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RE:Iakchos 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gott in Eleusis
Band IX,1 (1914) S. 613622
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Iakchos. 1) Die älteste Erwähnung des vielbesungenen Gottes findet sich nach der landläufigen Ansicht in Herodots Schilderung der Seeschlacht von Salamis VIII 65 (vgl. dazu Athen. Mitt. XVII 1892, 141f.). Demaratos und [614] Dikaios stehen kurz vor der Schlacht auf der thriasischen Ebene. Von Eleusis her erhebt sich eine mächtige Staubwolke, und1 die beiden hören τὸν μυστικὸν ἴακχον laut erschallen. Demaratos erkundigt sich nach dem Zweck dieses Rufs und erfährt von Dikaios, daß die Athener um diese Zeit alljährlich τῇ μητρὶ καὶ τῇ Κόρῃ ein Fest feiern. Dikaios fügt noch hinzu, daß aus der Richtung der Staubwolke auf die Entscheidung des bevorstehenden Kampfes zwischen Persern und Athenern geschlossen werden könne. Wenn sie sich nach der Peloponnes hin erhebe, würde der Perserkönig auf dem Festlande Unglück erleiden. Wenn sie sich auf die bei Salamis liegenden Schiffe werfe, würde er seine Flotte verlieren. Die Stimme aber müsse die einer Gottheit sein, welche den Hellenen zu Hilfe käme; denn Attika sei ja von Menschen ganz verlassen. Die Staubwolke wendet sich dem Schiffslager der Griechen zu. Demaratos warnt den Dikaios vor weiterer Mitteilung dieser Beobachtung, und bald darauf siegen die Schiffe der Griechen über die Perserflotte. Wer diese Stelle unbefangen betrachtet, d. h. nicht beeinflußt durch all das, was er über die Bedeutung des I.-Tages für Eleusis weiß, kann nicht auf den Gedanken kommen, daß es sich in dieser Vision vom 19. Boëdromion 480 um einen Gott handelt, der im Mittelpunkt des erwähnten Festes steht. Das Fest gilt vielmehr der Mutter und der Tochter, d. h, den beiden großen eleusinischen Göttinnen, die als solche schon der sog. Homerische Hymnos auf Demeter feiert. Dikaios, der athenische Verbannte, fügt über den I.-Ruf nur vorsichtig hinzu, daß er ein θεῖον φθεγγόμενον sein müsse. Nichts deutet darauf hin, daß I. schon damals mit besonderem Gepränge in Eleusis empfangen ist, nichts wird von seinem Bilde gesagt, das in feierlichem Zuge dorthin geleitet wird, vielmehr heißt es: τὴν δὲ ὁρτὴν ταύτην ἄγουσι Ἀθηναῖοι ἀνὰ πάντα ἔτεα τῇ Μητρὶ καὶ τῇ Κόρῃ, καὶ αὐτῶν τε ὁ βουλόμενος καὶ τῶν ἄλλων Ἑλλήνων μυεῖται· καὶ την φωνὴν τὴν ἀκούεις ἐν ταύτῃ τῇ ὁρτῇ ἰακχάζουσι. Daß I. damals schon ὁ ἀρχηγέτης τῶν μυστηρίων (Strab. X 468) gewesen sei, ist nach Herodots Worten völlig ausgeschlossen. Wie der Gott Hymenaios aus dem Hochzeitsruf Ὑμὴν ὦ Ὑμήν, Linos aus dem αἴλινον αἴλινον entstanden ist, so auch aller Wahrscheinlichkeit nach I. aus dem jauchzenden Rufe: ἴακχε ἴακχε oder ähnlich (vgl. dazu namentlich v. Wilamowitz Euripides Hippolytos 1891, 28; die Zeugnisse der Lexikographen darüber bei Hoefer Rοschers Myth. Lex. II 10). Man möchte meinen, daß dieser Jubelruf zuerst den Göttinnen von Eleusis gegolten hat, wenn er überhaupt nicht ein ganz allgemeiner, in verschiedenen Kulten Attikas gebräuchlicher Festesruf gewesen ist. Inhaltlich und formell wird ihn wohl niemand je genau deuten können. Aber fehlgehen wird man schwerlich, wenn man in ihm einen höchsten Ausdruck der Freude finden will. Wenn I. auch sicher später durch des Siegesglanz von Salamis eine ganz ungewöhnliche Bedeutung erhalten hat, und zwar, wie es scheint, in sehr kurzer Zeit, und als Mitkämpfer der Athener bei Salamis galt wie Pan bei Marathon, so hat es doch auch Stimmen gegeben, die der Herodotstelle nüchterner gegenüberstanden, als es heute [615] gemeiniglich geschieht, wenn wir z. B. bei einem Scholiasten des Aristides III p. 648 Dind. lesen: φωνή τις ἐδόθη ὑπὸ τοῦ Ἰάκχου – τὸ δὲ καὶ ἀπὸ τῆς Ἐλευσῖνος ὥσπερ κονιορτὸν ἐλθεῖν ἐπὶ τὴν Σαλαμῖνα ἐνομίσθη, ὅτι ἡ Δημήτηρ καὶ ἡ Κόρη ἦλθον συμμαχῆσαι τοῖς Ἕλλησιν. Nicht anders, als oben vorgetragen ist, urteilt auch P. Foucart (Recherches sur l’origine et la nature des mystères d’Eleusis 81 = Mémoir. de l’académie des inscript. et belles-lettres, tome XXXV: 1895, 2e partie und Les grands mystères d’Eleusis 60 = ebd. XXXVII 1900). Darum scheint es mir auch müßig zu sein, nach dem Ursprunge dieses Gottes irgendwie weitere Forschungen anzustellen. I. ist eine eminent attische Göttergestalt, eine Schöpfung des 5. Jhdts., entstanden aus einem Jubelruf, unaufhörlich dann gewachsen mit dem Glanze der salaminischen Schlacht und des attischen Reiches. Mit Dionysos also hat dieser Gott ursprünglich gar nichts zu tun.

