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Die Bauden des Riesengebirges

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Textdaten
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Autor: Rudolph Gottschall
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Titel: Die Bauden des Riesengebirges
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 763–766
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[763]

Die Bauden des Riesengebirges.

Von Rudolph Gottschall.

Jene verwundeten Hirsche, welche der Sage nach die Quellen von Warmbrunn entdeckten, haben gewiß viel dazu beigetragen, daß sich der Urwald in diesem Thalkessel und auf dem Hochgebirge lichtete und das Reich Rübezahls bis auf den heutigen Tag ein Lieblingsziel fremder Wanderer wurde. Kein schöneres Panorama, als dieser Haupthöhenzug der Sudeten mit seinem Kamm und seinen Kuppen hinter den von frischen Bergströmen durchrauschten, mit zahlreichen Häusern, Villen und schattigen Bäumen belebten Warmbrunner Thale! Freilich, da oben herrscht in der bei weitem größeren Hälfte des Jahres winterliche Einöde, und auch der Sommer hält nicht, was die lockende Bergrotunde verspricht! Auf den sumpfigen Knieholzwiesen oder den steilen Glimmerschieferkegeln ist ein beschwerliches Wandern, und nur der Anblick einzelner Schöpfungswunder, wie der Schneegruben und der beiden Teiche, nur die umfassende Rundschau über Schlesiens und Böhmens Berge und Ebenen entschädigt für die Weltverlassenheit des wüsten Gebirgskammes.

Doch die Ansiedelungen der Menschen erstrecken sich bis auf alle Höhen des Kammes hinauf! Unsere schlesischen Sennhütten, die Bauden, unterscheiden sich wesentlich von den Schweizer Sennhütten; sie haben, wie das Riesengebirge selbst, dem nicht nur die Gletscher, sondern auch die Adler fehlen, welches aber doch an großen Naturbildern reicher ist, als die anderen Mittelgebirge, einen eigenthümlichen Charakter. Die bekanntesten Bauden befinden sich auf der schlesischen, die zahlreichsten auf der böhmischen Seite des Gebirges. Jene sind meistens Gastherbergen für die Bergreisenden und mit größerem oder geringerem Comfort eingerichtet; diese bilden ganze Baudendörfer und sind Wohnungen für die Mitglieder dieser hochgelegenen Dorfgemeinden. Die Zahl der Bauden im Bereiche des Riesengebirges mag sich auf ungefähr 3000 belaufen. Man unterscheidet Sommer- und Winterbauden; jene werden nur im Sommer, der Viehwirthschaft wegen, bezogen und im Herbste wieder verlassen; diese bleiben im Winter wie im Sommer bewohnt. [764] Natürlich sind jene von weit leichterer Bauart, improvisirte hölzerne Nomadenhütten, deren Dächer oft mit Steinen beschwert sind, um der Gewalt der Stürme besser zu widerstehen. Sie haben in der Regel nur ein einziges Zimmer, an dessen Wänden hölzerne Bänke umherlaufen und welches mit einem ebenso stattlichen wie nützlichen Kachelofen geschmückt und mit den verschiedensten Geräthschaften auf Topf- und Zinnbretern an den Wänden ausgestattet ist.

