RE:Gymnopaidien
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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grosses Fest in Sparta | |||
Band VII,2 (1912) S. 2087–2089 | |||
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Gymnopaidien (Γυμνοπαιδίαι). Die G. werden im 5. Jhdt. oftmals genannt. Bei diesem Feste schaute Damaratos, der abgesetzte König von Sparta, als Archon, und Leotychidas, der neue König, von seinem Ehrenplatze zu, und verhöhnte dieser den unglücklichen Vorgänger, der ob der Beschimpfung entrüstet die Zuschauermenge (θέητρον) verließ, Herodot. VI 67; Zeit bald nach der Absetzung, die E. Meyer Gesch. III § 189 A. 491/0 annimmt. Im Sommer 417 paßten die Demokraten in Argos für ihren Staatsstreich die Zeit ab, in der die Lakedaimonier die G. feierten. Diese hatten endlich, nachdem sie lange Zeit alle Mahnungen ihrer Freunde in den Wind geschlagen, den Vormarsch bis Tegea angetreten, und dessentwegen die G. aufgeschoben, als ihnen der volle Sieg der Demokratie gemeldet wurde. Daraufhin gaben sie es auf und kehrten nach Hause zurück, um nunmehr die vertagte Feier in Gemütsruhe su begehen. Noch bedeutsamer war eine dritte Feier, die wir kennen, vom J. 371. Das spartanische [2088] Heer hatte am fünften Tage des attischen Monats Hekatombaion die große Niederlage bei Leuktra erlitten; schwerlich mehr als zwei Tage später gelangte die Trauerbotschaft nach Sparta. Es war der letzte Tag der G., der Chor der Männer (ὁ ἀνδρικὸς χορός) schon aufgetreten. Da geschah, es, daß die Ephoren als Aufsichtsbehörde den Chor nicht abtreten ließen, sondern es gestatteten oder vielmehr durchsetzten, daß er seine Vorführung beendigte, Xen. hell. VI 4, 16, davon abhängig Plut. Ag. 29, der noch bemerkt, daß die Stadt gerade von Fremden gefüllt war, und daß der Wettkampf im Theater stattfand. Dieses Zuströmen von Fremden bezeugt Xenophon an einer anderen Stelle (mem. I 2, 61, daraus auch Plut. Cim. 10); ein reicher Spartaner, Lichas, hatte sie an den G. bewirtet. Außer den Chören gab es an den G. auch Wettkämpfe, an denen es auf Ertragen von Hitze ankam, Platon Gesetze 633 c καρτερήσεις τῇ τοῦ πνίγους ῥώμῃ διαμαχομένων. Eingehender beschäftigte sich mit den Bräuchen und ihren geschichtlichen Anlässen der Lakone Sosibios, Mitglied des alexandrinischen Museion unter Philadelphos. Athenaios XV 678 b. c erzählt aus ihm von den thyreatischen Kränzen (θυρεατικοί), zu seiner Zeit ψίλινοι genannt, aus Palmzweigen (φοίνικες) hergestellt, welche die Chorführer am Erinnerungsfeste für den Sieg bei Thyrea trugen, zu dem Zeitpunkte, da sie (ὅτε) auch die G. begingen, Von diesen Chören stände der eine, aus Knaben gebildet, im Vordergrunde (rechts die Greise, wie man mit Wyttenbach aus Plut. inst. Lac. 338 ergänzen muß), links die Männer; sie tanzten nackt und sangen Lieder des Thaletas und Alkman und die Paiane des sonst ganz unbekannten Lakoniers Dionysodotos. Ein Teil der Schilderung, die Herodot I 82 von dem Kampfe um Thyrea giebt, mag ein Nachklang dieser Lieder sein; der Sieger Othryadas, den ein ionischer Schuljunge später sogar zum Ephoren avancieren ließ, vgl. Inschr. Priene 316, war des unsterblichen Nachruhms sicher. Der Herodotischen Chronologie folgend, setzt E. Meyer II § 469 diesen Kampf um 550. Auf die Chöre, die auch die Erzählung vom leuktrischen Boten kennt, bezieht sich auch die gleichfalls auf Sosibios zurückgehende Hesychglosse Γυμνοπαιδία (L. Weber Quaest. Lacon. 