Die älteste Kultstätte des I. und fast seine einzige ist das Iakcheion in Athen, das mit dem von Pausanias I 2, 4 erwähnten Demetertempel höchst wahrscheinlich identisch ist (vgl. Plut. Aristid. 27 [ἐκ πινακίου τινὸς ὀνειροκριτικοῦ παρὰ τὸ Ἰακχεῖον λεγόμενον] und Alkipbron III 59 [παρ’ ἕνα τινὰ τῶν τὰ πινάκια παρὰ τὸ Ἰακχεῖον προτιθέντων καὶ τοὺς ὀνείρους ὑποκρίνεσθαι ὑπισχνουμένων]; s. Judeich Topographie von Athen 324; o. Bd. IV S. 2738 und den Art. Iakcheion o. S. 613). In ihm stand nach Pausanias eine Gruppe der Demeter, der Kore und des fackeltragenden I. von der Hand des Praxiteles. Die Praxitelesinschrift stand auf der Wand γράμμασι Ἀττικοῖς. Das kann aber keine Künstlerinschrift in gewöhnlichem Sinne gewesen sein, sondern war wahrscheinlich vielmehr ein Psephisma, das sich auf den älteren Praxiteles bezogen hat (Robert Archaeol. Märchen 62, 1). über diese γράμμασι Ἀττικά und den Namen Praxiteles vgl. die Literatur in Blümner-Hitzigs Pausaniaskommentar I 130. Die Praxitelesgruppe wird nur noch erwähnt von Clemens Alexandrinus Protr. IV 62, 3 (I p. 47 Staeh.) τὴν Πραξιτέλους Δήμητρα καὶ Κόρην καὶ τὸν Ἴακχον τὸν μυστικόν und der I. allein höchst wahrscheinlich bei Cic. Verr. IV 60, 135 Athenienses ut ex marmore Iacchum; vgl. o. Bd. IV S. 2763 und Pringsheim Archaeolog. Beitr. zur Geschichte des eleusin. Kults 1905, 88f. Die Versuche, Kopien der Kultgruppe des älteren Praxiteles in dem vorhandenen Denkmälervorrat aufzufinden, sind meines Erachtens sämtlich mißglückt, so namentlich Winters Vermutung über den schönen Jünglingskopf des Braccio nuovo (Bonn. Stud. für R. Kekulé 1890, 143) und weiter auch Sboronos’ Versuch, den sog. Eubuleuskopf als I. zu deuten (darüber Pringsheim a. a. O. 92). Mit diesem I.-Bilde nicht identisch ist das in der Nähe des Grabmals des Arztes Mnesitheos aufgestellte ἄγαλμα des I. (Paus. I 37, 4 nach Polemon περὶ τὴς ἱερᾶς ὀδοῦ), wie heute wohl allgemein trotz U. Koehler wieder angenommen wird; vgl. dazu Blümner-Hitzig a. a. O.