Die Winterbauden machen einen bei weitem ansehnlicheren Eindruck. Sie bestehen alle aus der eigentlichen Wohnung und dem Stalle, zwei gesonderten Hälften für die zwei- und vierfüßigen Insassen. Ein schmaler Gang, in den man sogleich durch die Hausthüre eintritt, trennt die mit Vernunft begabten Wesen von den Geschöpfen, welche nur der Instinct beherrscht. Die Wohnung enthält ein größeres und ein kleineres Zimmer. In jenem befindet sich der Kachel- und Backofen; es ist die Familienheimath, wo nicht nur gekocht und gebraten wird, wo auch die künftigen Urwähler und Landwehrmänner Schlesiens, die künftigen, der Gesammtmonarchie einverleibten Nachkommen Przemysl’s in Hemdchen am warmen Ofen kauern oder aus der Wiege schreiend ihre Aermchen hervorstrecken, wo alle Vorkommnisse des Familienlebens sich abspielen, wo alle Neuigkeiten des Gebirges Abends bei dem Scheine der Buchenholzfackeln besprochen werden! Ein zweites kleineres Zimmer ist die eigentliche Gaststube, in welche man die Reisenden führt und welche in den größeren Bauden nicht ohne Bequemlichkeit eingerichtet ist. Gegenüber der Wohnstube ist nun der Stall, meistens sehr sauber gehalten als das Allerheiligste der Baudenwirthschaft. Ein reisender Potter kann hier höchst bequem das Thierreich in allen seinen Eigenheiten belauschen und auf die Leinwand zaubern. Der Hausflur selbst führt in den nach der Bergseite zu gelegenen und von frischem Quellwasser gekühlten Milchkeller. Oben ist der Heuboden mit einigen Verschlagen und Bodenkammern. Schlafstellen und Schlafgemächern für das Gesinde und für Reisende. Das Heu bildet hier nicht nur das aromatische Lager, sondern auch die Decorationen, indem man zwischen seinen festgeschichteten Wänden hindurchwandelt. Die Bauden sind alle auf einem einfachen steinernen Unterbau aufgeführt, im Uebrigen aber aus vierseitig behauenen, übereinander ruhenden Baumstämmen zusammengezimmert; nur einige der neueren, mehr hotelartigen Banden haben steinerne Wände. Das Schindeldach läuft tief herunter; auch die Wetterseite ist mit Schindeln belegt, deren wärmende Wirkung für den Winter noch durch Moos und Tannenreisig verstärkt wird. In diesen Nomadenhütten und Hotels des Gebirges hat die Sommeridylle ihre poetischen Reize; das Winterleben dagegen ist von einer Oede und Einsamkeit, welche, gegen die Verlassenheit einer lappländischen oder grönländischen Polarlandschaft nicht zurücksteht. Wohl fehlt es gerade im Winter, sowohl bei Sonnen- als Mondbeleuchtung, nicht an dem wunderbarsten Farbenspiele, indem die von Süden heraufleuchtende Sonne die hohen Bergeszinnen in einen rosigen Schimmer taucht, der über den stets in Schatten begrabenen Nordabhängen schwebt, oder indem der Mond durch den Nebelflor der Nacht hindurch einzelne Stellen, über denen er gerade dahinwandelt, wie einen blitzenden Diamantschmuck erhellt! Doch, oft müssen die verschneiten Bewohner der Baude sich erst aus den Schneemassen, aus denen nur der Dachgiebel hervorragt, mühsam herausgraben, um überhaupt einen freien Blick auf Himmel und Erde zu gewinnen! Und wie beschwerlich ist die Wanderung von einer Baude zur andern, der gesellschaftliche Verkehr dieser von Schnee ummauerten Einsiedeleien! Rings liegt der Schnee sechs, zehn bis zwanzig Fuß hoch! Der Wanderer muß sich den Schneereifen unterbinden, einen mit Hanfschnüren durchflochtenen Holzreifen, der vor dem Einsinken in die lockeren Massen schützt. Und welche Gefahren drohen ihm auch dann noch von den zusammenstürzenden Schneewänden in den Hochschluchten oder von den Schneebrücken, welche, unterhöhlt von wühlenden, tosenden Gebirgsbächen, in der Luft schweben, oder von den Schneelehnen, wie sie sich oft von den Rändern des großen und kleinen Teiches loslösen und mit donnerndem Krachen auf die zugefrorne Eisfläche herabstürzen, daß die herausgeschlagenen Schollen sich zerborsten übereinander thürmen! Wie bedrohlich sind die Schneenebel und Schneewirbel, welche die den Weg oder mindestens die Richtung anzeigenden ausgesteckten Stangen verbergen! Schon Mancher hat sich in den zweifelhaften Schutz eines der Felsungethüme geflüchtet, welche einzelne Punkte des Kammes bezeichnen, und ist hier vor Hunger und Kälte zu Grunde gegangen und eine Beute des Raubgevögels geworden. In dieser Zeit pocht selten ein Gast an die Thüre der Bauden, ein Jäger, ein Waldarbeiter, ein Holzschläger und Zurücker, welche letztere mit ihren Hörnerschlitten das Holz, das sie als „Schleppe“ an dieselben festbinden, auf steiler Rutschbahn hinab in die Thäler bugsiren. Im Uebrigen ist die Genossenschaft der Baude auf sich selbst angewiesen, muß sich für die lange Belagerung des Winters auf das Beste verproviantiren und hat gewiß ein unbestreitbares Recht, sich dem Winterschlafe als Rettungsmittel gegen die Langeweile hinzugeben! Rübezahl macht keine Streiche mehr; er sitzt griesgrämig und mißmuthig über die Zeit der Aufklärung, welche ihn so transparent gemacht hat, daß er nur noch zur Illustration einer Zauberposse dienen kann, in seinem Schnee- oder Eispalast; die Politik reicht nicht auf diese Höhen, obgleich die Grenze zwischen Preußen und Oesterreich über sie hinläuft, die bekanntlich einen sehr scharf markirten politischen Einschnitt bildet – womit sollen sich die armen Baudenbewohner während der langen Wintersaison die Zeit vertreiben?

