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RE:Gerontes, Gerusia

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Ratsgremium der Alten in Sparta und einigen griechischen Städten
Band VII,1 (1910) S. 12641268
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Gerontes, Gerusia. Die G. ist ursprünglich, wie der Name besagt, ohne Zweifel der Rat der Hochbetagten gewesen; die spartanische Einrichtung darf verallgemeinert gedacht werden, E. Meyer Gesch. d. Altert. II 82f. 343f.

I. Im homerischen Staat

(der Titel γερουσία findet sich bei Homer nicht). Spuren des ursprünglichen Zustandes sind noch vorhanden: wenigstens bei den Troern werden zweimal die [1265] G. ausdrücklich als solche bezeichnet, die nicht mehr in den Krieg ziehen, Il. III 149f. (δημογέροντες). VI 113. Sonst erscheinen als G. die im kräftigsten Mannesalter stehenden Helden, Menelaos, Diomedes, Odysseus, die beiden Aias, so Il. II 404ff., vgl. VII 161ff. Γ. erscheint damit gleichbedeutend mit ἡγήτορες ἠδὲ μέδοντες, ἄριστοι ἀριστῆες oder mit den βασιλῆες auf Scheria, vgl. Lehrs De Aristarchi stud. Hom.² 116. Doch wird ihre Zahl als beschränkt gedacht (7, 9, 12), vgl. Fanta Der Staat in der Ilias u. d. Odyssee 79. Ihre Aufgabe ist βουλὰς βουλεύειν, daher heißen sie βουληφόροι, Il. I 144. X 410. XXIV 651; Od. XIII 12. Dem König oder Oberfeldherrn kommt es zu, auf den Rat der Alten zu hören; er entscheidet ohne Abstimmung, doch wird auf die Zustimmung der G. Wert gelegt, s. insbesondere Il. IX 99ff.; in allen öffentlichen Handlungen traten sie dem König zur Seite, Fanta a. a. O. 77f. Insbesondere wirken sie mit beim Gericht, jedoch wieder nicht mit förmlicher Abstimmung, Il. XVIII 503ff., vgl. dazu Lipsius Leipz. Stud. XII 225f. Die G. haben als Ehrenrecht die Speisung auf öffentliche Kosten, wozu der König einlädt; Il. IV 259ff. 343f. VII 313ff. IX 69f. XVII 248ff. XII 310ff. (Lykien); Od. VII 98ff. VIII 41ff. XIII 3ff.; daher γερούσιος οἶνος Il. IV 259; Od. XIII 8. G. Finsler Jahrb. f. kl. Altert. 1906 I 313ff. macht wahrscheinlich, daß der Dichter mit den Homerischen γέροντες den Rat der jonischen Adelsherrschaft seiner Zeit zeichnet.

II. Im spartanischen Staat.

Name γερωχία bei Aristoph. Lysistr. 980; γερωνία in den Mss. bei Hesych. vgl. Ahrens De dial. dor. 62f. Die Mitglieder heißen πρεσβυγενεῖς in der Rhetra des Theopomp. Plut. Lyc. 6. Tyrt. frg. 4, 5. Das Amt des G. heißt γεροντία Xen. de rep. Lac. 10, 1. 3.

Entstehung. Die Einsetzung durch Lykurg behaupten Isocr. panath. 153f. Ephor. bei Strab. X 481f. Iustin. III 3, 2; vgl. auch Plato legg. 691 E. An eine Einsetzung durch gesetzgeberischen Akt ist nicht zu denken, sondern es ist der alte Brauch erhalten worden, E. Meyer Forschungen I 264ff.

Zusammensetzung und passives Wahlrecht. Die G. besteht aus 30 lebenslänglichen Mitgliedern einschließlich der beiden Könige Plut. Lyc. 5 (hier Versuche zur Erklärung der Zahl). 26; Ages. 4. Arist. pol. 1270 b 39. 1272 a 36. Polyb. VI 45, 5. Bekk. anecd. 227, 29. Voraussetzung zur Wahl war ein Alter von über 60 Jahren und ein untadeliges Vorleben, Plut. Lyc. 26. Xen. de rep. Lac. 10, 1, sowie Zugehörigkeit zu den καλοὶ κάγαθοί, Arist. pol. II 1270 b 24, der daher die γ. als ein oligarchisches Institut bezeichnet, ebd. 1265 b 38. Polyb. VI 10, 9 (κατ' ἐκλογὴν ἀριστίνδην κεκριμένοι); wodurch sich die letzteren von den übrigen Spartiaten unterscheiden, ist strittig, vgl. E. Meyer Forschungen I 255, 2 gegen Gilbert Gr. Staatsaltert. I² 13, 1. Hicks Class. Rev. XX (1906) 23ff. nimmt an, daß καλοὶ καγαθοί im ethischen Sinn zu verstehen sei. Neumann Hist. Ztschr. N. F. LX 8ff. 43 bringt die Zahl 30 zusammen mit der Einteilung in fünf Phylen. Gewählt wird nur unter den Bewerbern, Arist. pol. II 1271 a 9ff. [1266]

Wahl. Der Modus ist beschrieben bei Plut. Lyc. 26 und wird nicht ohne Grund von Aristoteles παιδαριώδης genannt a. a. O. 1271 a 10. Nach Oncken Staatslehre des Aristoteles I 286 war dieses Verfahren nur ein demokratisches Mäntelchen, um die tatsächliche Kooptation zu verhüllen.

