bestimmung und Selbsterkenntniß entspringt, den Vertrag der Ehe mit einander schließen - woraus hervorgeht, daß nicht Alles dulden, nicht Alles verzeihen, nicht alle Selbständigkeit im Handeln und Denken aufgeben, ihre heilige Pflicht wird - sobald sich die Frau nach altgermanischem Grundsatz als eine Freie betrachtet. Aber in der langen knechtischen Gewohnheit der Jahrhunderte hat sich ihre Gesinnung schon genug entadelt um jener Auffassung nicht mehr fähig zu sein, und gelassen beschränkt sie sich auf die leidende und sich unterordnende Richtung ihres Wesens, die doch nur einseitig ist und sie daher auch nur unvollkommen ausbildet. Daher hat es sie nie mehr unglückseligere Frauen gegeben, als grade jezt - wo dieser Zustand, ich will hoffen seinen Culminationspunkt erreicht hat.
„Gnädige Gräfin, entgegnete Leonor nachdenklich, um Ihre Idee in dem Sinn zu fassen wie Sie dieselbe gefaßt haben wollen, nämlich als Gleichgewicht und nicht als Gleichheit der Geschlechter: dazu gehört eine Klarheit des Bewußtseins zu der sich bis jezt wenig Frauen durchgearbeitet haben dürften; und ehe dies nicht geschehen ist kann die mißverstandene Idee nichts als Verwirrung, Unheil und Mißbrauch erzeugen. Da die Damen nicht mehr als Seherinnen und als Schildjungfrauen durch
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Erster Band. Berlin 1845, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn).djvu/190&oldid=- (Version vom 23.6.2019)