thut mir jetzt sehr leid. Verflogen, verweht, in Nichts verflattert wären die Wonnen jener Tage freilich ebenso, wenn ich sie auch eingetragen hätte, aber wenigstens wäre ein Abglanz davon zwischen den Blättern festgebannt. Aber nein: für meinen Gram und meine Schmerzen fand ich nicht genug Klagen, Gedankenstriche und Ausrufungszeichen; die jammervollen Dinge mußten der Mit- und Nachwelt sorgfältig vorgeheult werden, aber die schönen Stunden, die habe ich schweigend genossen. – Ich war nicht stolz auf mein Glücklichsein und gab es daher niemand – nicht einmal mir selber im Tagebuche – kund und zu wissen! nur das Leiden und Sehnen empfand ich als eine Art Verdienst, daher das viele Großthun damit. Wie doch diese roten Hefte alle meine traurigen Lagen getreulich spiegeln, während zu frohen Zeiten die Blätter ganz unbeschrieben blieben. Zu dumm! Das ist, als sammelte Einer während eines Spazierganges – um Andenken daran nach Hause zu bringen – als sammelte er von den Dingen, die er auf dem Wege findet, nur das Häßliche; als füllte er seine Botanisierbüchse nur mit Dornen, Disteln, Würmern, Kröten und ließe alle Blumen und Falter weg.
Dennoch, ich erinnere mich: es war eine herrliche Zeit. Eine Art Feenmärchentraum. Ich hatte ja alles, was ein junges Frauenherz nur begehren kann: Liebe, Reichtum, Rang, Vermögen – und das Meiste so neu, so überraschend, so staunenerregend! Wir liebten uns wahnsinnig, mein Arno und ich, mit dem ganzen Feuer unserer lebensstrotzenden, schönheitssicheren Jugend.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/019&oldid=- (Version vom 31.7.2018)