Die jugendliche Gestalt des I. ist früh mit Dionysos identifiziert worden, wozu die Ähnlichkeit des I.-Rufes mit Bakchos beigetragen haben mag. Als Führer des feierlichen Reigens am [616] Mysterienfeste steht er vor unserer Seele, wie ihn niemand schöner als Aristophanes – offenbar unter der Benützung von Liedern, die in Eleusis gesungen sind, in den Fröschen v. 398ff. gefeiert hat. Als φιλοχορευτής trägt er die Fackel und führt den nächtlichen Reigen in Eleusis an (v. 340ff.). Er ist der göttliche Daduchos geworden und als solcher auf Monumenten hier und da zu finden, z. B. auf dem Niinionpinax (vgl. darüber Pringsheim a. a. O. 66ff. 78ff.), auf dem er als Fackelträger mit langen myrtenbekränzten Locken in kurzem, gesticktem Ärmelchiton und hohen Stiefeln dargestellt ist. Als göttlicher Myste erfüllt I. seine Mission; in der eleusinischen Kultgruppe erscheint seine Gestalt nicht, Votivstatuen von ihm sind in Eleusis nicht gefunden worden, die Ergänzung des alten Opfergesetzes Ziehen Leges sacrae nr. 2, die in Z. 5 den I. finden wollte, ist sicher falsch; seine Kultstätte bleibt einzig und allein das Iakcheion von Athen. In Eleusis ist der athenische Gott stets als Fremdling empfunden worden. Denn ein Gott, dessen Bild alle Jahre nach Eleusis gebracht werden muß, kann dort nicht seine Heimat haben. Er ist der ξυνέμπορος der nach Eleusis alljährlich am 19. Boëdromion wallfahrenden Mysten (Aristophan. Ranae v. 398). Zu ihm ruft der Chor im Refrain: Ἴακχε φιλοχορευτὰ συμπρόπεμπέ με (v. 404. 410. 416).

