bezwecken, durch Geheul meuchlings im Keime zu töten, wird mit List fortgeschafft, nachdem sein Herr, ein benachbarter Schnapsbrenner durch einige Flaschen edlen Weines bestochen ist. Obwohl das Arbeitszimmer Carlyles doppelte Wände hat, zwischen denen eine den Schall dämpfende Torfschicht deponiert ist, scheint doch niemals die zur Arbeit und zum Schlafe notwendige Stille zu herrschen und bei jedem neuen Buche träumt der grosse Schriftsteller davon, es in einer Wüste oder auf einem Schiffe allein, einsam im Ozean schreiben zu dürfen. Es war eine bestimmte, gar nicht seltene Form von Autosuggestion, durch die Carlyle sein Leben sich verbitterte. Er schlief nur darum nicht, weil seine Aufmerksamkeit sich einseitig gewohnheitsmässig auf das Erdenken von Schlafstörungen eingestellt hatte. Er fühlt sich nicht zufrieden, wenn er keinen Grund sieht, unzufrieden zu sein. Das Schlimmste in solchen Fällen aber ist die suggestive Macht solcher ungewöhnlich energischen „moralischen Dyspeptiker“. Carlyles Einfluss auf andere fügte es, dass seine Form von Neurasthenie sich auf seine ganze Umgebung übertrug. Weil er nicht schlafen konnte, schlief sein ganzes Haus nicht, denn nichts kann man so leicht lernen oder verlernen als den Schlaf … Einen Leidensgenossen von recht eigentümlicher Art hatte Carlyle an dem Mathematiker Babbage. Auch dieser litt an einer Idiosynkrasie gegen Lärm. Diese aber bezog sich auf eine ganz spezifische Lärmsorte, nämlich auf den Klang der in englischen Dörfern überaus häufigen Drehorgeln. Das Lied der Drehorgel machte Babbage weinerlich und arbeitsunfähig. Darum bestimmte er ein für allemal einen Teil seiner Einkünfte dazu, alle Orgeln, die sich irgendwo in seinem Reviere hören liessen, aufkaufen zu lassen. Dies wurde alsbald bekannt und veranlasste eine allgemeine Auswanderung der Orgelmänner zu dem Reviere, wo Babbage wohnte. Dort versuchten sie ihre alten verspielten Instrumente möglichst teuer abzusetzen … Goethe berichtet, dass er in seiner Jugend sich die Empfindsamkeit gegen Lärm nicht durchgehen lassen wollte und dass er in Strassburg hinter der Trommel der Soldaten einherzog, um sein empfängliches Ohr für Geräusche langsam abzuhärten. Aber es hat ihm wenig genützt. Denn auch Goethe blieb sein Leben lang für jede Art Lärm und Geräusch sehr empfindlich. In dem ruhigen idyllischen Weimarländchen, unter den glücklichsten und würdigsten Lebensbedingungen, unter denen je ein Dichter in Deutschland schaffen durfte, hatte er gleichwohl noch beständig über Unruhe und Lärm zu klagen. Ja, in seinem Alter kaufte er ein in Verfall geratenes Haus neben dem seinigen, nur, um den Lärm bei seiner Ausbesserung nicht mit anhören zu müssen. – Wir finden fernerhin in der Biographie Byrons, Shelleys, Beethovens, Schillers, Mussets, Viktor Hugos, Zolas ausdrücklich erwähnt und durch eine Fülle von Einzelzügen bestätigt, dass sie für Geräusche empfänglich
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/29&oldid=- (Version vom 31.7.2018)