waren und unter Lärm sehr zu leiden hatten. In der Lebensbeschreibung Konrad Ferdinand Meyers erwähnt seine Schwester, dass er schon als Knabe eine übergrosse Empfindlichkeit gegen Geräusche geäussert habe. Einen fast schrullenhaften Zug berichtet auch Peter Hille aus seiner eigenen Jugendzeit. Er konnte Flintenschüsse und Pfiffe nicht ertragen und ging in kein Theater, weil er in Furcht war, unerwartete Schüsse oder Pfiffe hören zu müssen. – Einen halb tragischen, halb komischen Charakter hatte der Widerwille Heinrich Heines gegen Lärm. Er dokumentiert sich mit wahrem Galgenhumor, wenn der Dichter in seiner „Matratzengruft“, wo ihn tausend subtile Geräusche quälen, ein Testament aufsetzt, in dem er verfügt, er wolle auf dem Cimetière Montmartre, nicht aber auf dem näheren Père la Chaise begraben werden, „weil es dort ruhiger sei und er weniger gestört sein werde”. – Auch von Richard Wagner, der in seinen Briefen neben allen seinen andern Lamentos, auch über den Lärm und die Sorge um eine ruhige Wohnung beständig lamentiert, hören wir, dass er Glassplitter und Scherben unter seine Fenster streuen liess, um Kindergeschrei von seiner Wohnung fernzuhalten. Auch Fr. Th. Vischer war ein herrlicher Kämpfer wider den Lärm. Neben Schnupfen, Katarrh und Influenza, neben der Bosheit der Hemden- und Kragenknöpfe und der „Tücke der kleinen Objekte“ hat ihn nichts so tief wie Lärm erbittert. Halb grimmig, halb lächelnd hat er gegen ihn angekämpft. Als im Sommer 1877 neben dem Stuttgarter Polytechnikum der Stadtgarten angelegt wurde, in dem während der Sommervorlesungen Vischers ein Promenadenkonzert stattfand, da schrieb er im „Neuen Tageblatt” geharnischte Aufsätze wider die Rücksichtslosigkeit seiner schwäbischen Mitbürger. In einem dieser Aufsätze heisst es folgendermassen: „Vor meinen Zuhörern werde ich so vieler Worte nicht bedürfen. Da brauche ich nicht erst zu beweisen, dass die Wissenschaft Stille bedarf, dass, wer sie vorträgt, nicht mit Pauken und Trompeten um die Wette schreien kann; da ist keine Besorgnis, auf die Missachtung der Wissenschaft zu stossen, die in dieser Sache als eine traurige Erscheinung in unserer Hauptstadt mehrfach hervorgetreten ist. … Es wäre auch noch ein Wort von Belästigung vieler Umwohner durch die laute, lang dauernde Musik zu sagen; da gibt es auch ausser Lehranstalten immer solche, die jetzt keine Musik hören wollen, weil sie zu anderen Dingen Sammlung bedürfen, gibt es Kranke, kommt es vor, dass Tieftrauernde ein Sterbebett umstehen, denen die stürmische Aufforderung zur Freude wie Hohn erscheint. Gerade der Freund der Musik muss wünschen, dass sie nicht aufdringlich sei, nicht da sich aufwerfe und lange Stunden hindurch breit mache, wo sie zwar einige belustigt, aber andere belästigt.“ – Ein andermal beklagt sich Vischer in einem Brief über einen heulenden Hund mit folgenden Worten: „Meine Arbeit verlangt strenge
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/30&oldid=- (Version vom 31.7.2018)