Die I.-Prozession begann am Morgen des 19. Boëdromions (IG III 1, 5 [aus der Zeit Marc Aurels nach Dittenberger]; vgl. Herodot. VIII 65 und Plut. Alkibiad. c. 34) und kam am 20. in Eleusis an (Schol. Aristoph. Ranae v. 324. Plut. Phokion c. 28; Camillus c. 19). Ihr Ausgangspunkt muß das ὑπὸ πόλει gelegene, noch immer nicht wiedergefundene Eleusinion gewesen sein, wohin die ἱερά am 14. Boëdromion aus Eleusis gebracht worden waren (IG III 1, 5). Ungenau gibt der Schol. Aristophan. Ranae v. 399 (ὁδεύουσιν ἀπὸ τοῦ Κεραμεικοῦ εἰς Ἐλευσῖνα προπέμποντες τὸν Διόνυσον) den Kerameikos als Anfang der Prozession an. Unter den ἱερά sind nicht Bilder der Gottheiten zu verstehen, sondern offenbar die mystischen Symbole. Aber daß außer diesen auch das hölzerne Bild des I. getragen wurde, geht aus IG III 1, 5 hervor und ist auch sonst in den Ephebenurkunden mehrfach überliefert (IG II 466–471). Der Terminus technicus ist πέμπειν oder προπέμπειν τὸν Ἴακχον (s. die vorher zitierten Inschriften); ἐξελαύνειν τὸν Ἴακχον hat Plut. Alkibiad. c. 34, ἐξάγειν derselbe Themistokles c. 19. Συμπραπέμπειν sagt Aristophan. Ranae v. 404ff. Das Bild wurde aus dem Iakcheion geholt. Daß es sich bei dieser πομπή nicht um ein Marmorbild des I., sondern nur um ein Holzbild handeln kann, ist selbstverständlich. Die Bilder, die in den katholischen Ländern noch heute bei Prozessionen getragen werden, sind die besten Parallelen dazu. Zu der ganzen I.-Prozession vgl. z. B. die im August stattfindende Panagiaprozession in dem Kloster der Iberer auf dem Athos (Kern Nordgriech. Skizzen 122f.). Die antiken Zeugnisse für die πομπή nach A. Mommsen Feste der Stadt Athen 223ff. am besten bei E. Pfuhl De Atheniensium pompis sacris, Berolini 1900, dessen Darlegung sich auch hier durch Besonnenheit [617] des Urteils auszeichnet. Der Name des Priesters Ἰακχαγωγός (s. die Sesselinschrift aus dem Dionysostheater in Athen IG III 262 und o. unter Iakchagogos S. 613) lehrt, daß das Bild des Gottes gefahren wurde, vgl. ἐξάγειν, ἐξελαύνειν τὸν Ἴακχον . Die Prozession wurde von einer großen Mystenmenge begleitet, was schon Herodot a. a. O. mit den Worten ἰδεῖν δὲ κονιορτὸν χωρέοντα ἀπ’ Ἐλευσῖνος ὡς ἀνδρῶν μάλιστά κη τρισμυρίων sagen will. Ursprünglich gingen alle Mysten zu Fuß; vom 4. Jhdt. an fahren die reichen Frauen auf Wagen, was dann bald von anderen, namentlich den Beamten, nachgeahmt wurde. Lykurg (Ps.-Plut. vit. X orat. 348 F; vgl. Aelian. var. hist. XIII 24) untersagte den Frauen ohne Erfolg den Gebrauch der Wagen. Die Ordnung der Prozession läßt sich mit Sicherheit nicht mehr angeben. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß dem das I.-Bild tragenden Wagen sofort die hohen Beamten von Athen und Eleusis und die Theoren der fremden Städte folgten. Die ἱερά wurden jedenfalls von den Epheben geleitet, die der Kosmet anführte: sie trugen Waffen und waren mit Myrten bekränzt. Sie scheinen meist weiße Kleider getragen zu haben (λευκοφορήσαντες IG III 1132 [zwischen 166/7 und 168/9 n. Chr.]; vgl. Philostrat. vit. Sophist. II 1, 8), was auch von den Mysten, die in dem Zuge folgten, gilt. Männer und Frauen waren gesondert (Aristoph. Ranae v. 411f. und v. 447f.), wie auch noch heute bei vielen religiösen Festen der orthodoxen Griechen. Der Weg von Eleusis nach Athen ist etwa vier Stunden lang: die I.-Prozession brauchte natürlich viel längere Zeit, da es an den die ἱερὰ ὁδός umsäumenden Heiligtümern, Altären, Weihgeschenken und Grabmälern fortwährend Aufenthalt gab (vgl. darüber A. Mommsen a. a. O. 225ff.). Über die ἱερὰ ὁδός gab es ein Buch des Polemon von Ilion, das Pausanias wohl sicher benutzt hat. Von Neueren hat über sie u. a. Lenormant (Monographie de la voie Sacrée, Paris 1864) ausführlich geschrieben: eine neue Untersuchung und Beschreibung der ἱερὰ ὁδός scheint mir aber nötig zu sein; vgl. D. Philios Ἐφημ. ἀρχαιολ. 1904, 61ff. Kern o. Bd. V S. 2336f. und Bölte o. Bd. VIII S. 1400. Von den Zeremonien, die während der Prozession stattfanden und die Langeweile des eintönigen Marschierens belebten, sind die Gephyrismen die bekanntesten, über die das wenige, was wir, wissen, o. Bd. VII S. 1229 zusammengestellt ist; wahrscheinlich fanden sie auf der Kephisosbrücke bei Eleusis statt (vgl. Pfuhl a. a. O. 41). Erst am Abend gelangten die Mysten in ihrem feierlichen Zuge nach Eleusis und mußten dann trotz Staub (vgl. Herodot. a. a. O.) und Hitze zeigen, daß sie ἄνευ πόνου πολλὴν ὁδόν vollendet hatten (vgl. Aristophan. Ranae v. 402f.). In Eleusis wurde dann das I.-Bild unter Fackelglanz und Lichterschein nach dem Hieron geleitet. Diese Fackelprozession hat auf die Mysten offenbar ganz besonders gewirkt, wofür die besten Zeugen Aristophan. Ranae v. 313ff. and Euripides Ion v. 1074ff. αἰσχύνομαι τὸν πολύυμνον θεόν, εἰ παρὰ καλλιχόροισι παγαῖς λαμπάδα θεωρὸν εἰκάδων ὄψεται ἐννύχιος ἄυπνος ὤν sind. Der dabei gesungene Hymnus hieß Ἴακχος, vgl. Aristophan. r. 320. Vgl. auch Hesych. s. Διαγόρας (δι’ ἀγορᾶς)· [618] ᾄδειν τὸν Ἴ. δι’ ἀγορῶν βαδίζοντας. Das I.-Bild wurde dann in den Tempel gebracht: I. wurde in Eleusis aufgenommen. So sprach man offiziell von der Ἰαόκχου ὑποδοχή, IG IV 2, 385 d; vgl. über Philios' spätere Lesung Ἰαάκχου (Ἐφημ. ἀρχαιολ. 1890, 131) Kern Athen. Mitt. XVII 1892, 141, 1. Auf den Empfang des I. folgte die von Aristoph. Ran. v. 370ff. meisterhaft geschilderte παννυχίς. In welchem Tempel (oder in welcher ἱερὰ οἰκία) das I.-Bild während des Mysterienfestes stand, ist unbekannt. Wieweit I. bei den δρώμενα im Telesterion eine Rolle spielte, ist ebenso völlig unbekannt. Durchaus unsicher ist es, ob mit dem Knaben der heiligen Weihenacht, dessen Geburt der Hierophant mit dem Rufe ἱερὸν ἔτεκε πότνια κορον Βριμὼ Βριμόν begleitete, I. gemeint ist (Hippolytos Ref. omn. haeres. V 8 p. 164 Schneid.; vgl. dazu Kern Eleusinische Beiträge, Halle 1909, 10). Auch das ist nicht zu erweisen, daß der für Eleusis durch zwei Vasen und zwei bemalte Pinakes (vgl. Pringsheim a. a. O. 65) bezeugte Omphalos irgendwie mit I. zu tun hat, wie Skias (vgl. darüber Pringsheim) gemeint hat. Denn wenn auch nach diesen Darstellungen der eleusinische Dionysos mit dem Omphalos in enger Beziehung steht, so ist doch die Identität des Dionysos und I. für den eleusinischen Kultus abzuweisen. Über die Bedeutung des Omphalos vgl. die meines Erachtens aber in ihrem Kerne verfehlten, gelehrten Auseinandersetzungen von W. H. Roscher Abh. der Sächs. Ges. des Wiss. XXIX 1913 nr. IX, der den eleusinischen Omphalos ganz vergessen zu haben scheint; über diesen vgl. außer Pringsheim a. a. O. Kern Beitr. zur griech. Philos. u. Religion (mit Paul Wendland) 1895, 86. Natürlich mußte das Bild nach der Mysterienfeier auch wieder in feierlichem Zuge nach Athen gebracht werden, wo es im Iakcheion seine Stätte hatte; doch ist darüber merkwürdigerweise wohl gar-nichts überliefert. Vgl. hierzu Kern Nordgriech. Skizzen 122f.