1887, 57, 14), der das Auftreten von nackten Chören auf der Agora für dieses Fest bezeugt, aber die Angabe der ἔνιοι, daß die Epheben an ihm um den Altar im Amyklaion liefen und dabei einander auf den Rücken schlugen, verwarf (vgl. aber die angeführte Stelle der Platonischen Gesetze und den Scholiasten dazu). Nach Pausanias III 11, 9 hieß der ganze Markt in Sparta Χορός, weil auf ihm die G. stattfanden, an denen die Epheben zu Ehren des Apollon tanzten. Daß die Epheben an Stelle der Greise, Männer und Jünglinge getreten sind, könnte hellenistisch-römische Neuerung oder Versehen des Pausanias sein. Der genannte Apollon wird in erster Linie als der Pythaeus gelten können, dessen Standbild an der Agora Pausanias eben erwähnt hatte. Wenn Bekker Anecd. 234 statt seiner den Karneios nennt, so beruht dies, wie Nilsson Gr. Feste 141 mit Recht bemerkt, auf einem Irrtum. Trotzdem hat Wolters Arch. Jahrb. XI 1896, 7ff. die äußere Erscheinung der [2089] Koryphaioi an den G. treffend an der sehr altertümlichen Bronzestatuette aus dem Amyklaion erläutert, die einen nackten Leierspieler mit dem charakteristischen ,thyreatischen‘ Kopfputz darstellt und ein Weihgeschenk eben dieses Chorführers sei. Denn wir dürfen es uns nicht verhehlen, daß das am Staatsmarkte von Sparta und dem Kulte des mit dem Herren von Delphoi jedenfalls nahe verwandten Pythaeus haftende Fest zwar ein räumlich und inhaltlich eng begrenztes ist, das, wie wir gern glauben wollen, von bescheidenen Anfängen durch den Sieg gegen Argos zu nationaler Bedeutung erhoben ist (obwohl ja der thyreatische Kranz auch wohl eine anderweitige Erklärung finden könnte), daß aber die Sitte und die religiöse Vorstellung, die sie geschaffen, sehr viel allgemeiner war. Auch wenn wir also für Sparta die Beziehung zum Karneios leugnen, müssen wir doch ähnliche Tänze im Karneioskult anderer dorischer Gemeinwesen, wie Thera mit seinen ὀρχησταί, als verwandt annehmen. Es gilt hier zunächst scharf zu scheiden, um sich nachher mit umso ungestörterer Freude den weiteren Ausblicken hinzugeben. Was sich dann als ältere gemeinsame Vorstufe, was als Parallel- oder Tochterkult oder Brauch herausstellen wird, kann nur eine weitgehende religionsgeschichtliche Betrachtung ergeben.
Daß der Name der G. nicht von den γυμνοὶ παῖδες, sondern vom γυμνῶς παίζειν aller Altersstufen herzuleiten ist, zeigen die drei Chöre, deren Tanz nach Aristoxenos bei Athen. XIV 630 d ein feierlicher, dem tragischen ähnlicher war. Wieweit andere, den Knaben oder vielleicht später auch den Epheben eigene Übungen und Schaustellungen zu dem spartanischen Feste gehörten, ist zweifelhaft; nur aus der Platonstelle kann man sichere Folgerungen ziehen. Die Trennung von den Karneen läßt sich auch heortologisch sichern, da dieses Fest in die Mitte des Karneios, des attischen Metageitnion, gehört, während die G., wie wir sahen, in den Anfang des vorangehenden Monats, des attischen Hekatombaion, fielen, woraus sich ein Zwischenraum von wenigstens fünf Wochen ergibt.
Literatur: Verdienstlich der Thesaurus von Stephanus-Dindorf s. Γυμνοπαιδίαι, γυμνοπαιδική und (ablehnend) γυμνοποδία. Weber a. a. O. über Sosibios und die Lexikographen, die hier nicht ausführlicher als nötig behandelt sind. Wolters a. a. O. ausgehend von der schönen archaisierenden Statue aus Pompeii, die er auf den Pythaeus zurückführt. Nilsson a. a. O.