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Riesengebirgs-Bilder

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Textdaten
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Autor: Dr. Z-f.
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Titel: Riesengebirgs-Bilder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 682–686
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vergl. Berichtigung: Die Zillerthaler im Riesengebirge
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Riesengebirgs-Bilder.

„Die Sudeten, ein Theil des ungeheuren Bergzuges, welcher von der Lüneburger Haide bis zum schwarzen Meer Europa in zwei große Hälften scheidet, sind nach den Alpenzügen das höchste Gebirge Deutschlands; ihr Rücken erhebt gewaltige Koppen, nährt durch zahlreiche Bäche drei bedeutende Flüsse: Elbe, Oder, March, umschließt schauerliche Schluchten, finstere Gründe und sonnige Thäler, hegt eine reiche Pflanzenwelt und eine reine erquickliche Bergluft. Furchtbares, Gewaltiges, Erhebendes paart sich hier mit dem Anmuthigen und Freundlichen. Dazu kommt die regsame Belebtheit, welche die Sudeten der menschlichen Thätigkeit verdanken; denn selbst auf den höchsten Kämmen jodelt der Hirt und läutet das weidende Vieh; aus den dunklen Wiesengründen dampft die Glashütte und klirrt der Eisenhammer, und wie erst regt sich’s in den Thälern, wo Dorf an Dorf sich reiht und der Landmann der steilsten Lehne mühsam eine geringe Ernte abzwingt!“

Schon diese kurze Schilderung J. C. G. Berndt’s, der als einer der ersten die Sudeten ausführlicher beschrieben hat, ist gewiß geeignet, dieser von Deutschlands beliebteren landschaftlichen Reisezielen etwas abgelegenen Gebirgsgruppe lebhafteres Interesse als bisher zuzuwenden.

Der mittelste Hauptstock der Sudeten, das sogenannte „Riesengebirge“, mit dem wir uns hier zu beschäftigen gedenken, hat zwar weder malerische Kegelformen, noch eisbedeckte, himmelanragende Hörner, Nadeln und Firnen, aber es fesselt schon aus weiter Ferne durch eine gewisse Großartigkeit, die es zu dem Range eines alpinen Hochgebirges erhebt, während es in der Nähe zugleich durch Lieblichkeit und Anmuth besticht. Die Mitte seiner Granit-, Porphyr- oder Basaltberge umrauscht ein stolzer Waldgürtel; weiter hinauf bekleidet die Hänge nur noch eine zur Erde gebogene Zwergkiefer, die den charakteristischen Namen „Knieholz“ trägt und sich ausgezeichnet zu dauerhaften Schnitzarbeiten eignet, hoch oben aber decken nur Moos und dürftige Kräuter den Boden. Dort finden wir auch eine Anemone, deren Frucht unter dem Namen „Teufelsbart“ bekannt ist, sowie ein wohlriechendes Moos, nach welchem die damit bedeckten Steine „Veilchensteine“ genannt werden. Die gewaltigen Trümmermassen, welche die Oberfläche dieses Gebirgskammes bedecken, wie die von kleinen Hochseen oder Schneemassen erfüllten muldenartigen Zerklüftungen desselben, sind die Zeugen einstiger großartiger, zerstörender Ereignisse, die verwitterten Ueberreste eines früheren Alpengebirges.

Auch der Volksschlag, welcher auf diesen Höhen sich friedlich niedergelassen, zeichnet sich durch manche eigenthümliche Sitten und Bräuche aus. Originell ist vor Allem das bereits im Jahrgange 1861, S. 763 ff. der „Gartenlaube“ von Rudolf von Gottschall geistvoll geschilderte Leben und Treiben in den sogenannten „Bauden“, wie hier die von ganzen Familien bewohnten größeren Sennhütten genannt werden; Leierkasten, böhmische Harfenmädchen und die jetzt großentheils aus Hirschberg importirten, also bedenklich imitirten Ungarweine gehören zu den unentbehrlichen Requisiten dieser eigenartigen Sennhütten. In früheren, hier noch nicht durch Culturmiasmen inficirten Zeiten klang dem ermüdeten Bergwanderer aus diesen „Bauden“ manche jener gesunden, anmuthig-schlichten schlesischen oder böhmischen Volksweisen entgegen, aus denen z. B. Karl Maria von Weber für seinen „Freischütz“ so genial geschöpft hat. Ab und zu findet man in diesen Bauden wohl auch noch jenes, seltsam genug, einst durch Matrosen hierher gebrachte, mit nur einer schnarrenden Saite bespannte cello-artige Instrument unter dem originellen Namen „Trompetermarin“ (Marinetrompete).