Der Name des Gottes heißt in Athen stets Ἴακχος; denn sowohl Ἰάοκχος (s. o.) als auch Ἴαχχος (IG II 1592 Ἱππόνικος Ἱππονίκου Ἀλωπεκῆθεν Ἰάχχωι ἀνέθηκεν und Ἴαχος (s. Mommsen a. a. O. 224) sind wohl Versehen der Steinmetzen. Kultbeinamen des I. sind nicht bekannt; denn I. Κυαμίτης ist eine Erfindung von Salmasius, der Blümner und Hitzig in ihrem Pausaniaskommentar mit Recht widersprochen haben. Ἡγεμών wird I. in dem Epigramm aus Rom (3. Jhdt. n. Chr.) bei Kaibel nr. 588 genannt neben Βοναδίη, μήτηρ θεῶν und Dionysos. Die poetischen Beinamen (πολυτιμητός, φιλοχορευτής usw.) hat C. F. H. Bruchmann Epitheta deorum 160 zusammengestellt. Dazu sind aber hinzuzufügen νυκτερίοις τε χοροῖσιν ἐριβρεμέταο Ἰάκχου Orph. hymn. XLIX 3 und λύσειον Ἴακχον εἴτ’ ἐν Ἐλευσῖνος τέρπῃ νηῷ θυόεντι ebd. XLII 4, wo I. mit Mise identifiziert wird. Die Erwähnungen des I. in den orphischen Hymnen sind nicht unwichtig, da der eleusinische Gottesdienst nicht ohne Einfluß auf den pergamenischen Demeterdienst geblieben ist (Kern Herm. XLVI 431f.; dagegen ohne rechte Kenntnis des eleusiniscfaen Kultus Ippel Athen. Mitt. XXXVII 1912, 288ff.). [619] Selbstverständlich wird man auch sonst in den Filialen des eleusinischen Kultus die Verehrung des I. voraussetzen dürfen, wenn sie auch niemals irgendwo die Bedeutung gehabt haben kann, die sie in dem ob des Salatmissieges allzeit stolzen Athen hatte. Die Beziehung auf das Nationale mußte draußen zurücktreten und der dionysische Charakter des I., den der Gott schon im 5. Jhdt. in Athen erhielt, stärker hervorgehoben werden, wie das z. B. vielleicht in Alexandreia geschehen ist (vgl. Pringsheim a. a. O. 24). In Adramytteion war nach dem Zeugnis einer Kupfermünze (Pringsheim a. a. O. 92) Antinoos als I. verehrt, aber nicht etwa als eleusinischer Gott, sondern vielmehr als νέος Διόνυσος. Vgl. Riewald De Imperator. Romanor. cum certis dis comparat., Halle 1912, 320. Sehr früh haben die Dichter I. mit Dionysos identifiziert, z. B. Sophokles frg. 874 Nauck²

