gebührt das Verdienst, die prinzipiellen Unterschiede des Haupt- und Nebenbahnbetriebes in anschaulicher Weise hervorgehoben und hierbei die volkswirthschaftliche Nothwendigkeit umfassender Vereinfachungen im Bau und Betriebe für Bahnen der letzteren Gattung nachgewiesen zu haben. Auch hierbei wurde davon ausgegangen, dass der weitere Ausbau des Deutschen Eisenbahnnetzes nur dann wirksam gefördert werden könne, wenn sich Mittel und Wege finden liessen, um die Anlage- und die Betriebskosten der Lokalbahnen wesentlich herabzumindern.
In Anknüpfung an diese „Grundzüge“ ward vom Reichs-Eisenbahnamte der bereits erwähnte Entwurf zu den Bahnpolizei- und Signalvorschriften für Bahnen untergeordneter Bedeutung ausgearbeitet; welcher den Eisenbahnverwaltungen zu Anfang des Jahres 1877 zur Prüfung und gutachtlichen Aeusserung zugefertigt wurde. Die Bestimmungen jenes Entwurfes schlossen sich im wesentlichen an die in den Grundzügen enthaltenen Vorschriften an und statuirten nur in einzelnen Beziehungen Abweichungen, die später auch nur zum Theil in die Bahnordnung für Deutsche Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung übergegangen sind. Die Publikation dieser Bahnordnung erfolgte – nachdem der Entwurf am 6. Juni 1878 mit einigen unwesentlichen Modifikationen im Bundesrathe zur Annahme gelangt war – in No. 24 des „Centralblattes für das Deutsche Reich“ vom 14. Juni 1878 mit der Massgabe, dass die Bahnordnung mit dem 1. Juli 1878 in Kraft trat.
Die hauptsächlichsten Erleichterungen, welche die Bahnordnung für Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung gegenüber den bezüglichen Vorschriften des Betriebsreglements und der Bahnpolizei-Ordnung für die Anlage und den Betrieb der Lokalbahnen mit sich brachte, waren folgende:
1. Die Bahnbewachung fällt bei einer Fahrgeschwindigkeit bis zu 15 km pro Stunde weg; bei grösseren Geschwindigkeiten, und zwar bis zu 30 km pro Stunde, ist sie nur an frequenten Wegübergängen und an besonders gefährdeten Stellen der Bahn erforderlich.
2. Die Bahnstrecke braucht – im Gegensatz zur Hauptbahn, welche dreimal täglich revidirt werden muss – nur einmal täglich revidirt zu werden.
3. Die Zahl der zu besetzenden Bremsen bei den Sekundärbahnzügen ist eine wesentlich geringere als bei den Personenzügen der Hauptbahnen.
4. Bahneinfriedigungen sind nicht erforderlich.
5. Barrièren für nicht frequente Wegeübergänge sind überhaupt entbehrlich, für frequente Wegeübergänge dann, wenn dieselben mit einer Geschwindigkeit von nur 15 km pro Stunde befahren werden.
6. Sperrsignale an den Bahnhöfen, sowie Vorsignale für Weichen auf freier Strecke sind nicht vorgeschrieben,
sowie
7. die zulässige Abnutzung der Radreifen an den Maschinen und Waggons ist eine grössere als auf den Hauptbahnen.
Ausser diesen hauptsächlichen Aenderungen wurden durch die neue Bahnordnung noch eine grosse Anzahl minder wichtiger Bestimmungen des Betriebsreglements und der Bahnpolizei-Ordnung in Wegfall gebracht, wodurch in manchen Richtungen gleichfalls Ersparnisse an den Betriebskosten ermöglicht wurden.
Als die wichtigste der durch die Bahnordnung statuirten Neuerungen – und zwar in betrieblicher und finanzieller Beziehung – stellte sich von vornherein die Bestimmung dar, wonach bei den Sekundärbahnen unter gewissen Voraussetzungen der Wegfall der Bahnbewachung und speziell der Niveauübergangs-Bewachung als zulässig erklärt wurde. Es ist bekannt, welche bedeutende Rolle gerade dieses Ausgabekapitel in den Budgets sämmtlicher Bahnverwaltungen spielt, und naturgemäss muss sich dieses Verhältniss bei denjenigen Linien, die – wie die Sächsischen Bahnen – nur dichtbevölkerte Gegenden und zwar vorwiegend in Terraingleiche durchschneiden, besonders ungünstig gestalten. Hieraus erklärt sich, dass beispielsweise bei den Sächsischen Staatsbahnen die Ersparniss, welche bei vollständiger Beseitigung der Bahnbewachung auf den Sekundärbahnen zu erwarten war, auf durchschnittlich 10 000 ℳ pro Meile veranschlagt werden konnte, und die Erfahrung hat zur Genüge dargethan, dass dieser Betrag keineswegs zu hoch gegriffen war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass speziell innerhalb des Sächsischen Staatsbahnbereichs schon früher – bevor an die Erleichterungen der Eisenbahnordnung zu denken – unausgesetzt auf die Einschränkung der Bahnbewachungskosten hingearbeitet worden war, und dass diese Bestrebungen gerade bei denjenigen Linien, die nachmals zu Sekundärbahnen erklärt wurden, bereits zu wesentlichen Ersparnissen geführt hatten.
Innerhalb des Sächsischen Bahnbereiches wurden für die Einführung des sekundären Betriebes nach Massgabe der Bahnordnung für Deutsche Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung zunächst folgende Nebenbahnen ausersehen:
Limbach - Wittgensdorf,
Pockau - Olbernhau,
Niederschlema - Schneeberg,
Penig - Narsdorf - Rochlitz,
Potschappel - Hermsdorf.
Von diesen Linien, welche zusammen eine Länge von 46,57 km repräsentiren, dienen die vier zuerst genannten dem Personen- und Güterverkehr, während die zuletzt gedachte Strecke Potschappel-Hermsdorf lediglich den Kohlenverkehr aus einigen Werken des Plauenschen Grundes nach der Dresden-Chemnitzer Staatseisenbahn vermittelt. Sämmtliche Strecken kommen als Nebenlinien für den Durchgangsverkehr nicht in Betracht, auch liessen ihre ungünstigen finanziellen Ergebnisse eine Ersparniss an Betriebskosten ganz besonders wünschenswerth erscheinen.
Die Entscheidung darüber, welche Einschränkungen des Betriebes Platz zu greifen hatten, war von den Verkehrserfordernissen der einzelnen Linie abhängig zu machen. In der
Walter Ledig, Ferdinand Ulbricht: Die Sekundär-Eisenbahnen des Königreichs Sachsen. Druck von H. S. Hermann, Berlin 1886, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sekund%C3%A4r-Eisenbahnen_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen.pdf/12&oldid=- (Version vom 8.3.2025)