Daß schon die alten Römer zu dem Riesengebirge mit keineswegs geringem Respect hinaufblickten, beweisen die ihm von denselben beigelegten Namen Montes gigantei und niviferi, welche sich in den Benennungen „Riesengebirge“ und „Schneekoppe“ erhalten haben.

Die „Schnee- oder Riesenkoppe“, welche sich gegen 1600 Meter über dem Meeresspiegel erhebt und überhaupt die höchste Spitze des deutschen Mittelgebirges bildet, wird von den Touristen sehr häufig besucht, und ihre Besteigung ist besonders dann sehr lohnend, wenn man das Glück hat, dort einen schönen Sonnenunter- oder -aufgang zu erleben, wobei der Kegel groteske Schatten weit in das Land hineinwirft. Leider tritt dieser Fall selten ein, da die Koppe namentlich früh fast stets durch Wolken verhüllt wird. Ihr einem ungeheuren Steinhaufen gleichender Granitkegel[WS 1] erhebt sich noch nahe an 280 Meter über den Koppenplan und ist auf dem Gipfel mit Gneis oder Glimmerschiefer bedeckt. Schauerlich großartig ist von hier der Blick tief in den über 600 Meter fast senkrecht abfallenden „Riesengrund“ hinab. Auf ihrem Gipfel errichtete 1688 ein Gotsche Schof (ein Vorfahre der jetzigen Grafen Schaffgotsch) dem heiligen Laurentius aus Steinen eine sehr große, starkgewölbte Wallfahrtscapelle, welche später in derselben primitiven Art wie bis vor Kurzem auch die besseren Bauden den Bergwanderern als Herberge diente, indem man direct aus dem unteren, als Speisesaal, Küche und Umkleidezimmer zugleich verwendeten Raume mittelst einer Leiter auf den als gemeinschaftlichen Schlafsaal benutzten Heuboden stieg. Endlich erbaute 1850 Gastwirth Sommer das erste gasthausähnliche Hospiz in Blockhausform, welches mehr als 150 Personen Quartier bietet. Das 1868 auf der böhmischen Seite des Gipfels erbaute Concurrenzhospiz befindet sich jetzt mit ersterem als dessen Dependenz in einer Hand. Großartig sind von der Schneekoppe oder einem der anderen Kegel des Riesengebirges Gewitter an heißen Tagen anzusehen, die sich bald in der oberen, bald in der niederen Region erzeugen, und ein wunderbares Schauspiel gewährt es, den Kampf der Elemente in den Thälern oder am Fuße der Berge zu beobachten, während die Gipfel in reinem Sonnenlichte prangen, den Donner in der Tiefe zu hören, tausendfach widerhallend aus Schluchten und Abgründen, während der Blitz die zusammengeballten Wolkenmassen plötzlich für einen Augenblick in ein gelbes Feuermeer taucht. Die unserm Artikel beigegebene Illustration zeigt uns die Schneekoppe, wie sie sich dem Auge des Beschauers von der auf böhmischem Gebiet liegenden Riesenbaude aus darbietet.

Noch lohnender für den Freund erhebender Hochgebirgsbilder sind jedenfalls die Partien an den Abhängen und Vorbergen des Riesengebirgskammes: der „Ziegenrücken“, die „Kesselkoppe“ (böhmisch Krkonosch: Halsträger), die „Tafelfichte“ sowie der „Hock- oder Hochstein“, von dem man theils die reizenden Elbgründe und das Thal von St. Peter, theils die Niederungen der Lausitz übersehen kann.