Desto reger ist Leben und Verkehr, wenn die Sommersonne den Schnee geschmolzen, der nur in den Schneegräben und an den Teichrändern liegen bleibt, wenn die Bergwässerchen aus den Mooren und Hochwiesen hervorquellen, die Laubwälder in der mittlern Bergzone mit voller Pracht sich schmücken und selbst die Trümmergesteine der „Sturmhauben“ die Zier des „Veilchenmooses“ zur Schau tragen. Da beginnt das Hirtenleben auf den Weiden, am frühen Morgen schon klirrt der Eimer der Melkerin, und wenn auch die Hirten nicht mehr, wie zu Andreas Gryphius’ Zeiten, das Hellahorn blasen, so fehlt es doch dann nicht an bunter Rührigkeit auf den Kämmen und Lehnen des Berges, und ein heiteres Volksfest weiht den Auszug der Heerden ein. Bald ergießt sich auch der Schwarm der Touristen in die Berge. Russische und polnische Badegäste, kritische Berliner, welche auch in Rübezahl’s Reiche überall die Eichen tadeln, daß sie keine Kürbisse tragen, Gymnasialdirectoren mit ihren Secundanern und Primanern, wandernde Studenten, die nach einem Commers auf dem alten Kynast in die Berge pilgern. Großbürger und Spießbürger, welche mit den Unbequemlichkeiten einer Bergpartie auf dem gespanntesten Fuße leben, feine Damen in Tragsesseln, von keuchenden Trägern über die schwankenden Steintrümmer der Granitkegel geschleppt – wer nennt sie alle, die Gäste, welche jetzt in abenteuerlichem Durcheinander die hölzernen Salons der Banden bevölkern? Wer malt alle die Genrebilder, welche dieser bunte Verkehr entrollt? Rübezahl müßte seine Freude daran haben, könnte er durch einen Spalt der Wände in die überfüllten Baudenzimmer blicken, besonders wenn er vorher durch einen Regenguß die Wiesenpfade aufgeweicht, die Bächlein stattlich angeschwellt und die fashionable Garderobe in triefende Unordnung gebracht! Da kehren die alten patriarchalischen Sitten wieder, Knigge’s Umgang mit Menschen wird suspendirt, der Kachelofen in Belagerungszustand erklärt und die erste Parallele mit einer Reihe ringsum aufgehängter Herren- und Damenstrümpfe eröffnet; es lösen sich viele, wenn auch nicht alle Bande frommer Scheu; die elegantesten Damen erscheinen im Costüm der Auerbach’schen „Barfüßele“, die elegantesten Herren in Hemdärmeln; man glaubt den Anblick einer japanesischen Badestube im milderen Lichte der christlichen Gesittung vor sich zu haben. Wenn aber erst der Ungarwein im Glase blinkt, Hier ein studentischer Rundgesang ertönt, dort ein auf das Hochgebirge verirrtes Salongespräch, wenn zuletzt Alles sich zu einem heitern gesellschaftlichen Kreise mischt, froh der unfreiwilligen Begegnung und unbekümmert um Adressen und Visitenkarten, Taufscheine und Pässe: dann hat das Baudenleben seine eigenthümliche Romantik, und das Gefühl, sich auf einem verlornen Posten der unentrinnbaren Civilisation zu befinden, das Gefühl, welches die Brust eines Hinterwäldlers schwellt, zieht auch in die Gemüther der frohen Tafelrunde ein.

