Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Reichstädt
Reichstädt liegt ½ bis 1 Stunde von Dippoldiswalde, 4½ bis 5 Stunden von Dresden in einem Thale, welches der bei Hennersdorf entspringende sogenannte Berreuther Bach bildet, und am Oberdorfe bei seiner grossen Breite und hohen Lage etwas kahl erscheint, von des Dorfes Mitte aber sich immer reizender gestaltet, bis es zwischen Reichstädt und Berreuth eines der lieblichsten in der Gegend wird.
In diesem Thale dehnt sich Reichstädt fast eine Stunde lang fort, anfangs in nordwestlicher dann in nördlicher Richtung, aus grosser Höhe herab. Deshalb hat auch das Oberdorf ein bei weitem rauheres Klima als das Unterdorf und kommt beinahe darinnen mit Hennersdorf überein.
Reichstädt gehörte in früheren Zeiten zu dem Amte Dippoldiswalde und die Einwohner grösstentheils zum hiesigen altschriftsässigen Rittergute. Seit der neuen Gerichtsordnung gehört der ganze Ort unter das Gerichtsamt Dippoldiswalde, zum Bezirksgericht Dresden, zur Amtshauptmannschaft Dresden, zum Regierungsbezirk Dresden.
Reichstädt hat jetzt 147 bewohnte Gebäude mit 246 Familienhaushaltungen und 1173 Bewohnern.
Reichstädt selbst ist nach der Stadt Dippoldiswalde der wichtichste Ort im Gerichtsamte. Den Namen führt es mit Recht, denn es gehört zu den wohlhabendsten hiesiger Gegend und ist durchgängig schön gebaut.
In Reichstädt selbst ist noch ein Erbgericht, ausserdem sind hier noch sechs Mühlen mit neun Mahlgängen und einigen Sägen zu finden, welche ausser dem Holzhandel auch einigen Breterhandel nach Dresden bewirken.
Der Hauptnahrungszweig besteht in Ackerbau und Viehzucht, besonders findet man im Oberdorf starken und guten Flachsbau, seit 1829 treibt man hier auch Eisenbau.
Ein Schloss war schon sehr früh erbaut. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert existirte auf demselben ein Geschlecht von Reichenstadt, von welcher Familie es zum Gute Dippoldiswalde gekommen zu sein scheint.
Denn im Jahre 1503–1505 verkaufte Georg der Bärtige Dippoldiswalde sammt Reichstädt an seinen Rath und Amtmann auf’m Schellenberge, Siegmund von Maltitz, dessen Familie es bis zum Jahre 1560 behauptete, wo es Churfürst August von Letzterer acquirirte.
Churfürst Johann Georg I. schenkte es nebst Berreuth 1640 seinem Hofmarschall und Amtshauptmann Heinrich von Taube, durch dessen Nachkommen es an die Familie von Nostiz kam. Im Jahre 1697 starb allhier der Oberst Caspar Christoph von Nostiz aus dem Ullersdorfer Stamm. Sein dritter Sohn Gottlob von Nostiz, Anhalt-Cöthenscher Geheimer Rath erhielt Reichstädt und starb 1742. Von ihm kam es an seinen Schwager, den Capitain Caspar Albrecht von Schönberg auf Maxen und Wittchensdorf und bei dessen Tode 1763 an den zweiten Sohn den Kammerherrn, Johannitter-Ritter und General-Postmeister Adam Rudolph, welcher die Neu-Purschensteiner Linie bildete.
In dieser Familie erbte es als Majorat nach einer Anordnung des Letzteren fort. Der jetzige Besitzer ist Herr Utz von Schönberg auf Purschenstein, welcher nicht in Reichstädt, sondern auf Purschenstein wohnt. [115] Nach einem alten Privilegium wird der jedesmalige Besitzer von Reichstädt nicht belehnt, weshalb er auch nicht zum Landtage eingeladen wurde.
Der Besitzer von Reichstädt ist auch Collator über die Kirche, welche im Niederdorfe steht. Ausser dieser Niederkirche steht noch eine kleine Wallfahrtskapelle auf der sogenannten kahlen Höhe, westlich vom obern Ende des Ortes, deshalb auch die Kahlhöherkirche genannt, welche den vierzehn Nothhelfern gewidmet war.
Dieselbe existirte schon 1320, wo Nicolaus von Henkendorf als Geistlicher bei derselben angestellt war. Dieser musste einem Befehle des Papstes zu Folge dem Abte von Ossegk Hülfe leisten, als Letzterer von einigen vornehmen Schuldnern belagert und hart bedrängt wurde.
An den Namenstagen der Nothhelfer geschahn starke Wallfahrten hierher und die Kirchengäste mussten dann starke Geldsummen einlegen.
Denn nach einer alten Urkunde gingen in und ausser der Kirche zwei Kirchenväter, welche nicht mit Maass oder Becken in den Händen, sondern mit grossen Säetüchern umhangen, die Gaben an Flachs u. s. w. einsammelten.
