Sockelornamente und die eleganten Muster auf den Schwungfedern des Männchens zu würdigen. Wer der Ansicht ist, dass das Männchen, so wie es jetzt existirt, geschaffen wurde, muss annehmen, dass die Schmuckfedern, welche den Vogel verhindern, die Flügel zum Fluge zu benutzen, und welche während des Actes der Bewerbung und zu keiner andern Zeit in einer, dieser einen Species völlig eigenthümlichen Art und Weise entfaltet werden, ihm zum Schmucke gegeben worden sind. Wird dies angenommen, so muss er noch weiter annehmen, dass das Weibchen mit der Fähigkeit, derartige Ornamente zu würdigen, geschaffen oder begabt wurde. Ich weiche hiervon nur in der Ueberzeugung ab, dass der männliche Argusfasan seine Schönheit allmählich erlangte und zwar dadurch, dass die Weibchen viele Generationen hindurch die in höherem Grade geschmückten Männchen vorzogen, während die ästhetische Fähigkeit der Weibchen durch Uebung und Gewohnheit in derselben Weise, wie unser eigener Geschmack allmählich veredelt wird, allmählich fortgeschritten ist. Durch den glücklichen Zufall, dass beim Männchen einige wenige Federn nicht modificirt worden sind, sind wir in den Stand gesetzt deutlich zu sehen, wie einfache Flecke mit einer unbedeutenden gelblichen Schattirung auf der einen Seite durch kleine, abgestufte Schritte zu den wunderbaren Kugel- und Sockelornamenten entwickelt worden sind; und es ist wahrscheinlich, dass sie sich wirklich so entwickelt haben.
Ein Jeder, welcher das Princip der Entwickelung annimmt und doch grosse Schwierigkeit empfindet zuzugeben, dass weibliche Säugethiere, Vögel, Reptilien und Fische den hohen Grad von Geschmack erlangt haben, welcher wegen der Schönheit der Männchen vorauszusetzen ist und welcher im Allgemeinen mit unserem eigenen Geschmacke übereinstimmt, muss bedenken, dass die Nervenzellen des Gehirns beim höchsten wie beim niedersten Gliede der Wirbelthierreihe die directen Abkömmlinge derjenigen sind, welche der gemeinsame Urerzeuger dieses ganzen Unterreichs besessen hat. Denn hiernach können wir verstehen, woher es kommt, dass gewisse geistige Fähigkeiten sich bei verschiedenen und sehr weit von einander stehenden Thiergruppen in nahezu derselben Weise und nahezu demselben Grade entwickelt haben.
Der Leser, welcher sich die Mühe gegeben hat, durch die verschiedenen der geschlechtlichen Zuchtwahl gewidmeten Capitel sich durchzuarbeiten, wird im Stande sein zu beurtheilen, inwieweit die Folgerungen, zu denen ich gelangt bin, durch genügende Beweise unterstützt
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/391&oldid=- (Version vom 31.7.2018)