dass gesteigerte Empfindlichkeit für akustische Eindrücke die grössere Insichgekehrtheit des geistigen Erlebens zur Voraussetzung hat …
Eine ungewöhnliche, ja krankhafte Reizbarkeit des Gehörssinnes, die man als eigentümliche „Lärmneurose“ ansprechen könnte, zeigt das Leben Thomas Carlyles. Bei ihm spielte der Lärm eine tragikomische groteske Rolle. Dafür, dass Thomas Carlyle in seinen Schriften selber redlich gelärmt hat (obwohl er, wie Spencer erzählt, mit Vorliebe vom „heiligen Schweigen“ zu – reden liebte), dafür ist er aufs härteste durch die subjektive Qual, die seine Lärmempfindlichkeit ihm bereitete, gestraft gewesen. Man kann beinahe sagen, dass die Tagebücher und Briefe von Jane Welsh Carlyle, (einer der genialsten englischen Frauen), von nichts und wieder nichts handeln als von der fortgesetzten Sorge, wie sie ihrem hypochondrischen Gatten ein Menschenalter lang besseren Schlaf bereiten und ruhige Arbeitsgelegenheiten schaffen musste. Die Frage, wie „Er“ während der letzten Nacht geschlafen hatte, entschied über das Glück oder Unglück eines jeden ihrer Tage, ja jeder Stunde ihres armen Lebens. Und eine Bagatelle, ein Nichts, das Gackern eines Huhns, ein vorüberrollender Lastwagen, das ferne Ticken einer Uhr genügte, um Carlyles Nachtruhe zu vernichten. – Tyndall erzählt in seinen schönen Erinnerungen, von einer Reise, die er mit Carlyle gemacht hat. Als er eines Morgens in Carlyles Kammer trat, fand er ihn völlig verwandelt, strahlend, wie verklärt. Er wusste sich nicht genug zu tun in Dankbezeugungen für den guten Freund, dessen Fürsorge er acht Stunden festen Schlafes zu verdanken glaubte. Er wollte durchaus das Bett ankaufen und mit nach Schottland nehmen, in dem er so gut geschlafen hatte. Es ist halb rührend und ergreifend, halb aber komisch oder empörend zu lesen, welche Schliche und Kniffe die arme Jane anwenden musste, um diesem masslos launischen, ganz unausstehlichen Manne die nötige Stille zu verschaffen. Denn obwohl er in den besten Verhältnissen, verhätschelt und umsorgt in der tiefster Abgeschiedenheit in einem einsamen Hause zu Chelsea lebte, klagt er unaufhörlich über Mangel an Stille. Da werden die jungen Hähne und Hühner, die seine Morgenruhe stören, für schweres Geld aufgekauft; junge Damen durch zarte Aufmerksamkeiten veranlasst, während seines Aufenthaltes nicht auf dem Klaviere zu üben, denn bei dem ersten Tone gerät der grämliche Carlyle in Zorn und beginnt seine ständige Lamentei: „Bei diesem Lärm kann ich weder denken noch existieren.“ Ein Hund, der sich herausnahm, Ideen, die den Preis menschlichen Heldentums und das Heil des englischen Volkes
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)