ὅθεν κατεῖδον τὴν βεβακχιωμένην
βροτοῖσι κλεινὴν Νῦσαν, ἣν ὁ βουκέρως
Ἴακχος αὑτῷ μαῖαν ἡδίστην νέμει,
ὅπου τίς ὄρνις οὐχὶ κλαγγάνει;

und der unbekannte tragische Dichter (Nauck² Adespota frg. 140) bei Dionysios von Halikarnass de composit. verbor. c. 17 (II 172 Us.-Rad.)

Ἴακχε διθύραμβε· σὺ τῶνδε χοραγέ

Vgl. dazu auch Strab. X 3, 10; die Scholiasten zu Aristophan. Ran. 324 und 404 und zu Soph. Antigone 1115. Eustath. zu Il. XIII 834 (p. 962, 60), Etym. M. p. 462, 49 s. Ἴακχος. Hesych. s. Ἴακχον. Suid. s. Ἴακχος und Ἴακχος Διόνυσος ἐπὶ τῷ μαστῷ. Dagegen ist die Scheidung von I. und Dionysos deutlich bei Cic. de nat. deor. II 24, 62 (p. 288 Plasberg); Arrian. anab. II 16, 3 und Schol. Aristophan. Ran. 324; vgl. auch das oben besprochene Epigramm aus Rom Kaibel nr. 588. Platon aber denkt Phaidr. 265 B τῆς δὲ θείας τεττάρων θεῶν τέτταρα μέρη διελόμενοι, μαντικὴν μὲν ἐπίπνοιαν Ἀπόλλωνος θέντες, Διονύσου δὲ τελεστικήν, Μουσῶν δ’ αὖ ποιητικήν, τετάρτην δὲ Ἀφροδίτης καὶ Ἔρωτος κτλ. wohl nicht an den eleusinischen I., sondern an den orphischen Dionysos. Denkt er aber an Eleusis, hätte er korrekter von der Ἰάκχου τελεστική gesprochen.

Man soll mit der Annahme von eleusinischen Filialen vorsichtig sein und namentlich dem I. gegenüber die nötige Reserve beobachten; denn wirklich nachgewiesener Kult des I. findet sich außer in Athen nirgends; es ist z. B. bare Willkür, ihn mit Hoefer (in Roschers Myth. Lex.) für Arkadien anzunehmen. Auch für Sikyon ist diese Annahme höchst problematisch. Denn bezeugt ist durch Timarchidas ἐν ταῖς Γλώσσαις (vgl. über diesen jetzt Blinkenberg La Chronique du temple Lindien [Sonderdruck aus Exploration archéologique de Rhodes VI), Copenhague 1912, 346. 405) bei Athenaios XV 678 A nur, daß die dem Dionysos dort geweihten Kränze ἰάκχαι genannt wurden, was auch ein Distichon des Philitas ebendort bestätigt:

ἕστηκ’ ἀμφὶ κόμας εὐώδεας ἀγχόθι πατρὸς
     καλὸν Ἰακχαῖον θηκαμένη στέφανον.

Vgl. auch Hesych. s. ἰακχά: στεφάνωμα εὐῶδες ἐν Σικυῶνι. vgl. denselben ■?■θ’ ἰακχά: ἄνθη ἐν Σικυῶνι. Ebenso unsicher ist es, ob der Dionysos [620] Βακχεῖος der Korinthier und Sikyonier mit I. identisch ist; vgl. darüber Odelberg Sacra Corinthia Sicyonia Phliasia, Upsaliae 1896, 74ff.; zumal der orphische Hymnus XXX ist hier ganz fernzuhalten; denn er ist sicher für den pergamenischen Dionysos gedichtet, wie sich unschwer zeigen läßt.