Stellung und Befugnisse. 1. Im allgemeinen. Das Amt galt als die höchste Ehre, ἀρετῆς ἆθλον Demosth. XX 107. Aeschin. I 180. Arist. pol. II 1270 b 24; die G. sind unverantwortlich und nicht an schriftliche Instruktionen gebunden Aristot. a. a. O. 1271 a 5. 1272 a 36. Die γ. ist die höchste Staatsgewalt δεσπότης ἐστὶ τῶν πολλῶν; κύριος τῆς πολιτείας Demosth. a. a. O.; ἐπιστατούντων ἅπασι τοῖς πράγμασι Isocr. XII 154, vgl. Plut. Lyc. 26. Dionys. ant. Rom. II 14.

Verhältnis zum Königtum. Die G. beschränken seine Gewalt, Plut. Ages. 4; sie haben nahezu gleiche Gewalt wie die Könige, Plat. leg. III 692. Wenn die Könige nicht im Rat erscheinen, so geben die nächsten Verwandten unter den G. für sie ihre Stimme ab, Her. VI 57, vgl. den wahrscheinlich ihn kritisierenden Thukydides I 20, 3 und Steins Anmerkung zu Herodot; Busolt Gr. Gesch. I2 551, 1. Daß die G. von den Ephoren berufen und geleitet worden sei, schließt Niese Hist. Ztschr. LXII 64f. ohne genügenden Grund aus Xen. hell. III 3, 8.

2. Im besonderen. a) Sie haben die Vorbereitung über das dem Volk Vorzulegende, Plut. Agis 11; b) sie haben das Recht, einen von ihnen mißbilligten Beschluß des Volks umzustoßen, nach der sog. Rhetra des Theopomp, Plut. Lyc. 6 (vgl. E. Meyer Forschungen Ι 261ff.): αἰ δὲ σκολιὰν ὁ δᾶμος ἕλοιτο, πρεσβυγενέας καὶ ἀρχαγέτας ἀποστατῆρας ἦμεν. In der Tat scheint das Verfahren, προβούλευμα der G., Abstimmung des Volks, Verwerfung des Beschlusses durch die G., noch zur Zeit Agis IV. beobachtet worden zu sein, Plut. Ag. 8–11. Über das Verhältnis dieses Rechts zu dem der Volksversammlung vgl. Gilbert Studien zur altspart. Gesch. 135ff. 179f.; c) sie haben Gerichtsbarkeit α) in Mordprozessen, Aristot. pol. II 1275 b 10, überhaupt in allen Prozessen, wo auf Tod oder Atimie erkannt wird, Xen. rep. Lac. 10, 2. Plut. Lyc. 26. Als Ankläger erscheinen bei solchen Prozessen durchweg die Ephoren, Busolt a. a. O. I2 552, 3; β) mit den Ephoren zusammen über die Könige, Paus. III 5, 2; d) eine allgemeine sittenrichterliche Befugnis folgert O. Müller Dorier III 95 aus Gell. XVIII 3, 5 (oder Aeschin. I 180, vielleicht nach einer vollständigeren Lesart übersetzt) ohne genügenden Grund.

Kritik der Einrichtung. Sie wird gerühmt bei Plut. Lyc. 26, nicht besonders günstig beurteilt bei Aristot. pol. II 1270 b 24ff., vgl. Oncken Staatslehre des Aristoteles I 232ff. im Sinn des Aristoteles gegen O. Müller Dorier III 94.

Spätere Entwicklung. Oncken nimmt an (a. a. O. 286), daß die G. schon im 4. Jhdt. zu gänzlicher Bedeutungslosigkeit herabgesunken sei gegenüber dem Ephorat; doch vgl. oben 2 b. In dem Vertrag zwischen Athen und Sparta vor dem Chremonideischen Krieg erscheinen die G. als Vertreter Spartas CIA II 333. In der Kaiserzeit [1267] ist die G. ein jährlich wechselndes Amt, CIG I 1241–1259 und Böckh dazu S. 610. O. Müller Dorier III 91ff. Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert.6 I 155ff. Gilbert Gr. Staatsaltert. I2 52ff. Schömann-Lipsius Gr. Altert. I4 235ff. Busolt Gr. Gesch. I2 550ff. Caillemer bei Daremberg Dictionn. III 2, 1549ff.