Das Gebet, welches die Gläubigen in dieser Kirche zu den vierzehn Nothhelfern verrichteten lautete folgender Massen:
- „Allmächtiger, ewiger Gott, der du deine auserwählten Heiligen Georgium, Blasium, Erasmum, Pantaleonem, Vitum, Christophorum, Dionysium, Cyriacum, Achatium, Eustachium, Aegidium, Catharinam, Margaretham und Barbaram mit besonderen Freiheiten reichlich begabet und gezieret hast, dass alle, so in ihren Nöthen deren Hülfe andächtig begehren, nach deinem Versprechen eine heilsame Wirkung ihrer Bitten erfahren, verzeihe uns, mildester Herr, unsre Sünde, erledige uns durch ihre heiligen Verdienste von allerhand Widerwärtigkeiten und erhöre gnädiglich unsre Bitte durch Jesum Christum. Amen.“
Im Jahre 1533, wo unter Lorenz Heymann, dem ersten lutherischen Prediger Reichstädts, der Ort zum Protestantismus überging, wurde die Zufahrt zu den vierzehn Nothhelfern abgeschafft, die Glocken herunter und in die niedere Kirche gebracht und darinnen gepredigt.
Der spätere evangelische Prediger, Georg Winkelmann, hat die obere Kirche wieder erneuern lassen und darinnen gepredigt. Im Jahre 1681 wurde dieselbe neu erbaut und im Jahre 1700 von der damaligen Gerichtsherrschaft der verw. Luitgard von Nostiz geb. von Bünau dafür gesorgt, dass in diese Oberkirche neue Stühle, Kanzel, Emporkirchen kamen und solche eine neue Decke und neues Dach erhielt.
Späterhin schenkte Abraham von Schönberg der Kirche einen Altar und 1792 liess Rudolph von Schönberg, Generalpostmeister u. s. w., solche mit einem neuen Dache und Thurme versehen.
Jetzt wird in dieser Kirche jährlich noch zwei Mal gepredigt, nämlich am Himmelfahrtstage und am Sonntage Michaelis.
Rücksichtlich der Bilder der vierzehn Nothhelfer giebt es noch eine doppelte Sage. Nach der einen sollen diese Bilder der vierzehn Nothhelfer von Silber, im siebenjährigen Kriege von den Soldaten mitgenommen; nach der andern sollen diese Bilder aus Holz geschnitzt, versilbert und vergoldet, welche auf dem Boden der obern Kirche aufbewahrt wurden, von Böhmischen Leuten entwendet worden sein.
Der oben erwähnte Generalpostmeister Rudolph von Schönberg legte im Jahre 1765 das Schloss neu an und liess solches in damaligem Style mit grossem Aufwande für den Herzog Carl von Sachsen-Curland herrichten. Prinz Carl hat auch wirklich das Schloss eine Zeit lang im Sommer bewohnt, starb aber dann bald auf einer Reise von Curland nach Sachsen.
Das Schloss selbst liegt seitwärts von der Kirche auf einem Hügel und besteht aus mehreren kleinen, drei Etagen hohen Flügeln, die einen kurzen Hof einschliessen. Dasselbe ist kostbar meublirt, gross und geräumig und hält zwei Thürme. Es ist eines der grössten Herrenhäuser Sachsens. Die dabei befindlichen Gärten und Parkanlagen, wenn auch noch in einem alten Style, gehören zu den grössesten und sehenswerthesten, so auch die alten Alleen.
Die Wirthschaft ist bedeutend und beruht auf den schönen Gebäuden am Schlosse, der Schäferei, der Brauerei, Ziegel- und Kalkbrennerei und einem Vorwerke, dem sogenannten Lehngute zu Hennersdorf, welcher Ort aber nie in irgend einer Beziehung zum Reichstädter Rittergute stand.
Der in Reichstädt befindliche Gasthof liegt unmittelbar an der Strasse nach Freiberg. Die Dorfmarkung grenzt östlich mit Dippoldiswalde und Ullersdorf, südlich mit Ober-Carsdorf, Ratisdorf[VL 1] und Hennersdorf, westlich mit mit den königl. Waldungen an der Weisseritz und mit Bärnwalde, nördlich mit der Paulsdorfer Haide und mit Berreuth, dem Lustorte für das nahe Dippoldiswalde. Die Einwohnerzahl ist in den letzten Jahren immer mehr und mehr angewachsen und wird noch mehr zunehmen.
Sie besitzt eine ausgezeichnet grosse Feldflur, welche ihren Inhabern reichliche Nahrung, reichlichen Unterhalt verschafft.
Bemerkenswerth ist noch, das aus Reichstädt die bekannte Familie Blochmann stammt, deren Vater als Pfarrer im Jahre 1798 hier starb.
Anmerkungen der Vorlage
- ↑ handschriftliche Korrektur: Satisdorf