Grund der Maxklamm empfand, wenn ich von den sommerschwülen Wiesen Grainaus dorthin flüchtete. Ein tiefes Aufatmen ging durch meine Seele. Ich öffnete den Mund nicht während des ganzen Besuchs, und er richtete nie das Wort an mich. Daß ich seinen Händedruck beim Abschied herzhaft erwiderte, war das einzige Zeichen meines Willkommens.
Am Abend desselben Sonntags war es; die Stunde, in der mein Vater für Wünsche am zugänglichsten, für Widerspruch am wenigsten empfindlich war. Dann pflegte Mama mit gekreuzten Armen tief in der Sofaecke seines Zimmers zu sitzen, der Patience zuschauend, die er, als bestes Nervenberuhigungsmittel, wie er meinte, allabendlich zu legen pflegte. Ich las währenddessen oder träumte vor mich hin.
„Wir hätten Alix doch in die Schule schicken sollen,“ begann Mama.
„Damit sie mit fünfzig Cohns und Goldsteins in einer Klasse sitzt! Na, Gottlob, ist das Thema seit heute erledigt,“ antwortete er.
„Und daß er ihr keine Religionsstunde geben will, ist doch auch bedenklich,“ fuhr sie fort.
„Das ists grade, was mir paßt,“ sagte er mit etwas erhobener Stimme, „den Katechismus kann sie am Schnürchen, die Kirchenlieder auch, alles übrige läßt sich nicht lehren und nicht lernen, wenn mans nicht erfährt. Und zu dieser Religionserziehung sind die Herren Eltern da.“
„Ich freue mich auf die Stunden,“ unterbrach ich das Gespräch, in der Angst, es könne sich zu einer Szene steigern.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/088&oldid=- (Version vom 31.7.2018)