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Ruine Lahneck bei Coblenz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CLXXV. Die Kasankirche in St. Petersburg Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXVI. Ruine Lahneck bei Coblenz
CLXXVII. Coburg
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RUINE LAHNECK

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CLXXVI. Ruine Lahneck bei Coblenz.




Das tiefe, romantische Thal der Lahn, von steilen, bewaldeten Anhöhen umgeben, aus denen von Zeit zu Zeit ein nackter Fels kühn hervorspringt, und von den Schluchten brausender Waldbäche häufig durchschnitten, führt, vielfach sich krümmend, von Ost nach West zum Rhein. Sein Strom theilt das Nassauische Land in zwei fast gleiche Hälften; er ist schiffbar bis Dietz und Hauptkanal für den Verkehr des Herzogthums rheinauf- und abwärts mit Wald- und Berg-Produkten: Holz, Kohlen, Gyps, Eisen und Mineralwasser. Die Lahnmündung, 1½ Stunde oberhalb Coblenz, ist ein reizender Punkt. Zwischen zwei Vorgebirgen, auf denen die Burgruinen Lahneck und Oberlahnstein prangen, drängt sich der Fluß dem großen Strome entgegen, und rechts und links, dicht am Rheinufer, blinken freundlich die Flecken Ober- und Niederlahnstein. Schon Ausonius sang der herrlichen Lage dieser Orte ein Loblied.

[110] Lahneck ist die Ruine am rechten Ufer. Geisterhaft erheben sich die geschwärzten Mauern und Thürme dieser alten, schon im 16ten Jahrhunderte zerstörten Tempelherrenburg von ihren Felsen, deren häufig besuchte Zinnen eine zwar nicht weite, aber höchst malerische Aussicht beherrschen. Hier und auf dem Kastell gegenüber (das zum Theil noch bewohnt ist) hielten sich oft die Kurfürsten des Reichs auf, wenn sie auf dem nahen Königsstuhl Wahl gehalten hatten für das Reichsoberhaupt, oder Gericht über dasselbe gepflogen. Mehre Wahlurkunden datiren von diesen Burgen und auch jene merkwürdige, welche am 20. August 1400 den Kaiser Wenzeslaus, weil er „anvertraute Gewalt gemißbraucht zu schlechtem Regiment, zu Raub am Volk und an der Freiheit“ unwürdig erklärte Deutsche zu regieren und ihn des Thrones entsetzte.

Der Königsstuhl stand auf einem Berge am linken Rheinufer, etwa eine Stunde von Oberlahnstein, beim Flecken Rhens. Es war ein steinernes, kapellenartiges Achteck, unten offen und ruhte auf 8 Bogen. Um eine runde Säule in der Mitte wand sich die Treppe, die zu den Steinsitzen der acht Kurfürsten auf der Zinne führte. Ihr Thronhimmel war der Himmel selbst. Hier, wo sich das deutsche Land herrlich vor ihren Augen ausbreitete und Deutschlands Strom zu ihren Füßen sich wälzte, sichtbar allem Volke, versammelten sich die Kurfürsten, nicht blos zur Königswahl, sondern auch, um über die wichtigsten Reichsangelegenheiten zu rathschlagen; hier wurde der Landfriede beschlossen; hier wurde Gericht gehalten über Volksdrücker und Freiheitsdiebe; über Staatsverbrecher mit Krone und Purpur.

Die Aufrichtung dieses Nationalheiligthums geht in die Dämmerungszeit deutscher Geschichte zurück. Es war schon längst außer Gebrauch gekommen, als im 17ten Jahrhundert ein Blitzstrahl es zerstörte. 1624 wieder aufgebaut, ward dieses ehrwürdige Denkmal der Freiheit 1792 zum zweitenmale zertrümmert; – nicht von den Wettern des Allmächtigen, sondern von der Freiheit neufränkischen Söhnen, welche, wahrscheinlich vom Namen irregeleitet, in antiroyalistischem Eifer das Werk bis auf den Grund schleiften, und die Quadersteine wegführten und verkauften.

Aber das Andenken des Volks wird die Stätte noch lange feiern, und kein deutscher Wanderer sie betreten ohne ernste Vergleichung von Einst und Jetzt, oder sie verlassen mit einem andern Gefühle, als dem tiefer Wehmuth.