Die Kasankirche in St. Petersburg
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
Was die Peterskirche für Rom, ist die Kasankirche für Petersburg. Dort dient an Gallatagen der Religion der Pabst selbst am Hochaltare als Priester, hier der erste Metropolit der griechisch-russischen Kirche. Ich werfe auf den Kultus derselben einen Blick, ehe ich ihren Erztempel beschreibe.
Von den drei großen Fraktionen, in welche die Christenheit gespalten, ist die griechische Kirche diejenige, welche in ihren Glaubenslehren und Gebräuchen den Ansichten folgt, die unter den Gemeinden im ehemaligen römischen Ostreiche sich seit dem 4ten Jahrhunderte eigenthümlich ausprägten. Sprache, Sitten und Denkweise der orientalischen Völker, so verschieden von denen des Westens, übten nothwendig einen großen Einfluß auf abweichende Auslegung der heiligen Bücher und Vorschriften, und legten frühzeitig den Keim einer Scheidung zwischen der abendländischen und morgenländischen Kirche. Die Conzilien im 5ten Jahrhunderte konnten offene Streitigkeiten zwar verzögern, aber nicht verhindern. Sie brachen, genährt durch die Eifersucht der Patriarchen in Rom, Constantinopel und Alexandrien, von denen jeder nach Alleinherrschaft strebte, auf das heftigste aus, und anmaßlich schleuderte Rom (484) seinen Bannfluch gegen die Dissentirenden. Zwar vermochte ein Vierteljahrhundert später der römische Bischof, mit Hülfe des griechischen Kaisers, eine scheinbare Wiedervereinigung der Meinungen herbeizuführen; aber nachdem der Pabst von der Oberherrschaft des Hofes zu Constantinopel sich losgemacht und Bündniß geschlossen hatte mit den fränkischen Königen, denen er die Cäsarenkrone aufsetzte, bereitete sich eine förmliche Scheidung der abendländischen und morgenländischen (lateinischen und griechischen) Kirchen vor. Sie erfolgte im Jahre 1053 und einige spätere [106] Versuche, durch Conzilien eine Aussöhnung zu bewirken, blieben ohne Erfolg. Die katholische Kirche entfernte sich im Laufe der Jahrhunderte, unter dem Einflusse der scholastischen Philosophie, immer mehr und mehr von der griechischen, welche ihrerseits bei den von Johannes dem Damascener schon im 8ten Jahrhundert geordneten Lehrbegriffen und ihrer alten Kirchenverfassung unverrückt stehen blieb. Am weitesten wurde die Spaltung unter Gregor dem Siebenten, und nach der Eroberung von Constantinopel durch die Türken (1453), welche dem griechischen Reiche ein Ende machten, war auch jede weltliche Macht verschwunden, die ein wirksames Interesse zur Wiedervereinigung hätte haben können. Die Bemühungen Roms, die morgenländische Kirche unter seine Botmäßigkeit zu bringen, mußten sich fortan auf jene einzelnen Gemeinden beschränken, welche sich in Italien, Polen, Ungarn und Gallizien befanden, die nämlichen, welche jetzt der Name „unirte Griechen“ bezeichnet.
Die Unterjochung aller Länder des römischen Ostreichs durch die Araber und später durch die Türken, welche beide die Lehre Mohameds den beknechteten Nationen mit dem Schwerte in der Hand aufdrangen, raubte der griechischen Kirche Fünfsechstel seiner Bekenner. Doch wurde dieser Verlust wieder ausgeglichen durch den Zuwachs, den sie durch den Uebertritt vieler slavischer Völker zur Christuslehre erhielt. Wladimir der Heilige (988) nöthigte die Russen zur Annahme des griechischen Kultus, der von dieser Zeit an zugleich mit der russischen Macht immer größere Ausbreitung im Norden Europa’s, und an jener seine Hauptstütze bekam. Die Kirchenreformation in dem Abendlande blieb im Osten nicht ganz ohne Anklang; der Patriarch Laskaris in Constantinopel, ein edler und freisinniger Mann, hatte Luther’s Grundsätze liebgewonnen; aber er büßte den Versuch, den griechischen Kultus zu verbessern, mit dem Leben (1629). An der Spitze der Altgläubigen stand der Metropolit in Kiew. Mogilas war im Rufe der Heiligkeit und umfassendsten Gelehrsamkeit. Er gab ein „orthodoxes Glaubensbekenntniß der katholisch-apostolischen Kirche Christi,“ in der Absicht heraus, den Ansichten der vornehmsten Häupter der Kirche einen Vereinigungspunkt zu bieten, und um das Schwankende in jenen zu entfernen. Er erreichte seinen Zweck. Das Glaubensbekenntniß wurde von sämmtlichen Patriarchen der griechischen Kirche (1643) unterzeichnet und 1672 auf dem berühmten, allgemeinen Conzil zu Jerusalem bestätigt und für das einzig-gültige, symbolische Buch der griechischen Kirche auf alle Zeiten erklärt.
