Schloss Biberich am Rhein
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Schöner mag kein Fürst in Deutschland wohnen, als der Herzog von Nassau in seinem Biberich. Malerisch liegt’s, von der Pforte des Rheingaus nicht fern, an dem beschatteten Ufer des hier 2000 Fuß breiten Stroms, und beherrscht die Aussicht auf die schönste, imposanteste Landschaft. Rechts sieht man Mainz mit seinen Thürmen und kühnen, weitreichenden Befestigungen vor sich liegen; auf der linken Seite verliert sich das Auge über den Rhein, die Bollwerke von Kassel und tiefer über die Anhöhe von Hochheim. Den Strom hinab öffnet sich der Eingang in den paradiesischen Rheingau, den das Städtchen Eltville mit seinem alten Thurme zu bewachen scheint. Vor dir schwimmen liebliche, stille Auen, von plätschernden Wogen umspült, und tief gebettet liegt das trauliche Schierstein, bequem für Wiesbaden und Mainz, die an Sonn- und Feiertagen ihre Bevölkerung auf Landpartien dahin aussenden. Noch weiter unten, auf einem Vorsprung gegen den Rhein, grüßt das helle, freundliche Walluf, von wo ein Fußpfad durch ein liebliches Thal nach dem nahen Schlangenbade führt. Rechts von Walluf, wo der eigentliche Rheingau anfängt, birgt sich das Rauenthal hinter Hainen von Obstbäumen und einem Hügel, von dem man die ganze weite, lachende, mit Städtchen und Flecken übersäete Gegend von Kostheim bis zum Niederwalde übersieht. Oft begegnet der Wanderer da
[78] den Gliedern der fürstlichen Familie auf einsamen Spaziergängen in diesen frischen Wäldern, in diesen grünen Thälern voll Felsen und Schluchten, wo der Gesang zahlloser Vögel das Gemüth erheitert.
Biberich ist die gewöhnliche Residenz des Herzogs, und indem sie durch die Eisenbahn mit seiner Hauptstadt (Wiesbaden) verbunden ist, so hat er hier die Anmuth eines Landsitzes mit allen Bequemlichkeiten einer städtischen Residenz vereinigt. Das Schloß, von gefälligen architektonischen Formen, zeichnet sich durch prachtvolle Ausstattung im Innern aus. – Hinter dem Schlosse zieht sich der Park, der geschmackvoll angelegt und gut unterhalten ist, gegen die Höhe von Mosbach. Er steht jedem Besucher offen, indem überhaupt hier, ich will nicht sagen, ein großes Maaß von Freiheit, aber eine gefällige Nachsicht gegen das Volk herrscht, welche um so mehr Anerkennung findet, je humaner die Formen sind, unter denen sie sich bemerklich macht.
Wer freilich tiefer zu blicken gewohnt ist, der würde sich sehr täuschen, wenn er die Umwohner dieses Paradieses für so glücklich hielte, als die Gegend es zu verbürgen scheint. Es ist hier wie allenthalben. Die Sterblichen haben sich ungleich in den Genuß und die Arbeit getheilt. Auch im Rheingau trinkt Der den Wein nicht, der ihn pflanzt; auch im Lande Nassau haben Diejenigen den geringsten Antheil an dem Boden, die ihn mit ihrem Schweiße düngen; und auch der Anblick dieses herrlichen Schlosses wird bei Manchem zu der Bemerkung führen: – daß Tausende hungern müssen, damit Einige schwelgen.