Zum unveräußerlichen Inventar der Bande gehören die Harfenistinnen, meistens Töchter des gesangreichen Böhmen. Kaum haben die Gäste sich etwas von den Beschwerden der Wanderschaft erholt, den Staub von ihren Füßen geschüttelt, sich mit Trank und Speise erquickt und durch diese Stärkung des Leibes auch die Seele in eine für höhere Genüsse empfängliche Stimmung versetzt: so erscheinen jene Künstlerinnen, greifen in die Saiten und singen ihre czechischen Lieder. Man würde sich indeß irren, wenn man diese Damen für schöne Houri’s aus Rübezahl’s Paradiese hielte. Wohl findet sich bisweilen ein anmuthiges böhmisches Kind darunter, [765] unter, dessen Lächeln nicht ohne Liebreiz ist, welches die Lieder in der fremden Mundart mit recht charakteristischem Gepräge vorträgt und durch sein gebrochenes Deutsch eine Sprache herausfordert, die es besser und ohne Hülfe eines Dragoman’s versteht. Doch die Mehrzahl der Harfenistinnen befindet sich in einem Alter, in welchem die Künstlerinnen das Fach der ersten Liebhaberinnen längst aufgegeben haben und in das der ehrwürdigen und komischen Alten übergegangen sind. Manche Harfenistin singt seit zwanzig Jahren in derselben Baude und scheint sich eines lebenslänglichen Engagements mit Pensionsberechtigung zu erfreuen. Sie singt dasselbe Lied dem Sohn vor, welches sie bereits vor zwei Jahrzehnten dem Vater vorgesungen, und erweckt in jenem Gefühle der Pietät, während sie in diesem vielleicht andere Gefühle zu erwecken vermochte. Ja, man ist conservativ oben auf den Bergen, conservativer, als bei unseren Stadt- und Hoftheatern, obgleich es auch an letzteren nicht an künstlerischen Mumien fehlt.


Baude auf dem Riesengebirge.


Die zum Baudeninventar gehörigen Harfenistinnen huldigen indeß der Kunst nicht mit jener Andacht, wie sie Platen verlangt:

Keiner gehe, wenn er einen Lorbeer tragen will davon.
Morgens zur Kanzlei mit Acten, Abends auf den Helikon!
Dem ergiebt, die Kunst sich völlig, der sich völlig ihr ergiebt,
Der die Freiheit heißer, als er Noth und Hunger fürchtet, liebt!

Nein, ihr Pegasus zieht im Joche, man sieht sie höchst wirthschaftlich in den Milchkellern und Kuhställen; sie sind gleichzeitig die Wirthschaftsfräulein und die Gesellschaftsdamen der Bauden.

Dieselbe Hand, welche eben tapfer im Butterfaß herumgearbeitet oder die zur Käsebereitung unentbehrlichen Handgriffe verrichtet, entlockt den Saiten elegische oder heiter scherzende Klänge. Es bedarf in der That der Anregungen des Tokayer Ausbruches, um sich durch diese Sängerinnen in poetische Illusionen versehen zu lassen.

Zu den Stammgästen der Bauten gehören zwei sehr feindliche Menschenclassen, die Grenzjäger und die Schmuggler, welche nicht selten unter einem Dache friedlich zusammenkommen, ähnlich wie die italienischen Carabinieri und Fra Diavolo’s. Erstere suchen meistens durch persönliche Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit die Strenge und Härte ihres staatlichen Berufes vergessen zu machen. Die Pascher aber, deren Zahl sich seit dem preußisch- österreichischen Zollvertrage vermindert hat, sind sehr kecke, unternehmende Burschen, voll lustiger Streiche, Kniffe, Neckereien, von einem unverwüstlichen Humor, den sie sich auf ihren Bergfahrten trotz aller Beschwerlichkeiten zu bewahren wissen. Vertrauter mit der Topographie des Gebirges, als alle Geographen, Naturforscher und Kartenzeichner, wissen sie ihren Pfad durch die verschwiegensten Schluchten, über die unwegsamsten Knüppeldämme der Wiesenmoore, an den steilsten Felsenhängen hinab zu nehmen, und es hat oft den Anschein, als könnten sie jeden Knieholzbusch vorn andern unterscheiden. Die officiellen Träger, meistens phlegmatische Kernmenschen, die sich durch ihre kameelartige, in Bezug auf die bewältigten Lasten oft staunenswerthe Tragfähigkeit auszeichnen, stehen mit ihrer localen Kenntnis des Gebirges, welche sich wesentlich auf die Hauptpfade des Verkehrs erstreckt, hinter jenen freizügigen Bergwanderern weit zurück.

