ihren socialen Instincten als von solchen zu sprechen, welche sich mehr zum allgemeinen Besten als zum allgemeinen Glück der Species entwickelt haben. Der Ausdruck „allgemeines Beste“ kann definirt werden als die Bezeichnung für die Erziehung der grösstmöglichen Zahl von Individuen in voller Kraft und Gesundheit und mit allen Fähigkeiten in vollkommner Ausbildung, und zwar unter den Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Da ohne Zweifel die socialen Instincte Beider, sowohl des Menschen als der niedern Thiere in nahezu derselben Reihe entwickelt worden sind, so würde es, wenn es ausführbar wäre, wohl rathsam sein, in beiden Fällen dieselbe Definition zu benutzen und als Maassstab für die Moral eher das allgemeine Beste oder die Wohlfahrt der Gemeinde als das allgemeine Glück anzunehmen; doch würde diese Definition vielleicht eine Einschränkung wegen der politischen Moral erfordern.
Wenn ein Mensch sein Leben wagt, um das eines Mitgeschöpfes zu retten, so scheint es richtiger, hier zu sagen, dass er für das allgemeine Beste oder die allgemeine Wohlfahrt handelt, als zu sagen, dass er es für das allgemeine Glück der Menschheit thue. Ohne Zweifel fallen die Wohlfahrt und das Glück des Individuums gewöhnlich zusammen, und ein zufriedener glücklicher Stamm wird besser gedeihen als einer, welcher unzufrieden und unglücklich ist. Wir haben gesehen, dass selbst auf einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit die ausgesprochenen Wünsche der Gesellschaft nothwendig in hohem Grade das Benehmen jedes einzelnen Mitglieds beeinflusst haben werden; und da alle nach Glück streben, so wird „das Princip des grössten Glücks“ ein sehr bedeutungsvoller secundärer Führer und ein wichtiges Ziel geworden sein; denn als primärer Antrieb und Führer werden immer die socialen Instincte mit Einschluss der Sympathie (welche uns zur Beachtung der Billigung und Misbilligung Andrer führt) gedient haben. Hierdurch wird der Vorwurf, dass man den Grund des edelsten Theils unserer Natur in das niedere Princip der Selbstsucht legt, beseitigt; man müsste denn in der That die Genugthuung, welche jedes Thier fühlt, wenn es seinen richtigen Instincten folgt und das Unbefriedigtsein, welches dasselbe fühlt, sobald es daran gehindert wird, selbstisch nennen.
Der Ausdruck der Wünsche und des Urtheils der Glieder einer und derselben Gemeinschaft, anfangs mündlich, später durch Schriftsprache, bildet entweder die einzige Richtschnur unseres Benehmens,
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/170&oldid=- (Version vom 31.7.2018)