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Seite:De Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes (Möbius).djvu/51

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alles zusammen, so bieten zwei Stände die günstigsten Gelegenheiten, der des Arztes und der des Priesters. Der katholische Geistliche ist zwar von der Geschlechtsgemeinschaft ausgeschlossen, aber die Beichte giebt ihm eine solche Fülle von Aufschlüssen, dass er in gewisser Beziehung unerreichbar ist. Neben ihm steht der Arzt, der in der Kegel den Vortheil ehelicher Kenntnisse hat und der als Naturbeobachter von Fach sozusagen technisch besser befähigt ist. Ueberdem ist der Arzt auch eine Art von Beichtvater und gerade in protestantischen Ländern fällt ihm diese Rolle zu. Unter den Aerzten wieder sind zwei Arten besonders begünstigt, der Frauenarzt und der Nervenarzt. Für den Frauenarzt hat das Runge sehr gut auseinandergesetzt, er hat auch den thörichten Einwurf widerlegt, der Arzt habe es nur mit kranken Weibern zu thun[1]. Dringt der Gynäkolog mehr in das Geschlechtsleben ein, so hat sich der Nervenarzt vorwiegend mit geistigen Zuständen zu befassen und er gewinnt in dieser Hinsicht Erfahrungen, die Anderen nur selten zugänglich sind. Viel ungünstiger stehen andere Stände da. Der protestantische Geistliche hat bei weitem nicht die günstigen Gelegenheiten wie sein katholischer College und der Arzt. Der Jurist hat in der Regel nur einseitige Erfahrungen, da er „minderwerthigem“ Material gegenübersteht. Dieses Bedenken kehrt auch bei manchen Verwaltungsbeamten wieder (den Leitern von Weibergefängnissen u. s. w.), wenn auch anzuerkennen ist, dass gerade in bestimmten Beziehungen die Vertreter des Staates tief eindringen. Mädchenlehrer haben auch ihre besonderen Vortheile, sind aber doch durch die Beschränkung auf das unreife Alter im Nachtheile. Am ungünstigsten stehen die Schreibtischmenschen da, die Theoretiker, die oft ihre Kenntnisse nur aus der Literatur und der eigenen Frau schöpfen. Das Gesagte gilt natürlich nur im Allgemeinen, in der Wirklichkeit tritt denn doch der persönliche Werth in den Vordergrund. Geistliche und Aerzte, denen es am Besten fehlt, verlieren ihre Vortheile, und hochbegabte, scharfsinnige Männer vermögen aus


  1. Erst nach Erscheinen meines Aufsatzes habe ich den Runge’s über „das Weib in seiner geschlechtlichen Eigenart“ (4. Aufl. Berlin 1900) gelesen. Um so mehr freue ich mich über unsere Uebereinstimmung in allem Wesentlichen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/51&oldid=- (Version vom 31.7.2018)