Auch die schlesische Seite des Gebirges ist reich an schönen Aussichtspunkten. Zunächst erreicht man von Schreibershau leicht und bequem die „Bismarck-Höhe“ und die „Moltke-Höhe“ bei dem am Zackenbach sich lang hinziehenden und wohlhabenden Petersdorf, ferner den „Hochstein“ sowie die „Bibersteine“, eine über 600 Meter hohe, ganz wildromantische Felsenpartie, von welcher besonders [683] die freundlichen Städte Greiffenberg und Friedeberg nebst dem Greiffenstein das Auge fesseln. Auf letzterem, fast 450 Meter aus der Ebene aufragenden Basaltkegel thronte einst eine der großartigsten Burgen, deren Rinne trotz aller Zerstörung durch Elemente und Menschenhände, malerisch mit vielen Erkern, Bildwerken und hohen Bogenfenstern geziert, noch immer majestätisch auf die schlechten Neubauten an ihrem Fuße herabblickt. Weiterhin zeigt sich uns die sagenumwobene Ruine des „Kynast“; fast 600 Meter hoch über dem Meeresspiegel liegend, aus prachtvollen Waldungen hervorblickend, überragt sie majestätisch das an ihrem Fuße sich langhinstreckende, durch Sommergäste höchst belebte Hermsdorf. Der Südabfall des Burgberges ist sehr steil und wild, und man hat ihm den Namen „Hölle“ oder „Höllengrund“ beigelegt. Auf diesem Felsenneste thronte einst, wie die Sage erzählt, die schöne Kunigunde, welche, als viele edle Ritter um ihre Gunst warben, übermüthig erklärte, nur demjenigen Freier ihre Hand schenken zu wollen, der hoch zu Roß die Burg hart an deren steiler, in den Höllengrund abstürzender Mauer umreiten würde. Und es fanden sich der Tollkühnen genug, welche den gefährlichen Ritt wagten, aber regelmäßig in den Abgrund stürzten und ihre verlorene Liebesmüh’ mit dem Tode büßten. Da meldete sich eines Tages ein nicht mehr jugendlicher Ritter an dem Burgthore und erklärte sich bereit, das kühne Reiterstück zu vollbringen. Die ernste, würdige Erscheinung des Ritters schien Liebe in dem Herzen der schönen Kunigunde geweckt zu haben, und sie bestürmte den Fremden mit zärtlichen Bitten, sein Leben zu schonen und von seinem Vorhaben abzusehen. Aber sie bat umsonst; er vollführte die von der Burgherrin gestellte Bedingung. Mit glühenden Wangen begrüßte ihn jetzt Kunigunde und bot ihm Herz, Hand und Schloß an, er aber lehnte kalt ihre Gunstbezeigung ab und „verließ sie zur selbigen Stunde“, da er die muthige That nur vollbracht, um Andere vor Unglück zu behüten.

Noch viele andere ähnliche Sagen von Rittern, die hier in der Gefangenschaft schmachteten, und von Edelknappen, die aus Liebesweh ihren Tod in dem Höllengrunde suchten, knüpft das schlesische Volk an diese Ruine, von deren Ursprung die Geschichte Genaues nicht zu berichten weiß.

Von dem Kynast gelangt man leicht nach Warmbrunn, einem der bekanntesten schlesischen Bade-Orte, der außerdem durch die werthvolle gräfliche Bibliothek mit 40,000 Bänden, zahlreichen Urkunden für böhmische und schlesische Geschichte und arabischen sowie chinesischen Manuscripten berühmt ist. Die in der Nähe der Stadt liegenden Anhöhen gewähren ziemlich weite und schöne Aussicht; unter ihnen sind besonders die „Hausberge“ hervorzuheben, von deren Spitze man nicht nur die gleich Spielzeughäuschen an ihrem Fuße malerisch ausgebreitete Stadt und das Hochgebirge bis zu den durch ihre Form fesselnden Falkenbergen, sondern auch die Boberschlucht überblickt.

Unter dem in früheren Zeiten wegen eines süßen berauschenden Bieres stark besuchten Stonsdorf erhebt sich der durch abenteuerlich gruppirte groteske Felsen und Höhlen geognostisch interessante kleine „Prudelberg“, während den Botaniker der nahe gelegene wohlgepflegte „Kreuzberg“ fesselt. Am anziehendsten aber ist in dieser Gegend unstreitig der Blick aus den Fenstern und vom Thurme der „Heinrichsburg“, eines aus schönem Hochwalde sehr einladend hervorblickenden Jagdschlosses des Fürsten Reuß.

