bunten Wollsachen, Schuhen, derben Wäschestücken, ein paar Pfefferkuchen und verschrumpelten Äpfeln bedeckt; ein dürftig geschmückter Baum streckte seine großen Zweige wie lauter wehklagend erhobene Arme nach der Zimmerdecke. Lieblos und nüchtern – gar nicht nach Weihnachten – sah es aus, und ich mußte der Großmutter denken, die selbst den Ärmsten immer irgend eine „Überraschung“ bereitete, denn „les choses superflus sont des choses très nécessaires“ pflegte sie mit ihrem gütigsten Lächeln zu sagen. Auf der einen Seite drängten sich die Frauen und Kinder eng zusammen, auf der anderen saßen die Damen des Vorstands, und unter dem Baum stand Pfarrer Haberland, der die Festpredigt hielt. Er war mir völlig fremd diesen Abend, als er so viel vom „Vater im Himmel“ sprach, „der die Armen nicht verläßt,“ von „den wahrhaft christlichen Seelen der gütigen Geberinnen,“ von der gebotenen „Dankbarkeit und Zufriedenheit der Empfangenden.“ Dann wurde gesungen und dann beschert, wobei die Mütter ihre Kinder immer wieder ermahnten „vergelts Gott“ zu sagen, obwohl die kleine Gesellschaft offenbar nicht recht wußte, warum. – Über eine Gummipuppe und ein Holzpferdchen hätten sie sich tausendmal mehr gefreut, als über all die prosaischen Nützlichkeiten.
Trotzdem von der Riesentanne in unserm Musiksaal wenige Stunden später hunderte von Kerzen ein warmes strahlendes Licht verbreiteten und alle Geschenke meiner Eitelkeit zu schmeicheln schienen, verlebte ich noch nie ein so trauriges Weihnachtsfest. Ich sei „schlechter Laune“, meinte die Tante ärgerlich, der mein Dank nicht stürmisch genug war. Nachts darauf hatte ich wieder
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/191&oldid=- (Version vom 31.7.2018)