liegt. Eine Reihenfolge scharf markirter Abänderungen ähnlicher Natur sind durchaus nicht nothwendig; unbedeutende schwankende Verschiedenheiten der Individuen genügen für die Wirksamkeit natürlicher Zuchtwahl; womit nicht gesagt sein soll, dass wir irgend welchen Grund zu der Annahme hätten, dass alle Theile der Organisation in demselben Grade zu variiren neigten. Wir können uns überzeugt halten, dass die vererbten Wirkungen des lange fortgesetzten Gebrauches oder Nichtgebrauches von Theilen Vieles in derselben Richtung wie die natürliche Zuchtwahl bewirkt haben werden. Modificationen, welche früher von Bedeutung waren, jetzt aber nicht länger von irgend einem speciellen Nutzen sind, werden lange vererbt werden. Wenn ein Theil modificirt wird, werden sich andere Theile nach dem Grundsatze der Correlation verändern, wofür wir Beispiele in vielen merkwürdigen Fällen von correlativen Monstrositäten haben. Etwas mag auch der directen und bestimmten Wirkung der umgebenden Lebensbedingungen, wie reichliche Nahrung, Wärme oder Feuchtigkeit, zugeschrieben werden; und endlich sind viele Charactere von unbedeutender physiologischer Wichtigkeit, einige allerdings auch von beträchtlicher Bedeutung, durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden.
Ohne Zweifel bietet der Mensch ebensogut wie jedes andere Thier Gebilde dar, welche, soweit wir mit unserer geringen Kenntniss urtheilen können, jetzt von keinem Nutzen für ihn sind und es auch nicht während irgend einer früheren Periode seiner Existenz weder in Bezug auf seine allgemeinen Lebensbedingungen, noch in der Beziehung des einen Geschlechtes zum anderen gewesen sind. Derartige Gebilde können durch keine Form der Zuchtwahl, ebensowenig wie durch die vererbten Wirkungen des Gebrauches und Nichtgebrauches von Theilen erklärt werden. Wir wissen indessen, dass viele fremdartige und scharf ausgesprochene Eigenthümlichkeiten der Bildung gelegentlich bei unseren domesticirten Erzeugnissen erscheinen, und wenn die unbekannten Ursachen, welche sie hervorrufen, gleichförmiger wirken würden, so würden jene wahrscheinlich allen Individuen der Species gemeinsam zukommen. Wir können hoffen, später etwas über die Ursachen solcher gelegentlichen Modificationen, besonders durch das Studium der Monstrositäten, verstehen zu lernen. Es sind daher die Arbeiten von experimentirenden Forschern, wie z. B. die von Camille Dareste, für die Zukunft vielversprechend. Im Allgemeinen können wir nur sagen, dass die Ursache einer jeden unbedeutenden Abänderung oder einer
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/379&oldid=- (Version vom 31.7.2018)