Auch Lerna ist hier mit Vorsicht zu behandeln. Den Kult des I. bezeugt freilich Libanios in seiner Ende des J. 362 an Kaiser Iulian gesandten Rede für Aristophanes von Korinth (or. XIV 7 [II p. 90 Foe.]), von dem er sagt: οἵδε ταῦτα Δημήτηρ καὶ Κόρη καὶ Σάραπις καὶ Ποσειδῶν καὶ ὁ τὴν Λέρνην κατέχων Ἴακχος καὶ πολλοὶ πρὸς τούτοις ἕτεροι δαίμονες, περὶ οὓς ἅπαντα φιλοτίμως ἐξεπλήρωσε. Sonst aber wird der lernäische Gott, dem im Verein mit Demeter und Kore die dortigen Mysterien galten, stets Dionysos genannt. Die Hauptstelle steht bei Paus. II 37, 2ff., der einen zwischen den Flüssen Pontinos und Amymone befindlichen, meist aus Platanen bestehenden Hain erwähnt, der sich bis zum Meere ausdehne und in dem sich Steinbilder der Demeter Prosymna und des Dionysos befänden, außerdem noch ein kleines Sitzbild derselben Göttin; an einer anderen Stelle (ἑτέρωθι) in einem Tempel sei ein sitzendes Holzbild (καθήμενον ξόανον) des Dionysos Saotas und am Meere ein Steinbild der Aphrodite (letzteres gestiftet von den Danaostöchtern). Der Kult des Dionysos Saotas kommt sonst nur noch in Trozen und Epidauros vor (s. o. Bd. V S. 1032). Nach Pausanias ist Philammon der Stifter der lernäischen τελετή. Aber gegen die λεγόμενα ἐπὶ τοῖς δρωμένοις, (ἃ ἤκουσα ἐπὶ τῇ καρδίᾳ γεγράφθαι τῇ πεποιημένῃ τοῦ ὀρειχάλκου) äußert er selbst mit Berufung auf Arrhiphon von Trikonion Bedenken (vgl. dazu den Art. Arrhiphon Suppl.-Heft III). Als Pausanias dann weiter die Quelle Amymone »erwähnt und von der Hydra erzählt hat, kommt er auf die πηγὴ Ἀμφιαράου καλουμένη und den Alkyonischen See zu sprechen, den er näher beschreibt. Hier soll Dionysos in den Hades gestiegen sein, um seine Mutter Semele zurückzuführen; die κάθοδος soll ihm Polymnos gezeigt haben. Kein Mensch aber habe je den Grund dieses Sees erreicht. Die nächtlichen Dromena, die in jedem Jahre im See (ἐς αὐτήν) zu Ehren des Dionysos hier stattfänden, darf Pausanias nicht mitteilen (οὐχ ὅσιον ἐς ἅπαντας ἦν μοι γράφαι), Daß auch bei diesen Nocturnalien die Fackeln eine große Rolle spielten, geht aus der von Paus. VIII 15, 9 mitgeteilten Nachricht hervor, daß die Argiver das Feuer für die Lernäen in alter Zeit aus dem Heiligtum der Artemis Pyronia auf dem Berge Krathis in Arkadien holten. Meist wird heute eine engere Beziehung dieser lernäischen Mysterien mit Eleusis angenommen (s. die Literatur bei Hoefer in Roschers Myth. Lex. II 9); aber die in den Iliasscholien XIV 319 erzählte Legende weist viel mehr zu den orphischen Mysterien als nach Eleusis (Lobeck Aglaophamus I 574). Hinzukommt, daß eben der Name I. für Lerna nur durch das späte Zeugnis des Libanioa bezeugt ist. In dem wahrscheinlich aus dem 3. Jhdt. n. Chr. stammenden Epigramm aus Myloi (Lerna) IG IV 666 heißt es am Anfang:

[621]

Βάκχῳ με βάκχον καὶ Προσυμναίᾳ θεῶι
στάσαντο Ληοῦς ἐν κατηρεφεῖ δόμωι

und in der lateinischen Inschrift aus Rom CIL VI 1780 (Dessau 1260) sacratae apud Laernam Deo Libero et Cereri et Corae. In dem athenischen Epigramm (Kaibel Epigr. nr. 866), das der lernäische Hierophant Kleadas seinem Vater, dem eleusinischen Hierophanten Erotion, gewidmet hat, wird weder Dionysos noch I. erwähnt, ebensowenig in dem von demselben Mann herrührenden Torepigramm aus Argos Anthol. Palat. IX 688.

