Da Schüchternheit allem Anscheine nach von Selbstbeachtung abhängt, so können wir einsehen, wie Recht diejenigen haben, welche behaupten, daß das Tadeln der Kinder wegen der Schüchternheit, statt ihnen dadurch irgend welches Gute zu thun, sehr schadet, da es ihre Aufmerksamkeit noch eingehender auf sich selbst richtet. Es ist sehr treffend hervorgehoben worden, daß „nichts jungen Leuten mehr schadet als beständig wegen ihrer Gefühle beobachtet zu werden, ihre Gesichter untersucht zu sehen und den Grad ihrer Empfindsamkeit durch das überwachende Auge des unbarmherzigen Zuschauers gemessen zu wissen. Unter dem Zwange derartiger Untersuchungen können sie an nichts denken als daran, daß sie angesehen werden, und nichts anderes fühlen als Scham oder Besorgnis“.[1]
Moralische Ursachen: Schuld. — In Bezug auf das Erröthen aus streng genommen moralischen Ursachen begegnen wir denselben fundamentalen Grundsätzen wie vorher, nämlich der Rücksicht auf die Meinung Anderer. Es ist nicht das Bewußtsein, welches ein Erröthen hervorruft; denn ein Mensch kann aufrichtig irgend einen unbedeutenden in der Einsamkeit begangenen Fehler bereuen, oder er kann die schärfsten Gewissensbisse wegen eines nicht entdeckten Verbrechens fühlen, und doch wird er nicht erröthen. „Ich erröthe“, sagt Dr. Burgess,[2] „in der Gegenwart meiner Ankläger“. Es ist nicht das Gefühl der Schuld, sondern der Gedanke, daß Andere uns für schuldig halten oder wissen, daß wir schuld haben, was uns das Gesicht roth macht. Ein Mensch kann sich durch und durch beschämt fühlen, daß er eine kleine Unwahrheit gesagt hat, ohne zu erröthen; aber wenn er auch nur vermuthet, daß er entdeckt ist, wird er augenblicklich erröthen, besonders wenn er von irgend Jemand entdeckt wird, den er verehrt.
Auf der andern Seite kann ein Mensch überzeugt sein, daß Gott Zeuge aller seiner Handlungen ist und er kann sich irgend eines Fehlers tief bewußt fühlen und um Vergebung bitten; aber dies wird niemals ein Erröthen hervorrufen, wie eine Dame meinte, die sehr gern und stark erröthet. Der Unterschied dieser Verschiedenheit
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/324&oldid=- (Version vom 31.7.2018)