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RE:Hercules 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Italischer Heros
Band VIII,1 (1912) S. 550609
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Hercules, 1)

I. Namensform.

Am ausführlichsten handelt darüber Jordan Krit. Beitr. zur Gesch. d. lat. Spr. 15. Zu vgl. ist u. a. Corssen Ausspr.² II 77. 140. 377. 386. Grassmann K. Z. XVI 103. Preller Röm. Myth. II³ 278. v. Planta Gramm. d. osk.-umbr. Dial. 1253. Peter in Roschers Myth. Lex. I 2, 2253. Walde Etymol. Wörterb.¹ 284 (in der 2. Aufl. fehlt der Artikel). Weitere Literaturangaben bei Planta a. a. O. 254. 1.

α) Die ursprüngliche lateinische Form Hercle liegt vor in der Beteuerungsformel hercle und mehercle, vgl. Spengel Plautus 70. Saalfeld Tensaurus Italogr. 542. Neue Formenl. II³ 988. Inschriftlich ist sie belegt durch eine pränestinische Cista mit einer Darstellung, die von Marx Arch. Ztg. XLIII 170 als ein Aresmythus gedeutet wird. Unter den die einzelnen Götter bezeichnenden Überschriften findet sich an vierter Stelle Hercle (CIL XIV 4105. Zu der Inschrift vgl. [551] Michaelis Ann. d. Inst. XLV 221). Die Form Hercles ist durch die pränestinische Cista CIL I 1500 = XIV 4106 belegt, dargestellt ist darauf eine Versammlung von Göttern und Helden, darunter Achilles und Aiax; das Bild des H. hat die Überschrift . Zu dem anlautenden F erklärt Jordan a. a. O. 50, daß die Annahme eines Versehens berechtigt sei, da auch Nachahmung etruskischer Formen nicht vorliegen könne. Dat. Hercli CIL V 4213. 5498. XII 5733. Durch Anaptyxe entstanden die Formen a) Herceles (Akk. Hercele auf einem etruskischen Spiegel CIL I 56 = XIV 4097), von Corssen a. a. O. 77 als nicht echt lateinisch bezeichnet; β) Hercoles, die übliche Form der älteren Steininscnriften. Papirian bei Prisc. I 35 S. 27, 10 H: Romanorum quoque vetustissimi in multis dictionibus loco eius (sc. u) o posuisse inveniuntur … dicentes et Hercolem pro Herculem. Die älteste datierbare Inschrift, auf der sie auftritt, ist die des Dictators Minucius vom J. 217, CIL I 1503 = VI 284. Auch CIL I 1175 = X 5708, die von Henzen Bull. d. Inst. 1845, 71; Rh. Mus. V 70 in die Zeit von 154–134 v. Chr. gesetzt wird, hat Hercolei. Dagegen wird in dem Titulus Mummianus vom J. 145 CIL I 541 = VI 331 (s. u. IV c 1) bereits die Form γ) Hercules angewendet, die späterhin die übliche bleibt. Über die Deklination dieser Form vgl. Lindsay Arch. f. lat. Lex. XV 144. Der Genitiv Herculi, der von Varro de l. l. VIII 26. Plin. bei Charis. I 132, 17 K., vgl. Quintil. I 5, 63 bezeugt wird, weist nicht etwa auf eine Nominativform Herculus hin. Mißbildungen barbarischer Herkunft sind die Dative auf -nti, Herculenti CIL VII 1032; Herclenti XIII 7693; Herclinti XIII 8188; vgl. dazu Prob. append. IV S. 197, 25 K.: Hercules non Herculens. Schuchardt Vokalism. I 112. Schmitz Beitr. z. lat. Spr. 28. Hierher gehört auch das Cognomen Herculentius CIL IX 3073.

b) Namensformen in den italischen Dialekten. Pälignisch:Dat. Herec. = Herecloi (Molina) Zvejateff Inscr. It. Med. nr. 29. Planta nr. 253 I 21. 269. II 658 Dat. Hercolo (Superaequum) Not. d. scav. 1898, 75 Prosop. Imp. Rom. II 3421. Graeven Arch. Anz. 1899, 65; Herclit. = Heraclitus (Pentima = Corfinium) CIL IX p. 298 a. Zvejateff nr. 15. Planta nr. 259. – Vestinisch: Dat. Herclo (Navelli) CIL IX 3414. Corssen K. Z. XV 241. Zvejateff nr. 9. Planta nr. 276. I 21. 276. II 663. – Äquisch: Dat. Hereklei (Nesce) CIL IX p. 388. 683. Planta nr. 278, von Mommsen der Unechtheit verdächtigt. Weitere Literatur bei Planta I 22. II 663. Zvejateff 40. – Oskisch: Gen. Herekleís (Cippus Abellanus v. 11. 24. 30. 32) Mommsen Unterital. Dial. 119. Zvejateff Inscr. Osc. nr. 56. Planta nr. 127. Buck Grammar of Oscan and Umbrian S. 226 nr. 1. Gen.(?) (Tönerne Basis, Herkunft und Verbleib unbekannt). Mommsen a. a. O. nr. 35. Zvejateff nr. 153. Planta nr. 20; II 605, wo die Lesung oder als möglich hingestellt wird, wodurch die Form zu einer griechischen würde. Dat. Hereklúi (Taf. von Agnone, zweimal) Mommsen S. 128. Zvejateff nr. 9. Planta nr 200; II 642. Buck nr. 45. Die Grundform dieser italischen Namensformen [552] war offenbar Herclos, die aus dem vestinischen Herclo und dem pälignischen Hercolo am deutlichsten hervorgeht (vgl. lat. Hercles). Aufrecht K. Z. I 37. Corssen Ausspr. II² 377 (vgl. jedoch 77). Grassmann K. Z. XVI 103. Jordan a. a. O. 16 nehmen an, daß das zweite e in den Formen Herekleis, Hereklui usw. unmittelbar aus dem α von Ἡρακλῆς entstanden, sei, während es von Planta II 253 durch Anaptyxe erklärt wird.

Über die etruskischen Namensformen s. den Art. Herkle.

II. Die Heiligtümer des Hercules am Forum Boarium.

a) Als ältester Kultplatz des H. in Rom gilt der Sage die Ara Maxima, die sie unmittelbar nach der Tötung des Cacus von H. selbst (Ovid. fast. I 581. Prop. IV 9. 67. Liv. I 7, 10. IX 34, 18. Solin. I 10. Auch Verg. Aen. VIII 271: hanc aram luco statuit ist offenbar H. als Subjekt zu denken) oder, dem H. zu Ehren, von Euander errichtet werden läßt (Tac. ann. XV 41. Mythogr. Vat. II 153. Strab V 3, 3). Varro bei Macrob. III 6, 17 gibt an, daß die Gründung der Ara Maxima entweder dem H. selbst oder dessen in Latium zurückgelassenen Gefährten (Ovid. fast. V 650) zugeschrieben werde. Jedenfalls nahm man an, wie Macrob. a. a. O. aus Gavius Bassus berichtet, daß der Altar vor der Ankunft des Aeneas in Italien errichtet worden sei. Eine von der üblichen Form abweichende Überlieferung findet sich bei Dion. Hal. I 39, wo H. nach dem Fall des Cacus dem Iuppiter Inventor einen Altar gründet und darauf eins der wiedergewonnenen Rinder opfert, während ihm Euander, nachdem er seinen Namen und seine Herkunft erfahren,, die spätere Ara Maxima weiht. Eine Anspielung darauf liegt auch in Ovids Worten fast. I 579: Immolat ex illis taurum tibi Iuppiter unum. Der Verfasser der Origo gentis Romanae (c. 6) setzt törichterweise diesen uralten Altar des Iuppiter Inventor an der Porta Trigemina mit der Ara Maxima gleich. Nach Tac. ann. XV 41 war mit dem Altar, der selbst einen bescheidenen Eindruck machte (Dion. Hal. I 40, 6: τῇ κατασκευῇ πολὺ τῆς δόξης καταδεέστερος), ein Fanum verbunden, dessen Stiftung man, wie die des dort verehrten Kultbildes (Plin. n. h. XXXIV 33),. ebenfalls dem Euander zuschrieb. Solinus I 10 spricht von einem consaeptum sacellum des H.,. Strabon V 3, 3 von einem τέμενος, Plutarch quaest. Rom. 90 mit deutlicher Beziehung auf die Ara Maxima von περίβολοι. Daß auf dem eingefriedigten, geheiligten Bezirk auch ein Kapellchen stand,, ergibt sich nicht sowohl aus den Bezeichnungen fanum, τέμενος und consaeptum sacellum, als daraus, daß die Angabe des Varro bei Solin a. a. O. (vgl. Plut. a. a. O.), in das sacellum consaeptum kämen weder Hunde noch Fliegen (s. u.), sich bei Plin. n. h. X 79 findet mit den Worten: Romae in aedem Herculis in foro boario nec muscae nec canes intrant. Die Bezeichnung aedes ist hier, wie häufig, im Sinne von aedicula verwendet (Jordan Herm. XV 571). Dagegen kann wohl die Angabe Macr. III 6, 17: custoditur in eodem loco, ut omnes aperto capite sacra faciant. hoc fit, ne quis in aede dei habitum eius imitetur, nam ipse ibi operto est capite [553] kaum auf dies ursprüngliche Bauwerk bezogen werden, das man sich eher als kleine Zelle für das Kultbild, denn als größeren Tempelraum, in dem ein sacra facere möglich war, zu denken hat. Vielmehr galt die Vorschrift, die Macrobius hier mitteilt, wohl für einen der Tempel, die später in nächster Nähe der Ara Maxima erbaut wurden, oder es handelt sich um einen allgemeinen Brauch (vgl Serv. Aen. VIII 288. III 407). Ob das von Livius XL 51 ohne Ortsangabe erwähnte fanum Herculis mit dem Kapellchen bei der Ara Maxima gleichzusetzen ist, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden.

b) Lage der Ara Maxima und der benachbarten Heiligtümer. Die Angaben der alten Schriftsteller besagen, daß der Altar am Forum Boarium, nicht weit vom Tiber neben bezw. hinter dem Eingange des Circus Maximus, innerhalb des palatinischen Pomeriums lag (Dion. Hal. I 40. Diod IV 21, 4. Schol. Veron. Aen. VIII 104. Iuven. VIII 14. Interp. Serv. Aen. VIII 271. Tac. ann. XII 24). Um den Altar gruppierten sich jedoch noch andere Heiligtümer des H., sodaß das Forum Boarium geradezu als Mittelpunkt der römischen H.-Verehrung angesehen werden kann. Macr. III 6, 10 berichtet: Romae autem Victoris Herculis aedes duae sunt, una ad portam Trigeminam, altera in foro boario (= Interp. Serv. Aen. VIII 363), und von zwei Altären spricht auch Plut. quaest Rom. 90, womit offenbar die Ara Maxima und der hier genannte Tempel des H. Victor gemeint sind. Ein H.-Tempel am Forum Boarium wird ferner erwähnt von Liv. X 23, 3, wo er als aedes rotunda und dem Heiligtum der Pudicitia benachbart bezeichnet wird. Dieselbe Beziehung liegt vor bei Fest. p. 242: Pudicitiae signum in foro boario est, ubi Aemiliana aedes est (so Scaliger für familiana aedisset, über die Berechtigung dieser Konjektur s. u) Herculis. Plinius n. h. XXXV 19 nennt ebenfalls eine auf dem Forum Boarium gelegene und mit Malereien des Dichters Pacuvius geschmückte aedes des H. Dagegen ist aus Liv. XXI 62, 9 nichts für die Lage des dort erwähnten H.-Tempels zu entnehmen. Dort wird erzählt, daß im J. 218 zur Sühnung von Prodigien ein Lectisternium für die Iuventas und eine Supplicatio ad aedem Herculis stattgefunden habe. Klügmann Arch. Ztg. XXXV 107 nimmt an, daß hier der Tempel am Forum Boarium gemeint sei, weil eines der Prodigien an diesem Forum vorgefallen war und die Iuventas ein Heiligtum in circo maximo erhielt. Daß diese Folgerung Klügmanns unhaltbar ist, hat Wissowa nachgewiesen (Analecta Romana topographica 1897 = Ges. Abb. Münch. 1904, 66). Wissowa weist erstens mit Recht darauf hin, daß das von Liv. a. a. O. genannte Heiligtum der Iuventas erst 207 von M. Livius Salinator gelobt und 16 Jahre später geweiht wurde. Außerdem habe der Ort, an dem ein Prodigium geschah, nichts mit dem der Prokuration zu tun, was sich schon daraus ergibt, daß zwei der von Livius angeführten Prodigien sich auf dem Forum Holitorium ereigneten, die entsprechenden Prokurationen aber nicht dort stattfanden. Ferner konnte eine Supplicatio, wie sie damals vorgeschrieben wurde, nicht bei der Ara Maxima stattfinden, da dort [554] nach Cornelius Balbus bei Macr. III 6, 16. Serv. Aen. VIII 176 ein Lectisternium und damit wohl aller decemvirale Ritus ausgeschlossen war. Wissowa ist der Ansicht, daß die Prokuration des J. 218 beim Tempel des H. Magnus Custos in circo Flaminio (s. u. IV a) stattfand, der (Ovid. fast. VI 210) auf Befehl der Sibyllinischen Bücher errichtet wurde. Dort wurden schon 219 (Liv. V 13, 6) Lectisternien, also Kulthandlungen nach griechischem Ritus vorgenommen.

Ein weiterer, von den bisher erwähnten nicht fern gelegener H.-Tempel ist die Aedes Herculis Pompeiani, die Pompeius d. Gr. angeblich erbauen und mit einer H.-Statue Myrons schmücken ließ. Sowohl die Beschreibung dieses Tempels bei Vitruv. III 3, 5 wie die Erwähnung bei Plin. n. h. XXXLV 57 enthält die Lagebezeichnung ad bezw. apud circum maximum.

Bei dem Stadttore, das dem Forum Boarium am nächsten liegt, der Porta Trigemina, befand sich, wie die oben angeführte Stelle des Macrobius besagt, ebenfalls ein Heiligtum des H., und zwar des H. Victor, also an dem Orte, wo H. nach seinem Siege über Cacus dem Iuppiter Inventor selbst einen Altar errichtet hatte (Dion. Hal. I 39).

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß am Forum Boarium bezw. in dessen nächster Nähe mindestens vier Heiligtümer des H. lagen, nämlich: ) 1. die Ara Maxima mit dem damit verbundenen Fanum; 2. die Aedes rotunda; 3. die Aedes Pompei Magni; 4. der Tempel an der Porta Trigemina. Bei dem nahen Zusammenliegen zumal der drei erstgenannten Tempel ist es nicht verwunderlich, daß die Ansichten der Neueren über die genauere Lokalisierung derselben weit auseinandergingen und zum Teil noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung gekommen sind. Ausgehen muß heute jede Erörterung dieser topographischen Frage von dem Aufsatze de Rossis Dell’ ara massima e del tempio d’Ercole nel foro boario, Ann. d. Inst. 1854, 28. de Rossi gibt zuerst einen kurzen Bericht über die Ansichten früherer Forscher (Canina, Becker, Urlichs, Ritschl. Eine noch genauere Sammlung der früheren Hypothesen bei Peter S. 2904), deren Wiedergabe sich hier erübrigt, da erst durch de Rossis Ausführungen eine sichere Grundlage für weitere Forschungen gelegt ist. Ihre Bedeutung besteht darin, daß de Rossi bei der Feststellung der Lage der H.-Heiligtümer am Forum Boarium als erster auf die Nachrichten römischer Archäologen aus dem 15. und 16. Jhdt. zurückging. Diese, z. B. Pomponius Laetus und Albertinus, kannten, wie de Rossi 29f. ausführt, außer dem noch jetzt erhaltenen Rundtempel am Ufer des Tiber (S. Maria del Sole, abgeb. Noack Baukunst des Altert. Taf. 164, früher fälschlich als Tempel der Vesta, jetzt meist nach Hülsens Vorschlag als Tempel des Portunus bezeichnet) einen anderen Rundtempel auf dem Forum Boarium, den sie als Tempel des H. schlechthin oder des H. Victor bezeichneten. Genau genommen können freilich nur die Trümmer dieses Tempels später diesen Namen erhalten haben, da erst die Auffindung des vergoldeten, später in das kapitolinische Museum gebrachten Bronzestandbildes des H. (Helbig Führer I² 425) beim Abbruch des [555] Tempels den Anlaß zu dessen Benennung gab. Dieser Abbruch erfolgte unter dem Papste Sixtus IV. (1471–1484). Der Tempel lag, wie die genannten alten Gewährsmänner berichten, bei der Schola Graeca (S. Maria in Cosmedin), und ebendort wurden sowohl beim Abbruch des Tempels wie auch noch im 16. Jhdt., wie aus Angaben des Albertinus und Apianus hervorgeht, die zahlreichen auf den Kult des H. Victor bezüglichen Inschriften von Praetores urbani (CIL VI 312–319) gefunden. Mit Benutzung der nach dem Abbruch erhaltenen Trümmerstücke und des aus der Ruine erkennbaren Grundrisses fertigte Baldassare Peruzzi (1481–1536) unter der Regierung des Iulius II. (1503–1513) eine Zeichnung des Tempels und einiger Architekturstücke an. Sie wurde von de Rossi tav. 3 aus dem cod. Vat. 3439 (Zeichnungen antiker Monumente, ges. v. Fulvio Orsini) veröffentlicht. Wichtig ist für uns besonders die von Peruzzi der Zeichnung beigegebene Angabe, daß die Fragmente gefunden seien avanti al circo massimo in capo al burdeletto al foro boario. de Rossi stellt S. 31 diese und die Äußerungen der anderen alten Topographen zusammen und kommt zu folgendem Ergebnis: Der Tempel lag hinter den Mauern von S. Maria in Cosmedin, genauer gesagt, zwischen diesen und dem Circus Maximus, nach Westen und zwar an der dem Tiber zugekehrten Ecke, während sich der Circus Maximus östlich davon erhob, dicht am Fuße des Aventin.: de Rossi weist sodann (S. 32) von den Praetoreninschriften, die sich zumeist an H. Invictus, nicht Victor, richten, nach, daß sie sich auf den Kult bei der Ara Maxima beziehen. Mit diesen Ergebnissen vergleicht nun de Rossi die o. zusammengestellten antiken Zeugnisse, um festzustellen, um welchen H.-Tempel es sich bei dem unter Sixtus IV. abgebrochenen Rundbau handelt. Zu dessen Lage stimmen durchaus die von Serv. Aen. VIII 271 und Diod. IV 21, 4 über die Lage der Ara Maxima gemachten Angaben (post ianuas circi maximi, παρὰ τὸν Τίβεριν). Auch die Kalenderangabe der Fasti Amiterni und Allifani (CIL I² p. 324): pridie Idus Augustas Herculi Invicto ad circum maximum ist wegen der Ortsangabe und des Beinamens Invictus auf das Heiligtum am Forum Boarium zu beziehen, nicht auf das an der Porta Trigemina. Zu der Rundform des Tempels stimmt die Notiz des Liv. X 23, 3 Pudicitiae Patriciae quae in foro boario est ad aedem rotundam Herculis sowie Prudent. c. Symm. I 120: Nunc Saliis cantuque domus Pinaria templum, collis Aventini convexa in sede frequentat, mit welchen Versen Prudentius auf Aen. VIII 268 anspielt. Von den beiden Tempeln des H. Victor, die Macrob. III 6. 10 erwähnt, ist der zweite (altera in f. b.) auf das vorliegende Heiligtum zu beziehen, dagegen ist das von Tac. ann. XV 41 erwähnte, mit der Ara Maxima aufs engste verbundene, primitive euandreische Fanum natürlich von dem zierlichen Tempelchen, das die Zeichnung Peruzzis wiedergibt, durchaus zu trennen. Ja, es ist, wie de Rossi S. 33 sagt, nicht einmal anzunehmen, daß der Rundtempel später an die Stelle des Fanums getreten sei, doch waren beide so dicht beieinander gelegen, daß Plin. n. h. X 75. XXXV 19 ungenau mit aedes Herculis in foro boario das Heiligtum [556] der Ara Maxima bezeichnete; zu scheiden ist von dem Rundtempel auch die Aedes Pompei Magni. Für die Geschichte des Rundtempels kommt Liv. X 23, 3 (J. 296) nicht in Betracht, da es sich hier nur um eine für die Leser des Livius verständliche Lagebezeichnung handelt. Dagegen verwendet de Rossi für die Zeitbestimmung die bei Macr. III 6, 11 (= Interp. Serv. Aen. VIII 363) nach den Memorialia des Masurius Sabinus erzählte Geschichte von dem Pfeifer M. Octavius Herrenus oder, wie das Cognomen bei dem Interp. Serv. lautet, Hersennus (über die Namensformen. vgl. W. Schulze Zur Geschichte latein. Eigennam. 82. 280. 467; die korrekte Schreibung ist Herennus). Dieser widmete sich, da ihm seine Kunst nicht genug einbrachte, dem Handel, hatte hiermit Erfolg und weihte zum Dank H. den Zehnten von seinem Gewinn. Auf einer späteren Geschäftsreise wird er von Seeräubern überfallen, aber victor recessit. Im Traum belehrt ihn H., daß er seine Rettung ihm zu verdanken habe. Darauf errichtet Octavius auf einem ihm von den Behörden überlassenen Grundstück einen Tempel mit einem Standbild, das die Aufschrift H. Victor trägt. Diese Erzählung kann sich nach de Rossi nur auf den Tempel am Forum Boarium, nicht auf den an der Porta Trigemina, der a. a. O. von Macr. neben jenem genannt wird, beziehen, da nur bei der Ara Maxima die Weihungen des Zehnten stattfanden (s. IIIb). An die Ara Maxima denkt offenbar auch Mamertinus im Paneg. Maxim. 13, wo auf die Erzählung vom Octavius angespielt wird. Dieser Octavius ist nach de Rossis Meinung (S. 34) mit größter Wahrscheinlichkeit mit dem von Macr. III 12, 7 als Verfasser eines Buches ,de sacris saliaribus Tiburtinum‘ genannten Octavius Hersennius gleichzusetzen. Da nach Macr. III 6, 11 Octavius der erste war, der H. den Beinamen Victor gab, so nimmt de Rossi an, daß der von ihm geweihte Tempel jedenfalls älter war, als der von Mummius errichtete (609 = 145; s. u. IV c, 1); seine Gründung fällt nach de Rossi noch ins 6. Jhdt. der Stadt, womit die Nachricht übereinstimmt, daß der Tempel mit Malereien des Pacuvius, der um die Wende des 6. und 7. Jhdts. lebte, geschmückt war. Die von Festus – wenn die Konjektur Scaligers richtig ist – erwähnte Aedes Aemiliana trennt de Rossi von dem Tempel des Octavius, indem er liest für familiana aedisset Herculis: Aemiliana aedes et Herculis. Der Tempel des Octavius wurde möglicherweise beim neronischen Brande zerstört, ebenso wie die Ara Maxima und das Heiligtum des Euander (Tac. ann. XV 41), sodaß der bis zur Zeit Sixtus IV. erhaltene Rundtempel einen Neuaufbau der Kaiserzeit darstellte: jedenfalls weist die unter den Trümmern gefundene H.-Statue auf nachhadrianische Zeit. Nach einem Exkurs über die obenerwähnten Praetoreninschriften wendet sich de Rossi dem zweiten von Macr. erwähnten Tempel des H. Victor (vgl. auch Plut. qu. R. 60), dem an der Porta Trigemina zu. In ihm sieht er das an der Stelle des angeblich von H. selbst dem Iuppiter Inventor geweihten Altars errichtete Heiligtum. Er setzt ihn, wenn auch mit gewissem Vorbehalt, mit dem von Mummius geweihten Tempel des H. Victor gleich und verweist auf ein Münzbild des Antoninus Pius [557] (Eckhel D. N. VII 29, 47), das das Opfer des H. und dahinter einen tetrastylen Tempel zeigt. – Dies der Inhalt der Abhandlung de Rossis, deren Vorzüge und Schwächen sich vielleicht trotz der angewendeten Kürze erkennen lassen. Seine Hauptergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1) Der unter Sixtus IV. abgebrochene Rundtempel am Forum Boarium war die von Liv. X 23, 3 erwähnte Aedes rotunda, bezw. ein Neubau der Kaiserzeit auf gleicher Stelle. Auf denselben Tempel beziehen sich die Stellen: Serv. Aen. VIII 271. Diod. IV 21, 4. Fasti Am. et Allif., CIL I² p. 324. Prudent. in Symm. I, 120. Macr. III 6, 10. 2) Der Tempel lag hinter der heutigen Kirche S. Maria in Cosmedin, d. h. zwischen dieser und dem Circus Maximus, an dessen dem Tiber zugekehrten Westecke, dicht bei der Ara Maxima. 3) Kr wurde durch M. Octavius Herennus um die Wende des 6. und 7. Jhdts. als Tempel des H. Victor gegründet und von Pacuvius mit Malereien versehen. 4) Beim neronischen Brande ging er wahrscheinlich zu Grunde, wurde aber nach dem alten Vorbilde wieder aufgebaut. 5) Zu unterscheiden von diesem Rundtempel sind a) das mit der Ara Maxima aufs engste verbundene sog. Heiligtum des Euander, b) die von Aemilius Paulus erbaute Aedes Aemiliana, c) der wahrscheinlich von Mummius erbaute Tempel an der Porta Trigemina.

Von de Rossi nimmt füglich alles seinen Ausgangspunkt, was seitdem über die Topographie der H.-Heiligtümer am Forum Boarium geschrieben ist, besonders folgende Abhandlungen: a) Klügmann Arch. Ztg. XXXV 107; b) R. Peter Roschers Myth. Lex. I 2, 2901; c) Hülsen Dissert. della pontif. accad. Romana Ser. II Tom. 6, 231, Rom 1896; d) Wissowa Ges. Abh. 260; e) Jordan Top. I 2, 477. Als Ergebnis dieser Untersuchungen ist erstens hervorzuheben die von Hülsen festgestellte genauere Lagebezeichnung des Rundtempels, wodurch Punkt 2 der oben aufgestellten Ergebnisse de Rossis richtiggestellt wird. Auf Grund neuerer Untersuchungen der in der Kirche S. Maria in Cosmedin eingebauten antiken Reste sowie einer Nachprüfung der Angaben des Pomponius Laetus und Albertinus und Heranziehung weiterer Zeugen aus dem 16. Jhdt. kommt Hülsen zu dem Ergebnis, daß die von den alten Topographen gebrauchten Ausdrücke post muros scholae Graecae (Laetus) und post ecclesiam S. Mariae in Cosmedin (Alb.) nicht vom Forum Boarium, also östlich der heutigen Kirche, gegenüber den Carceres des Circus Maximus, sondern von Süden her zu verstehen seien. Somit lagen die Ara Maxima und der Tempel vom Forum Boarium, der heutigen Piazza della bocca di verità aus gesehen, nicht hinter, sondern neben der Kirche, ungefähr da, wo die heutige Via della bocca di verità auf den gleichnamigen Platz einmündet. Dies wird bestätigt durch die Anmerkung des Cittadini (vgl. CIL VI 2215) zur Inschrift des Aedituus P. Vettius Philologus: in basi lapidis Tiburtini effossa a. 1590 in foro boario inter aedem rotundam et aedem S. Mariae scholae Graecae, ubi erat Ara Maxima Herculis Victoris. Damit ist die von Jordan (S. 479) gegebene Lagebezeichnung, die sich ziemlich mit der de Rossis deckt, widerlegt.