Die zahlreichen Bauden der böhmischen Grenzdörfer unterscheiden sich wenig von einander und zeichnen sich dafür durch seltsame Namen aus. Da giebt es eine Ochsengraberbaude, Guckuckhäuser, Plauerbauden, Leierbauden, Geiergucken, Rehhornbauden, das Reibeisen u. s. f. Aus der großen Tour über den Kamm des Gebirges kehrt man nur in die Spindler- und Petersbaude ein, zwei der am wohnlichsten eingerichteten und mit gutem Ungarwein versehenen Herbergen. Zu dem böhmischen Dorfe Klein-Aupe gehören die bekannten Grenzbauden, welche von drei hierher verbannten österreichischen Officieren, Graf Aufschläger, Fürst Reuß und von Baumecker im Jahre 1663, nach einer andern Nachricht von verbannten Schweizern gegründet worden sein sollen. Jedenfalls ist ihre Lage auf einen, der blumenreichsten Wiesengründe des Gebirges von erquickendem Reiz; keine Fernsicht stört die idyllische Abgeschlossenheit; Alles ladet zur fröhlichen Einkehr; köstliche Weine erquicken den Wanderer. Hierher gehen im Sommer und Winter die Vergnügungspartien von Schmiedeberg aus; hier entwickelt sich der heiterste gesellige Verkehr. Eines gleichen Rufs aus alten Zeiten schon erfreut sich die Hampelbaude, über welche der Weg von Schmiedeberg auf die Koppe führt. Zur Zeit, als der schlesische Dichter Andreas Gryphius die Sudeten durchwanderte (1670), hieß sie, „Tanlabaude“, von ihrem Eigenthümer Tanla, einem würdigen Greise, welcher jeden Morgen auf [766] dem Hellahorne den Morgengruß vor ihrer Thüre in die Ferne blies und seine Gäste mit einem aus Tannenzapfen bereiteten Branntwein erquickte, Gewiß hat dieser Tanla manchen der verfolgten evangelischen „Buschprediger“ beherbergt, welche oft auf improvisierten Kanzeln des Hochgebirges, in seinen Schluchten und Kesseln oder in den Bauden selbst das Wort Gottes verkündeten und selbst ihr Kirchengeräthe in diesen Herbergen der Knieholzregion verbargen. Die Hampelbaude liegt in der Nähe des romantischen „kleinen Teiches“, dessen hohe, steile Felsränder man aus ihren Fenstern erblickt. Auf dem Koppenplane selbst begrüßt uns die Wiesenbaude, nur wenige hundert Schritt von der Quelle des Weißwassers, der eigentlichen Quelle der Elbe, entfernt. Die Concurrenz erstreckt sich nämlich bis auf die „freien Berge“, und zwei Bäche, der Elbseifen und das Weißwasser, machen sich die Vaterschaft des Elbstromes streitig. Der erstere hat die Tradition und den Namen für sich; seit Jahrhunderten heißt seine Quelle die Elbquelle, die Wiese, auf der sie entspringt, die Elbwiese, der erste übermüthige Sturz des jungen Baches über die Felsenklippen der Elbfall. Schon der Rector der Hirschberger gelehrten Schule, Magister Schilling, ließ seine Primaner den Elbbach dicht an der Quelle überspringen, damit sie nachher in der Universitätsstadt Wittenberg sagen könnten, daß sie über die Elbe mit gleichen Füßen hinübergesprungen seien. Doch die vorlaute moderne Kritik läßt keine ehrwürdige Tradition bestehen; sie bestreitet dem Elbseifen trotz des genialen Wasserfalles seiner ersten Sturm- und Drangperiode das Recht, auf der Stammtafel der Elbe als Vater zu figuriren, sie räumt das Recht dem Weißwasser ein, welches weniger genial, aber desto praktischer in der 4,368 Fuß hoch gelegenen Wiesenbaude das Butterfaß treibt und sich dann durch den schauerlich wilden Teufelsgrund, eine Trümmerstätte des Pflanzen- und Steinreiches mit dem Charakter urweltlicher Oede, mit schäumenden Fluthen ergießt. Von den übrigen Bauden der Nordseite erwähnen wir noch die neue schlesische, welche den vom romantischen Zackenfall emporsteigenden Reisenden am Anfange der Knieholzregion begrüßt, und die kleine Schneegrubenbaude, mit reizender Fernsicht hoch oben am Rande der jäh herunterstürzenden Grubenwände gelegen. Das Hospiz auf der Koppe selbst, welches im Jahre 1857 niederbrannte, aber wieder aufgebaut wurde, mit seiner imposanten Rundsicht, sowie die meistens aus Stein ausgeführte Riesenbaude am Fuße der Koppe selbst gehören schon mehr zu den Hotels, welche für den Comfort der Reisenden sorgen – der eigenthümliche Charakter der „Bauden“ wird hier schon durch die moderne Civilisation verwischt.