in der Wirkung zwischen dem Bewußtsein, daß Gott unsere Handlungen kennt und daß sie die Menschen kennen, liegt, wie ich vermuthe, darin, daß die Misbilligung der Menschen über unmoralisches Betragen ihrer Natur nach mit der Geringschätzung unseres persönlichen Erscheinens etwas verwandt ist, so daß beide durch Association zu ähnlichen Resultaten führen, während die Misbilligung Gottes keine derartige Association hervorruft.
Gar manche Person ist intensiv erröthet, wenn sie irgend eines Verbrechens angeschuldigt wurde, trotzdem sie vollständig unschuldig war. Selbst der Gedanke (wie die eben erwähnte Dame gegen mich bemerkt hat), daß Andere denken, daß wir eine unfreundliche oder dumme Bemerkung gemacht haben, ist weitaus genügend ein Erröthen zu verursachen, obschon wir die ganze Zeit hindurch wissen, daß wir vollständig misverstanden worden sind. Eine Handlung kann verdienstlich oder von einer gleichgültigen Natur sein, aber eine empfindsame Person wird, wenn sie nur vermuthet, daß Andere eine verschiedene Ansicht hiervon haben, erröthen. Z. B. kann eine Dame für sich allein Geld einem Bettler geben, ohne eine Spur eines Erröthens. Wenn aber Andere noch gegenwärtig sind und sie zweifelt, ob sie es billigen, oder vermuthet, daß sie glauben, sie würde von dem Wunsche beeinflußt, sich zu zeigen, so wird sie erröthen. Dasselbe wird der Fall sein, wenn sie sich erbietet, die Noth einer herabgekommenen Frau aus bessern Ständen zu erleichtern, noch besonders einer solchen, die sie früher unter bessern Verhältnissen gekannt hat, da sie dann nicht sicher sein kann, wie ihre Handlungsweise betrachtet werden wird. Aber derartige Fälle gehen in Schüchternheit über.
Verletzungen der Etikette. — Die Regeln der Etikette beziehen sich immer auf unser Betragen in der Gegenwart von Andern oder Andern gegenüber. Sie haben keinen nothwendigen Zusammenhang mit dem moralischen Gefühle und sind oft bedeutungslos. Da sie aber von dem feststehenden Gebrauche der uns gleich Stehenden oder höher Gestellten abhängen, deren Meinung wir hoch in Ansehen halten, so werden sie nichtsdestoweniger beinahe als ebenso bindend betrachtet, wie die Gesetze der Ehre es für einen gebildeten Menschen sind. In Folge dessen wird ein Verletzen der Gesetze der Etikette,
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/325&oldid=- (Version vom 31.7.2018)