[558] Am meisten angefochten wird de Rossis Lesung der verderbt überlieferten Festusstelle p. 242: ubi Aemiliana (Scal., familiana Hs.) aedis et (de R., aedisset Hs., aedis est Scal.) Herculis. Über die Bedeutung dieser Aedes Aemiliana spricht sich de Rossi nicht näher aus. Preller R. M. II³ 296 sieht darin eine Art Familienheiligtum des H. Victor, nach dem Triumphe des Siegers von Pydna gestiftet. Sonst hat kein Neuerer de Rossis Konjektur aufgenommen, vielmehr teilten sich die Meinungen zwischen Scaligers und Mommsens Emendation. Dieser (CIL I p. 150) schreibt familia edisset (od. sedisset) Herculis, ihm folgten Jordan und Hülsen. Doch darf diese Lesart heute wohl als abgetan gelten. Klügmann wies schon darauf hin, daß auch Liv. X 23, 3 wie Festus das Sacellum Pudicitiae als der Aedes rotunda benachbart nennt, ferner, daß die Ausmalung des Tempels durch Pacuvius offenbar auf Veranlassung von dessen Gönner, Aemilius Paulus, erfolgt sei (Urlichs Malerei in Rom 17). Es war natürlich, daß dieser das Heiligtum des H. Invictus reich ausstattete, da er diesem Gotte seinen Sieg bei Pydna zu verdanken glaubte (Plut. Paul. 17. 19). Derselben Ansicht sind Peter und Wissowa, der der von Klügmann beigebrachten Entsprechung Aedes Iovis Metellina (Fest. p. 363) noch die Aedes Honoris et Virtutis Mariana (Vitruv. III 2, 5. VII praef. 17) und die Aedes Iovis Mariana (Val. Max. I 7, 5) hinzufügt. Auch vervollständigt Wissowa Klügmanns Beweisführung durch den Hinweis auf die sachlichen und grammatischen Unmöglichkeiten der Lesung Mommsens. Mit dieser Feststellung ist für die Erbauungszeit des Rundbaus freilich nichts gewonnen, da nicht zu entscheiden ist, ob der Tempel von Aemilius erbaut oder nur ausgeschmückt wurde, wiewohl Peter ersteres behauptet. Andrerseits wird de Rossis Zeitansetzung sehr erschüttert durch die von Wissowa geübte Kritik an der Erzählung von dem früheren Flötenbläser und späteren Großkaufmann M. Octavius Herennus (Punkt 3). Diesen setzte de Rossi mit dem Verfasser des Buches de sacris saliaribus Tiburtinum gleich. Wissowa lehnt dies als unbegründet ab, sieht jedoch infolge der Namensgleichheit in dem Pfeifer ebenfalls einen Bürger von Tibur, wo ein uralter Kult des H. Victor in Blüte stand (s. u. VIa). Wissowa faßt die Geschichte als Gründungssage des H.-Tempels in Tibur auf, indem er mit Recht die auf Rom bezüglichen Schlußworte nicht mehr dem Masurius, sondern dem Macrobius selbst (Subj. Vergilius) zuweist (dedit ergo epitheton deo, quo et argumentum veterum victoriarum Herculis et commemoratio novae historiae, quae recenti Romano sacro causam dedit, contineretur). Octavius hat also aus der Geschichte der römischen H.-Tempel gänzlich auszuscheiden. Damit werden die Annahmen de Rossis über die Erbauungszeit des Rundtempels und die Klügmanns, der in Octavius den Gründer des Tempels an der Porta Trigemina sieht, hinfällig. Auch Richter, Top.² S. 188, 1 folgt Wissowa Darstellung.

Fast alle Forscher seit de Rossi sehen in dem Rundtempel den H.-Tempel am Forum Boarium, der neben der Ara Maxima selbst die größte Bedeutung gewonnen habe. (Die Rundform erklärt Peter daraus (S. 2910), daß der [559] Tempel nach dem Vorbild des Euanderheiligtums angelegt worden sei, welches entsprechend dem ältesten italischen Bauernhause wahrscheinlich rund gewesen sei, vgl. Helbig Bull. d. Inst. 1878, 9; Die Italiker in der Poebene 50; eine sichere Entscheidung dieser Frage ist kaum möglich). So wird allgemein die Kalendernotiz zum 12. August (CIL I² p. 324: Herculi Invicto ad circum Maximum) auf diesen Tempel bezogen. Diese bevorzugte Stellung wird von Wissowa a. a. O. (vgl. Rel. d. R. 223) erschüttert. Er geht davon aus, daß der von Plin. n. h. XXXIV 57 und Vitr. III 3, 5 erwähnte Tempel des H. Pompeianus die Bezeichnung ad oder apud circum maximum führt. Auch die Reste dieses Tempels, auf den de Rossi nicht näher eingeht, sind, wie Hülsen (Dissertazioni 271) nachweist, in die Kirche S. Maria in Cosmedin eingebaut worden. Nun zeigt die Beschreibung des Tempels bei Vitruv deutlich, daß es sich hier um einen lange vor Pompeius gebauten, nicht runden, sondern etruskischen, rechteckigen Tempel handelt, der mit Tonbildern von altertümlicher Art geschmückt war (vgl. Urlichs Archäol. Analekten, Würzb. 1885, 18, wo zum ersten Male Pompeius nicht als Erbauer, sondern Wiederhersteller des Tempels bezeichnet wird). Der von Plin. n. h. XXXV 157, vgl. Mart. XIV 178, erwähnte H. fictilis des Volcas aus Veii gehörte offenbar zu diesem Tempel. Den Namen Pompeianus erhielt er wahrscheinlich infolge einer Erneuerung oder der Schenkung der Statue Myrons, die Plinius erwähnt, durch Pompeius. Dieser wurde von seinen Schmeichlern wegen seiner über die ganze Welt verbreiteten Taten mit H. verglichen (Plin. n. h. VII 95), und ein Denar Sullas, der dem Pompeius zu Ehren geprägt wurde, zeigt auf der Vorderseite einen H.-Kopf (Cohén Méd. cons. Taf. 15 S. 107. 112. Mommsen Gesch. d. röm. Münzw. 628. Babelon Monn. républ. I 423). Bei Pharsalus hieß die Losung der Pompeianer H. Invictus (Appian. II 76). Die myronische Statue identifiziert Stephani Der ausruhende Herakles 193 mit der von Verres aus Messana geraubten des Hesus (Cic. Verr. II 4, 4); dagegen Urlichs Chrestom. Plin. 139. Wissowa versteht die oben angegebene Kalendernotiz nicht von dem Rundtempel, sondern wegen des Zusatzes ad circum maximum von diesem Langtempel, da die streng amtliche Ausdrucksweise der Fasten eine Beziehung auf jenen nicht zulasse, der immer die Lagebezeichnung in foro boario trägt. Der 12. August war also der Tag der Begründung oder Neueröffnung dieses Tempels, und zwar ist letzteres wahrscheinlicher, da dieser Tag auch der Einweihungstag des Tempels der Venus Victrix war, den Pompeius im J. 54 eröffnete (Tertull. de spect. 10. Plin. n. h. VIII 20. CIL I² p. 324). Jedenfalls zeigt die Kalendernotiz, daß nicht der Rundbau, sondern der rechteckige Tempel des Pompeius der des H. Invictus war. Für den 13. August bemerken die Fasti Allifani (a. a. O.) Herculi Invicto ad portam trigeminam. Damit haben wir die beiden von Macrobius und Plutarch erwähnten Tempel des H. Invictus. Wenn Macrobius den ersten als in foro boario gelegen bezeichnet, so ist dies eine Ungenauigkeit, die durch das enge Zusammenliegen des Rundtempels und [560] des H. Pompeianus noch entschuldbarer wird. Eine ähnliche Ungenauigkeit begeht Macrobius, wenn er H. hier den Beinamen Victor beilegt, da H. bei der Ara Maxima und den benachbarten Heiligtümern amtlich als H. Invictus verehrt wurde (s. IIIa).

Fassen wir alles über die Kultstätte bei der Ara Maxima Gesagte zusammen, so gewinnen wir mit großer Wahrscheinlichkeit folgende Hauptergebnisse: 1) Die älteste Kultstätte des H. war die am Forum Boarium gelegene Ara Maxima mit dem sog. Fanum des Euander. 2) Südlich von ihr lagen a) der rechteckige Tempel des H. Invictus ad circum maximum (Hercules Pompeianus, Gründungstag 12. August), b) der bis auf die Zeit Sixtus IV. erhaltene Rundtempel (Aedes Aemiliana). c) der Tempel des H. Invictus an der Porta Trigemina (Gründungstag 13. August).

III. Kult des Hercules Invictus am Forum Boarium.

a) Der in den Heiligtümern am Forum Boarium verehrte H. führt bald den Beinamen Invictus bald Victor. Die auf das jährliche Staatsopfer bei der Ara Maxima bezüglichen Praetoreninschriften (CIL VI 312–319, s. u.) bieten bis auf die metrisch abgefaßte Inschrift 319 den Beinamen Invictus, ebenso die Kalendernotizen, die sich auf das Opfer am 12. August beziehen (s. o.) Macr. III 12, 6 ist von Mommsen (CIL I p. 150) das unverständliche de multo Hercule unzweifelhaft richtig gelesen worden de Invicto Hercule, sodaß also auch Varro in der Satire ἄλλος οὗτος Ἡρακλῆς (frg. 2, S. 99 Riese; frg. 20 Büch.) diesen Beinamen gebraucht hat. Andrerseits findet sich in der Weihinschrift des Mummius, die an Alter die genannten inschriftlichen und kalendarischen Zeugnisse weit überragt, der Beiname Victor. Trotzdem ist es nicht statthaft, den Beinamen Victor auch für den auf dem Forum Boarium verehrten H. als den älteren zu erklären, wie Peter (S. 2923) tut, denn bei der Starrheit der sakralen Formen, wie sie in den Inschriften und Kalendernotizen vorliegen, ist kaum anzunehmen, daß hier ein Übergang von Victor zu Invictus eingetreten sei. Wenn Macr. III 6, 10 sagt, daß es in Rom zwei Tempel des H. Victor gebe und damit, wie oben gezeigt, den sog. H. Pompeianus und den an der Porta Trigemina meint, so ist dies als nachlässige Ausdrucksweise des Schriftstellers zu erklären, der die besonders durch den Gebrauch der Dichter in Aufnahme gekommene Beinamensform Victor (vgl. Wissowa Ges. Abh. 264) für das offizielle Cognomen Invictus einsetzte. Victor wurde H. am Forum Boarium offenbar wegen der Besiegung des dort hausenden Cacus genannt. (Eine allgemeinere Begründung gibt Varro bei Macr. III 6, 10). Dieser Beiname wird umsomehr an Verbreitung gewonnen haben, je allgemeiner diese ursprünglich griechische Sage Aufnahme fand. Außerhalb Roms finden wir dasselbe Schwanken zwischen Invictus und Victor, wie die von Peter S. 2923 aufgezählten inschriftlichen Zeugnisse beweisen (s. jedoch das Abschn. VIa über die Beinamen des H. von Tibur Gesagte).

Die von Verg. Aen. VIII 102ff. 268ff. geschilderte Opferfeier des Euander an der Ara Maxima dürfte in ihren Hauptzügen dem noch zur Zeit [561] des Dichters gebräuchlichen Verlauf entsprechen. Als Hauptpersonen bei diesem Opfer treten bei Vergil der Stifter des Hauses der Potitier und die Familie der Pinarier auf (268: ex illo celebratus honos, laetique minores Servavere diem primusque Potitius auctor Et domus Herculei custos Pinaria sacri. 281: Iamque sacerdotes primusque Potitius ibant). Die weiteren auf die Priesterschaft der Potitier und Pinarier bezüglichen Zeugnisse s. bei Schwegler R. G. I 353; vgl. CIL VI 313. Die Mehrzahl von ihnen gibt an, daß H. selbst oder Euander diese beiden Geschlechter, die damals zu den vornehmsten gehörten (Liv. 17, 12: quae tum familiae maxime inclitae ea loca incolebant), in die bei dem Opfer an der Ara Maxima anzuwendenden Gebräuche eingeweiht habe. In den Worten Vergils ist angedeutet, daß die Sage den Potitiern die vorwaltende Stellung bei dem Opfer zuschrieb, während die Pinarier eine mehr untergeordnete Rolle als custos sacri spielten. Dieser Umstand und allerlei Vermutungen über die Ableitung der beiden Namen führten dazu, daß verschiedene ätiologische Legenden aufkamen. Die verbreitetste von ihnen (Serv. Aen. VIII 269f. Mythogr. Vat. III 13, 7. Macr. III 6, 14. Festus p. 237. Origo gent. Rom. 8. Liv. I 7, 12. Plut. quaest. rom. 60. Dion. Hal. I 40, 4) besagt, daß bei der Einsetzung der Opferfeier Pinarius sich verspätet habe und erst eingetroffen sei, als die exta schon dargebracht waren. Zur Strafe habe H. bestimmt, daß die Pinarier in Zukunft von den Opfermahlzeiten an der Ara Maxima ausgeschlossen bleiben und nur zu den untergeordneten Diensten bei der Feier zugelassen werden sollten. So erkläre sich auch der Name Pinarii (ἀπὸ τῆς πείνας), denn vorher, so sagt Servius, habe Pinarius anders geheißen. Andrerseits leitete man (Interp. Serv. Aen. VIII 270) den Namen Potitius von potiri ab, indem man erzählte, bei dem ersten Opfer habe Potitius versehentlich an Stelle des anzurufenden Gottes, offenbar des Iuppiter Inventor, den H. selbst genannt. Dieser habe das Omen angenommen und dem Potitius und seinen Nachkommen das Priesteramt an der Ara Maxima übertragen. Ihr Name erkläre sich quod auctor eorum epulis sacris potitus sit, wobei freilich nicht verraten wird, wie er vordem geheißen habe. All das sind natürlich nichts anderes als Versuche, die von Vergil angedeutete Verteilung der priesterlichen Obliegenheiten und dessen Ausdruck domus Herculei custos Pinaria sacri zu erklären. Diesem Zwecke dient auch die Angabe des Interp. Serv. Aen. VIII 269. Macr. III 6, 12, daß die Pinarier bei einem Brande die Ara Maxima gerettet und sich so den Namen custos verdient hätten, sowie der Hinweis bei Serv. Aen. VIII 269 auf Verg. Aen. XI 836, wo custos in dem Sinne von ministra gebraucht sei. Bemerkenswert ist, daß Diod. IV 21, 2 von einer Beteiligung der Pinarier bei dem Opfer nichts berichtet, sondern den Pinarius nur neben Kakios als Wirt des H. bei dessen Ankunft in Latium nennt und darauf hinweist, daß noch zu seiner Zeit das Geschlecht der Pinarier bestand. Versuchen wir aus diesem Wust ätiologischer und etymologischer Scheinweisheit das Tatsächliche herauszuheben, so kann wohl als feststehend betrachtet werden, daß der [562] Dienst an der Ara Maxima ursprünglich den zwei patrizischen Gentes der Potitii und Pinarii überwiesen war. Selbstverständlich wurde damit der Kult des H. Invictus nicht zu einem sacrum privatum, zu welcher Annahme der Ausdruck des Liv. I 7, 12: sollemne familiae ministerium und IX 29, 9 familiare sacerdotium, vgl. Val. Max. I 1, 17: ritum hereditarium, verleiten könnte. Dies zeigt schon sein Fortbestehen nach dem Aussterben der Potitier und seine Übernahme durch den Praetor urbanus und die Staatssklaven (s. u.). Vielmehr handelt es sich um einen der zahlreichen Fälle, wo die Ausübung eines Staatskultes einem Geschlecht übertragen wurde (vgl. Arnob. III 38: solere Romanos religiones urbium superatarum partim privatim per familias [fälschlich für gentes angewendet] spargere partim publice consecrare. Mommsen de coll. et sodal. 7. Marquardt Röm. St.-V. III² 131. Wissowa Rel. d. Röm. 340). Ferner ist als Tatsache festzuhalten, daß die Potitier die eigentlichen Träger des Kults waren, während die Pinarier mit dem niederen Opferdienst und der Aufsicht des Heiligtums betraut waren. Sie hatten die Obliegenheiten des Aedituus bei der Ara Maxima wahrzunehmen. So bedeutet der von Vergil absichtlich gewählte Ausdruck custos CIL III 1158. VI 435. IX 1609 geradezu dasselbe wie aedituus. Tatsache ist ferner, daß Appius Claudius als Censor im J. 312 den Kult an der Ara Maxima in der Weise umgestaltete, daß er die Obliegenheiten der beiden Geschlechter den Staatssklaven übertrug, deren Verwendung im Kulte ja sehr gewöhnlich war, (Mommsen St.-R. I³ 325). Die Angabe des Serv. Aen. VIII 179, Appius habe die sacra in libertos übertragen, ist nur durch die vorhergehende Nennung der liberti (in sacris Herculis nec servi intererant nec liberti) zu erklären und demnach wertlos. Dieselbe Stelle enthält eine ebenfalls durch Nachlässigkeit entstandene Verwechslung der Pinarier und Potitier. In der Überlieferung wird fast einstimmig berichtet, daß Appius die Potitier durch Bestechung zum Rücktritt bewog (Interp. Serv. Aen. VIII 269. Macr. III 6, 12. Aurel. Vict. de vir. ill. 34, 3. Origo 8, 5. Fest. p. 237 nennt sogar die Bestechungssumme 50 000 As). Eine Bestechung wird nicht erwähnt von Liv. IX 29. 9. Val. Max. I 1. 17. (vgl. Lact. II 7, 15 aus Val. Max. Die Worte adversus responsum, die sich in einer Handschrift des Lact. finden, sind übrigens nicht, wie Peter S. 2925 angibt, ein Zusatz, sondern eine Verschreibung für ad servos publicos). Dion. Hal. I 40 erwähnt ebenfalls die Neuordnung des H.-Kultes und eine damit zusammenhängende Epiphanie des H.; die spätere genauere Darstellung dieser Ereignisse, auf die er verweist, ist nicht erhalten. Der Eintritt der Staatssklaven für die Potitier und Pinarier bleibt unverständlich, wenn damit nicht die Übernahme der Opferleitung durch den Praetor verbunden wird, was in den angezogenen Stellen nicht der Fall ist. Denn selbstverständlich waren die Sklaven als solche unfähig, bei einem Sacrum publicum als Priester zu fungieren; ihnen blieben die untergeordneten Dienste überlassen, die Torher in erster Linie die Pinarier versehen hatten, während die Obliegenheiten der Potitier wenigstens zum größten Teil eben an [563] den Prätor übergingen. Das Geschlecht der Pinarier blühte noch lange (Mommsen Röm. Forsch. I 116. Prosop. Imp. Rom. III 39. Der Verfasser der Origo sagt, nach dem Aussterben der Potitier hätten die Pinarier ihre alten Obliegenheiten behalten. Es ist dies eine ebenso sinnlose Behauptung wie die Angabe desselben Verfassers, daß Appius die Potitier verleitet habe, entgegen den Satzungen Frauen zum Kult des H. zuzulassen. Mit Unrecht schenkt Halkin Mus. Belge VI 172 unter Berufung auf Prudent. c. Symm. I 120 der Angabe der Origo Glauben), dagegen starb das der Potitier nach der Zensur des Appius auffallend schnell ab. Auch an diese Tatsache knüpfen sich zahlreiche Legenden, die sie als die Wirkung göttlichen Zorns erklären. Liv. IX 29, 15 erzählt, die aus 12 familiae mit 30 puberes bestehende Gens sei innerhalb eines Jahres ausgestorben, ähnlich Val. Max. Lact. a. a. O.; nach Festus a. a. O. und Origo 8, 6 geschah dies sogar innerhalb von 30 Tagen. Auch die Erblindung des Appius wurde auf diese Ursache zurückgeführt, wie dieselben Zeugnisse besagen. Man darf wohl annehmen, daß die Erklärung des Aussterbens der Potitier als göttliche Strafe eine sekundäre, an die Erblindung des Appius angeglichene Erfindung ist, da für das Fortbestehen der Pinarier keinerlei Gründe angeführt werden. Andrerseits liegt kein Grund vor, die Hinzuziehung der Staatssklaven erst nach dem Aussterben der Potitier anzusetzen und durch dieses als benötigt zu erklären, wie dies Gilbert Gesch. und Top. I 81 tut, da dann eher die Pinarier in die Stelle der Potitier hätten einrücken können. Auch die mythologische Erklärung Schweglers (R. G. I 370), der von der Etymologie der Namen ausgeht, ist abzulehnen, da mindestens von den Pinariern urkundlich feststeht, daß es ein Geschlecht dieses Namens in Rom gab. (Übrigens ist das Sprichwort stultior es barbaro Poticio Plant. 4 Bacch. 123. Fest. p. 217, bisher weder von den Herausgebern noch von Otto Sprichw. d. Röm. 285 genügend erklärt. Auch Büchelers etymologischer Erklärungsversuch: poticius adj. etwa = pusillus ist wenig einleuchtend). Welche Gründe Appius zu der Neuordnung bewogen, ist nach dem vorliegenden Material nicht mehr festzustellen, denn Niebuhrs Ansicht(R. G. III 362), der sie auf ein Gebot Delphis zurückführt, entbehrt der urkundlichen Begründung.