Mit der Identifikation von I. und Dionysos hängt es dann natürlich zusammen, daß I. bei den griechischen und römischen Dichtern Gott des Weines genannt wird, so z. B. in dem Epigramm des Antipater von Thessalonike auf einen in der Trunkenheit verunglückten Schiffer Anth. Pal. IX 82 ἐχθρὸς Ἰάκχῳ πόντος: Τυρσηνοὶ τοῦτον ἔθεντο νόμον. Ebenso in dem des Makedonios Hypatos Anth. Pal. XI 59 Χανδοπόται, βασιλῆος ἀεθλητῆρες Ἰάκχου und Anth. Pal. XI 64 (Agathias Scholastikos) ἡμεῖς μὲν πατέοντες ἀπείρονα καρπὸν Ἰάκχου. Von Lateinern gebraucht I. statt Bakchos Catullus 64, 251 at parte ex alia florens volitabat Iacchus (Ariadnesage). Metonymisch für Wein findet sich I. bei Verg. Ecl. VI 15 vom trunkenen Silen: inflatum hesterno venas, ut semper, Iaccho und Stat. Theb. II 85f. at Ogygii si quando adflavit Iacchi saevus odor. In dem Rest eines Hymnus auf Dionysos, der den erhaltenen orphischen Hymnen, sehr ähnlich gewesen sein muß, bei Ovid met. IV 15 wird unter anderen Namen des Gottes auch I. genannt; vgl. darüber Kern Berl. Philol. Wochenschr. 1912, 1440.

Charakteristisch für das Werden der I.-Gestalt sind die Genealogieen. Bald gilt er als Sohn der Demeter (Lucret. de rerum natura IV 1160 at tumida et mammosa Ceres est ipsa ab Iaccho [vgl. dazu Arnobius adv. nationes III 10 p. 118 Reiff.], Diodor. III 64, 1, Schol. Aristid. III p. 648 Dind., Suidas, Photios), bald als Sohn der Persephone (Diodor. III 64, 1. Schol. Aristophan. Ran. 324. Schol. Euripid. Orest. 964. zu den Worten Περσέφασσα καλλίπαις θεά. Schol. Euripid. Troad. 1230 τὸν θρῆνον εἰς τὸν Ἴακχον, ὅν φασι Περσεφόνης εἶναι υἱόν). In letzterem Falle galt er als Gemahl der Demeter, vgl. Schol. Aristophan. Ranae 324 καθὸ σθνίδρυται τῇ Δήμητρι ὁ Διόνυσος· εἰσὶ γοῦν οἵ φασι Περσεφόνης αὐτὸν εἶναι· οἱ δὲ τῇ Δήμητρι συγγενέσθαι. Als Sohn der Persephone wurde er auch mit Zagreus (s. d.) identifiziert, wie es scheint, namentlich von den Orphikern (Tatian. orat. adv. Graecos p. 9, 10ff. Schwartz. Athenagoras de legatione pro Christianis p. 23, 5 Schwartz [vgl. 42, 22f.]; dazu Schol. Pind. Isthm. VII 3. Etym. M. 406, 47). So wird denn auch die Zerreißung des Zagreus auf ihn übertragen und von dem Ἰκχου σπαραγμός gesprochen (Lukian περὶ ὀρχήσεως 39). In einer orphischen Bearbeitung der eleusinischen Adventsage mußte I. zu den unanständigen Scherzen der Baubo herhalten, wie die bei Clemens Alexandrinus Protepr. p. 16, 14ff. erhaltenen Verse (Abel frg. 215) beweisen:

ὣς εἰποῦσα πέπλους ἀνεσύρετο, δεῖξε δὲ πάντα
σώματος οὐδὲ πρέποντα τύπον· παῖς δ’ ἧεν Ἴακχος,
χειρί τέ μιν ῥίπτασκε γελῶν Βαυβοῦς ὑπὸ κόλποις·
ἡ δ’ ἐπεὶ οὖν μείδησε θεά, μείδησ’ ἐνὶ θυμῷ,
δέξατο δ’ αἰόλον ἄγγος, ἐν ὧ κυκεὼν ἐνέκειτο.

[622] Dazu vgl. Suid. und Phot s. Ἴακχος Διόνυσος ἐπὶ τῷ μαστῷ und den Dionysos ὑποκόλπιος Orph. Hymn. LII 11 (darüber auch Dieterich Mithrasliturgie 136ff.). I. als Sohn des Dionysos: Hymn. LII 11 (darüber auch Dieterich Mithrasliturgie 136ff.). I. als Sohn des Dionysos: Schol. Aristid. III 648 Dind. Weil eine feste Tradition über seine Herkunft nicht vorhanden war, scheint es mir unwahrscheinlich zu sein, daß die Geburt des I. im eleusinischen Kultus ein δρώμενον war. Ist das aber in späteren Jahrhunderten der Fall gewesen, so hat I. da den Plutosknaben abgelöst, von dessen Geburt in Eleusis die bekannte in Rhodos gefundene Vase zeugt ( S. Reinach Revue archéol. III. Sér. XXXVI 1900, 87ff.).

[Kern. ]