III. In anderen Staaten.

1. In voralexandrinischer Zeit. Eine γ. erscheint a) in Kreta. Sie wird aus den gewesenen κόσμοι erwählt; ihre Stellung scheint in allem der der spartanischen G. ähnlich gewesen zu sein; die Mitglieder sind auf Lebenszeit gewählt, unverantwortlich, nicht an Instruktionen gebunden, Aristot. pol. II 1272 a 35ff. Ephor. bei Strab. 484 ;

b) in Elis. Hier bestand sie aus 90 lebenslänglichen Mitgliedern, die eine Oligarchie darstellten, in ähnlicher Stellung wie die spartanische γ., Aristot. pol. VIII 1306 a 15ff. O. Müller a. a. O. III 96;

c) in Korinth zur Zeit Timoleons, Diod. XVI 65.

d) Mit der γ. können folgende Behörden, deren Mitglieder lebenslänglich waren, verglichen werden: die ἀμνήμονες in Knidos, Plut. quaest. gr. 4, die τιμοῦχοι in Massalia, Strab. IV 179; etwa auch der Rat der 80 zu Argos neben der βουλή, Thuk. V 47, 9. Schömann-Lipsius Gr. Altert. I 143.

2. In nachalexandrinischer Zeit.

a) Vereinzelt auf dem Festland und in Westgriechenland. In Städten des Achäischen Bunds: zu Olenos (Dyme?) Fougères Bull. hell. II 97; zu Megalopolis und Mantinea ebd. XX 122f.; zu Tegea Le Bas Voy. arch. II 341 b; zu Thalama ebd. 281 b; zu Andiana (Mysterieninschrift) Dittenberger Syll.2 653, 47. Ein Ausschuß vom Synedrion des Achäischen Bundes scheint die von Polyb. XXXVIII 11, 1 genannte γ. gewesen zu sein, vgl. Lipsius Ber. sächs. Ges. 1898, 175. Ein γέρων wird auf einer Ehreninschrift zu Syrakus CIG 5394, ein gerusiarches zu Puteoli erwähnt, Mommsen Inscr. r. Neap. 2555. Eine ἱερά erscheint zu Eleusis (Zeit des Commodus) CIA III 702, 10 (851, 3), kurzweg γ. genannt, Dittenberger Syll.2 411, 11. 737, 133. Eine γ. τοῦ Σωτῆρος Ἀσκληπιοῦ zu Hyettos, IGS I 2808 = Dittenberger Syll.2 740.

b) Sehr häufig wird die γ. genannt auf Inschriften (fast ausschließlich der Kaiserzeit) von Thrakien, Kleinasien und den Inseln des Ägäischen Meeres. Die Orte sind aufgezählt bei Menadier Qua condicione Ephesii usi sint usw., Berlin. Diss. 1880, 59ff. Nachtrag bei Hogarth Journ. of Phil. XIX 69ff. In der Literatur wird die Behörde nur wenig erwähnt, Dio Chrysost. XXX 418. 419 (Tarsos); Strab. 640 (Ephesos); Plin. ep. X 42, 1 nennt ein Gebäude der γ. zu Nikomedien, Plin. n. h. XXXV 172 ein solches zu Sardes, vgl. Vitruv. II 8, 10. Strab. 649 ein γεροντικόν zu Nysa, vgl. Eckhel D. H. IV 190. Über die Bedeutung dieser γ. sind die Meinungen geteilt; nach Le Bas a. a. O. II 51. 1602 a und Mommsen R. G. V 326, 1 hätten wir in ihr nur eine Privatvereinigung, ein Kasino älterer Männer zu sehen, wofür Vitruv a. a. O. zu sprechen scheint. Doch läßt sich diese Ansicht nicht halten. Menadier und Hogarth a. a. O. zeigen, daß die γ. einen politisch-administrativen Charakter [1268] hatte und als Körperschaft neben der Bule stand. Bei Vitruv ist ein Mißverständnis anzunehmen, oder hat das erwähnte Gebäude mit der politischen γ. nichts zu tun. Die Funktionen, die die γ. zu erfüllen hat, sind hauptsächlich sakraler Art; häufig wird sie als die Behörde genannt, an die Gräberbußen zu entrichten sind. Neben γ. erscheint auch der Titel συνέδριον τῶν πρεσβυτέρων, einmal auch συνέδριον schlechtweg Menadier 49; σύστημα γεροντικόν Hogarth 70. Als Beamte der γ. werden genannt der προστάτης und der γραμματεύς, Menadier 50; auch ein ταμίας, Hogarth 70. Mit Rücksicht auf das Verbreitungsgebiet der γ. und darauf, daß nach Strab. 640 wahrscheinlich Lysimachos die γ. zu Ephesos eingesetzt hat, nimmt Menadier an, daß die Einrichtung einer γ. in allen Städten von Lysimachos angeordnet worden ist, und daß die Behörde allmählich an politischer Bedeutung verloren hat und auf die sakralen Funktionen beschränkt worden ist.