Der Tag des alljährlich vom Praetor vollzogenen Opfers wird nicht ausdrücklich überliefert. Man nimmt im allgemeinen an, daß es der 12. August war, zu dem die Fasti Allifani und Amiterni (s. o.) anmerken: Herculi Invicto ad circum maximum. Wie oben gezeigt, ist unter dem H.-Tempel am Circus Maximus wahrscheinlich der von Pompeius erneuerte Tempel gemeint, der dicht bei der Ara Maxima und dem Rundtempel lag. Der in der Nähe gelegene Tempel bei der Porta Trigemina beging nach den Fasti Allifani seinen Stiftungstag am 13. August. Die Fasti Vallenses (CIL I² p. 240) bemerken zum 12. August: Heruli Magno Custodi in circo Flaminio; es handelt sich, wie Wissowa Ges. Abh. 266 ausführlich nach Mommsen CIL I² p. 324 begründet, um einen Irrtum des Steinmetzen, der den Stiftungstag des Tempels an der Ara Maxima mit [564] dem des H. Magnus Custos (4. Juni, s. Fasti Venusini CIL I² p. 221) verwechselte. Zu der Annahme, daß der 12. August der Tag des praetorischen Opfers war, berechtigt vor allem der römische Brauch, daß die neben den ursprünglichen Heiligtümern und Altären später erbauten Tempel den Jahresfesttag von diesen übernahmen (vgl. Aust De aedib. sacr. 34). Opfertier war für das praetorische Opfer ein Rind. Über dessen Geschlecht gehen die Nachrichten auseinander. Ovid. fast. I 579 läßt den H. nach der Tötung des Cacus dem Juppiter Inventor einen taurus opfern, ebenso ist Verg. Aen. VIII 180 bei dem Opfer an der Ara Maxima von tauri die Rede, und Interp. Serv. Aen. VIII 183 sagt: ad aram maximam aliquid servari de tauro nefas est; nam et corium eius mandunt. Dagegen spricht Liv. I 7, 12 von einer eximia bos und Varro de l. l. VI 54 mit ausdrücklicher Beziehung auf das prätorische Opfer von einer iuvenca. Bei Dion. Hal. I 39. 40 ist offenbar δαμάλιν in δαμάλην zu ändern. Größere Wahrscheinlichkeit scheint mir für die Annahme eines männlichen Opfertieres vorzuliegen. Denn nach altrömischem Zerimonialgesetz richtete sich das Geschlecht der Tiere nach dem der angerufenen Gottheit (Arnob. VII 19. Krause De Romanorum hostiis, Marb. 1894, 19). Auch wenn man diesen Grundsatz für H. als nicht ursprünglich römische Staatsgottheit nicht gelten läßt, bleibt doch die Wahrscheinlichkeit bestehen, daß ihm ein Stier oder Ochse geopfert wurde, da auch im griechischen Gebrauche, wo sonst jene Regel häufig durchbrochen wird, Herakles nur männliche Opfertiere erhält (Stengel Opferbr. 194). Es läge dann in den Ausdrücken bei Liv. und Varro eine Ungenauigkeit vor; die Änderung iuvencum statt iuvencam bei Varro, wie sie Peter S. 2927 für nötig hält, scheint mir nicht zulässig, da man dann auch bei Liv. eximio statt eximia schreiben müßte. Bei dem Opfer benutzte der Praetor zur Spende einen mit Pech gedichteten, alten Holzbecher, der in einem der Heiligtümer bei der Ara Maxima aufbewahrt wurde. Angeblich war dies der Becher, den H. selbst mitgebracht und bei Euander zurückgelassen hatte. (Serv. Aen. VIII 278). Eine Abbildung dieses Bechers will Fröhner auf einem Medaillon des Antoninus Pius sehen, das die Bewirtung des H. bei Euander darstellt (Les méd. de l’emp. rom. 58). Der Becher findet sich häufig als Attribut des H. oder allein auf bildlichen Darstellungen des H. bei Griechen und Römern (s. das reichhaltige Material bei Peter S. 2912,wo auch weitere Literatur angegeben ist. Hinzuzufügen ist die Darstellung eines Scyphos über der Nische des am Monte Verde aufgefundenen H.-Kapellchens, Abb. Röm. Mitt. VI 149; s. u. IVc 5), zum Teil wohl mit Anspielung auf den Sonnenbecher, in dem der Sage nach H. zu Geryones fuhr. Außer diesem Becher wurde auch eine Keule als Reliquie bei der Ara Maxima gezeigt (Solin. I, 11), deren Geruch die Hunde verabscheuten, wie überhaupt angeblich weder Hunde noch Fliegen sich dem Heiligtum an der Ara Maxima zu nahen wagten (Plin. n. h. X 79. Plut. q. r. 90.) Solin a. a. O. erzählt, daß H. bei dem Einsetzungsopfer den Gott Myiagrus gegen die Fliegen angerufen habe; vgl. Clem. Alex, protr. II 38. Über den griechischen Herakles [565] als Beseitiger der Stechmückenplage in Olympia durch Stiftung eines Altars des Zeus ἀπομύιος s. Paus. V 14, 1. Über den elischen Myiacores und den arkadischen Myiagros vgl. Plin. n. h. X 75. Pausan. VIII 26, 7. Gruppe Griech. Myth. II 1107, 1. Es liegt also der römischen Tempellegende deutlich eine griechische Sage zu Grunde. Der Praetor trug beim Opfer an der Ara Maxima einen Lorbeerkranz, ebenso das an den Opfermahlzeiten teilnehmende Volk (Macr. III 12, 2. Serv. Aen. VIII 276). In der Beschreibung der Opferfeier Euanders bei Vergil heißt es dagegen v. 276f.: Dixerat: Herculea bicolor cum populus umbra Velavitque coma foliisque innexa pependit. Macr. und Serv. z. d. St. bemerken, auf Varro sich berufend, das Pappellaub im Kulte des H. sei erst lange nach der Gründung Roms durch den Lorbeer verdrängt worden, nachdem auf dem Aventin ein Lorbeerhain herangewachsen sei, andrerseits berichtet Dion. Hal. I 40, 2 das Volk habe nach der Tötung des Cacus den H. und sich selbst mit Lorbeer, der in der Gegend reichlich wuchs, bekränzt. Wissowa Rel. d. R. 222 ist geneigt, hierin, sowie in anderen Einzelheiten, die bei Vergil abweichend von dem späteren Brauch berichtet werden, Spuren einer älteren Form des H.-Kultes zu sehen, wie er bis zu der Neuordnung durch Appius Claudius in Übung gewesen sei. Denn auch von Saliern, die, in zwei Halbchöre von Jünglingen und älteren Männern geteilt, durch ihre Lieder die Taten und den Ruhm des H. feierten (Verg. Aen. VIII 285), und von der aus Fellen bestehenden Kleidung der Priester (v. 282) ist in historischer Zeit nichts bekannt. Dagegen wurde in Tibur H. Victor in der Tat durch Salier verehrt (s. u. VIa), und es ist wohl anzunehmen, daß Vergil bei seiner Schilderung den Verlauf des H.-Opfers im Auge hatte, wie er noch zu seiner Zeit in Tibur geübt wurde. Dort mochte auch Pappellaub zur Bekränzung der Opfernden benuzt werden, und es ist bemerkenswert, daß Vergil auch von den Saliern v. 286 sagt, sie hätten Pappelkränze getragen. Über die Pappel als heiligen Baum des Herakles s. u. a. Cook Folklore XV 422. Unentschieden muß die Frage bleiben, ob auch im vorappischen Kult des H. in Rom Salierchöre, Pappellaub und Fellbekleidung in Gebrauch waren. Wissowa a. a. O. hält dies für wahrscheinlich und gibt als mögliche Begründung dafür an, daß die Potitier und Pinarier wahrscheinlich aus Tibur stammten, indem er auf die tiburtinische Inschrift eines Cn. Pinarius Severus, Consuls unter Trajan, hinweist, CIL XIV 3604. Doch genügt diese eine Inschrift wohl kaum, zumal der Name Pinarius auch für andere Teile des römischen Reiches inschriftlich belegt ist (s. auch W. Schulze Zur Gesch. lat. Eigenn. 366. 416, wo eine Ableitung des Namens Pinarius aus dem Etruskischen als möglich erwiesen wird. Über den Namen Potitius s. ebd. 216). In den Nachrichten über das prätorische Opfer an der Ara Maxima wird hervorgehoben, daß es ritu Graeco vollzogen wurde (Varro bei Macr. III 6, 17. Interp. Serv. Aen. VIII 276. Liv. I 7, 3. Strab. V 3,3. Dion. Hal. I 40, 3). Begründet wird dies mit der griechischen Herkunft des Herakles bezw. des Euander, der Begründer des Opfers. Als Hauptmerkmal des griechischen [566] Zeremoniells wird angeführt, daß der Prätor unbedeckten Hauptes opferte, während beim Kult der heimischen Götter bekanntlieh Verhüllung des Hauptes geboten war (Macr. III 6, 17, wo aus Gavius Bassius notiert ist, daß erst Aeneas die Sitte der velatio capitis eingeführt habe. Quelle dafür ist offenbar Varro, wie oft bei Gavius Bassus. s. Samter Quaestiones Varronianae, Berl. 1891, 12; vgl. Interp. Serv. Aen. III 407. VIII 276. Dion. Hal.XII 22. Fest. p. 322. Plut. quaest. rom. 11). Auch für diesen Brauch fehlt es nicht an einem αἴτιον. Macr. a. a. O. und Interp. Serv. III 288 führen ihn darauf zurück, daß man es vermeiden wollte, die Haltung des Gottes, der in seinem Kultbilde operto capite dargestellt war, nachzuahmen. Dieselbe Abweichung vom altrömischen Ritual ist für den Kult des Saturnus und des Honos belegt (s. d.). Über den Kult des Honos ist nichts Näheres bekannt, die Nachrichten über den des Saturnus beziehen sich sämtlich auf eine Zeit, in der das griechische Ritual denselben völlig beherrschte (Wissowa Rel. d. R. 169). Auch im vorliegenden Fall handelt es sich wohl nicht, wie Peter S. 2928 vermutet, um einen Rest uralten römischen Opferbrauchs, sondern vielmehr um einen Bestandteil griechischen Rituals, der in das Opfer eindrang, vielleicht unter dem Einfluß anderer, rein griechischer H.-Kulte in Rom (s. u. IV). Eine andere Abweichung vom römischen Zeremoniell liegt darin, daß beim Opfer für H. die übliche Anrufung aller Gottheiten unterblieb (Plut. quaest. rom. 90, gemeint ist auch an dieser Stelle, wie der weitere Inhalt des Abschnittes ergibt, das Opfer an der Ara Maxima), ferner in der Sitte der Zehntendarbringungen und Volksbewirtungen. Andrerseits ist ein wichtiges Element des ritus Graecus, das Lectisternium, vom Kult an der Ara Maxima ausdrücklich ausgeschlossen (Macr. III 6, 16: Cornelius Balbus Ἔξηγητικῶν libro octavo decimo ait apud aram maximam observatum ne lectisternium fiat. Serv. Aen. VIII 176). Alle für Rom belegten Lectisternien beziehen sich auf andere Heiligtümer, in denen von Anfang an das griechische Ritual galt. Daß Klügmann Arch. Ztg. XXXV 107 die von Livius XXI 62, 9 berichtete Supplicatio, ebenfalls ein griechischer Brauch, fälschlich dem Forum Boarium zuweist, ist oben (IIb) gesagt worden. Weitere Einzelbestimmungen für das Opfer bei der Ara Maxima, über deren griechischen oder römischen Ursprung mit Sicherheit nichts festgestellt werden kann, sind: Der Ausschluß der Frauen (Macr. I 12. 28. Gell. XI 6, 2. Plut. quaest. rom. 60. Prop.V 9, 69; Tertull. ad nat. II 7 berichtet Ähnliches vom H.-Kult in Lanuvium. Vgl. Paul. p. 82: lictor in quibusdam sacris clamitabat hostis, vinctus, mulier, virgo exesto). Die Legende führt das Verbot auf H. selbst zurück, der nach der Tötung des Cacus von den Frauen, die in der Nähe das Fest der Bona Dea feierten, mit seiner Bitte um einen Trunk abgewiesen wurde. Aus Zorn darüber habe er den Potitiern und Pinariern befohlen, in Zukunft keine Frauen zu seinem Opfer zuzulassen. Andere Aitia bei Plut a. a. O., vgl. Origo 6. Über den Ausschluß von Frauen, vom Opfer an Silvanus s. IX d, in griechischen Kulten vgl. Lobeck Agl. 1096. Leg. sacr. ed. Ziehen-Prott II 1. 105. 117. [567] Dion. Hal. IV. 25. Artemid. on. IV 4. Ferner der Ausschluß von Sklaven und Freigelassenen (Serv. Aen. VIII 179) und die Sitte, beim Opferschmause zu sitzen (Macr. III 6, 16. Auf dem oben erwähnten Medaillon des Antoninus Pius, abgebildet bei Peter S. 2290, sitzen die Teilnehmer) und von dem Opferschmause nichts übrig zu lassen (Interp. Serv. VIII 183. Die Angabe des Serv. z. d. St., daß das Fleisch des Stieres verkauft und zum Ankauf eines neuen verwendet wurde, ist offensichtlich eine törichte Erfindung zur Erklärung des Ausdrucks Vergils perpetui tergo bovis, s. Wissowa Rel. d. R. 226, 7). Die mehrfach erwähnten Prätoreninschriften CIL VI 312–319, die bis auf die letzte an der Stelle der Ara Maxima gefunden worden sind, lassen erkennen, daß das prätorische Opfer bis in die Zeit Constantins geübt wurde. (Über die Zeit der Inschriften vgl. de Rossi a. a. O. und Mommsen zu den einzelnen Inschriften). Ob es noch länger bestand, ist mit Sicherheit nicht festzustellen, de Rossi schließt aus Macr. III 12, 2 videmus, daß es zur Zeit dieses Schriftstellers, im Anfange des 5. Jhdts., noch in Kraft stand.

b) Eine hervorragende Rolle im religiösen Leben der älteren Zeit spielt die Ara Maxima insofern, als sich an sie die Sitte der Darbringung des Zehnten (decuma, decumae) knüpft. Wie die Errichtung des Altares, so wurde auch dieser Brauch auf H. selbst zurückgeführt. Plut. quaest. rom. 18 führt neben anderen Aitia an, daß H. in Rom (!) den zehnten Teil der Rinder des Geryones geopfert habe, dasselbe berichtet Fest. p. 237; bei Dion. Hal. I 40, 3 opfert H. einige Rinder und weiht den zehnten Teil seiner übrigen Beute. Während es sich hier um ein bloßes Dankopfer des H. handelt, spricht sich die spätere Bedeutung der Sitte deutlicher aus in der von Diod. IV 21 überlieferten Form der Einsetzungslegende. Dort opfert H. nicht selbst, weissagt aber den Bewohnern des Palatiums, daß diejenigen, die ihm nach seiner Vergötterung den Zehnten von ihrem Vermögen opfern würden, eine Vermehrung ihres Wohlstandes erfahren sollten. Varro in der Satire περὶ κεραυνοῦ (Macr. III 12, 2 = frg. 413 Büch. S. 196 Riese) berichtet von einer weiten Verbreitung dieses Brauches bei den Altvorderen, und es fehlt nicht an literarischen und inschriftlichen Zeugnissen dafür. Die Notiz des Paul. p. 71: decima quaeque veteres diis suis offerebant ist offenbar durch entstellende Exzerpierung verderbt, denn im römischen Gottesdienst ist die Sitte fast ganz auf H. beschränkt. Inschriftlich belegt ist nur noch eine Decuma für Diana (Inschr. v. Celsa. CIL II 3015). Ferner gelobte der Sage nach Camillus vor der Einnahme von Veii dem pythischen Apollo den Zehnten der bevorstehenden Beute (Liv. V 21, 5 und die weiteren von Schwegler R. G. III 214 angeführten Stellen). Eine ähnliche Weihung an Apollo liegt vor in der Inschrift der Aedilen M. Mindius und P. Condetius, die den Zwanzigsten widmeten (CIL I 187 = VI 29). Die berühmtesten Beispiele für die Darbringung der Decuma waren die des Sulla (Plut. Sull. 35), Lucullus (Diod. IV 21) und Crassus (Plut. Crass. 2. 12), die bei den damit verbundenen Volksbewirtungen ungeheure Pracht und Verschwendung entfalteten. Bereits erwähnt ist die Geschichte [568] von dem Flötenspieler M. Octavius Herennus, der Kaufmann wurde und dem H. die Decuma weihte (Macr. III 6, 11). Möglich ist, daß auch Marius bei seinem Triumph im J. 104 die Decuma opferte (Peter S. 2933). Inschriftliche Zeugnisse für die Decuma in Rom selbst sind nicht vorhanden, (s. jedoch θ), doch zeigen eine ganze Reihe von Inschriften, daß der Brauch auch im übrigen Italien verbreitet war. Es sind dies a) die in Saturniern abgefaßte Inschrift der Gebrüder Vertuleius aus Sora CIL I 1175 = X 5708 = Bücheler Anth. epigr. 4, ausführlich besprochen von Henzen Bull. d. Inst. 1845, 71. Rh. M. V 70. Ritschl Opusc. IV 130. Die von Ritschl ans Ende des 6. oder an den Anfang des 7. Jhdts., von Henzen in die erste Hälfte des 7. Jhdts. gesetzte Inschrift besagt, daß die beiden Brüder auf Grund eines von ihrem Vater in bedrängter Vermögenslage geleisteten Gelübdes dem H. die Decuma dargebracht und dem Gott das vorliegende Weihgeschenk gewidmet haben. Denn von den beiden Erklärungsmöglichkeiten der Worte donum danunt, die Henzen Bull. a. O. 77 bespricht, kommt wohl nur die in Frage, daß die Inschrift an der Basis eines Weihgeschenkes angebracht war, das dem H. außer der Decuma dargebracht wurde, nicht die, daß sie gewissermaßen als Begleiturkunde zu der Decuma gedacht war (s. auch Mommsen CIL I p. 150. Henzen Rh. Mus. V 75). β) der sogenannte Titulus Mummianus, eine 1483 in Reate ausgegrabene, später verschollene Inschrift, mit der L. Mummius Achaicus nach seinem Triumph im J. 145 ein Weihgeschenk für H. Victor begleitete (CIL I 542 = IX 4672, Erläuterung bei Ritschl Opusc. IV 97. Mommsen a. a. O.) Auch hier ist zwischen Decuma und Donum zu unterscheiden, denn Mummius erklärt, daß er das Weihgeschenk dem Gotte als Zins von der Decuma darbringt, und bittet um den Beistand des H. für eine leichte und gerechte Aussonderung des Zehnten, γ) CIL I 1113 – XIV 3541 (Tibur), betreffend eine wiederholte Darbringung der Decuma durch den Censor C. Antestius. Auch diese Inschrift begleitete eine Votivgabe (decima facta iterum dat). δ) CIL I 1290 = IX 3569 (Pagus Fificulanus), berichtet in altertümlicher Form von einer wiederholten Decuma eines L. Aufidius. ε) CIL IX 4071 a (Carsioli; sehr verstümmelt), Weihung eines Cilius. ζ) CIL X 3956 (Capua), betrifft dreimalige Decuma eines P. Ateius P. l. Regillus. η) CIL IX 6153 (Tarent), doch ist die Beziehung auf die Decuma hier nicht sicher, da die Auflösung der Abkürzung d. f. in decuma facta nicht unzweifelhaft ist, betrifft Weihung eines T. Septumulenus. θ) Nicht unmöglich ist es, daß auch die Weihinschrift des Altars CIL VI 277 Herculi sacrum P. Decimius Lucrio v. s. mit einer Weihung der Decuma zusammenhängt. Mommsen bemerkt dazu: Nomina liberto videntur data esse in honorem Herculis, cui dominus cum lucri decimam solveret, simul fortasse hunc servum manu misit. Die in Lugnano gefundene Inschrift Orelli 1756, betreffend die Decuma eines Cn. Flaccus wird von Mommsen CIL I p. 149 Anm. als unecht erwiesen. Die vorstehenden Inschriften zeigen die Verbreitung der Sitte in Italien, sie stammen fast ausschließlich aus republikanischer Zeit und [569] gehören zum Teil überhaupt zu den ältesten lateinischen Inschriften. Dies, sowie der Ausdruck Varros bei Macr. III 12, 2 maiores solitos und die Worte moribus antiqueis im Titulus Mummianus weisen darauf hin, daß die Sitte in der Kaiserzeit abkam. Daß sie in älterer Zeit in Rom sehr verbreitet war, zeigen die häufigen Anspielungen darauf in der Komödie (Plaut. Stich. 232, 386; Bacch. 666; Most. 984; Truc. 562. Naevius frg. 26–29 Ribb.); auch Diod. IV 21 und Dion. Hal. erwähnen die Häufigkeit der Decumaspende. Doch werden die Worte Varros a. a. O. maiores solitos decimam Herculi vovere nec decem dies intermittere quin pollucerent meist in falschem Sinne für die Verbreitung der Sitte ausgelegt (s. u.). In den meisten Fällen waren die Darbringer Privatpersonen, die durch dieses Mittel ihr Vermögen zu vermehren hofften. Dies zeigt die Einsetzungslegende bei Diod. IV 21, der dazu bemerkt, daß es sich dabei meist um solche handelte, die συμμέτρους οὐσίας besaßen, und daß Dezimierungen von Riesenvermögen, wie die des Lucullus, zu den selteneren Fällen gehörten. Wenn Plut. quaest. rom. 18 fragt: διὰ τί τῷ Ἡρακλεῖ πολλοὶ τῶν πλουσίων ἐδεκάτευον τὰς οὐσίας; so denkt er an solche Ausnahmefälle, wie die von ihm selbst berichteten des Sulla und des Crassus. Die Inschriften, abgesehen von der des Mummius, dürften ebenfalls meist auf Privatpersonen zurückgehen, am deutlichsten ist dies erkennbar am Wortlaute der Vertuleierinschrift. Auch Sulla hat die Decuma nicht im Zusammenhang mit seinem zweitägigen Triumph, sondern offenbar später dargebracht, wenn auch hier die ursprüngliche Beziehung auf einen zukünftigen Vermögenszuwachs fortfällt und die Decuma nichts anderes als ein Mittel zur Popularität war. Ähnlich steht es mit der Decuma des Lucullus, wenigstens sind die Worte Plutarchs (Luc. 37), daß Lucullus bei seinem Triumph τὴν τε πόλιν εἱστίασε λαμπρῶς καὶ τὰς περιοικίδας κώμας nicht mit Sicherheit auf das mit der Decuma verbundene Volksmahl zu beziehen. Diod. IV 21 heißt es nur, Lucullus habe nach Abschätzung seines Privatvermögens (διατιμησάμενος τὴν ἰδίαν ιδίαν οὐσίαν) den Zehnten geopfert. Auch Crassus, der die Decuma während seines Consulates mit Porapeius darbrachte (Plut. Crass. 12), tat dies von seinem Privatvermögen. Bezüglich der Decuma des Mummius wird nach Mommsens Vorgang allgemein angenommen, daß diese von der korinthischen Beute genommen wurde. Es wäre dies eine Abweichung von dem oben festgestellten Gebrauche, da es sich hier um die Dezimierung von staatlichem, nicht von Privatbesitz handelte. Zwar stand dem siegreichen Feldherrn über die Beute ein weitgehendes Verfügungsrecht zu, doch mußte die Verwendung immer im öffentlichen Interesse stattfinden (Mommsen St.-R. I³ 241). Die Decuma aber ist, wie sich aus den vorstehenden Beispielen ergibt, ein durchaus zu eigenem Nutzen erfolgender Akt, und gerade in der Mummiusinschrift geht dies aus den Schlußworten proque hoc atque alieis donis des digna merenti deutlich hervor. Und wenn auch Posidonius bei Athen. IV 38 (vgl. V 65) es als eine feststehende Sitte hinstellt, daß die triumphierenden Feldherren das Volk im Tempel des H. bewirteten, so ist doch nicht gesagt, daß diese Bewirtungen [570] aus dem Erlös der Beute bestrittene wurden. Ferner muß darauf hingewiesen werden, daß der Wortlaut der Inschrift von Reate nicht ohne weiteres zu der Annahme berechtigt, daß Mummius die Decuma von der Beute nahm; diese: ist ebensowenig erwähnt wie die Einnahme Korinths überhaupt. Anders steht es mit der Mummiusinschrift, die von der Dedikation eines Heiligtum des H. Victor in Rom berichtet (CIL I 541 ) = VI 331). Dort heißt es ausdrücklich: L. Mummi L. f. cos. duct(u) auspicio imperioque eius Achaia capt(a) Corinto deleto Romam redieit triumphans ob hasce res bene gestas quod in bello voverat hanc aedem et signu(m) Herculis Victoris imperator dedicat. Wenn Mommsen zu dieser Inschrift bemerkt, daß diese Aedes zweifellos ebenfalls aus dem Erlös der Decuma errichtet wurde,, so ist es erstens unerfindlich, wie Mummius gerade bei dieser wichtigen Stiftung die Decuma unerwähnt lassen konnte. Ferner ist kaum anzunehmen, daß er eine derartige Teilung der Decuma vornahm, ohne auf der Reatiner Inschrift etwas davon zu erwähnen. Auch ist hervorzuheben, daß Mommsen nur durch eine Konjektur des nur handschriftlich überlieferten Titulus Reatinus eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Inschriften hergestellt hat, indem er anstatt des überlieferten Wortlautes de decuma moribus antiqueis pro usura hoc dare sese visum animo suo perfecit… schreibt: de decuma m. a. promiserat hoc dare sese. visum …, wovor ohne Zweifel Ritschls Lesung, der hinter hoc ein quod einschiebt und den Satz bis perfecit fortsetzt, den Vorrang verdient. Wenn es auch sehr wahrscheinlich ist, daß Mummius die Decuma nach der Eroberung Korinths darbrachte, so ist es also mindestens als zweifelhaft hinzustellen, daß sie von der Beute genommen wurde. Damit verlieren auch die Vermutungen Mommsens an Boden, daß die Zehntenweihe des Mummius die Erneuerung eines uralten, kriegerischen Brauches bedeutete, da die Entstehung der Sitte in einer Zeit zu suchen sei, in der die Kriegsunternehmungen der Römer lediglich auf Beutezüge hinaus liefen. Vielmehr scheint der Brauch zuerst bei Privatleuten, besonders im Kaufmannsstande, aufgekommen zu sein, während später auch die siegreichen Feldherrn daran anknüpften, um für die bei Triumphen üblichen Volksspeisungen einen passenden Rahmen zu haben.

Der übliche Ausdruck für die Darbringung der Decuma ist, wie die Inschriften lehren, decumam facere. Eine feste Regel, in welcher Form dies geschah, hat es offenbar nicht gegeben. Es bestand aber, wenigstens in den älteren Zeiten, der Grundsatz, daß dem Gelöbnis die Ausführung in 10 Tagen folgen mußte. Dies ist der Sinn der oft mißverstandenen Stelle Varros bei Macr. III 12, 2: maiores solitos decimam Herculi vovere nec decem dies intermittere quin pollucerent. Bei dem begleitenden Opfer waren bis auf Appius Claudius die Potitier und Pinarier tätig (Fest. p. 237), die Teilnehmer trugen, wie beim Staatsopfer, Lorbeerkränze (Macr. III 12. 2. Interp. Serv. Aen. VIII 278). Auf ein Weihgeschenk beziehen sich verschiedene der oben angeführten Inschriften, doch wurde dafür gewöhnlich wohl nur ein Teil des Zehnten verwendet oder es wurde [571] der Decuma als Beigabe zugefügt. (Bei Gelegenheit der Decuma von triumphierenden Feldherrn dürfte auch die von Plin. n. h. XXXIV 33 berichtete Bekleidung des angeblich von Euander gestifteten H.-Bildes mit dem Triumphalgewande üblich gewesen sein.) Diese selbst wurde offenbar in den meisten Fällen in der Form einer öffentlichen Bewirtung kleineren oder größerer Maßstabes dargebracht, wozu Eß- und Trinkwaren jeder Art geboten wurden (Fest. p. 253. Das von Cassius Hemina bei Plin. n. h. XXXII 20 angeführte Verbot, Fische mit Schuppen darzubringen, braucht nicht auf das Opfer an der Ara Maxima bezogen zu werden, da der Ausdruck pollucere auch in anderen Kulten gebräuchlich war, s. Marquardt Röm. Staatsverw. III² 149). Nur ein Teil der in dieser Form dargebrachten Opfergabe verblieb dem Tempel; Tertullian apol. 14 spottet darüber, daß kaum der dritte Teil der Decuma auf den Altar gelegt wurde. Der Rest wurde von dem an der heiligen Stätte versammelten und von dem Darbringer zu Gaste geladenen Volke verzehrt. In der sakralen Terminologie wurde der dem Gotte verbrannte Teil mit polluctum, der dem Volke preisgegebene als profanatum bezeichnet (s. die verderbte Stelle Varro de l.l. VI 54. Marquardt Röm. Staatsverw. a. a. O. Lübbert Comment. pontif. 3). Marquardt weist von den die Decuma betreffenden Stellen ausgehend nach, daß die Ausdrücke pollucere und profanare häufig vertauscht werden. Bei diesen Speisungen wurde von reichen Gastgebern ein großer Aufwand getrieben, die Ausdrücke polluctum, polluctura und andere Ableitungen des Stammes bedeuten, besonders in der Komödie, geradezu ein herrliches Mahl (s. die Wörterbücher), vgl. auch Posidon. bei Athen. IV 38. Tertull. apol. 39. Von den Bewirtungen des Sulla und Crassus führt Plut. a. a. O. Züge sinnloser Verschwendungssucht an.

Die Sitte der Decuma ist etwas durchaus Griechisches; s. Dittenberger Ind. lect. Hal. 1890/1. τὴν κερδέων δεκατεύματα werden geweiht in dem Epigramm das Kallimachos Anth. Pal. XIII 25. Nach Her. IV 52 weihten die Samier nach großem Handelsgewinn τὴν δεκάτην τῶν ἐπικερδίων der Hera (über die δεκάτη bei den Griechen vgl. d. Art. Δεκάτη und Rouse Greek Votive Offerings, Cambridge 1902, 39ff. besonders 55. Die Möglichkeit einer Übertragung des Brauches von Phönizien her nimmt Winter The myth of Hercules 265 an, im Anschluß an Fowler Roman Festivals 196 und E. Curtius Deutsche Rundschau XLIII 192).

