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Schandau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCCL. Notre-Dame in Paris Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band (1843) von Joseph Meyer
CCCCLI. Schandau
CCCCLII. Arthursburg auf dem St. Michaelsberg in Cornwallis
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SCHANDAU
an der Elbe

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CCCCLI. Schandau.




Hart am Thore, das sich der Elbstrom durch den Gebirgsgürtel Böhmens gebrochen, im Mittelpunkte der sächsischen Schweiz, liegt, dicht an der Elbe, anmuthig und heiter, das kleine Städtchen Schandau. Im Sommer ist’s für die Schaaren von Fremden, welche herkommen, um die Wunder der Gegend zu schauen, ein Hauptsammelplatz, und darum voller Leben und Treiben; im Winter hingegen, wo überdies die Gewerbe der Schiffer und Flößer stocken, wird’s um so stiller; Weberei, Spinnerei und Steinbrechen bleiben dann die Nahrungsquellen, bis das Frühjahr zurückkehrt und reichlichere von neuem fließen. Auch ein Bad ist in Schandau; besucht aber wird es wenig, und lockte nicht die schöne Gegend manchen Kurgast her, so wäre es wohl schon längst verödet. Die weit heilkräftigern nahen Bäder Böhmens lassen Schandau, als Kurort, nie aufkommen.

Dagegen vereinigt die Umgebung des Städtchens Alles, was geeignet ist, auf Jeden, der Sinn für die Reize großartiger Naturscenen hat, unauslöschliche Eindrücke zu machen. Schon die nächsten Promenaden bieten des Schönen viel. Auf der Karlsruhe, nahe am Bade, entzückt die Aussicht auf den Strom, der mit weitgespanntem Bogen die Felsmauer umrauscht, und auf die Hochpunkte der Landschaft, auf den Bären-, Lilien- und Königstein, und in Thalgründe und Schluchten. – Ein zweiter, etwas weiterer Spaziergang führt durch das Kirnitschthal nach der Ostrauscheibe, einem Plateau mit reizender Aussicht. Da prangt im Vorgrunde der Zahngrund mit seinen hohen Tannen und Fichten, überragt von den schauerlichen Felsmauern der Schrammsteine, und im Hintergrunde hebt sich der Winterberg; seitwärts aber, grotesk und ernst, der waldgegürtete Rosenberg. Ein, dritte, noch genußreichere Wanderung von Schandau ist die nach dem sogenannten Kuhstall. Dahin führt der Weg den Kirnitschgrund hinauf, an dessen Spitze rauschender Hochwald den Wanderer empfängt. Lange in denselben fort windet sich der enge Pfad, bis sich plötzlich eine prächtige Felsmasse zeigt, an deren senkrechten Wänden altersgraue Fichten hinanstreben. An dieser vorbei führt der Weg steil zum Rücken des Bergs. Hier überrascht das erste Ziel: – ein weiter Triumphbogen, aufgerichtet von der Hand des großen Baumeisters selbst, der diese Gegend geschmückt hat. Gefesselt hängt der Blick an der wunderbaren Felsgestalt; er sieht betroffen durch die weite Halle, über einen tiefen Abgrund hinweg, auf die Wälder stundenferner Gebirge. Der colossale Rahmen, das eingeschlossene Landschaftsbild, die dunkle Halle und die lichte Durchsicht, [86] der starre, unbewegliche Fels und die leichten, vorüberziehenden Wolken sind lauter Gegensätze, die sich gegenseitig zur Folie dienen und verschönern.

Ungern reißt man sich los von dieser Stelle, wenn der Führer mahnt, daß noch Schöneres zu sehen sey. An einer wilden Felsschlucht vorüber, in die man nicht ohne Grauen hinunter sehen kann, tritt man durch den etwa 15 Fuß hohen und breiten Eingang in ein Steingewölbe, das mit jedem Schritte, den man vorwärts thut, sich immer kühner erweitert und erhöht, bis es, nach einer Länge von wenigstens sechzig Fuß, an einem steilen, tiefen Abgrund mit einem hohen, prächtigen Bogen endigt, dessen Umriß der aufgeregten Phantasie ein neues, großes Feld eröffnet. Da steht man nun und irrt mit seinen Blicken bald an den grotesken Wänden des düstern Gewölbes umher, bald in der weiten Ausdehnung des tiefen, waldigen Habichtsgrundes, bald auf der zackigen Kontour des gegenüberliegenden Winterbergs, und fühlt sich überschwenglich belohnt für die Mühe des zurückgelegten Wegs. Die Aussicht ist zwar an dieser Stelle beschränkt; aber Keiner wird dies anders wünschen. Eben diese hohe, prunklose Einfachheit der Vista gehört recht eigentlich für das immer offne Fenster dieses Felspalastes. Jede größere Ferne, jedes Hüttchen im Thale nähme dem Feierlichen und Abgeschiedenen des Orts etwas von seinem Reize.

Genug. Wollte ich alle Nalurschönheiten der Schandauer Gegend anführen, so müßte ich mich zu einem Führer für die sächsische Schweiz aufwerfen: und das wird mir der Leser gern erlassen.