Von hier gelangen wir zu drei landschaftlichen Perlen des weiten Hirschberger Hochthales: Erdmannsdorf, Buchwald und Fischbach. Nicht nur ihre höchst ausgedehnten, mit malerischen Schlössern reichgeschmückten Parkanlagen strotzen von Fruchtbarkeit, herrlichem Baumwuchs und einer fast alpenartigen Hochgebirgsflora, sondern auch die zu ihnen bergauf bergab führenden Fahrwege laufen meilenweit durch einen einzigen großartigen Park, wie ihn in solcher Ausdehnung vielleicht kein anderes Gebirge besitzt.

Bei Erdmannsdorf bot Friedrich Wilhelm der Vierte den in Tirol wegen ihres Glaubens hartbedrängten lutherischen Gemeinden in den Colonien „Ober-, Mittel- und Nieder-Zillerthal“ ein schönes fruchtbares Asyl. Wohl sind die von ihnen erbauten malerischen Tiroler Häuser noch Zeugen seiner menschenfreundlichen Absicht, jedoch die hiermit Bedachten verstanden es nicht, durch Wirthschaftlichkeit und Respectirung der dortigen Verhältnisse ihren neuen Wohnsitz zu einem segensreichen zu machen, und so bieten diese Colonien mit ihren Aeckern und Heimstätten heutzutage keinen erfreulichen Anblick dar.

Die hier vorhandenen Aussichtspunkte bieten im Grunde dasselbe Bild. Wer die kraftvolle Frische reicher Waidgründe oder die ernste Großartigkeit alpenartiger Schluchten, romantische Felsen- und Wasserpartien vorzieht, der findet in dieser vielseitigen Urgebirgsgruppe ebenfalls reiche Befriedigung.

Die bequemste, anmuthigste Partie ist unstreitig von Petersdorf aus eine Fahrt zu den beiden Glashütten der Grafen Schaffgotsch und Harrach („Josephinenhütte“ und „Neuwald“ oder „Neuwelt“) auf der mehrere tausend Fuß ansteigenden vortrefflichen Poststraße, die mit ihren zahlreichen Wendungen fortwährend neue Bilder bietet. Aehnlich wie der Sandstein z. B. in der sächsischen Schweiz, ist hier der Granit zu Felsenmauern und anderen grotesken Formen ausgewaschen, sowie mit üppigstem Schwarz- und Laubwald überwachsen, über weichen als großartiger Hintergrund das Hochgebirge herabblickt, während der zahlreiche Glasschleifereien und Sägemühlen treibende, formenreiche Zackenbach rauschend über Felsgeröll stürzt. Die „Josephinenhütte“ liegt in schönen Tannenwald eingebettet über dem fast 600 Meier hoch gelegenem weithin zerstreuten, beinahe 4000 Einwohner zählenden Schreibershau oder Marienthal. In der Nähe bilden zwei Zuflüsse des Zacken, Kochel und Zackerle, kleine Fälle, welche aber nicht als Wasserfälle, sondern vielmehr durch ihre malerische Wald- und Felsenumgebung das Auge des Beschauers fesseln. Unfern der Hütte überrascht auf dem Fußwege zum Kochelfall ein weiter Aussichtspunkt.

Weiter nach Osten, gegen die böhmische Grenze hin, beginnt die Landschaft besonderen Reiz zu entfalten. An den Quellen der Mettau, eines Nebenflusses der Elbe, tritt plötzlich der Quadersandstein in großer Mächtigkeit auf und erscheint hier als die vier Kilometer lange Gruppe der Adersbacher Felsen, die ursprünglich eine einzige große Felsmasse bildeten, bis dieselbe durch die fortwährenden Witterungseinflüsse in die einzelnen, jetzt wildromantisch an einander gereihten Theile zerklüftet wurde. Eine Fortsetzung dieses „Felsenwaldes“ findet man in geringer Entfernung bei Weckelsdorf. Diese durch ihr zauberhaftes Echo berühmte Felsenpartie, welche auf unserm heutigen Bilde theilweise wiedergegeben ist, war lange Zeit hindurch selbst den Einwohnern der Umgegend unbekannt. Erst im Jahre 1824 legte ein großer Waldbrand die Zugänge zu dieser „Felsenstadt“ offen, und seit 1847 wurden sie zu einem der beliebtesten Ausflugsorte der in den schlesischen Bädern weilenden Gäste.

