„Ist sie noch Braut, dann heiss’ ich die Kolcherin ihrem Erzeuger
Geben; jedoch war sie schon mit dem Bräutigam Lagergenossin,
Nimmer entfern’ ich sie dann vom Vermähleten; nimmer das Kindlein,
Hegt sie vielleicht schon ein solches im Schooss, nie geb’ ich’s den Feinden.“
(Apollonios. IV. v. 1106 u. ff.)
Als bald darauf Alkinoos in Schlaf verfiel, liess Arete den zu erwartenden Spruch sogleich dem Iason heimlich melden, welcher alsobald das hochzeitliche Lager bereitete. Als daher am andern Morgen die Kolchier und Argonauten sich vor dem Alkinoos versammelten, um den Urtheilsspruch zu empfangen, waren Iason und Medeia Vermählte und die Forderung der Kolchier wurde abgewiesen. Apollonios (IV. v. 1201 u. ff.) sagt:
„Jener jedoch, wie zuvor er des Rechtes Entscheidung geordnet,
Auch ward’s jetzo bekannt, dass schon vollzogen die Hochzeit, –
Blieb ganz fest bei dem Spruch, dem geordneten; weder der Rachsucht
Grausamkeit noch der entsetzliche Zorn Aietes des Königs
Schreckte ihn, sondern er hielt mit lauterer Treue den Eidschwur.“
Carstens hat die wesentlichen Stücke dieses Vorganges in den einen, dargestellten Augenblick zusammengefasst. Die rechte Hälfte des Bildes wird durch den Alkinoos und seine Phaiaken eingenommen; am Strande liegen die kolchischen Schiffe, im Hintergrunde die Stadt. Links steht ein Altar, auf dem die Argonauten das Opfer bereitet haben, hinter demselben, etwas seitwärts, die beiden Dioskuren, einer der Boreaden und noch andere Helden. Alkinoos, wie die Haltung seines rechten Armes deutlich zeigt, hat eben den Spruch verkündet; Iason und Medeia eilen beglückt einander in die Arme; neben ihnen steht gesenkten Hauptes der Anführer der Kolchier, den linken Arm erhoben, als wollte er sagen: nun ist’s vorbei, mein Geschäft ist aus.
Den Zorn des Aietes fürchtend, blieben denn auch die kolchischen Kriegsmannen bei den Phaiaken, wo sie sich ansiedelten, zurück; die Argonauten aber gingen nach einigen Tagen wieder in See.
Tafel 22. Die Argo im tritonischen See.
Nach dem Besuche auf dem Eilande der Phaiaken wurden die Helden, als sie schon in die Nähe des Peloponnes gekommen waren, durch nördliche Stürme, die neun Tage und neun Nächte wütheten, in das libysche Meer und in die kleine Syrte verschlagen. Hier wurden sie in den sumpfigen Watten der Küste von dem daselbst häufigen Flugsande schwer heimgesucht, so dass sie schon fast auf Rettung verzichten mussten. In dieser Noth erschienen ihnen die „Heldinnen der Libya“, und deren Rathe folgend trugen sie die Argo zwölf Tage lang auf ihren Schultern durch die Wüste, bis sie an den tritonischen See gelangten, wo sie dieselbe wieder ins Wasser setzten. Dieser See – jetzt Farun im südlichen Tunis – ist vom Meere nur durch einen schmalen Küstenstrich getrennt, und die Argonauten suchten nun die Ausfahrt aus dem See durch diesen Küstenstrich hindurch ins Meer. Aber sie suchten vergebens. Da beschlossen sie auf den Rath des Orpheus,
„Flugs an dem Strande des Sees Apollon’s mächtigen Dreifuss
Heimischen Göttern zu weihn als dankbare Gabe der Rückkehr.“
(Apollonios. IV. v. 1548.)
Darauf erschien auch sogleich der Gott des Sees, Triton, selbst. Er begrüsste die Helden freundlich und reichte ihnen als Gastgeschenk eine Erdscholle.
Diesen Augenblick hat Carstens dargestellt.
Was aber die Erdscholle anbetrifft, so liegen da geheimnissvolle Beziehungen zu Grunde, die in der Geschichte hellenischer Ansiedlungen in Afrika,
Herman Riegel (Hrsg.): Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug. Alphons Dürr, Leipzig 1884, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carstens_Werke_3._Band_Argonautenzug.pdf/30&oldid=- (Version vom 14.2.2021)