Nach demselben bekennt die griechische Kirche, ähnlich der katholischen, eine doppelte Quelle des Glaubens, Bibel und Tradition, unter welcher letzteren sie solche Lehren versteht, welche die Apostel blos mündlich vorgetragen, die Kirchenväter aufgezeichnet haben und Johann von Damask gesammelt hat.
Die Beschlüsse späterer Kirchenversammlungen haben für sie keine Kraft, und sie spricht den Synoden und Conzilien ausdrücklich und für ewige Zeiten die Macht ab, irgend etwas an den Lehrsätzen zu ändern, oder ihnen neue hinzuzufügen. Jedem Gläubigen ist Forschen und Deuteln ohnehin bei Verlust der ewigen Seligkeit [107] untersagt. Eigenthümliche, sich von den römisch-katholischen scharf sondernde Lehrsätze der griechischen Kirche sind: 1) daß sich die Weltgeistlichen, bis zum Bischof herauf, der, wie alle andern Großwürdenträger der Kirche, nur aus der Klasse der Klostergeistlichen wählbar ist, mit einer Jungfrau verehelichen müssen; 2) daß der heil. Geist nur vom Vater ausgehe; 3) daß es keinen Mittelzustand zwischen der ewigen Seligkeit und der ewigen Verdammniß nach dem Tode gebe, ein Fegefeuer also nicht anzunehmen sey. Ferner duldet sie keine geschnitzten oder erhaben ausgehauenen Bilder (Statuen von Heiligen, Kruzifixe etc. etc.), keine Ehen zwischen geistlichen Verwandten (Gevattern und Pathen), schreibt den Genuß des Abendmahls in der Form von in Wein geweichtem Brode, das der Priester mit dem Löffel reicht, vor, und hält die Firmelung (Salbung mit heil. Oel) schon bei Kindern innerhalb 8 Tagen nach der Geburt, sogleich nach der Taufe, für nöthig, „weil die ewige Seligkeit sonst nicht zu erlangen sey.“ Das Amt eines Stellvertreters Christi auf Erden leugnet sie ab. – Die Patriarchen zu Constantinopel, Alexandrien, Jerusalem und Antiochien stehen unter sich in gleichem Range. Das Moskauer Patriarchat hob Peter der Große nach Adrians Tode auf, indem er unter die zur neuen Wahl versammelten Bischöfe trat mit den Worten: Ich bin euer Patriarch! Seitdem sind die kirchlichen Angelegenheiten des russischen Reichs einer Art von Consistorium, einem Collegium von Bischöfen und weltlichen Räthen, unterworfen, das in Petersburg seinen Sitz hat und auf dessen Beschlüsse der Kaiser stets großen Einfluß übt. Die höchsten kirchlichen Würden in Rußland sind die der Metropolitane, – in Petersburg, Moskau, Kiew und Kasan. Es giebt eilf Erzbischöfe (deren Würde blos der Kaiser verleihen kann) und neunzehn Bischöfe. Die ganze übrige Geistlichkeit besteht aus Mönchen (in etwa 500 Klöstern, meistens dem Basilius-Orden zugehörend) und Popen, welche die Pfarramter u. s. w. versehen. Nur jene sind im Besitze von einiger gelehrten Bildung, und werden noch zu den höhern Ständen gezählt. Letztere hingegen gehören ausschließlich dem gemeinen Volke an, und an ein Aufrücken derselben zu wichtigern Stellen ist nie zu denken. Selten findet man unter ihnen einen Mann, dessen Kenntnisse etwas weiter gehen, als auf das Verstehen seiner Muttersprache, Lesen und Schreiben. Der Pope braucht auch kein höheres Wissen, denn der griechische Gottesdienst beschränkt sich auf Messelesen, Ceremonien und äußeres Gepränge, welches das Auge der Menge blendet und ihr nichts zu denken übrig läßt. – Predigen und Katechisiren ist selten, und beides dem gemeinen Manne gegenüber vorschriftlich so, daß dieser für Erhebung oder Bildung des Geistes nichts daraus gewinnen kann. Zu verschiedenen Zeiten war das Predigen, aus Furcht, dadurch die Denkkraft der Massen anzuregen, sogar verboten. Für den Kirchengesang, beschränkt auf einige Hymnen und Psalmen, welche eine bestimmte Anzahl von Choristen vortragen, kennt man Gesangbücher für die Gemeinde nicht, und Instrumentalmusik ist vom griechischen Gottesdienste verbannt. – Außer den russischen Metropoliten hat nur der Patriarch von Constantinopel einen bedeutenden Wirkungskreis; die übrigen drei (da sich in ihren Sprengeln die Masse zum Mohamedismus [108] bekennt); hüten wenige Gemeinden, und der von Alexandrien ist auf die beiden Pfarrkirchen in Kairo beschränkt. Der frühere harte Druck der griechischen Kirche in den türkischen Staaten hat sich in neuester Zeit durch Rußlands Einfluß sehr gemildert. Die Politik des russischen Hofes ist unablässig darauf gerichtet, das Interesse der griechischen Kirche mit dem ihrigen zu verketten, und in der ganzen griechischen Christenheit gilt der Czar als berufener Beschützer des Glaubens.