IV. Weitere Heiligtümer und Kulte des Hercules in Rom.

     a) Hercules Magnus Custos. Der Kult des H. Invictus an der Ara Maxima und in den anderen Heiligtümern am Forum Boarium galt, wie oben erwähnt, für uralt. Obwohl in den Zeugnissen ausdrücklich hervorgehoben wird, daß das Opfer daselbst ritu Graeco vollzogen wurde, gehörte der Kult, wie die Rolle des Prätors bei dem jährlichen Opfer zeigt, nicht zum Amtsbereich der Decemvirn, denen die übrigen griechischen Kulte unterstanden. Schon sehr früh wurde jedoch auch für H. ein solcher in Rom eingeführt. Bereits im J. 399, als wegen der Pest [572] auf Anordnung der von den Duumvirn verwalteten Sibyllinischen Bücher zum erstenmal ein Lectisternium veranstaltet wurde, gehörte H. zu den damit bedachten Göttern neben Apollo, Leto, Artemis, Hermes und Poseidon (Liv. V 13, 6. Dion. Hal. XII 9). Die nächsten Lectisternien fanden in Rom statt in den J. 364, 348, 326 (Liv. VII 2, 1. 27, 1. VIII 25, 1). Aus den Worten des Livius zu dem letzten der angeführten: [iisdem quibus ante placandis habitum est diis ist zu entnehmen, daß die 399 gewählten sechs Götter bis dahin beibehalten wurden. Dagegen wurde H. in dem dreitägigen Lectisternium des J. 217 nicht berücksichtigt. Ebenfalls zum griechischen Kultbrauch gehört die dem H. im J. 218 gefeierte Supplicatio (Liv. XXI 62, 9), von der oben bemerkt wurde, daß sie keinesfalls in einem der H.-Heiligtümer auf dem Forum Boarium stattgefunden haben kann, da dort die Lectisternien und damit auch die Supplicationen ausgeschlossen waren (Cornel. Balb. bei Macr. III 6, 16. Serv. Aen. VIII 176. Über den engen Zusammenhang der beiden Zeremonien vgl. Marquardt Röm. Staatsverw. III² 48). Von einem der Heiligtümer des H. in Rom wird ausdrücklich berichtet, daß es auf Geheiß der Sibyllinischen Bücher errichtet wurde, nämlich dem Tempel des H. Magnus Custos in circo Flaminio (Ovid. fast. VI 209: altera pars circi Custode sub Hercule tuta est, Quod deus Euboico carmine munus habet). Der Gründungstag ist der 4. Juni (Ov. v. 211. Fasti Venus. CIL I² p. 221 = IX 421. Die Fasti Vallenses CIL I² p. 240 = VI 2298 setzen das Opfer auf den 12. August. Es handelt sich, wie oben bemerkt, offenbar um eine Verwechslung mit dem Staatsopfer an der Ara Maxima). Der Tempel wurde von Sulla amtlich abgenommen (Ov. v. 212: Si titulos quaeris Sulla probavit opus). Die Lage des Tempels zum Circus Flaminius ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Denn sowohl die des Bellonatempels, nach dessen Erwähnung Ovid. a. a. O. mit altera pars fortfährt, als auch die Auffassung eben dieser Worte ist strittig. Becker Top. 618 verlegt den Tempel der Bellona an die Carceres des Circus (Ostseite) und versteht altera pars in dem Sinne: auf der anderen Seite der Carceres, also ebenfalls im Osten, etwa an der Stelle des Palazzo Venezia. Klügmann Comment. Momms. 267 erklärt dagegen mit Recht altera pars als die den carceres entgegengesetzte Seite des Circus, nimmt also den Tempel an der Rundung (Westseite) an. Doch ist die Lage des Bellonatempels nicht sicher; Jordan-Hülsen Top. I 3, 353 setzt ihn westlich, ebenso Richter Top.² 215, Procksch bei Roscher Myth. Lex. I 775 dagegen östlich vom Circus an, Wissowa Rel. d. R. 137, 8 und Aust o. Bd. III S. 254 rücken ihn viel weiter nördlich an die Ara Martis und die Villa publica. Diesen verschiedenen Lokalisierungen des Bellonatempels entsprechen die des H.-Tempels. Positive Zeugnisse für dessen Lage sind nicht erhalten, und die von Richter a. a. O. geäußerte Ansicht, daß der Tempel des ,Wächters‘ vor den Eingang, d. h. auf die Seite der Carceres gehöre, sowie der Hinweis darauf, daß auch am Forum Boarium die Heiligtümer vor den Carceres lagen, besagen wenig. Ebenso [573] entbehrt die Beziehung noch erhaltener Reste eines Rundtempels im Hofe des Klosters S. Nicola ai Cesarini auf den Tempel des H. Custos der Beweise (Beschr. d. Stadt Rom III 3, 27. Jordan-Hülsen a. a. O. 552). Es ist daher nach dem bisher vorliegenden Material über die Tatsache, daß der Tempel in unmittelbarer Nähe des Circus Flaminius lag, nicht hinauszukommen. Die Worte Ovids: Sulla probavit opus brauchen nicht auf Sulla als den Erbauer des Tempels hinzudeuten. Klügmann a. a. O. 266, 7 erinnert mit Recht daran, daß Sulla überhaupt nur als Restaurator, nicht als Neuerbauer von Tempeln bekannt ist (über ähnliche Ungenauigkeiten Ovids im Unterscheiden von Bau und Wiederherstellung s. Wissowa Ges. Abh. 267). Klügmann und nach ihm Wissowa Rel. d. Röm. 224. Jordan-Hülsen Top. 552 nehmen an, daß Sulla einen längst bestehenden Tempel nur erneuern ließ, indem sie die Angabe des Liv. XXXVIII 35, 4 eo anno (189) in aede Herculis Signum dei ipsius ex decemvirorum responso positum auf den Tempel des H. Custos beziehen. Jedenfalls geht daraus hervor, daß keins der Heiligtümer am Forum Boarium gemeint, sein kann, da diese vom decemviralen Amtsbereich ausgenommen waren, und es liegt nahe, an den Tempel beim Circus Flaminius zu denken und dessen ursprüngliche Erbauung als auf Befehl der Sibyllinischen Bücher (Euboico carmine) geschehen anzunehmen. Der benachbarte Tempel des H. Musarum (s. u.) kann nicht in Frage kommen, da er erst nach der Einnahme Ambrakias gelobt und sicher erst geraume Zeit darauf erbaut wurde. Von dieser Annahme ausgehend sieht Wissowa Ges. Abh. 265 in der bei Liv. XXI 62, 9 genannten Aedes Herculis, bei der im J. 218 die Supplicatio stattfand, den Tempel des H. Custos. Als Beweis für das Alter und die Bedeutung dieses Kultes führt er a. a. O. und Rel. d. Röm. 224 an, daß der 4. Juni sogar in den Bauernkalender (CIL I² p. 280) als sacrum Herculis aufgenommen und noch in der Kaiserzeit durch Spiele gefeiert wurde (CIL I² p. 319. Hist. aug. Commod. 16, 5. Die Beischrift im Kalender des Philocalus ludi in Minicia, d. h. in porticu Minucia erklärt sich aus der Nachbarschaft dieses Bauwerkes und des Circus Flaminius; vgl. Jordan-Hülsen Top. I 3, 546). Die Bedeutung des Beinamens Custos steht nicht fest. Ihn mit dem Herakles Parastates der griechischen Gymnasien gleichzusetzen (Merkel Prol. zu Ovid. fast. 200) liegt kein zwingender Grund vor, da weder Custos diesem Beinamen entspricht noch für H. eine so enge Verbindung mit Gymnasien und Wettkämpfen feststeht, wie sie Herakles in späterer Zeit bei den Griechen bekam (Preller Griech. Myth. II² 259). Auf einen gewissen Zusammenhang zwischen dem Kult des H. Custos und den im Circus Flaminius seit dem J. 220 gefeierten ludi plebei schließt Mommsen Gesch. d. Röm. Münzw. 619 auf Grund einer Münze der Gens Volteia, Eckhel D. N. V 344. Diese, auf der Vorderseite einen H.-Kopf mit Löwenfell, auf der Rückseite einen laufenden Eber zeigende Münze gehört mit vier anderen desselben Münzmeisters zu einer Gruppe zusammen, die sich nach Mommsen auf die ältesten römischen [574] Volksfeste, die Ludi Romani, plebei, Ceriales, Apollinares und Megalenses beziehen. Über die Gottheit, der die Ludi plebei geweiht waren, ist sonst nichts bekannt, doch ist es, da die Beziehung bei den andern vier Münzen wohl feststeht, sehr wahrscheinlich, daß H. den Ludi plebei vorstand, vielleicht verbunden mit Iuppiter. Darin liegt jedoch nicht ein wesentlicher Zug des röm. H., und die Lehre Vitruvs I 7, 1, daß H.-Tempel in den Städten, in denen keine Gymnasien und Amphitheater seien, an den Circussen zu errichten seien, fußt wohl nur auf den römischen Verhältnissen, wo der Circus Maximus und der Circus Flaminius die örtlichen Mittelpunkte für die Heiligtümer des H. bedeuteten. Auch mit anderen Spielen ist H. in Verbindung gebracht worden, so mit den seit dem J. 46 am 24. oder 25. September, später vom 20. –30. Juli gefeierten ludi Veneris genetricis oder victoriae Caesaris, da H. mit Venus Genetrix, Victoria und Apollon auf einem Relief erscheint, welcher das Opfer bei den genannten Spielen darstellt (Reifferscheid Ann. d. Inst. XXXV 361. Mon. d. Inst. VI/VII Taf. 76). Den Zusatz ludi in circo, den die Fasti Allifani, Pinciani und Maffeiani CIL I² p. 217. 219. 225 aufweisen, bezieht Reifferscheid auf den Circus Flaminius. Doch ist damit nicht gesagt, daß H. bei diesen Spielen in bemerkenswerter Weise gefeiert wurde. Die verstümmelte Inschrift CIL I 1538 = VI 335 … r. mag. ludos … [Her]colei Magno … neo fecit bezieht Mommsen auf die von den Magistri vicorum geleiteten Ludi compitalicii, doch ist bei dem Zustande der Inschrift ein sicherer Schluß nicht möglich. Auf dieselben Spiele bezieht Mommsen CIL VI 30 888 (IVc).

     b) Hercules Musarum. Ebenfalls am Circus Flaminius lag der Tempel des H. Musarum. Er wurde von M. Fulvius Nobilior nach der im J. 189 erfolgten Einnahme von Ambrakia gestiftet. Der Rhetor Eumenius sagt in seiner ums J. 297 n. Chr. gehaltenen Rede pro rest. schol. 7, Fulvius Nobilior habe die aedes Herculis Musarum in circo Flaminio mit censorischen Geldern erbaut, veranlaßt durch seine literarischen Interessen und seine Freundschaft mit dem berühmten Dichter (Ennius), besonders aber aus dem Grunde, weil er während seines Feldzuges in Griechenland erfahren habe, daß H. Musaget sei. Er habe neun Statuen der Musen aus Ambrakia nach Rom gebracht und sie dem Schutze der starken Gottheit anvertraut. In diesem Tempel brachte Nobilior seine Fasten unter (Macr. I 12, 16), in welchem Werk wir das älteste seiner Art und das Vorbild der späteren Fastenliteratur, z. B. Verrius Flaccus, zu sehen haben. Cic. pro Arch. 27 spielt auf den von der Kriegsbeute den Musen geweihten Tempel an, und von der Versetzung der Musen nach Rom spricht Plin. n. h. XXXV 36. Nach Interp. Serv. Aen. I 8 gab es eine eherne aedicula der Musen, die auf Numa zurückgeführt wurde. Diese wurde später vom Blitze getroffen und darauf im Tempel Honoris et Virtutis untergebracht, bis sie Nobilior in die Aedes H. übertrug, die deshalb aedes Herculis et Musarum hieß. Dieselbe Form des Namens setzt Plut. quaest. Rom. 59 voraus (διὰ τί κοινὸς ὴν βωμὸς Ἡρακλέους καὶ Μουσῶν; die sonst nicht belegte Antwort [575] lautet: ὅτι γράμματα τοὺς περὶ Εὔανδρον ἐδίδαξεν Ἡρακλῆς, ὡς Ἰόβας ἱστόρηκε, doch ist die Namensform Herculis Musarum als die übliche anzunehmen, da sie auf den Münzen und dem kapitolinischen Stadtplan angewendet ist. Gestiftet wurde der Tempel im J. 189, dem Consulatsjahre des Nobilior. Die Angabe des Eumenius, er sei ex pecunia censoria erbaut, die auf das J. 179 hinweisen würde, kann nicht richtig sein, denn Cicero sagt ausdrücklich, daß er die Kriegsbeute den Musen gewidmet habe, ferner befindet sich unter den zahlreichen von Fulvius Nobilior während seiner Censur unternommenen Bauten bei Liv. XL 51, 4–6 weder der fragliche noch sonst ein Tempel (vor aedem Apollinis in § 6 ist ad oder dgl. zu ergänzen), da den Censoren die Errichtung von Tempeln aus den ihnen überwiesenen Staatsgeldern überhaupt nicht gestattet war (Mommsen St.-R. II³ 456). Peter S. 2971 erklärt den Irrtum in der Weise, daß Eumenius in der Aufzählung bei Livius die porticus ad fanum Herculis mit einem H.-Tempel verwechselte. Mit dem Bau wird natürlich erst nach der Heimkehr des Nobilior aus Griechenland im J. 187 begonnen worden sein, was man auch aus dem freilich stark übertriebenem Ausdruck Ciceros a. a. O.: quare in qua urbe imperatores prope armati poetarum nomen et Musarum delubra coluerunt entnehmen mag. In keinem der vorliegenden Berichte ist die Rede davon, daß auch das Standbild des H. aus Ambracia nach Rom gebracht wurde. Bei Cicero und Eumenius ist diese Unterlassung aus dem Zusammenhang leicht zu erklären. Cicero kommt es darauf an, nachzuweisen, daß die Musen in Rom seit alter Zeit und sogar von Kriegern geehrt worden seien, um dann fortzufahren: in ea non debent togati iudices a Musarum honare et a poetarum salute abhorrere. Und Eumenius konnte den H. nicht in enger Gemeinschaft mit den Musen nach Rom kommen lassen, da er auf die Pointe hinauswollte, daß der Kaiser Constantius, der den Beinamen Herculius führte (s. V), es seinem Namensgott nachtun und den Musen in Autun einen würdigen Sitz bereiten solle. Viel auffallender ist, daß auch Plin. n. h. XXXV 66 H. fehlt (Zeuxis .... fecit et figlina opera, quae sola in Ambracia relicta sunt, cum inde Musas Fulvius Nobilior Romam transferret). Die Auslassung ist wohl so zu erklären, daß die in dem Tempel aufgestellten zehn Standbilder eine so geschlossene Einheit bildeten, daß neben den Musen H. nicht besonders genannt zu werden brauchte. Ob diese Einheit bereits in Ambrakia bestand, ist fraglich, es ist nicht einmal überliefert, daß auch das Bild des H. daher stammte, wenn es auch nahe liegt, es unter den vielen Statuen zu suchen, die Nobilior dort erbeutete und in seinem Triumphe vorführte (Liv. XXXIX 5, 13). Jedenfalls darf man nicht etwa vermuten, daß die nach Liv. XXVIII 35, 4 auf Befehl der Decemvirn aufgestellte Statue 60 die des H. Musarum gewesen sei, da diese im J. 189 in einem damals schon bestehenden Tempel errichtet wurde, wahrscheinlich dem des H. Magnus Custos (s. o.). Klügmann a. a. O. meint, Nobilior habe überhaupt keinen Tempel des H., sondern nur ein kleines Heiligtum errichtet, erst der Neubau des Marcius Philippus (s. u.) hätte die Bezeichnung Aedes verdient. Doch besagt die [576] von Klügmann als Beweis herangezogene Stelle Cic. a. a. O. gar nichts, da Cicero dort, entsprechend dem ganzen Ton der Archiasrede, den poetisch gehobenen Ausdruck delubrum noch dazu im verallgemeinernden Plural anwendet. Durchaus unbegründet ist Klügmanns Meinung, jenes angeblich von Nobilior gestiftete Tempelchen sei die von Serv. a. a. O. erwähnte aedicula aenea,die auf Numa zurückgeführt wurde und in der die Fasti aufbewahrt wurden. Ein anderes ehernes Kapellchen gab es seit alter Zeit in Rom, die im J. 304 von dem Aedil Cn. Flavius gestiftete Aedicula Concordiae (Liv. IX 46. Plin. n. h. XXXIII 19). Livius berichtet, daß Flavius als erster die bis dahin geheim gehaltenen Fasten auf dem Forum in albo öffentlich ausgestellt habe. Doch ist es gänzlich unzulässig, diese beiden voneinander völlig verschiedenen Nachrichten zu verbinden und damit die Aufstellungsart der Fasti des Nobilior zu vergleichen, wie dies Klügmann, tut. Was es mit dieser ehernen Kapelle der Musen für eine Bewandtnis hatte, ist nicht festzustellen, doch scheint die Serviusstelle auf eine gute Quelle,, vielleicht Varro, zurückzugehen. Im J. 1867 wurde in der Via S. Ambrogio eine Basis mit der Inschrift M. Folvius M. f. Ser, N. Nobilior cos. Ambracia cepit (CIL VI 1307) gefunden. Da die Fundstelle nicht weit von der Stätte des Tempels entfernt ist, sah de Rossi Bull. d. Inst. 1869, 7 in ihr die Basis einer der neun Musenstatuen und folgerte aus ihrer Kleinheit, daß diese unter Lebensgröße ausgeführt waren. Die Möglichkeit ist zuzugeben, wenn auch bei der Masse der von Nobilior mitgebrachten Kunstschätze die Basis leicht zu einem anderen Stück gehört haben kann. Dagegen sind wir über das Aussehen der Statuen des H. und der Musen durch Münzbilder unterrichtet, deren Beziehung wohl unzweifelhaft ist. Eine Anzahl Denare des Münzmeisters Q. Pomponius Musa aus republikanischer Zeit tragen auf der Rückseite Bilder des H. und der Musen (Eckhel D. N. V 283. Mommsen Gesch. d. röm. Münzwes. 643. Cohen Méd. cons. 266 Taf. 34, 4. Babelon Monn. rép. II 361). Die den H. selbst aufweisende Münze zeigt auf der Vorderseite einen Apollokopf mit Binde, auf dem Revers H. nach rechts gewendet, nackt bis auf das von den Schultern herabhängende Löwenfell, die Leier spielend; zur Seite, unterhalb der Leier, lehnt die Keule. Die Beischrift lautet Hercules Musarum. Dieselbe Anordnung findet sich auch auf der Arch. Jahrb. III Taf. 11, 6 abgebildeten Gemme, s. dazu Furtwängler Arch. Jahrb. IV 49. Auf eine Darstellung mit der Leier weisen auch die Worte Ovids bei der Erwähnung des Tempels am Schluß der Fasti VI 812: annuit Alcides increpuitque lyram. Ähnliche Typen des leierspielenden H. vgl. bei Klügmann a. a. O. 264. Furtwängler in Roschers Myth. Lex. I 2910. Die anderen Denare des Pomponius Musa weisen vorn einen meist ebenfalls als Apollo erklärten jugendlichen Kopf, auf der Rückseite je eine der neun Musen mit den üblichen Attributen auf. Seit Eckhel wird fast allgemein anerkannt, daß es sich bei diesen Münzbildern um Nachbildungen der in dem Tempel des Nobilior aufgestellten Statuen handelt. Urlichs Griech. Statuen im republ. Rom 8 ist allerdings wegen des auf allen Münzen auftretenden [577] Apollokopfes zweifelhaft, ob eine solche Beziehung vorliegt. Daß Herakles im griechischen Kult oder Mythus, und um griechische Vorstellungen handelt es sich hier natürlich, als Musaget auftrete, wie dies für den Tempel am Circus Flaminius von Eumenius berichtet wird und aus den Musamünzen wohl mit Sicherheit hervorgeht, wird von Klügmann 262 geleugnet. Allerdings sind die Inschriften Herculi Pacifero et Musis CIL VI 5, 3256*, Herculi Musarum IX 36* und CIG 5987 Ἡρακλῇ τῷ Μουσαγέτῃ mit Recht der Unechtheit für verdächtig erklärt worden. Doch ist die Vereinigung des Herakles und der Musen durch bildliche Darstellungen zweifellos nachgewiesen (Stephani Compte rendu 1868, 35. Sybel Katalog d. Skulpt. in Athen 548. Arch. Ztg. XXIX Taf. 49. Furtwängler bei Roscher I 2190). Die von Fiorelli Not. d. scav. 1884, 377 besprochenen Gefäße von Aretium aus der letzten Zeit der Republik mit der Darstellung des auf die Keule gestützten H. neben den Musen und der Beischrift ΗΡΑΚΛΗC ΜΟCΩΝ sind für den vorliegenden Zweck wenig beweiskräftig, da sie trotz der abweichenden bildlichen Darstellung von dem römischen Kult beeinflußt sein könnten.

Durch ein Fragment des kapitolinischen Stadtplanes ist die Lage des Tempels bekannt. (Jordan Forma urbis Taf. V 33 S. 33). Er lag südlich vom Circus Flaminius dicht an der nach Westen gerichteten Rundung, nordwestlich von der Porticus Octaviae (Becker Top. 612. Jordan-Hülsen Top. I 3, 544. Richter Top.² 219). Unter Augustus wurde der Tempel durch L. Marcius Philippus, den Stiefvater des Kaisers, neugebaut (Suet Aug. 29. Ovid. fast VI 801. Tac. ann. III 72). Ovids Darstellung erweckt den Anschein, als ob Marcius Philippus der erste Begründer des Tempels sei, eine Ungenauigkeit, die für die Bewertung von Ovidischen Zeugnissen von Wichtigkeit ist (s. o.). Philippus erbaute außerdem in unmittelbarer Nachbarschaft des Tempels eine Säulenhalle, die Porticus Philippi (Jordan Forma urbis S. 34). Da Ovid den 30. Juni als den Stiftungstag des Neubaus bezeichnet, so ist anzunehmen, daß an demselben Tage auch der Festtag des Fulvianischen Tempels gefeiert wurde (vgl. über diesen Brauch Aust De aedib. sacr. 34. Marquardt Röm. St.-V. III² 578). Über die Formen des in diesem Tempel geübten Kultes ist ebensowenig etwas überliefert, wie in Bezug auf den Tempel des H. Magnus Custos. Zu bemerken wäre nur, daß dem H. Musarum offenbar Haaropfer dargebracht wurden. Ovid. ars am. III 165–168 spricht von gekauften Haaren und sagt: nec pudor est emisse, palam venire videmus Herculis ante oculos virgineumque chorum. Auch dem Herakles wurden Haaropfer dargebracht, Athen. XI 89; vgl. Deschamps-Cousin Bull. hell. XII 481, wo S. 484 das vorliegende Beispiel für die Sitte des Haaropfers in Rom nachzutragen ist. Doch ist es selbstverständlich, daß in beiden durchaus der griechische Ritus galt. Für den Kult des H. Custos ist dies durch den Sibyllinischen Einführungsbefehl bewiesen, und es ist nicht anzunehmen, daß in dem so nahe dabei liegenden Tempel des H. Musarum, der in griechischen Statuen den H. in der nur aus griechischen Vorstellungen zu erklärenden Verbindung [578] mit den Musen beherbergte, eine andere als die griechische, den Decemvirn unterstehende Kultform geherrscht habe. Gegenüber dem so volkstümlichen, alten H.-Kult an der Ara Maxima und am Circus Maximus hat es der am Circus Flaminius offenbar nie zu großer Popularität gebracht. Darauf lassen die spärlichen, noch dazu meist nur die Tatsache der Statuenübertragung betonenden Schriftstellernotizen und das Fehlen von beglaubigten Inschriften schließen. (Mit Hinweis auf die beiden Tempel am Circus Flaminius ergänzt Premerstein Herm. XXXIX 334 in der scherzhaften Lex Tappula: [ad circum pro ae] de Herculis).

     c) Außer den an diesen beiden Hauptmittelpunkten des römischen H.-Kultes liegenden Tempeln gab es in Rom noch eine Anzahl kleinerer Heiligtümer, über deren Lage und Kultform Bestimmtes zumeist nicht zu ermitteln ist. Es sind dies, abgesehen von unbedeutenden, auf Inschriften erwähnten Kapellchen, 1. der bereits erwähnte (s. IIIb) von L. Mummius Achaicus aus der korinthischen Beute errichtete Tempel des H. Victor, dessen zum Teil in Saturniern abgefaßte Weihinschrift erhalten ist und zu den ältesten lateinischen Inschriften gehört (CIL I 541 = VI 331. Bücheler Anthol. Lat. II 1, 3. Ritschl Opusc. IV 82). Die Einweihung des im J. 145 gelobten Tempels fand im J. 142 statt, als Mummius Censor war (vgl. Urlichs Griech. Stat. im republ. Rom. 13. Plut. praec. ger. reip. 20, 4). Über den dort geübten Kult ist nichts bekannt. Wegen der Kleinheit des Steines wird vermutet, daß es sich nur um eine Aedicula handelt, in der das Bild des Gottes, wohl aus der Beute stammend, aufgestellt war. Mommsens Ansicht, daß dieser Tempel aus dem Erlös der Decuma errichtet sei, ist oben angefochten worden. Auch über seine Lage fehlt jedes Zeugnis. Hülsen (Top. I 3, 227) ) vermutet ihn wegen des Fundortes der Weihinschrift hinter dem lateranischen Hospital auf dem Caelius und weist ihm die von Mommsen für H. Custos in Anspruch genommene, verstümmelte Inschrift CIL VI 30888 zu, die nicht weit von der Fundstätte der ersten in der Via Annia beim Kloster SS. Quattro Coronati gefunden wurde (vgl. Gatti Bull. comm. 1887 S. 325). Doch ist es sehr fraglich, ob für ein so unbedeutendes Heiligtum, wie es das des Mummius offenbar war, die Veranstaltung von Spielen in Frage kommt.

     2. Ebenfalls dem H. Victor war eine Aedes geweiht, deren Weihinschrift auf dem rechten Tiberufer vor der Porta Portese gefunden wurde (CIL VI 332). Das Heiligtum war errichtet von einem P. Plotius, Consul suffectus nach Marc Aurel und vor Severus Alexander (Henzen z. d. Inschr.). Die Angabe der Mirabilia Romae 50 S. 46 Parth.: ad ripam fluminis, ubi naves morantur, templum Herculis bezieht sich auch auf das rechte Tiberufer, doch läßt sich bei der Unzuverlässigkeit der Mirabilia Genaues nicht behaupten.

     3. Bei dem Erscheinen Hannibals vor Rom im J. 211 erwähnt Liv. XXVI 10, 3 einen H.-Tempel am collinischen Tor. Von Klügmann Arch. Ztg. XXXV 109 wird mit diesem Tempel eine Altarinschrift in Verbindung gebracht, die 1862 auf dem Campo Verano bei S. Lorenzo fuori le mura [579] gefunden wurde (CIL I 1503 = VI 284: Hercolei sacrom M. Minuci C. f. dictator vovit), offenbar eine Weihgabe des Minucius nach seinem Siege über Hannibal bei Gerunium 217. Klügmann meint, da die Kirche S. Lorenzo in nordöstlicher Richtung vor dem alten esquilinischen Tor liegt, so habe die Rekognoszierung Hannibal auch zu der jetzt von der Kirche eingenommenen Stelle geführt. Die Reiter Hannibals hätten die Aedes des Minucius als ein Denkmal ihrer Niederlage verwüstet, sodaß dieser Tempel später nicht mehr erwähnt werde. Wegen der weiten Entfernung der Fundstätte von der Porta Collina (über 2 km) erklärt Hülsen in Jordans Top. I 3, 416 die Beziehung der Inschrift des Minucius auf das von Livius erwähnte Heiligtum für eine haltlose Vermutung. Eine andere Inschrift bringt Lanciani Bull. com. 1878, 94 mit der Gründung dieses Tempels in Verbindung (CIL VI 30899): Publicia L. f. Cn. Corneli A. f. uxor Hercole andern valvasque fecit aedemque expolivit aramque sacram Hercole restitu(it). Haec omnia de su(o) et virei fecit faciundum curavit. Der Fundort der Inschrift ist nicht genau bekannt, aufbewahrt wurde sie bis zu ihrer Veröffentlichung in einem Hause der Via del Principe Amedeo, nicht weit vom Bahnhofe. Lanciani vermutet, daß sie beim Bau des Finanzministeriums gefunden sei, das an der Stelle der Porta Collina steht. Bei dieser Unsicherheit der Herkunft läßt sich jedoch aus der Inschrift nichts Sicheres schließen, zumal auch das Haus der Via del Pr. Am. noch 1 km von der Porta Collina entfernt ist (Jordan Bursians Jahresber. XV 420. Jordan-Hülsen Top. I 3, 417. Hülsen Röm. Mitt. VI 114, dort auch gebührende Abweisung der an die Liviusstelle geknüpften Vermutungen Bossis Di un tempio di Ercole Tutano o Redicolo, Studi e documenti di storia e diritto XI 67). Einer Aedicula privater Gattung schreibt die Inschrift Jordan Herm. XIV 592 und in Prellers R. M. II³ 296 zu.

     4. In der konstantinischen Regionenbeschreibung wird in der 5. Region, Esquiliae, ein H. Sullanus genannt. Die Notitia hat die Reihenfolge: Nymphaeum divi Alexandri, cohortem II vigilum, Herculem Sullanum, hortos Pallantianos, amphitheatrum castrensem; im Curiosum folgt H. Sullanus erst auf die horti Pallantiani. Die Frage, ob es sich um einen Tempel oder nur um ein von Sulla geweihtes Standbild handelt, wird verschieden beantwortet. Für die erste Möglichkeit wird besonders die nicht weit vom Nymphäum bei den sog. Galluzze gefundene Inschrift Hercu(li) Victor(i) CIL VI 330 angeführt (Becker Top. 551. Preller Reg. 132; Ausgew. Aufs. 436. Richter Top.² 331). Klügmann Arch. Ztg. XXXV 109 bringt damit den Rivus Herculaneus in Verbindung (Frontin. de aqu. I 19: Marcia autem partem sui post hortos Pallantinos in rivum, qui vocatur Herculaneus, deicit. vgl. 15), 60 der in der konstantinischen Stadtbeschreibung Herculea heißt (Preller Reg. 226. Jordan Top. II 224). Die Mirabilia S. 25 Parth. nennen einen Tempel des H. in Palatio Susurriano (d. h. Sessoriano = S. Croce in Gerusalemme, vgl. Jordan-Hülsen Top. I 3, 249), vgl. Anon. Magliabecch. S. 167 Url. Bereits Becker und Preller a. a. O. weisen auf den Sieg Sullas über Marius am 1. November [580] 82 hin, der in der Nähe zur Entscheidung gekommen sei. Gleichwohl ist die Frage, ob es sich um einen Tempel oder ein Standbild handelt, offen zu lassen. Denn erstlich erweckt die verschiedene Reihenfolge in Notitia und Curiosum Verdacht, ferner kann die Inschrift CIL VI 330 bei der großen Verbreitung des Kultes des H. Victor in der Kaiserzeit nur wenig besagen. Die Angaben der Mirabilia über die Zugehörigkeit von Tempeln an bestimmte Götter sind bekanntermaßen sehr unzuverlässig, und der Rivus Herculaneus konnte seinen Namen ebensogut von einem Tempel wie von einem Standbild haben. Auch wäre es auffallend, daß Sulla außer der Erneuerung des Tempels am Circus Flaminius noch einen zweiten Tempel erbaute, ohne daß davon anderweitig irgend etwas berichtet wird.