Vor „Neuwelt“ führt durch schönen Laubwald, durch Harrachsdorf ein vom Grafen Harrach ausgezeichnet angelegter Reitweg im Thale der Mummel bei einem kleinen Falle derselben vorbei und steigt zum staubbachähnlichen Pantschefall und zum Elbfall hinauf. Die Pantsche ist ein kleiner Bach, der in der sumpfigen Pantschenwiese seinen Ursprung hat, und über den Felsrand stürzt, um in die unten vorbeirauschende Elbe sich zu ergießen. Der Höhenabstand zwischen der Elbe und dem oberen Felsrand, wo der Wasserfall beginnt, ist sehr bedeutend; denn er beträgt gegen 250 Meter.

So würde der Pantschefall, dank der romantischen Felsenumgebung, alle Vorbedingungen erfüllen, um der großartigste Wasserfall der Sudeten zu sein, wenn ihm nicht eine einzige dieser Bedingungen fehlte: das nöthige Wasserquantum. Man hilft sich aber, so gut es eben geht, sammelt oben das Wasser in einigen Reservoirs und läßt es auf Verlangen der unten harrenden Touristen durch Oeffnung einer Schleuße in größeren Massen herabströmen. Aehnlich verhält es sich auch mit dem gegen 55 Meter hohen Elbfall, welcher im Sommer durch Schleußenanlagen geregelt werden muß, um ein wirklich ergreifendes Naturschauspiel zu bieten. Hier wie bei Wurzelsdorf zeichnen sich die Thäler der Elbe und Iser durch hohe landschaftliche Reize aus; die mit Unrecht wenig besuchte Thalschlucht der Kleinen Iser am Südabhange der Kesselkoppe aber wetteifert in rauher, schauerlicher Wildheit unzugänglicher Felsenwände mit den drei „Schneegruben“ auf der Nordseite. Um letztere richtig zu würdigen und wahrzunehmen, wie bedeutende Schneemassen sie bergen, muß man möglichst tief in eine derselben hinabsteigen Riesengroße Granitkegel erheben sich thurmgleich aus furchtbarer Tiefe empor, von den Wänden einst durch Hitze und Frost abgesprengt; zugleich durchziehen höchst merkwürdige schmale Basaltadern den Granit in so enger Verbindung, wie sie bei diesen Urgesteinarten im ganzen übrigen Europa nirgends vorkommt.

Unser heutiges Bild stellt noch einen der nahe bei einander am

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Bilder aus dem Riesengebirge. 0 Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

[686] Nordabhange des Hochgebirgskammes in tiefen Schluchten liegenden Teiche dar. Der Anblick dieser Teiche ist mehr wild und erhaben als pittoresk. Das nördliche Ufer des ganz fischlosen großen oder schwarzen Teiches bildet ein gewaltiger Damm mächtiger Felstrümmer, von dem man eine schöne Aussicht auf die Riesenkoppe hat. – Am kleinen Teiche starrt dagegen der Abhang des Kammes in einer Höhe von 200 Meter wahrhaft alpenartig schroff empor. Um den beengend düsteren und einsamen, großartig ernsten Eindruck seiner Ufer voll auf sich wirken zu lassen, versäume man nicht, rund um ihn herum zu gehen. Zwischen ihm und der Koppe befindet sich eine merkwürdige Verengung des Hochgebirgswalles auf dem hier über 1000 Meter hohen Koppenplan zwischen den schauerlichen Schluchten des „Melzergrundes“ und des „Riesengrundes“. Letzterer beginnt in Böhmen eigentlich schon bei den wohlhabenden, sauberen und freundlichen Ortschaften Freiheit und Marschendorf. Je weiter man aber vordringt, desto mehr entfalten sich immer größere Schönheiten, desto mächtiger steigen die Berge empor. Oberhalb des schönen Dorfes Groß-Aupa scheint das enge Hochthal völlig abgeschlossen zu sein. Plötzlich aber öffnet sich dem Auge ein Durchgang, und man steht, ringsum von schroffen Felswänden eingeschlossen, in dem fast senkrecht 600 Meter abfallenden Grunde vor der aus wahrhaft erhabener Höhe herabblickenden Riesenkoppe.