Von der Landesreligion Rußlands wenden wir den Blick wieder auf unser Bild, die Cathedrale der Hauptstadt.
Die Kasankirche steht dem Newsky-Prospekt gegenüber. Ihre Grundform ist die eines lateinischen Kreuzes, dessen nördlichem Arm eine halbkreisförmige Colonnade angebaut ist, die von beiden Seiten zur Hauptthüre leitet. Die Peterskirche in Rom gab das Muster her für diese großartige Verzierung.
Die Colonnade, auf einer steinernen Erhöhung ruhend, bilden zwei Doppelreihen corinthischer Säulen aus polirtem Granit, deren Fußgestelle und Capitäler von gegossenem Eisen sind. Eine Reihe Stufen aus grauem Porphyr führt zu den herrlichen Portiken, über denen die bronzenen Statuen der Engel Michael und Gabriel zu schweben scheinen. Die 24 Fuß hohe Hauptthüre des Tempels ist, wie die der Cathedrale in Florenz, bronzen und mit Figuren und Arabesken in halberhabener Arbeit bedeckt. Sie wird für eines der größten Meisterstücke der neueren Kunst gehalten.
Die Pracht des Innern entspricht vollkommen den Erwartungen, welche sein Aeußeres erregt. 56 corinthische Säulen von Porphyr, alle aus einem Stücke und jede 40 Fuß hoch, tragen das Schiff, welches die Gestalt eines Halbkreises hat. Fußgestelle, Kapitale, Gesimse und Gebälke sind vergoldete Bronze; massives Silber aber die inneren Flügelthüren des Tempels und die Gitterwerke, welche die Altäre umgeben.
Der Dom, welcher die Mitte des Deckengewölbes durchbricht, ist zwar von geringem Durchmesser, aber doch von trefflicher Wirkung. Der Boden unter demselben ist etwas erhöht, mit bunten Steinen mosaikartig ausgelegt. Die Wände schmücken Bilder aus dem Leben des Heilandes, der Maria und der Heiligen. – Ihr Kunstwerth ist gering; aber sie strahlen von Edelsteinen, welche den Gewändern künstlich eingesetzt sind. Zwischen ihnen und den Deckengewölben hängen zahllose Fahnen und Standarten: Siegestrophäen der russischen Waffen. Die meisten sind die in den Kriegen mit Frankreich, Persien und der Türkei eroberten Fahnen.
In diesem prachtvollen Gotteshause[1] sieht man keine Emporkirchen und Stände. Der Boden versammelt [109] alle Kommenden und mischt sie alle untereinander. Auf demselben Stein, auf dem der Serv knieet, verrichtet der Fürst seine Andacht. Der griechische Kultus hat die altchristliche Wahrheit: Vor Gott gilt kein Standesunterschied der Menschen, in seinen Kirchen noch nicht zur Lüge gemacht, wie die meisten andern in den ihrigen.
- ↑ Vor einigen Jahren wurde in Petersburg der Bau einer neuen Kathedralkirche angefangen. Die Isaakskirche soll an Pracht und Größe Alles überbieten, was die Baukunst in der neuern Zeit irgendwo hervorgebracht hat. Um sich einen Begriff von diesem Bau zu [109] machen, muß man sich einen 340 Fuß hohen Tempel denken, ganz von Marmor und Bronze, von einem Kranze aus 112 Riesensäulen eingefaßt, jede aus einem einzigen Stück rothen, polirten Granits. Vier Frontispizen sind nach den vier Weltgegenden gerichtet und ihre Giebelfelder zieren 120 Fuß lange bronzene Basreliefs. Ueber dem Ganzen, aus der Mitte desselben, erhebt sich ein Dom, 109 Fuß im Durchmesser, mit ganz vergoldeter Kuppel und umgeben abermals mit einer Riesenkolonnade, die auf dem Hauptgebäude, 170 Fuß über dem Boden, steht. Man ist gegenwärtig damit beschäftigt, die Säulen zu derselben, von denen jede 2200 Zentner wiegt, auf ihren hohen Standpunkt aufzustellen und dem Oberarchitekten von Montferreau sind vom Kaiser die Mittel zur Verfügung gestellt, den äußeren Bau bis zum Jahre 1842 zu vollenden.