rauchte aber trotzdem die Pfeife, und fast undurchdringliche Wolken umgaben ihn. Meinem Wunsch, ein Fenster zu öffnen, widerstand er heftig. „I hobs auf der Brust und vertrag ka Zugluft nöt,“ sagte er. Unter Räuspern und Husten begann ich mein Verhör. Er beklagte sich lebhaft über die Tochter, die „a schön’s Stück Geld“ verdiene, aber „alleweil mehr an Putz denkt als an den alten Vater,“ und lieber auf „die Tanzböden umanand hupft“ als bei ihm zu sein, der „dös ausgeschamte Ding doch nu amal in die Welt gesetzt hat.“ Grade ging die Türe und „d’ Resi“ kam nach Haus, ein schmalbrüstiges junges Mädchen mit hektischem Rot auf den Wangen und fiebrig glänzenden Augen. Sie hustete. „Kannst nit a bissel s’ Fenster auftun,“ bat sie nach einer verlegnen Begrüßung, „wenn man eh’ den ganzen Tag gar nix wie Staub schluckt.“ Aber der Alte gab nicht nach, sondern eiferte bloß über die ungeratenen Kinder – „zu meiner Zeit gab’s koanen eignen Willen nöt bei die Madl. Heut zu Täg is aus mit’n schuldigen Respekt.“ Die Resi bat mich, ihr mit meinem Fragebogen in die Küche zu folgen. Dort riß sie das Fenster auf, und ein Hustenanfall erschütterte ihre Brust, so daß ihr vor Anstrengung die Schweißtropfen auf der Stirne standen. Seit vier Jahren arbeitete sie, die eben erst achtzehn geworden war, in der großen Spinnerei, zu deren Aktionären auch meine Tante gehörte, wie ich aus ihrem eifrigen Studium der betreffenden Kurszettel erfahren hatte. Sie verdiente sieben Mark in der Woche, wovon sie dem Vater die Hälfte abgab. „Für mehr langt’s gewiß nit, Fräulein,“ fügte sie mit tränenden Augen hinzu, „i brauch a bissel was für’s Gewand, und dann,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/189&oldid=- (Version vom 31.7.2018)