Leider lassen gerade hier, in den schönsten Gebirgsgegenden, die Fahrwege, mit Ausnahme der Poststraßen durch Schreibershau, sowie von Landeshut nach Schmiedeberg, noch immer viel zu wünschen übrig, oder sind noch gar nicht vorhanden.

Auch der Bau von zwei in dem ungemein breiten und ebenen Hochthale fast ohne alle Schwierigkeiten herzustellenden Secundärbahnen, von Hirschberg einerseits nach Schmiedeberg, andererseits nach Petersdorf, scheiterte bis jetzt an kleinen Sonderinteressen. Ueberhaupt bleibt noch so Manches für die Hebung des ganzen Gebirges zu thun. Jene früheren nahezu patriarchalischen Zustände, wo man im ganzen Hochgebirge nichts zu essen und trinken bekam als Milch, Butter, Käse und Schwarzbrod nebst Enzian- oder Ebereschschnaps, wenn es sehr hoch kam, Ungarwein, Kräuterliqueur, Weinsuppe, Eier und schlechten Schinken, wo man beim besten Willen den ganzen Tag nicht mehr als höchstens fünfzig Pfennig zu verzehren vermochte und zur Nacht bei Beleuchtung eines Kienspanes gemeinschaftlich auf den Heuboden kletterte – haben allerdings großentheils aufgehört; vorläufig stagnirt jedoch die dortige Aufnahme und Verpflegung fast durchweg noch in jenem Zustande beschränkter Mittelmäßigkeit, die den für Viele so romantisch-poetischen Reiz idyllischer Naturwüchsigkeit verdrängt hat, ohne das empfindlichere Gefühl verwöhnterer Gäste zu befriedigen.

Hier bleibt für intelligente Concurrenz noch ein weiter Spielraum. Durch eine Besserung der Verpflegungszustände wie durch Eisenbahnen und gute Wege wird sich wohl auch die frühere Wohlhabenheit der Gebirgsstädte, auf deren einstigen Metallreichthum die Namen „Goldberg“, „Silberberg“, „Kupferberg“, „Schmiedeberg“ beredt genug hinweisen, von Neuem heben. Schon jetzt besteht ja in diesen Gegenden eine ziemlich lebhafte Glas-, Leinen-, Holz- und Spielwaaren-Industrie.

Im Aussterben begriffen sind dagegen die sogenannten „Laboranten“, welche sich mit dem Sammeln der köstlichen heilkräftigen Kräuter des Hochgebirges beschäftigen, und die seit langer Zeit das Privilegium hatten, daraus Arzneien und Liqueure zu bereiten. Unter ihnen wie auch unter den Gebirgsführern findet man originelle, anziehende, treffliche Leute, welche mit Treuherzigkeit gesunden Mutterwitz und scharfen Blick verbinden.

Von ganz eigenem Reiz gerade in diesem Gebirge ist eine Winterpartie; denn während gewöhnlich in den Herbstmonaten ein besonders reiner, sanftblauer, von keinen Wolken oder Nebelzügen getrübter Himmel über den grünen Bergen ruht, bedeckt oft schon wenige Stunden darauf eine mächtige Schneemasse den ganzen Kamm. Dann gewährt es ein ganz besonderes Vergnügen, an einem hellen klaren Wintertage in kleinen sicher geleiteten Handschlitten mit rasender Geschwindigkeit von den Bergen herabzufahren und das herrlichste „Alpenglühen“ zu genießen, wenn den fröhlichen Reisenden nicht „Rübezahl“, der mit vielen originellen Sagen umkleidete neckische Berggeist dieses Gebirges, mit seiner gefürchteten Koboldslaune einen Querstrich macht.

Dr. Z–f.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Granikegel