hingen. Kurz vor dem Haus riß ich mich unter dem Vorwand, die Blumen ins Wasser stellen zu wollen, los, und erschien, noch glühend vor Erregung, nach zehn Minuten im weißen Musselinkleid wieder, das mir die alte Kathrin mit einem „Kind, Kind, was wird die Tante sagen – das war ja die Prinzessin Friedrich!“ hastig übergeworfen hatte. Aber es kam nicht einmal zu einem strafenden Blick, denn die Prinzessin nahm mich in die Arme und erzählte lachend, wie sie eben schon meine Bekanntschaft gemacht habe. Ihre Worte überstürzten sich wie ein Wasserfall und wurden von ebenso hastigen und burschikosen Gebärden begleitet. Eine komische „Prinzessin“, dachte ich mir im stillen und sah mit gesteigertem Erstaunen zu ihren Kindern herüber, die sich grade nach allen Regeln der Kunst zu prügeln begannen und des wohlgepflegten Rasens nicht achteten, auf den sich sonst nicht einmal mein Ball verirren durfte.
„Der Hellmut sagt, die Alix wär eine Zigeunerin,“ schrie das kleine Mädchen plötzlich.
„Zigeunerinnen sind viel hübscher als semmelblonde Frauenzimmer, wie du eins bist,“ entgegnete der Knabe, und es bedurfte des Dazwischentretens der Mutter, um mit einer Ohrfeige nach rechts und links dem Streit ein Ende zu machen.
Mein Schicksal hatte sich dabei entschieden: selbst der Kuchen, in den das Prinzeßchen mit Behagen hineinbiß, hinderte sie nicht, mir feindselige Blicke zuzuwerfen, während ihr Bruder mir die Aufmerksamkeiten eines vollendeten Kavaliers erwies. Er mochte sieben Jahre älter sein als ich, war schlank und hochaufgeschossen,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/055&oldid=- (Version vom 31.7.2018)