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Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/84

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So sind ja die wunderbaren verschiedenen Instincte, geistigen Kräfte und Affecte der Ameisen allgemein bekannt, und doch sind ihre Kopfganglien nicht so gross als das Viertel eines kleinen Stecknadelkopfs. Von diesem letzteren Gesichtspunkte aus ist das Gehirn einer Ameise das wunderbarste Substanzatom in der Welt und vielleicht noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen.

Die Annahme, dass beim Menschen irgend eine enge Beziehung zwischen der Grösse des Gehirns und der Entwickelung der intellectuellen Fähigkeiten besteht, wird durch die Vergleichung von Schädeln wilder und civilisirter Rassen, alter und moderner Völker und durch die Analogie der ganzen Wirbelthierreihe unterstützt. Dr. J. Barnard Davis hat durch viele sorgfältige Messungen nachgewiesen,[1] dass die mittlere Schädelcapacität bei Europäern 92,3 Cubikzoll, bei Americanern 87,5, bei Asiaten 87,1 und bei Australiern nur 81,9 beträgt. Professor Broca[2] hat gefunden, dass Schädel aus Gräbern in Paris vom neunzehnten Jahrhundert gegen solche aus Gräbern des zwölften Jahrhunderts in dem Verhältniss von 1484 : 1426 grösser waren, und dass die durch Messungen ermittelte Zunahme der Grösse ausschliesslich den Stirntheil des Schädels betraf, — den Sitz der intellectuellen Fähigkeiten. Auch Prichard ist überzeugt, dass die jetzigen Bewohner Grossbritanniens „viel geräumigere Hirnkapseln“ haben als die alten Einwohner. Nichtsdestoweniger muss zugegeben werden, dass einige Schädel von sehr hohem Alter, wie z. B. der berühmte Neanderthalschädel, sehr gut entwickelt und geräumig sind.[3] In Bezug auf die niederen Thiere ist Mr. Lartet[4] durch Vergleichung der Schädel tertiärer und jetzt lebender Säugethiere, welche zu denselben Gruppen


  1. Philosoph. Transact. 1869, p. 513.
  2. Les Sélections, par P. Broca, in: Revue d'Anthropologie, 1873, s. auch das Citat in C. Vogt's Vorlesungen über den Menschen. Bd. 1, S. 104-108. Prichard, Physic. Hist. of Mankind. Vol. I. 1838, p. 305.
  3. In dem eben citirten interessanten Artikel macht Broca die gute Bemerkung, dass bei civilisirten Nationen die mittlere Schädelcapacität dadurch herabgedrückt werden muss, als eine beträchtliche Anzahl von an Geist und Körper schwachen Individuen, die im Zustande der Wildheit sicher beseitigt worden wären, erhalten wird. Andrerseits enthält bei Wilden das Mittel nur die fähigeren Individuen, die unter äusserst harten Bedingungen leben zu bleiben fähig waren. Broca erklärt hierdurch die sonst unerklärliche Thatsache, dass die mittlere Schädelcapacität der alten Troglodyten von Lozère grösser ist als die der modernen Franzosen.
  4. Comptes rendus de l'Acad. d. Sciences. Paris, Juni, 1, 1868.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/84&oldid=- (Version vom 31.7.2018)