     5) Ebenso ist die Frage, ob es sich um einen Tempel oder ein Standbild handelt, ungeklärt bezüglich des H. Olivarius, den die Stadtbeschreibung in der 11. Region, Circus Maximus, nennt (S. 18 Prell.) Becker Top. 493 neigt letzterer Ansicht zu und erklärt den Namen daraus, daß in der Nähe des Bildes der Ölverkauf stattfand, s. auch Urlichs Rh. M. V 152. Jordan-Hülsen I 3, 415. Für die Annahme einer Statue spricht die unweit vom Rundtempel am Platze Bocca della verità aufgefundene Marmorplinthe mit der Inschrift … o olivarius opus Scopae minoris CIL VI 33936. Not. d. sc. 1895, 458. Bull. com. 1897, 55. Röm. Mitt. XI 99. XII 56. 144. Frothingham und Marquand Am. Journ. of arch. XI 286. Über das kleine Heiligtum des H. cubans, s. u.

Angeführt seien an dieser Stelle Spuren von solchen Kulten des H. in Rom, deren Festzeiten überliefert sind, die sich aber nicht lokalisieren lassen. Auson. in dem Gedicht De feriis Romanis v. 24 p. 105 Peiper nennt unter den cultus peregrinaque sacra deorum den Natalis Herculeus, und als N(atalis) Herculis mit der Beischrift c(ircenses) m(issus) XXIV ist im Kalender des Philocalus CIL I² p. 258 der 1. Februar bezeichnet. Ferner spricht Lyd. de mens. IV 46 von einem sonst nicht belegten Fest des Ἡρακλῆς ἐπινίκιος (H. Victor) οἷα ὑγείας δοτήρ am 3. April. Bestattungsvereine, die sich nach H. nennen, werden für Rom mehrfach durch Inschriften nachgewiesen CIL VI 285. 327. 338. 339. 9485. Bull. com. 1891, 185; vgl. Waltzing Mus. Belge II 292; Etude histor. sur les corporations chez les Rom. I 185. Ruggiero Diz. epigr. I 755.

V. Kult des Hercules in der Kaiserzeit.

Einen außerordentlichen Aufschwung nahm der Kult des H. unter den Kaisern. Wir beschränken uns hier auf die Hauptpunkte und verweisen im übrigen auf die das ganze Material an Schriftstellernotizen, Inschriften, Münzen und Kunstdenkmälern für die einzelnen Kaiser beibringende Behandlung von Peter S. 2980-3002, vgl. außerdem Preller R. M. II³ 299. Wissowa Rel. d. R. 229. Der wegen seiner Natur als Alexikakos als Schützer des privaten Grundstückes und Hauses verehrte Gott (s. u.) wurde auch zum Patron des Kaiserhauses. Als solcher trägt er außer dem auf Inschriften äußerst häufigen Beinamen Augustus die aus dem privaten Kult bekannten Beinamen Comes, Conservator (z. B. CIL VI 305: Deo Herculi Comiti et Conservatori dominorum nostrorum), [581] Defensor. Als Besieger der Ungeheuer, zumal des Cacus (Victor, Invictus), und als Stifter von Ordnung und Ruhe auf der Erde (Pacifer) war der der Schützer und das Vorbild der Kaiser bei kriegerischen Unternehmungen. So leisten die Fratres Arvales u. a. dem H. Gelübde für eine glückliche Heimkehr des Traian von dem Zuge gegen die Dacier (Acta Arv. ed. Henzen p. CXL). Ferner ist H. das Sinnbild aller Tugenden der Augusti, weshalb zahlreiche Münzen mit der Aufschrift Virtus Augusti bezw. Virtus mit dem Namen des Kaisers oder Fortitudo Augusti Bilder des H. zeigen. Wie schon Pompeius von seinen Schmeichlern mit H. verglichen worden war (s. o.) und Horaz c. III 3, 14 dasselbe in Beziehung auf den gleich H. siegreich aus Spanien zurückkehrenden Octavian tat, so liebten es Caligula, Nero, Galba und Domitian, sich mit H. zu vergleichen und vergleichen zu lassen, vgl. u. a. Mart. IX 64, 6. 101, 11. Der aus Spanien gebürtige Hadrian verehrte, wie die Münzen beweisen (Peter 2984), besonders den H. Gaditanus, über diesen s. Art. RE siehe und o. Bd. VII S. 446; vgl. außerdem Weber Untersuchungen zur Gesch. des Kaisers Hadrianus, Leipzig 1907, 8. 168. Am auffallendsten ist die Vorliebe, die Commodus für H. zeigte, s. Peter 2987 und Bd. II S. 2478, 30. Nur einiges sei hier angeführt: Er trat im Kostüm des H. als Gladiator auf und führte dessen Abenteuer auf (Cass. Dio LXXII 20, 2. 3. Hist. aug. Comm. 9, 6. Herod. I 14, 8. Athen. XII 53). Er nannte sich H. Romanus, und dieser Beiname wurde in seinen offiziellen Titel aufgenommen (Cass. Dio a. a. O. 15, 5. CIL XIV 3449, vgl. die classis Africana Commodiana Herculea, Comm. 17, 7). Auf den ihm errichteten Bildsäulen trug er ebenfalls die Attribute des H., Löwenfell und Keule (Cass. Dio a. a. O. 15, 6. Comm. 9, 2), eine Büste des Commodus mit H.-Typus abgebildet bei Baumeister Denkm. 398. Daremberg-Saglio III 128, auf Münzen ist der Kaiser ebenfalls vielfach als H. abgebildet (Peter 2988). Auf die Kolossalstatue Neros ließ er an Stelle von dessen Kopf eine Darstellung des seinigen setzen (Cass. Dio 22, 3. Herod. I 15, 9. Comm. 17, 10), was zu der Parodie des unten besprochenen häufigen Verses Veranlassung gab: ὁ τοῦ Διὸς παῖς καλλίνικος Ἡρακλῆς, οὐκ εἰμὶ Λούκιος, ἀλλ’ ἀναγκάζουσι με (s. u. VII d; dort auch die Beziehung des Epigramms CIL VI 327 = 30738 auf Commodus durch Borrmann. Wissowa (Religion der Römer 83) weist darauf hin, daß Commodus als erster sich unter dem Deckmantel des H. Romanus bei Lebzeiten Götterrechte angemaßt habe. Unter den Nachfolgern des Commodus widmete Septimius Severus dem Kulte des H. besondere Sorgfalt. Er verehrte ihn, wie die Münzen beweisen, zusammen mit Bacchus als die di patrii, da der phönizische H. und Dionysos die Schutzgottheiten seiner Vaterstadt Leptis waren. Nach Cass. Dio LXXVI 16, 3 erbaute er ihnen einen gewaltigen Tempel. Seine Söhne Geta und Caracalla pflegten, nach ihren Münzen zu urteilen, diesen Kult beider Götter weiter. Für Postumus wird durch die Münzen eine besondere Vorliebe für H. bezeugt (Peter 2994). Es hängt dies wahrscheinlich damit zusammen, daß in den westlichen Provinzen, die Postumus [582] zum erstenmal zu einem Sonderreich zusammenfaßte, der H.-Kult im Heere besonders verbreitet war. Unter Diocletian und Maximinian wurde gewissermaßen der dem Commodus vom Größenwahn eingegebene Gedanke, sich als H. verehren zu lassen, zu einer offiziellen Einrichtung gemacht, indem Diocletian den Beinamen Iovius und Maximinian den Beinamen Herculius annahm (Lact. de morte persec. 52, 3. Aurel. Vict. Caes. 39, 18. Peter 2997. Wissowa Rel. d. R. 83). Der Grund für die Wahl der Beinamen liegt vor allem in dem Vergleich des Kaisers und des Mitregenten mit dem obersten der Götter und seinem Sohne, s. Claud. Mam. paneg. Maxim. 11. Die beiden Herrscher widmeten dem Dienste ihrer Namensgötter durch Bauten besondere Sorgfalt (z. B. die Porticus Herculea, Jordan-Hülsen Top. I 3, 352. Richter Top.² 229). Den Beinamen Herculius trugen später Constantius I. Chlorus und dessen Söhne, wie durch Münzinschrtften erwiesen wird (Peter 3001; vgl. o. IV b, die Rede des Eumenius an Constantius I).

VI. Kulte des Hercules in Italien außerhalb Roms und in den Provinzen.

Dion. Hal. I 40 bemerkt, daß man in Italien kaum einen Ort finde, wo H. nicht verehrt werde, und daß es in allen Städten und an allen Wegen Heiligtümer dieses Gottes gebe. a) Unter den Städten Latiums nimmt Tibur als Kultort des H. die erste Stelle ein. Über die H.-Verehrung in Tibur vgl. Bormann Altlat. Chorogr. 225. Foucart Rev. arch. VII 81. Dessau CIL XIV p. 367. Peter 3002. In der Literatur beweisen dies Ausdrücke wie urbs Herculi sacra, Herculeum Tibur (Mart. VI 62, 1. Prop. II 32, 5 vgl. IV 7, 82), Herculeas Tiburis arces (Mart. I 12, 1), Herculeos colles (Mart. IV 57, 9. VII 13, 3), Herculei muri (Sil. Ital. IV 424) ut urbem Tiburtem .... communem Iunoni et Herculi facias (Symm. ep. 7). Der Tempel des H. gehörte neben den Wasserfällen zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt (Strab. V 11; vgl. Iuv. XIV 90. Stat. silv. III 1, 182. Über seine angebliche Stiftung durch M. Octavius Herennus s. IIb), er enthielt eine ansehnliche Bibliothek (Gell. XIX 5, 4. IX 14, 3). Bei dem auch inschriftlich erwähnten Tempelschatz (thensaurus Herculis CIL XIV 3679) nahm Octavian im J. 42 eine Anleihe auf (Appian. bell. civ. V 24), in den Säulenhallen des Tempels sprach er öfters Recht (Suet. Aug. 72). In der späteren Kaiserzeit wurde mit dem Kult des H. der des Kaiserhauses verbunden, das alte Collegium Herculaneorum übernahm den neuen Kult und nannte sich, wie aus zahlreichen Inschriften hervorgebt, von da ab Collegium Herculaneorum Augustalium. Der Tempelschatz war dem H. und dem vergötterten Kaiserhause gemeinsam (CIL XIV 3679: thensaurus Herculis et August(i) bezw. August(orum)). Über die durch die Ausgrabungen erschlossene mutmaßliche Lage des Tempels in Tibur vgl. die oben aufgeführten Abhandlungen, außerdem Dessau Ann. d. Inst LIV 126. Im allgememen herrscht heute die Ansicht, daß er in den Resten der sog. Maecenasvilla vorliege. Unterhalb derselben fand man bei der Anlage eines Elektrizitätswerkes zahlreiche Weihgaben, tönerne Tiere, Vasen and kleine Metallgerate, die offenbar bei einer Räumung [583] des Tempels als wertlos hinabgeworfen wurden, s. Not d. sc. 1898, 332. Arch[.] Anz. XIV 61. Dagegen denkt Nissen Ital. Landesk. II 2, 614 an das Burgviertel im Nordosten, da dort die Sibylle hauste, die von der Orakelstätte des H.-Tempels (s. u.) nicht getrennt werden könne; doch scheint nach Borsaris Ausführungen und dessen neuesten Funden (Not. d. sc. 1902, 120, s. u.) diese Ansicht unhaltbar zu sein. Näheres über die topographischen Fragen s. im Art Tibur. Der in Tibur verehrte H. hatte, wie der des Forum Boarium, die Beinamen Victor und Invictus, wie aus der Geschichte der angeblichen Begründung des Tempels durch M. Octavius Herennus bei Macr. III 6, 10 sowie aus zahlreichen tiburtinischen Inschriften hervorgeht, und zwar war der Beiname des H. von Tibur wahrscheinlich in erster Linie Victor (Wissowa Ges. Abh. 265). Eine weitere Ähnlichkeit mit dem H.-Kult in Rom liegt darin, daß angeblich H. selbst auf seiner Wanderung durch Italien nach Tibur gekommen sei und dort dem Iuppiter Praestes einen Altar errichtet habe, CIL XIV 3555: Iovi Praestiti Hercules Victor dicavit, Blandus pr(aetor) restituit. Dies entspricht genau der römischen Sage von der Gründung des Altares für Iuppiter Inventor durch H. nach der Besiegung des Cacus. In dem Kulte des H. spielten, wie IIIa erwähnt, Salier eine Rolle, ihre Gebräuche legte vielleicht Vergil seiner Schilderung des Opfers des Euander zugrunde. Salier werden auf den Inschriften öfters genannt (3601. 3609, 18. 3612. 3673. 3674. 4253. 4258. Salii Collini 3604, betreffend einen Cn. Pinarius, Consul unter Traian, 3609, 12. 3689? 4237, 7. 4240. 4242, 10. 4245; vgl. das Collegium der collinischen Salier in Rom). Außerdem diente dem Kulte des H. das auf den Inschriften öfters genannte Collegium Herculaneorum, später mit dem Zusatze Augustalium (s. o). Das Collegium stand unter einem Magister (3540. 3652. 3665. 3681. 3687. 3688. 4254. Ephem. epigr. IX 903. 904) und hatte außerdem einen Curator (3675. 3679) und Quaestoren (3601. 3675). Zu diesen Kultvereinen kommen zur Zeit Caracallas die iuvenes Anto(niniani) Herculan(ii) hinzu (3638; vgl. 3684), genannt wird außerdem auf einer beim Campo Verano, nahe der Via Tiburtina, gefundenen Inschrift CIL VI 9485 ein collegium iumentariorum qui est in cisiaris Tiburtinis Herculis. Als Tempelbeamte nennen die Inschriften sehr häufig den curator fani, darunter zahlreiche vornehme Römer, vermutlich solche, die in Tibur Villen hatten (Dessau CIL XIV p. 368), und, wenn die Ergänzung der sehr verstümmelten Inschrift 4257 zu Recht besteht, aeditui des Heiligtums. Näheres über die Kultformen steht nicht fest, die Sitte der Decuma ist durch die alte, oben besprochene Inschrift CIL I 1113 = XIV 3541 auch für Tibur bezeugt. Der Reichtum des Tempelschatzes schrieb sich vielleicht zum Teil aus häufiger Anwendung dieser Sitte her. Mit dem Tempel war vermutlich eine Stätte für Losorakel verbunden, wie man aus Stat. silv. I 3, 79 (Preller Röm. Mythol. II³ 139. Vollmer z. d. St.) entnommen hat und wie es auch die 1902 in der sog. Villa des Mäcenas gefundene verstümmelte Inschrift Not. d. scav. 1902, 120. Ephem. epigr. IX 898: . . delanei H. V. [584] Sortiar. zu beweisen scheint. Außer den Beinamen Victor und Invictus finden sich auf tiburtinischen Inschriften u. a. Victor Certencinus 3533, unerklärt, Domesticus 3542, Saxanus 3543, wozu Dessau bemerkt: Hoc titulo Tiburtino optimae aetatis (79 n. Chr. ?) videntur refelli qui Herculem Saxanum habent pro numine veterum Germanorum, doch weist Peter S. 3016 mit Recht darauf hin, daß auch eine keltische Gottheit, wie Epona, schon sehr frühzeitig in Italien auftrete. Dem tiburtinischen H. ist auch die römische Inschrift VI 342 = 30742 = XIV 3552 gewidmet. Über das Aussehen des in Tibur verehrten Kultbildes gibt vielleicht eine im J. 1902 in Tivoli aufgefundene, merkwürdige Darstellung Auskunft, s. Borsari Not. d. scav. 1902, 117. Auf einem Marmorpilaster ist der bärtige H. mit dem auf der Brust zusammengeknüpften Löwenfell dargestellt. Außerdem ist er mit einem faltigen, die Füße völlig und die Arme bis zu den Händen bedeckenden, gegürteten Gewande bekleidet. Mit der Rechten stützt er sich auf die Keule, der linke Arm ist ebenfalls gesenkt, die Hand fehlt. Die Haltung macht einen müden, fast nachlässigen Eindruck. Da die Darstellung an derselben Stelle mit zwei von einem Magister Herculaneus herrührenden Baseninschriften (CIL XIV 3687/8) gefunden wurde, so meint Borsari, es sei nicht unmöglich, daß das Relief den Typus des H. Victor von Tibur darstelle.

     b) Hinter dem in ganz Italien berühmten Kult in Tibur treten die übrigen Stätten Italiens, für die sich eine Verehrung des H. durch Inschriften oder Literaturzeugnisse nachweisen läßt, weit zurück. Im Gebiete der Latiner wurde H. außer in Tibur verehrt in: Lanuvium. Tert. ad nat. II 7 berichtet, daß in Lanuvium Frauen von dem Herculeum polluctum nicht essen durften; der Kult zeigte also ähnliche Züge wie der an der Ara Maxima. Eine Reihe neuerdings in Lanuvium gefundener Inschriften beweisen, daß der Kult des H. in Lanuvium in Blüte stand, Ephem. epigr. IX 600–605. Not. d. scav. 1907, 125. 657; 1892, 236, nr. 605 ist dem H. Sanctus und der Ianuvinischen Hauptgottheit Iuno Sispes geweiht. Praeneste. Durch Ausgrabungen ist das Vorhandensein eines H.-Tempels nachgewiesen, Stevenson Bull. d. Inst. 1883, 9. CIL XIV 2890 (= I 1134). 2891. 2892, außerdem Not. d. scav. 1903, 24. Ephem. epigr. IX 762. Tusculum. Vielleicht wurde hier H. mit Iuno Lucina zusammen verehrt, s. CIL I 1200 = X 3807/8, dazu Wilmanns Exempla nr. 33 a (vgl. die VII d besprochene Sitte in Rom, dem H. und der Inno-Lucina mensa und lectus aufzustellen).

     c) In der folgenden Zusammenstellung, die einen Überblick über die Verbreitung des H.-Kultes im übrigen Italien geben soll, sind nur die wichtigeren Zeugnisse angeführt, während von den einfachen Weihinschriften im allgemeinen kein Gebrauch gemacht worden ist; über sie geben die Indices der Bände V. IX–XI des CIL hinreichende Auskunft.

 Regio I:

  • Abellinum. CIL X 1125: Nennung eines sacerdos Herculis consularis, die Inschrift stammt aus später Kaiserzeit.
  • Aquinum. X 5386, cultores Herculis Victoris.

[585]

  • Über diese, noch häufig, zu nennenden Vereinigungen s. Waltzing Étude historique sur les corporations I 211f. und Art. Collegium o. Bd. IV S. 380ff. Das Bestehen eines sich nach H. nennenden Collegiums dürfte in den meisten Fällen das Vorhandensein eines H.-Tempels in der betreffenden Stadt voraussetzen. Aufzählung sämtlicher collegia Herculis bei Waltzing a. a. O. IV 185; Musée Belge II 281ff. III 130ff.
  • Capua. X 3956: Sitte der Decuma.
  • Cosilinum. porticus Herculis belegt durch eine Inschrift aus dem 3. Jhdt. n. Chr. Not. d. scav. 1900, 111.
  • Fabrateria vetus. CIL X 5647 cultores Herculis Fabraterni veteres. X 5657 iuvenes Herculani (über collegia iuvenum vgl. Demoulin Les coll. iuv., Löwen 1897; Encore les coll. iuv. ebd. 1899. Rostowzew Rev. numismat. 1898, 271. 457. Dort auch Münzen mit der Inschrift Her(culanei)).
  • Fundi. Ein H. Fundanius oder Fundanus wird erwähnt von Porph. zu Hor. ep. I 1, 4 und Hist. aug. Florian. 17. CIL VI 311 ist dem H. Fundanius geweiht, eine Weihung an H. belegt ein in Fundi ausgegrabener Stein, Not. d. scav. 1902, 512.
  • Neapolis. CIL X 1478: aedicula des H. Invictus, private Stiftung.
  • Signia. CIL I 1145 = X 5961, der Kult des H. bestand hier offenbar seit alter Zeit.
  • Sora. CIL I 1175 = X 5708: Decuma der Vertulei. Magistri Herculanii nennt die neuerdings in Sora gefundene Inschrift Not. d. scav. 1910, 296. Bull. com. XXXVIII 268.
  • Surrentum. Der von Stat. silv. III 1 besungene Tempel des H. Surrentinus war ebenfalls eine private Gründung des Pollius (Vollmer z. d. St. gibt einen Überblick über die Verbreitung des H. in Campanien).
  • Velitrae. Liv. XXXII 1, 10 (im J. 199) erwähnt einen H.-Tempel in Velitrae.
  • Venafrum. CIL X 4850: Amicitia Herculaniorum Herviani(orum). 4851: Amicitia Herculis Neriani. – Über die oskischen Inschriften, die sich auf die Verehrung des H. beziehen, s. I b.

 Regio II:

  • Beneventum. CIL IX 1681: studium iuvenum cultorum dei Herculis.
  • Tarentum. CIL IX 6153; vielleicht bestand in Tarentum die Sitte der Decuma, s. III.

 Regio IV:

  • Aesernia. CIL IX 2679: collegium cultorum Herculis Gagillani.
  • Alba Fucens. CIL IX 3961: cultores Herculis Sala …, die Ergänzung ist unsicher.
  • Amiternum. Für das Gebiet des alten Amiternum bezeugen einen H.-Kult CIL IX 4183. 4498 (?). 4499 (Cese).
  • Aufinum. CIL IX 3383: collegius Herc.
  • Carsioli. CIL IX 4071 a: Sitte der Decuma.
  • Pagus Fificulanus. CIL I 1290 = IX 3569: Sitte der Decuma. IX 3578: iuvenes Fificulani Herculis cultores. Die Grundmauern des Tempels sind erhalten, Not. d. scav. 1902, 471.
  • Iuvanum. CIL IX 2964: collegium Herculaniorum.
  • Peltuinum. In die Gegend von Peltuinum gehört

[586]

  • die alte vestinische Inschrift von Navelli CIL IX 3414, s. I b, dem H. Iovius gewidmet.
  • Reate. CIL I 542 = IX 4672, der oben besprochene titulus Mummianus, beweist das Bestehen eines Kultes des H. Victor. IX 4673: cultores Herculis Respicientis.
  • Superaequum. Not. d. scav. 1898, 75: altertümliche Weihinschrift, s. I b. Ins Gebiet von Superaequum gehört auch die ebenfalls bei Behandlung der Namensformen angeführte Inschrift von Molina, Zvejateff Inscr. It. med. nr. 29.
  • Supinum. CIL IX 3857: magistri Herculis, vgl. Helbig Bull. d. Inst. 1866, 67.

 Regio V:

  • Interamnia Praetuttiorum. Not. d. scav. 1893, 355: Ausgrabungen erweisen möglicherweise das Vorhandensein eines H.-Tempels. Nicht weit von Interamnia lag der CIL IX 5052 erwähnte H.-Tempel.
  • Truentum. Ephem. epigr. VIII 210: cultores Herculis.

 Regio VI:

  • Tuder. CIL XI 4669: cultores Herculis Frontoniani.

 Regio VII:

  • Pisa. CIL XI 1449: cultores Herculis Somnialis. Ins Gebiet von Veii gehört CIL XI 3778 (Monte Mosino): Weihung an Iuppiter Tonans und H. Musinus (?). Vgl. außerdem das unten VII c über die Entstehung des ciminischen Sees Gesagte, das vielleicht auch auf eine Verehrung des H. schließen läßt. Über den H. der Etrusker s. Art. Herkle.

 Regio VIII:

  • Veleia. CIL XI 1159: sodalicium cultorum Herculis.

 Regio IX:

  • Feltria. CIL V 2072: Herclanenses.
  • Iulium Carnicum. CIL V 1830f.: aedes Herculis.

 Regio XI:

  • Mediolanum. CIL V 5593: Herculi Invicto deo cultores. Nicht weit von Mediolanum bei dem heutigen Orte Cedrate wurde die das Vorhandensein eines H.-Tempels erweisende Inschrift CIL V 5558 gefunden,

     d) Von den Provinzen nehmen, was die Verehrung des H. betrifft, die germanischen und keltischen eine gewisse Sonderstellung ein (S. 609). Für die übrigen beweisen zahlreiche Inschriften, daß der Kult des H. von den Römern auch in den eroberten Ländern gepflegt und verbreitet wurde. Näheres ergeben, soweit erschienen, die Indices der die einzelnen Provinzen behandelnden Bände des CIL; eine Auswahl von Provinzialinschriften, die sich auf Weihungen von Tempeln oder Statuen des H. beziehen, bei Peter S. 3010. Dazu kommt u. a. Österr. Jahresh. VII Beibl. 21. Schiavazzi Mitt d. Zentr.-Komm. II 347: Bauinschrift eines H.-Tempels in Pola. Ferner zählt Waltzing Mus. Belge III 147f. (vgl Etude IV 185f.) für folgende Orte der außeritalischen Provinzen Kultvereine auf, die sich nach H. benennen: Dertosa (Hisp. Tarrac.) CIL II 4064. Ampelum (Dacia) III 1303. Micia (Dacia) III 1339. Cetium (Noricum) III 5657. Thibilis (Numidia) VIII 5523.

[587]

VII. Vorstellungstypen des Hercules.

     a) Hercules als Gott des Handels, Verkehrs und Erwerbs. H. spielt, wie sich bei Behandlung der Sitte der Decuma zeigte, eine bedeutende Rolle als Gott der Kaufleute. Als solcher tritt er bisweilen in Verbindung mit Mercur auf, z. B. CIL III 633. 12887. VI 46. VIII 2498. 4578. XII 1904. XIII 2608f., auf Reliefs s. Furtwängler in Roschers Myth. Lex. I 2185. Peter ebd. 2961, auf Doppelhermen, Hettner Steindenkmäler 47, und Münzen, s. u. Über die häufige Verbindung des Herakles mit Hermes s. Fougères Bull. hell. XIV 238. Jouguet ebd. XXIII 77. Horat. sat. II 6, 10 spielt auf eine Fabel an, in der H. einen Tagelöhner auf dem von ihm bearbeiteten Acker einen Schatz finden läßt, nachgeahmt von Pers. 2, 10. Porphyrio berichtet dazu, daß in der Fabel auch Mercur vorgekommen sei; er habe auf Fürbitte des H. dem Arbeiter den Schatz gezeigt. Selbst die Kleinkrämer verehren ihn als ihren Schutzpatron, vgl. die Inschrift aus Mainz, Korr.-Bl. d. Westd. Ztschr. XXV 5 nr. 3: in h. d. d. Herculi posuit M. Murranius Patiens manticu(larius); vgl. Mommsen ebd. III 31. Als Gott kaufmännischen Verkehrs und Erwerbs tritt H. in verschiedenen Beziehungen auf: 1. als H. ponderum wacht er über Richtigkeit der Gewichte und Münzen, CIL VI 336, weshalb ihm die magistri vici einen Altar errichten, nachdem sie pondera auraria et argentaria viciniae posuerunt (CIL VI 282) und Münzarbeiter (officinatores et nummulari officinarum argentariarum familiae monetari CIL VI 298, signatores, suppostores, malliatores VI 44) Weihgaben darbringen. Eine 1590 auf dem Aventin gefundene, jetzt im kapitolinischen Museum befindliche Statue des H.-Knaben besteht völlig aus Probierstein (Helbig Führer I² 348 nr. 528). Ob das Material mit der geschilderten Natur des H. zusammenhängt oder aus einem anderen Grunde gewählt wurde, wage ich nicht zu entscheiden. Wünsch Antikes Zaubergerät 40 hält die Statue für ein Apotropaion. Ein unbärtiges H.-Köpfchen aus Bronze, in Italien gefunden, diente als Gewicht an einer Wage (Bull. d. Inst. 1877, 55. Arch. Ztg. XXXV 86. Der Brauch, H.-Köpfe als Gewichte zu verwenden, ist wohl griechischer Herkunft und war offenbar weit verbreitet, s. Furtwängler bei Roscher Myth. Lex. I 2178). H. als Mehrer des Vermögens wurde auf den römischen Quadranten abgebildet (Mommsen Gesch. d. Münzw. 184). Bisweilen geht er auch auf Münzen mit Mercur, dem üblichen Münzbilde des Sextanten, engste Verbindung ein, so daß ein Doppelkopf entsteht, s. Willers Röm. Kupferprägung 1909. Taf. VII 3 S. 80. Auf einer von Caylus Recueil des antiquités IV 157 Taf. 53, 3. 4 veröffentlichten, jetzt verschollenen Sparkasse, die auf dem Caelius gefunden wurde, ist ein H.-Kopf abgebildet. Graeven Arch. Jahrb. XVI 177 meint zwar, daß dieser Schmuck auf den Zweck des Gerätes keine Beziehung habe. Da aber auf den anderen von ihm veröffentlichten Sparkassen Mercur und Fortuna dargestellt sind, also Gottheiten, deren Beziehung auf den Gelderwerb klar ist, so ist wohl anzunehmen, daß auch H. hier als Vermögensmehrer gemeint ist. 2. Im weiteren Sinne ist H. überhaupt [588] Beschützer des Verkehrs, wie der Ἡρακλῆς ἡγεμόνιος der Griechen (Preller Griech. Myth. II³ 274). Man opferte ihm vor Antritt einer Reise, Fest. p. 229: Propter viam fit sacrificium, quod est proficiscendi gratia, Herculi aut Sanco, qui scilicet idem est deus (vgl. IX a–c). Nach Macrob. Sat. LI 2, 4 mußte bei dem Opfer propter viam der etwaige Rest des Opfermahles verbrannt werden, was an die Sitte des Decumaschmauses an der Ara Maxima erinnert. Doch geht Wissowa wohl zu weit, wenn er (Rel. d. Röm. 226) annimmt, daß auch dies Opfer an der Ara Maxima stattfand und mit der Decuma insofern zusammenhing, als man dabei den Zehnten gelobte, den man nach glücklichem Ausgange der Reise darbrachte. Als Opfertier für solches Reiseopfer nennt Laberius (Non. p. 72, 21 M.) das Schaf. Als dem Beschützer der Straßen wurden H. an wichtigen Stationen Heiligtümer errichtet. So wurden bei Sinalunga im Val di Chiana, wahrscheinlich der alten Station ad Graecos an der Via Cassia, Reste einer H.-Kapelle aufgefunden, zwischen denen noch mehrere Häufchen der stips votiva, 30 Unzialasse des 2. Jhdts. v. Chr. lagen, s. Not. d. scav. 1898, 271. Arch. Anz. XIV 61. Auf H. als Reisegottheit bezieht sich auch der in der Kaiserzeit häufige Beiname Comes (Peter 2981). 3. Nicht allein im kaufmännischen Verkehr ist H. der Beschützer der Verträge und Eidschwüre. Bei der Ara Maxima auf dem Forum Boarium, dem Mittelpunkte des Handelslebens der alten Stadt (Gilbert Gesch. u. Top. I 75. Richter Top.² 187), wurden nach Dion. Hal. I 40, 6 Eide abgelegt und Verträge geschlossen, offenbar besonders in Geldgeschäften, vgl. Danz Der sacrale Schutz im röm. Rechtsverkehr 112; die Sitte, bei H. mit den Worten hercle, mehercule u. dgl. zu schwören, ist allgemein bekannt, der Titel einer menippeischen Satire Varros: Hercules tuam fidem, Bücheler frg. 213–216. Riese Sat. Men. 148 weist auch darauf hin. Zu vergleichen ist damit der beteuernde Ausruf Ἡράκλεις im Griechischen. Frauen war der Schwur bei H. verboten (Gell. N. A. XI 6, 1. Charis. 198, 17 K.), womit der Ausschluß der Frauen vom Opfer an der Ara Maxima zu vergleichen ist. Plut. quaest. R. 28 berichtet, daß es den Knaben verboten wurde, in einem bedeckten Raume bei H. zu schwören. Derselbe Brauch galt für den Schwur bei Dius Fidius (Varro de l.l. V 66; bei Non. 494 M.). 4. H. ist nicht nur der Spender des durch Arbeit, besonders kaufmännische, erworbenen Gewinnes, sondern auch unvorhergesehener Reichtümer und Schätze. In dieser Stellung trat er oben in der von Horaz erwähnten Erzählung in Verbindung mit Mercur auf. Acro zu sat. II 6, 12 sagt: amico Hercule, qui praeesse thesauris dicitur, und Porphyr, z. d. St.: quia thesauris praeest et sunt, qui eundem Incubonem quoque esse velint. Gemeint ist mit Incubo hier natürlich nicht der den Alptraum verursachende Dämon, sondern der Petron, sat. 38 genannte schatzhütende Kobold des Volksglaubens. Die hier auftretende Identifizierung von H. und Incubo zeigt, wie vorsichtig derartige Gleichungen zu beurteilen sind. Ein H. cubans wird in der Notitia (564 Jord.) und im Curiosum (563 J.) in der 14. Region auf dem rechten Tiberufer erwähnt. [589] Die Ausdrucksweise der Regionsbeschreibung scheint auf die Bildsäule eines ruhenden H. hinzuweisen. Hülsen sieht darin das innerhalb der Caesargärten am Abhange des Monte Verde 1889 aufgefundene kleine, in den Tuff gehauene Heiligtum des H. mit mehreren Statuen, die den Gott zum Mahle gelagert darstellen, und zwei Altären, errichtet von einem L. Domitius Permissus (Jordan-Hülsen Topogr. I 3, 644. Marchetti Not. d. scav. 1889, 243. Röm. Mitt. VI 149. CIL VI 30890f). Richter Topogr.² 272 erklärt H. cubans als den Namen eines vicus, der in die Via Portuensis einmündete, abgeleitet von dem Heiligtum des Permissus. Später Volksglaube behauptete, daß unter dem Bilde des H. cubans ein großer Schatz lagere, wie aus einem Glossem zu der Angabe des Curiosum hervorgeht: Herculem sub terra medium cubantem, sub quem plurimum auri positus (sic) est. Die Bedeutung des H. als Schatzhüter und Schatzweiser spricht sich auch in seinem Beinamen Somnialis (CIL XI 1449) aus, der von Stephani Der ausruhende Herakles 125, 1 mit Unrecht auf den Todesschlaf bezogen wird. Auch Preller Röm. Myth. II³ 297, 1 will den Beinamen entweder mit dem Todesschlaf oder mit Inkubationen in Verbindung setzen. Letzteres trifft offenbar zu, denn es war der Glaube verbreitet, daß H. den Seinen im Traume Anweisungen zum Erwerb oder zur Auffindung von Schätzen gäbe. So hatte er dem Octavius Herennus im Traum Aufklärungen gegeben, und Inschriften wie CIL VI 301. 30890f VIII 9610 beziehen sich auf Weihungen, die H. im Traum anbefohlen hatte. Die oben erwähnte Inschrift XI 1449 enthält die Namen einer ganzen Reihe von cultores Herculis Somnialis. Dagegen ist CIL XII 235*: Herculi Somniali ex responso unecht.

     b) Auch mit Mars wurde H. gleichgesetzt. Varro in der menippeischen Satire Ἄλλος οὗτος Ἡρακλῆς bei Macrob. Sat. III 12, 6 frg. 20 Büch. p. 99 Riese, in der von H. Invictus die Rede war (de Invicto Hercule für de multo Hercule Mommsen CIL I p. 150, s. o. IIIa), wies die Identität beider Götter nach. Auch für die Pontifices galten angeblich beide als gleichbedeutend. Macrob. a. a. O. Serv. Aen. VIII 275 = Mythogr. Vat. III 13, 8. Varro wurde bei seiner Gleichsetzung wohl von der Beobachtung geleitet, daß außer Mars nur H., und zwar der H. Victor in Tibur, durch Salier verehrt wurde (Interp. Serv. VIII 285, Serv. Aen. Macrob. a. a. O.). Marquardts Erklärung (R. St.-V. III² 377), daß Mars mit H. identifiziert sei nicht wegen seiner Eigenschaft als Kriegsgott, sondern als Abwehrer des Übels und Gott des Landbaues, steht auf schwachen Füßen, da jene Bedeutungen des Mars, besonders die agrarische, umstritten sind. Näher liegt doch wohl die Begründung aus der, griechischer Vorstellung entnommenen, Natur des H. als Besieger jeglichen Gegners, s. d. Beinamen Victor, Invictus, Triumphalis. So sind auch die Weihungen siegreicher Feldherren zu erklären, in Rom die Tempel des Minucius (IV c 3), des Nobilior (H. Musarum IV b), des Aemilius Paulus (II b), des Mummius (III b) und wahrscheinlich die Erneuerung des Tempels des H. Magnus Custos durch Sulla (IV a). Dazu kommt die Erbauung eines Mars- und eines [590] H.-Tempels an der Mündung der Isère in die Rhone durch Q. Fabius Maximus Allobrogicus, den Enkel des Paulus, nach seinem Siege über die Kelten (Strab. IV 185). Die Gens Fabia, der er durch die Adoption seines Vaters angehörte, verehrte den H. besonders eifrig, da sie in ihm ihren Stammvater sah (s. Peter 2291 o. Bd. VI 1739). Auch die Überführung der tarentinischen H.-Statue durch Q. Fabius Maximus Cunctator nach Rom ist ein Zeichen dieser Sonderverehrung (Strab. VI 278. Plin n. h. XXXIV 40. Plut. Fab. Max. 22. Aurel. Vict. de vir. ill. 43, 6). Eine H.-Statue wurde ferner nach Liv. IX 44, 14ff. nach Beendigung des 2. Samnitenkrieges im J. 305 auf dem Kapitol aufgestellt. Lucullus stellte eine erbeutete H.-Statue, den sog. H. tunicatus, neben den Rostra auf (Plin. n. h. XXXIV 93. Über die Statue vgl. Peter 2491 und Art. Herakles). Ebenso ließ M. Aurelius Cotta im J. 70 eine in Heraklea am Pontus erbeutete H.-Bildsäule in Rom aufrichten, Memnon FHG III 554. Über die H.-Statue des Polykles in Rom, neben der nach Cic. ad Att. VI 1, 17 ein Denkmal des Scipio Minor stand, s. Peter 2943f und Art. Herakles. Zusammen mit kriegerischen Gottheiten wird H. inschriftlich genannt erstens auf den Weihinschriften von Equites singulares (CIL VI 31138-31187, vgl. Henzen Ann. d. Inst. LVII 235), beginnend mit dem J. 118 n. Chr. Fast regelmäßig gehört H. zu den hier aufgezählten Göttern, meist unmittelbar hinter Mars und Victoria eingereiht. Näheres über diese Inschriften s. am Schluß des Art. Aus der Zeit des Antoninus Pius stammt wahrscheinlich CIL VII 1114 d (Marti Minervae Campestribus Hercl(i) Eponae Victoriae); vgl. ferner CIL VIII 2498 (Mercuri(o e)t Hercu(l)i et Ma(r)ti, Wende des 2. und 3. Jhdts.). CIL VI 2819, Weihinschrift von Prätorianern aus dem J. 266 n. Chr., auf der ein collegium Herculis et Martis genannt wird, CIL VIII 4578 (I. O. M. Iunoni Reginae Minervae Sanctae Soli Mithrae Herculi Marti Mercurio Genio loci dis deabusque omnibus, aus dem J. 283/4), CIL III 22 (I. O. M. Herculi Victoriae, aus dem J. 288) III 5193 (Marti Herculi Victoriae Noreiae). Auf Münzen der Gens Antia ist H. mit Keule und Tropaeum, ähnlich den Münztypen des Mars, abgebildet (Eckhel D. N. V 139. Cohen Méd. cons. 22 Taf. 3. Babelon Monn. républ. I 155), Babelon 154 meint, daß die Antii in Antiades, dem Sohne des Herakles und der Aglaia (Apollod. II 7, 8), ihren Stammvater verehrten, doch ist darüber nichts überliefert.

     c) Hercules als Gott des Naturlebens.

Porphyrio zu Horat. sat. I 6, 12 sagt: res rustica in tutela eius (sc. Herculis), und als Rusticus wurde H. vom Kaiser Commodus verehrt (Hist. aug. Comm. 10, 9). Für gewöhnlich tritt H. als Spender ländlichen Segens nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen Naturgottheiten auf, besonders mit Silvanus. Die Inschriften (zuerst zusammengestellt von Zoëga Bassiril. II 115) z. B. CIL VI 295–297. 309. 310. 629. 645. 3690 begleiten Weihungen an ihn und Silvanus, VI 288. 597. 607 solche, die H. auf Befehl des Silvanus (iussu Silvani dei, imperio domini Silvani) dargebracht wurden, d. h. auf Grund von [591] Träumen, vgl. z. B. CIL VI 677: Silvano Sancto ex visu, 681 ex viso T. Ceserni Menandri amici karissimi u. o. VIIa 4. Zu H. und Silvanus treten auf den Inschriften bisweilen noch andere Naturgottheiten, so Liber VI 294, Epona VI 293. VII 1114, Terra Mater III 152. Ferner treten neben H. und Silvanus auf der Genius domus XIII 8016, Mars, Iuppiter Zabasius XIV 2894. Auch auf den Veteraneninschriften der Equites singulares, CIL VI 31138ff., wird Silvanus meist in der Nähe von H. genannt. Die Beinamen des H. Custos, Sanctus, Salutaris, Domesticus u. a. m. werden auf den Inschriften auch dem Silvanus beigelegt, z. B. CIL VI 640. 651. 655ff. III 11161-11175. In Verbindung mit Silvanus wird H. ferner auf einer Anzahl von Reliefs dargestellt, zusammengestellt von Jahn Archäol. Beitr. 62. Hartwig Herakles mit dem Füllhorn, Leipz. 1883, 30, am reichhaltigsten bei Peter 2951. Am bekanntesten ist das des Altars des Museo Chiaramonti I 21, Visconti-Guattani 165, darstellend H. und Silvanus, dazwischen ein mit Früchten belegter Altar vor einer Pinie. Silvanus nackt mit dem üblichen krummen Messer, Fruchtschurz und Pinienzweig, vor ihm ein Hund, H. ebenfalls nackt mit Löwenfell und Keule, vor ihm ein Schwein, dazu Reifferscheid Ann. d. Inst. XXXVIII 210. Zu H. und Silvanus treten auf den bildlichen Darstellungen andere Naturgottheiten, so Diana auf einem Relief im Louvre (Clarac Musée I de sc. II 164), vgl. CIL III 5657, wo collegia Herculis et Dianae genannt werden. H. Silvanus und drei Nymphen waren dargestellt auf einem in einer Zeichnung des Codex Pighianus erhaltenen Relief, Jahn Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. phil.-hist. Kl. XX 189 n. 64. CIL VI 834, Ähnlich ist die Darstellung auf einem Relief des Museo Pio-Clementino, Visconti 7 Taf. 10. CIL VI 549, abgebildet auch bei Jahn Arch. Beitr. Taf. 4, die Gestalt des H. allein mit charakteristischer Haltung der rechten Hand über dem rechten Auge bei Peter 2954. Auch auf einem geschnittenen Stein ist H. mit Silvanus und Mercur vereinigt (Lippert Dactyliothec I 230 nr. 624). Neben den Trümmern eines von Domitian am 8. Meilenstein der Via Appia erbauten H.-Heiligtums (Mart. III 47. IX 64. 65. Canina Ann. d. Inst. XXIV 293; Mon. d. Inst. V Taf. 47) sind Inschriften gefunden worden (CIL VI 543. 659. Jordan-Hülsen Top. I 3, 189), die auf ein dort gelegenes Heiligtum des Silvanus hinweisen, der daselbst im 2. Jhdt. von kaiserlichen Freigelassenen verehrt wurde; von einem gemeinsamen Heiligtume des H. und Silvanus ist jedoch nichts überliefert. Über den Ausschluß der Frauen von dem Cato de agric. 83 geschilderten Opfer an Silvanus s. IX d. Auch der griechische Herakles hat mannigfaltige Beziehungen zum Landbau (Hartwig a. a. O. 19), somit ist die Verbindung von H. und Silvanus nicht verwunderlich. Auch die Verbindung, in die Herakles mit den Gewässern, besonders den Quellen und deren Gottheiten tritt, hat ihr Gegenstück in H. (Zu Herakles s. Aristid. V 35 χωρὶς δὲ πηγαὶ ποταμίων ὑδάτων ἐπώνυμοι καὶ αὐταὶ τοῦ θεοῦ· τοσαύτην παρὰ ταῖς Νύμφαις εἴληχε τὴν προεδρίαν. Athen. 512 F: διὰ τί τὰ θερμὰ λουτρὰ τὰ φαινόμενα ἐκ τῆς γῆς πάντες Ἡρακλέους φασὶν εἶναι ἱερά; vgl. Hartwig [592] a. a. O. 15. Preller Griech. Mythol. II³ 274. Gruppe Griech. Myth. 454; zu H: Jahn a. a. O. 62. Preller Röm. Myth. II³ 144. 297. Peter 2965). Auf Weihinschriften ist zwar H. mit den Nymphen nirgends vereinigt, wohl aber auf dem oben erwähnten Relief des Codex Pighianus und auf einem solchen des kapitolinischen Museums (Mus. Cap. IV 54. Jahn a. a. O. 63, 1 Taf. 4, 2. CIL VI 166). Letzteres, von einem Freigelassenen Marc Aurels Epitynchanus Fontibus et Nymphis sanctissimis geweiht, zeigt im Vordergrunde einen Flußgott, links davon die drei Grazien, rechts den Raub des Hylas durch zwei Nymphen, im Hintergrunde H. und Mercur. Mit den Fontes calidi und dem Genius loci ist H. auf einer Weihinschrift von Mehadia vereinigt. Besonders nämlich die heißen Quellen mit Heilkräften galten als unter dem Schutze des H. stehend, auch dies in deutlicher Anlehnung an griechische Anschauung (Preller Griech. Myth. II³ 269). Die berühmtesten H.-Quellen sind die noch heute nach ihm benannten (H.-Bad) und zu Heilzwecken benutzten bei Mehadia in Ungarn. CIL III 1563–1573 sind die dort gefundenen Weihinschriften für H. gesammelt; er tritt in ihnen allein, mit den Beinamen Invictus, Sanctus. Salutifer und Augustus, sowie in Verbindung mit dem Genius loci und den Quellgottheiten (s. o.) und mit Venus auf, die datierbaren Inschriften reichen vom J. 157 bis zum J. 254. Ein fons Herculis war offenbar die Hauptquelle der Bäder bei Caere (Liv. XXII 1, 10). H.-Thermen werden auf einer Inschrift von Allifae erwähnt, CIL IX 2338. Als Gott der Quellen tritt H. auch auf in der Sage von der Entstehung des ciminischen Sees in Etrurien. Nach Serv. Aen. VI 697 = Mythogr. Vat. I 54 stieß dort der aus Spanien zurückkehrende H., von den Bewohnern des Landes zu einer Kraftprobe gereizt, einen eisernen Hebebaum so fest in die Erde, daß ihn niemand wieder herausziehen konnte. Auf die Bitten der Leute riß H. ihn wieder heraus und aus dem Loche ergoß sich eine ungeheure Wassermenge, die den See bildete. Auch für dieses Auftreten als Quelleneröffner bietet die griechische Sage entsprechende Züge, s. Hartwig a. a. O. 16. Gruppe Griech. Myth. 454, 5. Mit dem auf einer der Inschriften von Mehadia (1572) genannten H. Salutifer ist zu vergleichen der H. Salutaris zweier Inschriften (CIL VI 338f. = 30740f.), begleitend Weihungen einiger Mitglieder von Vereinen der in den Horrea Galbana tätigen Arbeiter (dies die Erklärung von Hülsen z. d. Inschr.), vgl. CIL VI 237: Genio horreorum Leonianorum et Herculi Salutari.

Eine andere für die Bedeutung des H. als Gott des Naturlebens wichtige Verbindung ist die mit Ceres. Beiden wurde nach Macrob. Sat. III 11, 10 am 21. Dezember, also zur Zeit der Winteraussaat, eine trächtige Sau, Brote und Honigwein geopfert, v. Premerstein Herm. XXXIX 335 meint, daß sich das mit dem Opfer verbundene Mahl, da es in der Zeit der Saturnalien stattfand, meist lange ausgedehnt hätte, so daß in den ersten Stunden des folgenden Tages die scherzhafte Lex Tappula convivalis zur Abstimmung kommen konnte (s. IV b). KrauseDe Rom. host 23 will eine Teilung der genannten Opfergaben [593] annehmen, so daß die Sau allein für Ceres bestimmt gewesen wäre. Peter 2965 meint, daß H. als Vertreter des männlichen Prinzips ein männliches, Ceres als Vertreterin des weiblichen ein weibliches Schwein erhielt. Das Schwein war, abgesehen von dem Staatsopfer an der Ara Maxima, offenbar das übliche Opfertier für H., weshalb es häufig auf sakralen Bildwerken neben ihm abgebildet ist (Aufzählung und Beschreibung der hierher gehörigen Reliefs bei Peter 2912. 2965). Es stand also im römischen Kult H. mit der Göttin des Landbaus in Verbindung, ebenso wie Herakles häufig zu Demeter in Beziehung gesetzt wurde (Hartwig a. a. O. 23). Als Spender ländlichen Segens führt H. auf zahlreichen Darstellungen als Attribut ein Füllhorn, auch hier ist die Abhängigkeit von griechischer Darstellungsart völlig klar. Der Bedeutung dieses Attributes und der entsprechenden Kunstwerke ist die bereits öfters angeführte Dissertation von Hartwig, Herakles mit dem Füllhorn, gewidmet, als Stoffsammlung brauchbar, aber wegen zahlreicher Fehler in den Zitaten mit Vorsicht zu benutzen. Seltener findet sich der Fruchtschurz, das übliche Kleidungsstück des mit H. so häufig verbundenen Silvanus (Peter 2963). Die Bedeutung des H. als ländlicher Gottheit geht auch aus dem Opfer hervor, das ihm nach Porphyrio zu Horat. sat. II 6, 12 von den Bauern gebracht wurde, wenn sie einen Jungstier zum erstenmal unters Joch gezwungen hatten. H. spielt hierbei die Rolle des griechischen Ἡρακλῆς βουζύγης, Hartwig 26.

     d) Als Beschützer von Haus und Hof und dem ganzen Landbesitz tritt H. unter mehreren Beinamen auf, so Domesticus CIL XIV 3542, Tutor X 3799. VI 343 = 30743 (wo Henzen Herculi Tuta(tori), ergänzt), Defensor VI 210. 308. 309. 333, wenn Henzens Lesung H. V. D. = Herculi Victori Defensori richtig ist, Conservator VI 305–307. III 1026. 1027. V 5606. VIII 14808, möglicherweise gehört auch der V 5534 genannte keltische H. Mertronnus Anteportanus in diesen Vorstellungskreis. Als dem Beschützer des Grundstücks werden dem H. von der ganzen Hausbewohnerschaft Weihungen dargebracht, so CIL X 3799: Herculi Tutori domus Novelliana. VI 309 Herculi Defensori Papirii; von den Gentilnamen der Besitzer von Grundstücken werden neue Beinamen gebildet, so CIL. VI 337 Iulianus, VI 645 Romanillianus zusammen mit Silvanus Naevianus, VI 3687 Cocceianus, IX 1095. Aelianus, IX 2679 Gagillanus, X 4851 Nerianus, XI 4669 Frontonianus. In allen diesen Fällen ist H. erstlich der Schützer des ländlichen Besitzes, wie Silvanus, bei dem z. T. die gleichen Beinamen zu belegen sind, außerdem aber überhaupt der Abwehrer aller unheilvollen Einflüsse, der Ἡρακλῆς ἀλεξίκακος der Griechen (Preller Griech. Myth. II³ 272. Röm. Myth. II³ 296. Gruppe Griech. Myth. 453). Auf der griechischen Übersetzung der Inschrift CIL VI 309 wird Defensori durch Ἀλξικάκῳ wiedergegeben, vgl. die auf dem Forum Romanum gefundene Inschrift Ἀλεξίκακον Ἡρακλέα τῇ κυρίᾳ πατρίδι Αἴλιοι Ποππαῖος καὶ Ἀσκληπιόδοτος Röm. Mitt. XX 10. In diesem Sinne ist das auf einer kleinen Basis gefundene iambische Epigramm CIL VI [594] 327 = 30 738 zu verstehen: Hercules (I)nvicte San(cte) Silvani nepos Huc advenisti, ne quid hic fiat mal(i). Darunter: G(enio) p(opuli) R(omani) f(eliciter); vgl. Bücheler Anth, lat. lat. II 1 n. 23, Ritschl Opusc. IV 85. Die Verse sind eine Umbildung der als apotropäischer Türinschrift mehrfach belegten griechischen ὁ τοῦ Διὸς παῖς καλλίνικος Ἡρακλῆς ἐνθάδε κατοικεῖ· μηδὲν εἰσίτω κακόν (Kaibel Ep. 1138. Dilthey Epigrammata Graeca in muris picta, Ind. Lect. Gott. 1878, 3). Borrmann Bull. d. Inst. 1879, 43; Arch. Ztg. XXXVIII 42 bezieht das Epigramm auf den Kaiser Commodus, der sich als H. Romanus verehren ließ. Da Silvanus, wie inschriftlich bezeugt, zur Zeit des Commodus Patron der Gladiatoren und der Kaiser auf die Tüchtigkeit seiner Banden stolz gewesen sei, so erscheine die Verbindung mit Silvanus als dessen Enkel nicht unerklärlich. Dagegen erklärte Mommsen Arch. Ztg. a. a. O. 43, daß die Beziehung auf Commodus zwar anzunehmen wäre, hielt es aber für unmöglich, ,daß die Herkunft des als H. geltenden Commodus von der des H. verschieden gedacht werden könne. Es müsse eine Sage gegeben haben, nach welcher die Mutter des H. eine Tochter des Silvanus war‘. Wenn Mommsens Ansicht richtig ist, so handelt es sich natürlich um eine ganz junge Sage, wie schon die genealogische Verknüpfung zeigt, die außerdem niemals zu weiterer Verbreitung gelangt ist. Doch stehen beide Erklärungsversuche auf zu schwachen Grundlagen, um überzeugend zu wirken, sodaß eine Entscheidung über den Sinn der Worte Silvani nepos nicht zu treffen ist. Als Beschützer des Hauses tritt H. sehr häufig unter den Penaten auf. Dies zeigen die pompejanischen Bilder, auf denen H. allein, mit Keule, Becher und Schwein, oder mit dem Genius abgebildet ist. Helbig Wandgem. S. 10 nr. 27. S. 22 nr. 69, S. 25 nr. 77. de Marchi Culto privato 89. Auch fanden sich in pompeianischen Larenkapellchen Bronzestatuetten des H. zusammen mit denen anderer Gottheiten, so Helbig S. 23 nr. 69 b, zwei gemalte Laren über einer Nische, in diesen fünf Statuetten, von denen vier als Genius, H., Iupiter und Isis-Fortuna festzustellen sind, de Marchi 88 bringt die Abbildung einer Larenkapelle, auf deren Hinterwand der Genius familiae zwischen zwei Laren abgemalt ist, davor stehen die Statuetten von zwei Laren, Apollo, Aesculap, Mercur und H. Die zahlreichen H.-Statuetten der Museen sind sicher zum Teil dem gleichen Zweck gewidmet gewesen; vgl. auch Not. d. scav. 1910, 141. Die apotropäische Kraft, der H. seine bevorzugte Stellung als Gott des Hauses zum Teil verdankt, geht auch auf seine Attribute über. Von der die Fliegen abwehrenden Wirkung seiner Keule ist bei Gelegenheit der Ara Maxima die Rede gewesen. Eine besonders wichtige Rolle im Volksglauben spielte der Nodus Herculaneus oder Herculeus. Ausführlich bespricht diesen Heckenbach De nuditate sacra sacrisque vinculis = Religionswiss. Vers. u. Vorarb. IX 3, Gießen 1911, 104. Woher die Bezeichnung stammt, ist nicht sicher. Peter S. 2948 meint, der Nodus H. sei der Knoten, der bisweilen in den Bildwerken, die H. mit dem von dem Löwenrachen umhüllten Kopfe darstellen, durch Verschlingung [595] der beiden Vorderbeine des Felles unterhalb des Halses oder auf einer der beiden Schultern gebildet wird. Überliefert ist davon nichts, und es muß dahingestellt bleiben, ob in der Tat die Verknüpfung des Felles den ersten Anlaß zu der Benennung gab. Die von Oribas. de laqueis 8 (IV 261 ed. Bussem. u. Daremb.) beschriebene Herstellung des Knotens ist allerdings so schwierig, daß er sich aus den Beinen eines Felles auf keinen Fall herstellen läßt. Doch ist es möglich, daß der in der Medizin als Nodus H. bezeichnete Knoten besonders kompliziert war. Jedenfalls galt der H.-Knoten als äußerst schwer auflösbar und wurde in diesem Sinne zum Sprichwort, s. z. B. Apost. prov. VIII 64 a: Ἡράκλειον ἅμμα ἐπὶ τοῦ δυνατοῦ καὶ ἰσχυροῦ δεσμοῦ λέγεται. Der H.-Knoten spielte eine Rolle im antiken Volksaberglauben, wie überhaupt die Knoten im Volksglauben aller Zeiten und vieler Völker zu abwehrendem, heilendem und schadendem Zauber gebraucht werden; vgl. u. a. Heckenbach 69ff. Plin. n. h. XXVIII 63 sagt, daß der Nodus H. beim Verbinden von Wunden angewendet besonders heilsam sei, und auch beim täglichen Gürten der Kleidung habe seine Anwendung einen gewissen Nutzen. Dieser abergläubischen Vorstellung liegt offenbar die Vorstellung von der apotropäischen Kraft des H.-Knotens zu Grunde. Noch deutlicher geht dies aus dem bei Paul. p. 63 überlieferten Hochzeitsgebrauch hervor: hunc (cingulum novae nuptae) Herculaneo nodo vinctum vir solvit ominis gratia, ut sic ipse felix sit in suscipiendis liberis, ut fuit H., gui septuaginta liberos reliquit. Die antike Erklärung des abergläubischen Gebrauches trifft wie meistens in derartigen Fällen nicht das Richtige. Die Braut ist nach römischer Vorstellung besonders dämonischen und magischen Einflüssen ausgesetzt und daher mannigfacher Schutzmittel bedürftig; vgl. Samter Geb. Hochz. und Tod 26, zu denen auch der Nodus H. zu rechnen ist, wie schon Roßbach Röm. Ehe 278 erkannte. Die Henkel von Trinkgefäßen (σκύφοι) wurden nach Athen. XI 500 A in Form eines Nodus H. hergestellt, was durch Gräberfunde in Südrußland bestätigt wurde (Stephani C. R. 1880, 38), Lampen werden damit versehen und Schmucksachen, wie Ringe, Fibeln u. dgl. in dieser Form hergestellt (Stephani a. a. O. Heckenbach 107. Pollak Österr. Jahresh. XII 160). In allen Fällen ist bewußt oder unbewußt die apotropäische Bedeutung des nodus H. der Grund für seine Anwendung. Wie aus den Funden und Zeugnissen hervorgeht, handelt es sich dabei nicht um einen speziell römischen, sondern über die ganze antike Welt verbreiteten Aberglauben (weitere Literatur bei Heckenbach a. a. O. Peter S. 2948).

Schol. Bern. Verg. ecl. 4, 62 heißt es: nobilibus pueris editis in atrio domus Iunoni Lucinae lectus Herculi mensa ponebatur. In diesem Gebrauche sieht Peter S. 2947 eine Bestätigung der besonders von Reifferscheid verteidigten Hypothese, daß sich hinter H. der italische Genius verberge, der mit Iuno zusammen als Ehegottheit verehrt wurde (IX c). In der durch den Scholiasten notierten Sitte erscheine der göttliche Ehebund als getreues Abbild des menschlichen: ,wie die Frau nach der Geburt darniederliegt, [596] während der Hausherr am Tische sich gütlich tut, so erhalten die das eheliche Leben beschützenden Gottheiten dementsprechend einen Lectus und eine Mensa‘. Abweichend von der Darstellung des Brauches in dem Scholion heißt es Mythogr. Vat. I 177: Templum Iunonis fuit, in quo mensam Hercules et Diana lectum habuit; ubi portabantur pueri, ut de ipsa mensa ederent et inde acciperent fortitudinem, et in lecto Dianae dormirent, ut omnibus amabiles fierent, et illorum generatio succresceret. Ob diesem Zeugnis selbständige Bedeutung beizumessen oder ob es für eine späte Interpolation zu halten sei, ist schwer zu entscheiden. In jedem Falle ist unter Diana natürlich Iuno Lucina zu verstehen. Ganz ähnlich war der Brauch, dem Pilumnus und Picumnus, die als di coniugales eine Rolle spielen, nach der Geburt eines Kindes im Hause einen Lectus aufzustellen (Varro b. Non. p. 528, 11; vgl. Interp. Serv. X 76). Mit Recht erklärt Wissowa Rel. d. R. 228 es für unzulässig, die Varronotiz mit dem Berner Scholion zu verbinden und daraus zu folgern, daß Iuno und H. hier als Ehegötter auftreten. Als solche könnten doch nur der Genius des Hausvaters und die Iuno der Gattin verehrt werden, hier aber sei Iuno ausdrücklich als Lucina bezeichnet, also als Geburtsgöttin aufgefaßt (vgl. Tertull. de an. 39, wo von Iuno allein die Rede ist: per totam hebdomadam (sc. vor der Geburt) Iunoni mensa proponitur). Picumnus und Pilumnus gehören zu den ältesten römischen Gottheiten; der Brauch, ihnen einen Lectus aufzustellen, wurde offenbar später durch jenen anderen abgelöst (vgl. Wissowa Rel. d. R. 357, 1). Wenn darin H. neben die Beschützerin der Geburt gestellt wird, so berechtigte dazu seine aus griechischem Vorstellungskreise stammende Auffassung als Abwehrer alles Unheils. Daß man bei der Geburt eines Kindes auf allerlei apotropäische Maßregeln eifrig bedacht war, ist bekannt; vgl. Samter a. a. O.

     e) Eine Anzahl von Beinamen des H., die gelegentlich auf Inschriften vorkommen und teils ganz allgemein gehalten, teils in ihrer Bedeutung nicht genau festzustellen sind, seien hier aufgezählt. H. Adiutor CIL XI 319; vgl. Conservator, Comes u. dgl. H. Barbatus XIII 7694 (Brohl), von Peter S. 2968 von einer Statue mit dem gewöhnlichen Typus des Gottes verstanden, wobei nicht ausgeschlossen sei, daß dieser H. in ähnlicher Weise wie Fortuna Barbata um Verleihung des Bartes angefleht wurde. Zangemeister Neue Heidelb. Jahrb. V 55 sieht mit größerer Wahrscheinlichkeit in H. Barbatus den germanischen Donar, dem gerade in Brohl zahlreiche Weihungen gelten. H. bullatus VI 302, nach der Ergänzung Mommsens Herculi bull(ato), während Visconti bull(am) vorschlug. Mommsen vergleicht damit H. Puerinus und H. Pusillus (s. u.), versteht also unter H. bullatus eine Statue des H. als Kind mit der Bulla, wobei er auf Val. Max. III 1, 1 verweist, der eine statua bullata des Aemilius Lepidus auf dem Capitol erwähnt. Über Darstellungen des H. im Kindesalter s. Furtwängler bei Roscher Myth. Lex. I 2192. H. Celer I 815 = VI 304 = 30733, vielleicht auf H. als Beschützer der Reisenden (s. o.) [597] zu beziehen. H. Compos IX 5731 gehört vielleicht zu dem gleichen Vorstellungskreis wie Defensor und Conservator. H. Impetrabilis V 5768, Beiname allgemeinen Charakters. H. Iovius, auf der oskischen Inschrift IX 3414 Herclo Iovio (s. I b), ferner Not. d. sc. 1880, 479. Bull. com. 1880, 286; vgl. CIL VI 291: sacrum Iovis Herculi. Der Beiname Iovius findet sich auch bei anderen Göttern, s. Reifferscheid Ann. d. Inst. XXXVIII 216. Preller R. M. II³ 187. H. Iuvenis V 5693, die Herkunft der Inschrift ist verdächtig, nach Peter S. 2968 bezog sie sich auf eine Darstellung des H. als Jüngling. H. Malliator XIII 6619 (Obernburg a. Main): Herculi Maliator(i), wird von Zangemeister Neue Heidelb. Jahrb. V 55 ebenfalls mit Donar, dessen Attribut der Hammer war, gleichgesetzt. Daß in der Inschrift H. ponderum gemeint sei, dem VI 44 die Malliatores eine Weihung darbringen, muß wegen der Herkunft der Inschrift als ausgeschlossen gelten. Die Inschrift war, wie Zangemeister meint, von einem oder mehreren Soldaten geweiht, die in die Steinbrüche von Brohl zu Holz- oder Steinarbeiten abkommandiert waren. H. Primigenius II 1436. IX 2795/6, wenn die auf beiden Inschriften wiederholt vorkommende Abkürzung H. P. D. von Mommsen richtig zu Herculi Primigenio dedit ergänzt wird. Die Grabschriften VI 7655. 9645 enthalten nach der Angabe des Namens und Gewerbes des Toten die Worte: ab Hercule Primigenio. Es handelt sich, wie Visconti Bull. d. Inst. 1861, 19 nachweist, um eine Ortsangabe, entweder einen Tempel oder ein Standbild, oder um die Bezeichnung eines Hauses durch ein Ladenschild. Den Beinamen Primigenia führte die Fortuna von Praeneste; vgl. Jordan Symbolae ad historiam religionum Italicarum alterae, Ind. lect. Regim. 1885; o. den Art. Fortuna. Peter bei Roscher Myth. Lex. I 1541. Er bedeutet, wie Jordan 6 ausführt, nichts anderes als erstgeboren, der Beiname gehört also in dieselbe Reihe mit H. Iovius (,amore fuisse Herculem patri primigenium licet non fuerit natura, Graecorum religionibus familiare fuit‘, Jordan 8). H. Puerinus VI 126, wird gewöhnlich von einer den H. im Kindesalter darstellenden Statue verstanden, s. o. H. bullatus, dasselbe gilt von H. Pusillus, der nach Mart. III 47 bei der Porta Capena ein Heiligtum hatte. Friedländer zu dem Epigr. denkt an ein kleines Standbild des H. H. Pugil VI 337, könnte mit der Bedeutung des H. als Schutzpatron der Gladiatoren (vgl. z. B. Bull. com. 1891, 185 T. VII: ἡ ἱερὰ ξυστικὴ σύνοδος τῶν περὶ τὸν Ἡρακλέα, dazu Ricci a. a. O. und bei Ruggiero Diz. ep. I 755. Waltzing Mus. Belge II 292. 28) zusammenhängen, doch äußert Mommsen Bedenken über die Echtheit der Inschrift, die den Gott selbst zum Gladiator macht. H. Respiciens IX 4673 (Reate): Loc(us) cultorum Herculis Resp. Mommsen z. d. Inschr. verweist auf die Fortuna Respiciens s. den Art. Fortuna. Peter bei Roscher Myth. Lex. I 1513. H. Restitutor III 6867, möglicherweise auf H. als Vermögensspender zu beziehen. H. Sanctus, sehr häufig auf Inschriften, z. B. III 832. 1573. 1573 a. 6450. VI 340. 341. 3689. X 5160 (Weihung vom 1. Juli); vgl. Höfer bei Roscher Myth. Lex. [598] IV 311, 41. Unerklärt ist die vielleicht einen Beinamen enthaltende Inschrift von Alba Fuc. IX 3961: cult. Hercul. Sala. Die Auflösungen der Inschriften III 3651: Herculi m. d. sac. in Herculi magno deo und II 3009: Herculi quiet. gentum in quietori oder quieti sind unsicher. Ein H. Ampl(iator) patrius wurde von Mommsen Eph. ep. II 377 aus einer Ofener Inschrift erschlossen, doch läßt die erneute Prüfung der erhaltenen Buchstaben diese Lesung nicht zu, CIL III 10 405 liest Hirschfeld Her(culi) Amp(hissen)si patrio. Über die Beinamen des H. in der poetischen Literatur s. Carter Epith. deor. 42, über die in den germanischen und keltischen Provinzen s. u.

 VIII. Aetiologische Sagen.

Über den Zug des H. durch Italien s. Herakles. An seinen Aufenthalt an der Stätte des späteren Rom knüpfen sich außer den bei der Besprechung der Ara Maxima erwähnten noch mehrere Sagen meist ätiologischen Charakters. Die wichtigste von ihnen ist die vom Kampfe des H. mit Cacus, s. o. Bd. III S. 1165. Hinzuzufügen ist als bildliche Darstellung das Arch. Anz. 1897, 10 erwähnte Terrasigillatagefäß mit einer auf die Erlegung des Cacus bezogenen Szene, gefunden bei Tarquinpol unweit Dieuze, dem alten Decempagi: ebendarauf bezieht Haug das Westd. Ztschr. X Taf. 2, 120 c abgebildete Relief eines Viergötteraltares. Als Ergänzung weniger für die mythologische als die literarische Seite der Sage kommt ferner das unten genauer zitierte Werk von Winter The Myth of H. at Rome, New York 1910, dazu. W., der sich in der Beurteilung des Mythus selbst an Wissowa anschließt und gleich diesem in H. den griechischen Herakles sieht, versucht in einer ausführlichen Untersuchung die älteste Form desselben und die Quellen seiner prosaischen und poetischen Darstellungen festzustellen. Für die Prosaiker sind die ältesten Quellen, die er nachweisen zu können glaubt, Timaios (Diod. IV 21), Tubero (Dion. Hal. I 39. 40. Liv. I 7), Varro, der seinerseits die Annalisten Piso und Gellius benutzt habe (Macr. I 12. Fest. 270. Serv. Aen. VIII 203. Origo 6—8. Plut. quaest. Rom 20; Caes. 9. Tert. ad nat. 2, 9. Lact. I 22). Vergil dagegen benutzte nach Winters Ansicht vor allem die Schilderung des Kampfes zwischen Zeus und Typhoeus Hesiod. Theog. 820 und den homerischen Hymnus auf Hermes. Die Feststellungen Winters verdienen bezüglich Hesiods und Tuberos Beachtung, da diese Quellen in den bisherigen Untersuchungen nicht ausführlich behandelt worden waren. Unter den von Varro bezw. Verrius Flaccus abhängigen Darstellungen mißt Winter der der Origo entschieden zu großen Wert bei. Die Untersuchungen über die von den genannten Hauptquellen abhängigen Versionen bringen zum Teil durchaus Bekanntes, so die Abhängigkeit Ovids (fast. 543. VI 80) und Properz’ (IV 9) von Vergil, andrerseits sehr viel Unsicheres, worüber auch das der Abhandlung beigegebene Stemma der Quellen nicht hinweghelfen kann; vgl. auch die ausführliche Besprechung der Winterschen Abhandlung durch Gruppe Berl. Phil. Wochenschr. XXXI 998. Zu vergleichen sind außer Cacus die Art. Acca Bd. I S. 131, Akron Bd. I S. 1199, wo hinzuzufügen [599] zufügen ist, daß Akron nach Prop. V 10, 9 wahrscheinlich als Abkömmling des H. zu denken ist, vgl. Preller Röm. Myth. II³ 285, 1. Argei Bd. II S. 2285. Fabius Bd. VI S. 1740, Latinus, Pallas. Als Einzelheit sei noch erwähnt, daß der Sage nach H. in Italien die Kunst des Düngens (Plin. n. h. XVII 50) und die Buchstahen (Plut quaest. Rom. 59) eingeführt hat, letzteres nach einer Notiz des Iuba.

 IX. Wesen und Herkunft des römischen Herculeskultes.

     a) Im Altertum galt im allgemeinen die Anschauung, daß H. der griechische Herakles und sein Kult in Rom ein sacrum peregrinum sei. Nur vereinzelt finden sich Versuche, H. mit anderen Göttern gleichzusetzen. So versuchte Varro, Mars und H. als dieselben Götter zu erweisen, und angeblich galt diese Anschauung sogar bei den Pontifices als die richtige, s. VII b. Über die ganz vereinzelte Gleichung H. = Incubo s. VII a 4. Verhältnismäßig am meisten verbreitet war die ebenfalls von Varro berichtete Identifikation mit Dius Fidius = Semo Sancus, die er auf Aelius Stilo zurückführt (de l. l. V 66 … Dius Fidius. Itaque inde eius perforatum tectum ut † ea videatur divum i. e. caelum. Quidam negant sub tecto per hunc deierare oportere. Aelius Dium Fidium dicebat Diovis filium, ut Graeci Διόσκορον Castorem, et putabat hunc esse Sancum ab Sabina lingua et Herculem a Graeca. Fest. p. 229: Propter viam fit sacrificium, quod est proficiscendi gratia, Herculi aut Sanco, qui scilicet idem est deus. Paul. p. 147: Medius Fidius compositum videtur et significare Iovis filius i. e. Hercules … Quidam existimant iusiurandum esse per divi fidem, quidam per diurni temporis i. e. diei fidem. Prop, IV 9, 731: hunc, quoniam manibus purgatum sanxerat orbem Sic Sanctum Tatiae composuere Cures (vgl. z. d. St. Türk De Propertii carminum auctoribus, Hal. 1885, 35. Über die Entstellung des Namens Sancus in Sanctus s. Wissowa in Roschers Myth. Lex. IV 316). Tert. de idol. 20: ceterum consuetudinis vitium est Mehercule dicere, Medius Fidius, accedente ignorantia quorundum, qui ignorant iusiurandum esse per Herculem. Noch wichtiger als diese Gleichsetzung wurde für die kritische Behandlung des H.-Kultes und Mythus die Serv. Aen. VIII 203. Origo gent. Rom. 6 aus Verrius Flaccus bezw. Cassius (Hemina?) beigebrachte Variante des Cacusmythus, in der als Besieger des Cacus nicht H., sondern Garanus (Serv.) oder Recaranus (Origo), ein Hirt von riesigen Körperkräften, auftritt (s. Art. Garanus und Cacus).

     b) Eine Reihe von Forschern gelangte durch eine genaue Untersuchung der vorliegenden Zeugnisse und durch die Verbindung der Sancusgleichung mit der Garanusversion dazu, die Frage nach der Herkunft des H. in dem Sinne zu beantworten, daß sich hinter ihm eine uralte italische Gottheit verberge. Von maßgebender Bedeutung ist Hartungs Behandlung der Frage geworden (Erlanger Progr. 1835 = Rel. d. R. II 21–31. I 36ff.). Er vergleicht Namen und Wirken des Recaranus, des ,Wiederbringers‘ mit dem des Iuppiter Inventor, dem nach einigen Berichten über das Cacusabenteuer von H. ein Altar errichtet [600] wurde, und kommt dazu, den Recaranus wenn auch nicht offen mit Iuppiter zu identifizieren, so doch ihn als eine ,endliche Erscheinungsform desselben‘ hinzustellen. Als weiteren Beweis für die enge Verwandtschaft führt er dann die antike Gleichung H. = Dius Fidius – Semo Sancus an. Diesen hatte Hartung I 37, fußend auf einer noch dazu verderbten Stelle der interpolierten Regionsbeschreibung des angeblichen P. Victor (Urlichs Codex Romae Topogr. 37. Reg. VII 4), als wesensgleich mit dem Genius zu erweisen gesucht, doch geht er noch nicht so weit, H. auf dem Wege über Iuppiter Inventor – Dius Fidius – Semo Sancus mit dem Genius zu identifizieren. Während Heffter Jahrb. f. Philol. XXX 283 der kühnen Hypothese Hartungs zweifelnd gegenübersteht, wurde sie von Metzger in Paulys R.-E. in S. 1177 in vollem Umfange aufgenommen, wenn er auch seine Besprechung der Frage damit beginnt, den italischen H. mit Herakles für gleichbedeutend zu erklären. Schwegler Röm. Gesch. I 364 suchte die Ansicht Hartungs zu vertiefen, indem er mannigfaltige Entsprechungen im Wesen des Sancus einerseits und des H. andererseits feststellte. Beide seien gleicherweise Bekämpfer feindlicher Mächte, Schützer von Recht und Eigentum und Götter der Eidschwüre gewesen (Plut. quaest. Rom. 28. Varro de l. l. V 66 und bei Non. 494), auch die Sitte der Decuma sei aus der Idee des Sancus geschöpft. Möglicherweise habe Sancus als Beschützer des Eigentums den Beinamen Herculus geführt (von hercere). Auch die bei Hartung noch im Keime befindliche Identifikation von H. mit Genius tritt wieder auf und wird neu gestützt (S. 367, 17), Schwegler bemerkt, ausgehend von dem Brauche, daß in Rom die Frauen nie bei H., sondern immer bei ihrer Iuno schwuren, der ,römische H. erscheine hier als identisch mit dem Genius oder Iuppiter der Männer‘, und fährt zur Unterstützung dessen das auf der Inschrift von Agnone dem H. beigelegte Epitheton keríios = genialis an. Dagegen erhielt Hartungs Gleichung Recaranus = Iuppiter, in der im Grunde genommen seine ganze Beweisführung hängt, durch Schwegler keine neue Bekräftigung. Doch wird von ihm zum erstenmal ausführlicher der Cacusmythus mit den vedischen Indrakämpfen verglichen (erste Hinweise bei Rosen Anm. zu Rigveda S. XXI. Kuhn Ztschr. f. deutsch. Altert. VI 128. Über den Ausbau dieser Hypothese durch Bréal vgl. den Art. ). In erster Linie von sprachlichen Gründen ausgehend, sprach sich Mommsen Unterital. Dial. 262 gegen eine Entlehnung des H., des nationalsten aller römischen Götter, von Herakles aus, indem er den Namen von hercere ableitete und in H. einen Ausschließer des Fremden und Störenden, also eine Art Ζεὺς ἑρκεῖος sah, welche Etymologie, wie oben gezeigt, auch von Schwegler aufgenommen wurde. Doch sprach er sich später (Röm. Gesch. I⁷ 178) für die griechische Herkunft des H. aus, während die Ableitung von hercere von Walde Etymol. Wörterb.¹ 284 doch für möglich gehalten wird. Von Preller Röm. Myth. II³ 278 wurden keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte beigebracht. Auch er spricht sich (S. 286) für einen nationalen Ursprung des H.-Kultes aus, der durch die griechische [601] Hülle erst später verkleidet worden sei, doch geht er nicht soweit, H. mit einer bestimmten italischen Gottheit gleichzusetzen. Die Ähnlichkeiten zwischen H. und Sancus werden auch von ihm hervorgehoben und einige neue Züge dafür beigebracht, auch verweist er auf die Verwandtschaft mit Silvanus. Die Garanussage erklärt er für ,eine keineswegs zu verachtende Tradition‘ und setzt Garanus – Genius (zurückgewiesen von Jordan 283, 4).

     c) In eine neue Bahn wurden die Untersuchungen über das Wesen des H. durch den Aufsatz Reifferscheids Ann. d. Inst. XXXIX 352–362 gelenkt (De Hercule et Iunone diis Italorum coniugalibus). Schon durch die literarischen Zeugnisse wird nach Reifferscheids Meinung bewiesen, daß H. und Iuno nicht nur, wie schon Schwegler bemerkt hatte, als Schutzgottheiten des männlichen und weiblichen Geschlechts, sondern geradezu als Ehegottheiten galten. Aus diesem Grunde sei die Ausschließung der Frauen von dem Kult der Ara Maxima zu erklären. Ein Verbot für Männer, sich am Kulte der Iuno zu beteiligen, ist nicht nachzuweisen, doch benutzt Reifferscheid die Tatsache, daß Männer vom Kulte der Bona Dea ausgeschlossen waren, dazu, um die Entsprechung herzustellen, denn Bona Dea Iunoni maxime propinqua est (354). Besonders bezeichnend sei die Sitte, nach einer Geburt im Atrium der Iuno einen lectus und H. eine mensa aufzustellen, vgl. VII d. Da nach Varro bei Non. 518 die Ehegötter Pilumnus und Picumnus auf dieselbe Weise geehrt wurden, so schließt Reifferscheid: etiam Herculem et Iunomm deos coniugales fuisse et ideo Herculem hoc loco coli, quod sub eo Genius lateat mihi concedes. Diese auf Grund der literarischen Überlieferung gewonnene Ansicht will Reifferscheid durch eine Reihe von Kunstwerken bekräftigen. (Die in der archäologischen Literatur ziemlich zerstreuten Beschreibungen, zum Teil auch die Abbildungen, sind mit reichlichen weiteren Literaturangaben von Peter 2259–2267 zusammengestellt). Diese Kunstwerke sind: 1. Etruskischer Spiegel (Gerhard Etr. Sp. Taf. 147. CIL I 56, s. I a): Iuppiter auf einem Altar sitzend, vor ihm H. und Iuno, durch Überschriften gekennzeichnet. Die Szene gibt nach Reifferscheid nicht die Versöhnung des Herakles mit Hera, sondern die Vermählung des H., d. i. des Genius mit Iuno wieder. Für die Richtigkeit dieser Erklärung sprächen die zur Seite der beiden Ehegottheiten angebrachten Geschlechtssymbole. 2. Pränestinische Cista (Mon. d. Inst. VI Taf. 54. CIL I 1500, s. o. I a): Versammlung von Göttern und Heroen, in der Mitte Iuppiter, rechts von ihm H., links Iuno. 3. Etruskische Lampenbasis aus Perusia (Vermiglioli Saggio di bronzi Etr. Taf. I 8. Schorn Glyptothek 42, Abb. u. a. Cook Class. Rev. XX 375). Auf den drei Füßen der Basis sind dargestellt Venus, H. und Iuno, letztere mit den Attributen der Iuno Sispes von Lanuvium. (Daß in Lanuvium H. mit Iuno Sispes zusammen verehrt wurde, zeigt die oben erwähnte Inschrift Ephem. epigr. IX 605: Herculi Sancto et Iunoni Sispiti). Was die Zusammenstellung der letzten beiden Gottheiten besage, gehe aus der Hinzufügung der Venus als dritter und deren [602] Gestus, dem Anheben des Gewandes, zur Genüge hervor. 4. Goldring aus der Sammlung Waterton (Ann. d. Inst. XXXIX Taf. H), von Reifferscheid als Verlobungsring (anulus pronubus, Tert. apol. 6) erklärt: H. und Iuno, letztere wieder als Sispes, dargestellt mit einander zugekehrten Köpfen. H. erfaßt das Lanzeneisen der Iuno, diese die Keule des H. Das schaftlose Lanzeneisen erinnert an die hasta caelibaris des römischen Hochzeitsrituals. Wenn auf diesem Ring zugleich ein Kampf und eine enge Vereinigung der beiden Gottheiten dargestellt sei, so komme dies Verhältnis noch deutlicher auf einigen etruskischen Mischkrughenkeln zum Ausdruck, auf denen H. im Kampfe mit einer Frau dargestellt ist, die die Keule des H. mit einer Waffe abwehrt, die der auf dem Ring dargestellten Lanzenspitze genau gleicht. Auf dem ersten der von Reifferscheid aufgezählten Griffe (Micali Mon. ined. Taf. 21, 5) stehen sich die beiden Gestalten kämpfend gegenüber, angebracht auf den ausgestreckten Händen eines Satyrs, auch hier erscheint Iuno als Sispes mit Ziegenfell, Schild und Lanze. Auf drei weiteren Handgriffen kämpfen H. und Iuno um ein aus den Arbeiten des H. bekanntes Tier (Eber, Hindin, Hydra), das beide mit der einen Hand festhalten und einander zu entreißen suchen, während sie sich mit Keule und Lanzeneisen bedrohen (Mus. Greg I Taf. 6, 3. 61, 8. Mon. d. Inst. V Taf. 52). Vorbild waren nach Reifferscheid die bekannten Darstellungen des Dreifußraubes. Zweifelhaft erscheint es ihm (357, 2), ob hierher gehören die Darstellungen Mon. d. Inst. VI/VII Taf. 69, 2b: Eurystheus in einem Dolium versteckt, von einer Frau beschützt, und Mon. d. Inst. V Taf. 25, Cista von Capua: Ein Mann tut einer Frau Gewalt an. Eine Bronzefigur in Florenz (Gori Mus. Etr. I 25) stellt Iuno Sispes mit kampfbereit erhobenem Arm dar. Der fehlende Gegner war nach Reifferscheids Überzeugung eben H. Die auffallende Tatsache, daß die als Ehegottheiten doch eng verbunden zu denkenden Gottheiten auf den aufgezählten Kunstgegenständen im Kampfe dargestellt sind, erklärt Reifferscheid dadurch, daß auf ihnen Iuno und H. noch nicht als Ehepaar erscheine, sondern daß Iuno sich noch sträube, sich dem H. zu ergeben. Die Natur dieses Kampfes werde gut angedeutet durch den Satyr auf dem ersten der angeführten Mischkruggriffe, auch deute der auf dem Goldring sichtbare Gürtel der Iuno darauf hin, daß die Ehe noch nicht geschlossen sei (Paul. p. 63). Für die Erklärung dieses durch die natürliche Scheu der Braut bedingten Brautkampfes verweist Reifferscheid auf entsprechende Sagen bei den Griechen (Peleus und Thetis) und Germanen (Siegfried und Brunhild), eine Spur für das Vorhandensein der gleichen Vorstellung im italischen H.-Iuno-Mythus sei der Gegensatz der Kulte des H. und der Bona dea in Rom (Prop. V 9, 21. Macrob. II 12, 28; vgl. o. Bd. III S. 686). Reifferscheid verweist ferner auf den Kampf des Mars mit Nerio (Porph. zu Hor. ep. II 2, 209), den Raub der Sabinerinnen und gewisse Hochzeitsriten, die auf einen ursprünglichen Brautraub schließen ließen. Auf mehreren Dreifußdarstellungen (Mus. Greg. I Taf. 56 h. Mon. d. Inst II Taf. 42. III Taf. 43; Nouvelles [603] annales. Monum, inédits. Taf. 24) wird H. von einer festlich gekleideten Frau vorwärts gezogen Auch diese bezieht Reifferscheid auf den ἱερὸς γάμος der beiden Ehegottheiten (nec a verum natura dissidet mulierem quae ante gravata sit virginitatem amittere nunc festinare 360). Bisweilen tritt auf etruskisohen Darstellungen (Gerhard Etr. Sp. 165) an Stelle der Iuno Minerva als Gattin des H. auf, dem sie den Tages gebiert. Auch diese, von der Freundschaft des H. mit Athene, die bisweilen auch als Liebesverhältnis dargestellt wird (360, 3), beeinflußte etruskische Vorstellung, verwendet Reifferscheid für seine Theorie, indem er darauf hinweist, daß von Festus p. 359 Tages als Sohn des Genius und Enkel des Iuppiter bezeichnet wird. Ebenso erkläre sich die Darstellung eines Kampfes zwischen H. und Minerva auf einem etruskischen Spiegel (Gerhard a. a. O. 159).

d) Peter 2259–2270 schließt sich der Beweisführung und Ansicht Reifferscheids, daß H. eine uritalische Ehegottheit sei, unbedingt an. Wenn seine Darstellung auch keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte und Beweise beibringt, so wurde sie wegen ihrer lückenlosen Sammlung und Aufzählung der Literatur für alle Nachprüfungen der Frage von unschätzbarer Bedeutung. Diese bleibt ihr gewahrt, wenn auch, wie heute fast allgemein der Fall ist, die auf den ersten Blick so einleuchtende Hypothese Reifferscheids nur zum Teil oder gar nicht aufrecht erhalten wird. Sie wies vor allem v. Wilamowitz Herakles² 25 scharf zurück (,die Versuche eine urverwandte oder auch durch zufällige Namensähnlichkeit identifizierte italische Gottheit in ihm zu sehen, sind zum Glücke fast allgemein aufgegeben‘. 25, 49 ,der interessante Versuch von Reifferscheid operiert mit einem Materiale, das immer vieldeutig, nicht selten sicherlich fremdartig ist‘). Von den späteren Bearbeitern der H.-Frage ist Aust Die Relig. d. Römer, Münster 1899, 146 von Reifferscheid noch ziemlich abhängig, indem auch er H. mit dem Genius gleichsetzt, wenn er auch für eine mittelbare Entlehnung von den Griechen eintritt. Etwas weiter von Reifferscheid entfernt sich Fowler Roman Festivals, London 1899, 194. Er hält zwar auch daran fest, daß H. = Genius zu setzen sei (nicht = Genius Iovis, s. S. 142), vergleicht aber dann mit dem Opfer an der Ara Maxima die Vorschriften, die Cato de agric. 83 für ein Opfer gibt, das dem Mars Silvanus für das Gedeihen des Viehs zu bringen sei: eam rem, divinam vel servus vel liber faciat, Ubi res divina facta erit, statim ibidem consumito. Mulier ad eam rem divinam ne adsit neve videat, quomodo fiat. Hoc votum in annos singulos, si voves, licebit vovere, und hält es, zugleich mit Hinweis auf die antike Identifikation, für möglich, daß der H. der Ara Maxima wesentliche Züge des Mars in sich aufgenommen habe. Während der Kult des H. sich aus italischen Vorstellungen erklären lasse, sei der Mythus vielleicht semitischen Ursprungs und über Sizilien nach Rom gekommen. Er geht dabei aus von einer in Sizilien gefundenen sf. attischen Vase des 6. Jhdts., deren Bild von Gardner (Journ. hell, stud. XIII 70. Catal. of Greek Vases in [604] Ashmolean Mus. 211 Taf. 1 A) als der Rinderraub des Cacus gedeutet wurde. Nach einer Zurückweisung dieser Erklärung durch Pernice Arch. Jahrb. XXI 45 gab auch Gardner die sichere Beziehung auf Cacus auf (Journ. hell., stud. XXVI 226). Für einen phönizischen Ursprung des Mythus kann die Vase ebensowenig als Beweismittel herangezogen werden, wie das ebenfalls von Gardner angeführte kyprische Relief (Abb. bei Voigt in Roschers Myth. Lex. I 1635; vgl. Winter in dem gleich zu zitierenden Aufsatze S. 273) oder die Sitte der Decuma, zumal Fowler selbst (S. 195) feststellt, daß dieser Gebrauch an den verschiedensten Stellen der Erde anzutreffen sei. Dürrbach (Daremberg-Saglio III 124) nimmt zwar auch an, daß H. italische Elemente aufgenommen habe, doch seien diese als ziemlich unwesentlich zu veranschlagen. H. sei aus Griechenland eingeführt, und zwar nicht unmittelbar, sondern einerseits durch die griechischen Kolonien in Unteritalien und Sizilien, andererseits von Etrurien her. Daß in diesem Lande der H.-Kult sehr verbreitet war, zeigen u. a. die von Reifferscheid beigebrachten etruskischen Kunstgegenstände, deren Zusammenstellungen von H. und Iuno jedoch als rein dekorativ zu erklären seien. Die eingehendste Kritik der Reifferscheidschen Ansicht ist die von Wissowa Rel. d. Röm. 227, an ihn schließt sich eng an und bringt zum Teil wertvolles neues Material Winter The Myth of Hercules at Rome, University of Michigan Studies, Human. Ser. IV 2. New York 1910, 171–273, bes. 179ff. Es versteht sich von selbst, daß Wissowa sich zuerst gegen das von Reifferscheid aufgeführte kunstgewerbliche Material wendet. Er gibt zu, daß die anderweitigen Deutungen dieser Darstellungen nicht befriedigen, doch sei es andererseits nicht zulässig, aus diesen Denkmälern so verschiedener Herkunft Folgerungen für die religiösen Vorstellungen der Römer zu ziehen. Selbst wenn auf ihnen mythologische Beziehungen italischer Götter zum Ausdruck kommen sollten, was Wissowa nicht annimmt, würden sie doch nur für die Religion Etruriens als Zeugnisse gelten können. Andererseits sei es falsch, zur Deutung etruskischer Denkmäler das heranzuziehen, was uns von dem römischen Genius und Dius Fidius bekannt ist, wozu Wissowa die Worte v. Wilamowitz (Herakl.² 25, 49) anführt: ,Übrigens folgt aus der Entlehnung, daß es unerlaubt ist, die Vorstellungen, die der Latiner mit H. verbindet, ohne weiteres auf den Campaner, Samniten, Brettier zu übertragen, vielmehr wird nur die Differenziierung ein wissenschaftlich haltbares Ergebnis liefern‘. Der Zweifel Wissowas, daß es sich bei den Reifferscheidschen Darstellungen um italische Mythen handle, wird durch die Kritik, der Winter die einzelnen Gegenstände unterzieht, zum Teil sehr verstärkt. Er sucht jedesmal ähnliche Darstellungen griechischer Kunst beizubringen, um zu zeigen, daß auch der etruskische Künstler nur fremde Mythen darstellte, was Winter freilich nicht immer ganz gelungen ist. So kann die Erklärung, die er für die erste Spiegeldarstellung gibt (S. 179, 1), nicht überzeugen, denn es geht kaum an, die Anbringung der Geschlechtssymbole nur auf die der [605] Versöhnung mit Hera folgende eheliche Verbindung mit Hebe zu beziehen. Sollte es nicht möglich sein, phallus und cunnus von dem dargestellten mythologischen Vorgang ganz loszulösen und sie als Apotropaia zu fassen, wie sie auf Gebrauchsgegenständen häufig angebracht werden?; vgl. Jahn Ber. Leipz. Ges. VII (1855) 68. 79. Dagegen lehnt Winter mit Recht die zweite Darstellung auf der Cista als nicht beweiskräftig ab. Die hier außer den drei genannten abgebildeten Götter und Heroen, Victoria, Mercur, Achilleus, Aias, Hektor u. a. müssen entweder für die Deutung der Szene mitberücksichtigt werden oder – was wahrscheinlicher ist – es handelt sich nur um ein Beispiel für die rein ornamentale Zusammenstellung mythologischer Gestalten, wie sie auf etruskischen Denkmälern, in Nachahmung späterer griechischer Vasenbilder, auch sonst belegt ist. (Über die Vorliebe etruskischer Künstler für H. und ihre Art, ihn auf allen möglichen mythischen Darstellungen anzubringen, vgl. Körte Strena Helb. 168). Winter führt als Beispiele anderer Cisten mit Götterversammlungen an Mon. d. Inst. VI Taf. 55. CIL I 1501. Mon. d. Inst. IX Taf. 58/59, wo zwischen Mercur und Apollon H. steht. Zur Deutung s. Ann. d. Inst. XLV 221. Auch die Figuren der perusinischen Basis erklärt Winter als rein dekorativ und verweist (180, 1) auf ähnliche Basen Mon. d. Inst. III Taf. 43. Ann. d. Inst. XIV 62. Die Zusammenstellung von Iuno und H. auf dem Ringe erklärt er aus mythologischen und künstlerischen Gründen (181, 1). Iuno Sospita entspreche der Hera Eileithyia, ihre Attribute, besonders das Ziegenfell, machten sie auch aus Gründen der Symmetrie zu einem geeigneten Gegenstück für H., doch ist auch diese Erklärung, besonders in ihrem ersten Teile, nicht sehr überzeugend. Die Beweiskraft der Darstellungen auf den Kraterbasen wird von Winter ebenfalls in Abrede gestellt (182); während seine Erklärung für den Kampf zwischen H. und Iuno auf der ersten der angeführten Darstellungen sehr allgemein gehalten ist, kann er sich für die griechische Herkunft der Szenen, in denen um ein Tier des Dodekathlon gekämpft wird, auf Reifferscheid selbst berufen, der an die Dreifußraubszenen erinnerte. Von Bedeutung für diese Kampfszenen ist übrigens die von Cook Class. Rev. XX 376 erwähnte Vase des Britischen Museums (Brit. Mus. Cat. – Xr. 427 Greek Vases Gerhardt Auserl. Vas. Taf. 127), auf der Hera mit einer Ziegenfellkappe in Gegenwart von Athene und Poseidon mit Herakles kämpft. Was endlich die auf den etruskischen Dreifüßen dargestellten Verbindungen von H. mit einer Frau betrifft, so erklärt sie Winter (184) als Szenen zwischen Herakles und seinen Geliebten; für ähnliche Zusammenstellungen mit Athene bringt Winter zahlreiche literarische und künstlerische Belege bei, für eine erotische Verbindung mit Hera fehlt es an solchen. Das was Cook a. a. O. zum Beweise eines Ehebundes zwischen Hera und Herakles vorbringt (vgl. Harrison Class. Rev. VII 75), beweist wenig, da es zum größten Teil in einer Wiederholung der strittigen Reifferscheidschen Argumente besteht. Die von Cook 377 aufgestellte Hypothese: ,Hera and [606] Herakles were a matriarchal pair of deities corresponding to the patriarchal pair Zeus and Dia or Dione‘ ist durchaus unbewiesen; vgl. Prickartz Mus. Belge 313. 326.

Auch die literarischen Zeugnisse, aus denen nach Ansicht der Früheren die Identität des H. mit Dius Fidius und Genius hervorging, werden von Wissowa (228) nachgeprüft und als nicht beweiskräftig erwiesen. Da H. bereits im Altertum. mit Dius Fidius gleichgesetzt wurde, so sei auf die Nachricht des Plutarch, daß man bei H. nur unter freiem Himmel schwöre, kein Wert zu legen. Denn offenbar folge Plutarch hier einer Quelle, die bei Erwähnung des Brauches, bei Dius Fidius in jener Weise zu schwören, für diesen einfach H. einsetzte. Auch könne für die Gleichung H. = Genius nicht angeführt werden, daß H. auf der Inschrift den Beinamen kerríios = genialis habe, denn dasselbe Epitheton erhalten auf der Inschrift auch andere Götter. Auch sprechen gegen die Gleichsetzung die Inschriften, auf denen H. neben dem Genius genannt werde, z. B. CIL VI 210-224. 226f. 337 und das Vorkommen des H. neben dem Genius auf pompeianischen Wandbildern (s. VII d). Die Garanusversion der Cacussage, die, wie oben erwähnt, von einigen Forschern ebenfalls für die Gleichung H. = Genius ins Feld geführt wurde, erklärt Wissowa 230 für eine ,nichtsnutzige euhemeristische Umdeutung der Geschichte vom Kampfe des H. und Cacus‘; vgl. Wissowa o. Bd. III S. 1168. Daß aus dem Brauch, nach der Geburt im Atrium einen lectus für Iuno und eine mensa für H. aufzustellen, nichts für die Bedeutung des H. als Ehegottheit gefolgert werden kann, ist schon oben (VII a) gesagt worden.

e) Die von Wissowa gegen die Verwertung der Bronzen gemachten Einwände sind so klar und treffend, daß sie eines Zusatzes kaum bedürfen. Verbärge sich hinter H. in der Tat der römische Genius, so wäre es völlig unbegreiflich, daß die Erinnerung daran lediglich auf jenen zum Teil höchst minderwertigen Gebrauchsgegenständen erhalten blieb, die auf fremdem Gebiet hergestellt waren und deren Ornamentik durchaus unter griechischem Einfluß steht, während Männer wie Varro davon nichts wußten. Wie soll man es sich ferner erklären, daß auf Geräten alltäglichen Gebrauches mythische Beziehungen dargestellt waren, deren Sinn erst auf den Umwegen gelehrter Forschung und durch Heranziehung von allerlei Vergleichsmaterial erschlossen werden kann. Denn daß den Römern von einer Identität des H. mit Genius nichts bekannt war, dafür spricht das Fehlen jeglichen Literaturzeugnisses und das Vorkommen des H. neben Genius auf Inschriften und Bildern. Ebenso darf man annehmen, daß außer einem ganz kleinen Kreis antiquarisch gebildeter Gelehrter kein Römer den H. mit Dius Fidius Semo Sancus gleichsetzte. Der Grund, der Aelius Stilo dazu veranlaßte, war, wie oft in solchen Fällen, ein rein äußerlicher, nämlich die Häufigkeit der Beteuerungen Hercle usw. einerseits und Medius Fidius andererseits, wozu die Etymologie Dius Fidius = Iovis filius = H. kam (Varro de l. l. V 66. Paul. p. 74. 147; vgl. Wissowa Rel. d. Röm. 227). Diese ist natürlich falsch, und der Ausruf Hercle findet durch den [607] griechischen Ἡράκλεις eine genügende Erklärung. Ob der Notiz des Paul. p. 284, daß auch dem Sancus ein Opfer propter viam dargebracht wurde, auf Wahrheit beruht oder ebenfalls auf eine gelehrte Quelle zurückgeht, in der die Identifikation von H. mit Sancus (d. i. Dius Fidius, s. Cato bei Dion. Hal. II 49. Sil. Ital. VIII 421. Lact. I 15, 8. August, civ. d. XVIII 19) angemerkt war, kann dahingestellt bleiben. Auch im ersten Falle würde daraus keine Wesensgleichheit abzuleiten sein.

f) Es ist oben gezeigt worden, wie sich fast für jeden Zug des römischen H. bei Herakles Entsprechungen oder wenigstens Ähnlichkeiten und Keime nachweisen lassen, daß sein Name nur eine Ableitung des griechischen Ἡρακλῆς ist und daß in dem ältesten Kulte, dem an der Ara Maxima, der griechische Ritus vorwaltet. So ist der Schluß berechtigt, daß H. kein anderer ist, als der schon früh in Rom eingeführte griechische Heros. Über die Zeit seines ersten Auftretens in Rom fehlt es an jeder sicheren Bestimmung; denn daß der Kult an der Ara Maxima bereits längst bestand, als H. im J. 399 sein erstes Lectisternium erhielt, geht daraus hervor, daß Livius, der darüber berichtet, den dortigen Kult als einen der ältesten fremden Dienste bezeichnet und die Gründung des Altars, der Meinung seiner Zeit folgend, in die Urzeit verlegt. Für das hohe Alter des Kultes spricht die Lage der Ara Maxima innerhalb des palatinischen Weichbildes (Tac. ann. XII 24. Wissowa Rel. d. Röm. 221. Helbig Herm. XL 111. 114, wo es als möglich hingestellt wird, daß der Dienst des H. Invictus bis in die Periode der Vierregionenstadt hinaufreicht). Jedenfalls geht daraus hervor, daß der Kult gegenüber denen der meisten anderen Götter griechischer Herkunft eine Sonderstellung einnahm, da diese ursprünglich extra pomerium angesiedelt wurden. Dies läßt darauf schließen, daß der älteste Kult des H., also der des H. Invictus, nicht auf dem üblichen Wege unmittelbar aus Griechenland in Rom eingeführt wurde, wie z. B. der des H. am Circus Flaminius, sondern von den griechischen Kolonien Italiens aus. Von diesen wird seit Preller (Röm. Myth. II³ 280) meist Cumae als Vermittlerin der H.-Religion für die italischen Völker angesehen (so auch von Wissowa Rel. d. Röm. 220 und Gruppe Berl. Philol. Wochenschr. XXXI 999). Der von Preller zuerst hierfür angeführte Grund, daß wir schon durch das im J. 399 von den Sibyllinischen Büchern angeordnete Lectisternium auf Cumae hingewiesen würden, besagt zwar wenig, da es damals sicher schon den Kult an der Ara Maxima gab, wichtiger ist die leider verderbte Festusstelle p. 266: Antigonus, Italicae historiae scriptor, ait Rhomum quendam nomine Iove conceptum urbem condidisse in Palatio Romae eique † dedisse nomen … historiae Cumanae com positor Athenis guosdam profectos Sicyonem Thespiasque (M. Thespiadasque), ex quibus porro civitatibus ob inopiam domiciliorum compluris profectos in exteras regiones, delatos in Italiam, eosque multo errore nominatos Aborigines †, quorum subiecti qui fuerint caeximparum † viri unicarumgue virium imperio montem Palatium, in quo frequentissimi consederint, appellavisse a [608] viribus regentis Valentiam: quod nomen adventu Euandri Aeneaeque in Italiam cum magna Graece loquentium copia interpretatum dici coeptum Rhomen. Es geht daraus hervor, daß in einer cumanischen Stadtgeschichte von den römischen Gründungssagen und von Euander die Rede gewesen ist. Freilich ist damit nicht gesagt, daß auch H.s Ankunft bei Euander erwähnt sein mußte. In dem korrupten caeximparum vermutet man meist seit Niebuhr (Röm. Gesch. I 225, 595: Caci improbi viri) den Namen des Cacus mit irgend einem Zusatz (andere Emendationsversuche bei Peter 2277). Mag dies mit Recht geschehen, so kann aus der Stelle trotzdem nichts für das Alter des Cacusmythus entnommen werden, denn über den Verfasser der hier erwähnten Historia Cumana ist nichts bekannt, und die zu der Frage gemachten Hypothesen, besonders die Reifferscheids, der die Stelle dem Lutatius Daphnis, dem Freigelassenen des Qu. Lutatius Catulus, zuteilt (Rh. Mus. XV 609. Peter 2277), sind weit davon entfernt, als sicher gelten zu können. Trotz dieses immerhin zweifelhaften Zeugnisses hat die Annahme, daß Cumae der Ausgangspunkt der ältesten italischen H.-Verehrung sei, vieles für sich, denn die Gegend um Cumae spielt unter den Orten, die H. auf seiner Wanderung durch Italien berührte, eine sehr bedeutende Rolle. Er kämpfte auf den phlegräischen Feldern mit den Giganten und baute den Damm zwischen dem Meere und dem Averner- und Lucrinersee, Herculaneum erinnert an ihn, Pompeii führte seinen Namen von der pompa, mit der er seinen Triumph über Geryones feierte, und Bauli bei Baiae von der Stallung seiner Rinder (Preller Griech. Myth. II³ 214; Röm. Myth. II³ 280. Gruppe Griech. Myth. I 373; s. den Art. Herakles). Möglicherweise gab es auch eine in Campanien heimische Sage von der Bestrafung eines Rinderdiebes durch H., ähnlich der Cacussage. Ein Bronzegefäß von Capua (Mon. d. Inst. V Taf. 25. Ann. d. Inst. XXIII 36) zeigt H. mit Löwenfell, Keule und Bogen, sieben Rinder und einen Hund vor sich hertreibend und sich nach einem an Hand- und Fußgelenken an einem Baum aufgehängten Menschen umblickend, den ein Löwe im Begriff ist, zu zerfleischen, während andere wilde Tiere die Szene beleben. Von dem ersten Veröffentlicher des Stückes, Minervini, dem sich Peter 2275 anschließt, wird die Darstellung als eine besondere Fassung des Cacusabenteuers gedeutet, was von Wissowa o. Bd. III S. 1169 abgelehnt wird, der jedoch das Vorhandensein einer ähnlichen Sage für möglich hält.

g) Von Cumae aus dürfte sich der H.-Kult allmählich nach Nordwesten hin ausgedehnt haben. Von den latinischen Städten hatte Tibur, wie oben ausgeführt, einen weitberühmten H.-Kult, und es wird von Wissowa Rel. d. Röm. 220 mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen, daß von hier aus der Kult des H. Victor, wie er meist in Tibur genannt wird, bezw. Invictus, wie der amtliche* Beiname des H. am Forum Boarium lautete, nach Rom gelangte. Es ist oben darauf hingewiesen worden, daß es in Tibur Salier des H. sowie die Sitte der Decuma gab, und bei der Behandlung des Opfers an der Ara Maxima wurde [609] es als möglich hingestellt, daß in Tibur eine ältere Form des Kultes bestehen blieb, als die später in Rom übliche, und daß Vergil bei seiner Schilderung des Einsetzungsopfers vielleicht die tiburtinischen Kultbräuche seiner Tage benutzte. Nach Wissowas Ansicht stammten sogar die Familien der Potitier und Pinarier aus Tibur. Bezeichnend für den Zusammenhang der beiden Kulte ist ferner die auch bereits hervorgehobene Tatsache, daß es in Tibur einen angeblich von H. selbst errichteten Altar des Iuppiter Praestes gab, wie in Rom den des Iuppiter Inventor, und Wissowa Rel. d. Röm. 221 weist mit Recht darauf hin, daß schon ein Vergleich dieser Beinamen des Iuppiter erkennen lasse, welcher von beiden Kulten die ältere Form darstelle.

Über die auf den römischen H. bezüglichen Kunstwerke vgl. Art. Herakles.

Literatur: Hartung Rel. d. Röm. II 21ff. Metzger in Paulys R.E. III 1175ff. Schwegler Röm. Gesch. I 364ff. Hillen De Herculis Romani fabula et cultu, Monast. 1856. Preller Röm. Myth. 113 278ff. Peter in Roschers Myth. Lex. I 2253ff. 2901ff. Dürrbach bei Daremberg-Saglio III 124ff. Wissowa Rel. d. Röm. 219ff. Winter The Myth of H. at Rome, University of Michigan Studies, Human. Ser. IV 2, New York 1910, 171ff.

[Boehm. ]