Gabii, lag am östlichen Rande eines kleinen Sees, des Lago di Castiglione (s. Gabinus lacus), an der das ältere Rom bei der Porta Esquilina verlassenden Via Praenestina (Strab. V 238), 12 Millien oder 100 Stadien östlich der Hauptstadt (Strab. a. O. Dion. Hal. IV 53. Tab. Peut. Itin. Ant. 302), 11 Millien von Praeneste (Palestrina) entfernt, somit ἐν μέσῳ Ῥώμης τε καὶ Πραινεστοῦ (Appian. bell. civ. V 23). Der Name ist vielleicht die Pluralform eines Gentiliciums wie etwa Volsinii, Pompeii usw. (Schulze Zur Gesch. d. lat. Eigennamen, Gött. Abh. N. F. V 5, 162. 564). Als Gründer der Stadt erscheinen in der Literatur vereinzelt die Sikuler (Solin. II 10), sonst die Albaner (Dion. Hal. I 84. Verg. Aen. VI 773). Prähistorische Funde zeigen das hohe Alter des Wohnplatzes und große Verwandtschaft mit den Funden vom Albanerberg (Pinza Bull. com. XXXI 1903, 361). Hierher verlegten Dion. Hal. IV 53. Plut. Romul. 6 den Jugendaufenthalt der Gründer Roms. Die römische Tradition weiß von der List des Königsohnes Lucius Tarquinius zu berichten, mit der er die Stadt G. dem Vater in die Hände gespielt hat (Liv. I 53ff. Dion. Hal. IV 43ff. Ovid. fast. II 690. Flor. I 7 und die späteren Chroniken; die Erzählung erinnert stark an Darius und Gobryas). Rom soll darauf mit G. einen Vertrag geschlossen haben, dessen Urkunde in Augusteischer Zeit (nach Dion. Hal. IV 58. Fest. 56, vgl. Horat. ep. II 1, 25) zum Vorschein kam. Im Zusammenhang mit diesem Funde und dem Berichte des Dion. Hal. über die Tötung des Gabiners Antistius Petro durch Sextus Tarquinius und das darauf zwischen Rom und G. abgeschlossene Bündnis stehen die Münzen der IIIviri monetales C. Antistius Reginus (s. d.) und C. Antistius Vetus (im J. 16 v. Chr.) aus Augusteischer
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Zeit (Babelon I 149, 151f.) mit der Reversaufschrift: foedus p. R. cum Gabinis und der Darstellung des Opfers. Die Antistier scheinen somit aus G. zu stammen (eine Antistierinschrift aus G. CIL XIV 2802)[1] und aus ihrer konstruierten Familientradition ein Ereignis auf der Münze verzeichnet zu haben, welches sie – in weiterem Zusammenhang freilich – in Beziehung zum ältesten Rom setzt. Für alte Beziehungen dieses zu G. spricht die in Rom eingebürgerte Ritualtracht aus G. (s. Gabinus cinctus) und die besondere Stellung, welche der Ager Gabinus in den Auguralbüchern einnahm (Varro de l. l. V 33). In den Kämpfen Roms mit den Aequern und Volskern war G. auf Seite Roms, weshalb auch seine Feldflur von den Feinden verwüstet wurde (Liv. III 8, 462 v. Chr.); auch in der Fehde mit Praeneste (382 v. Chr.) erscheint G. auf römischer Seite (Liv. VI 21). Trotzdem wird die Nachricht von der Zerstörung G.s durch Rom (Macrob. Sat. III 9, 13) wohl nicht erfunden sein. Vielleicht fällt das Ereignis in den Latinerkrieg 340/38 (Niese Röm. Gesch.3 48). In der republikanischen Zeit wird der Ort wenig genannt. Blitzschläge in G. führt Liv. XXIV 10. XLI 16 unter den Prodigien der J. 214 und 176 an; er erwähnt G. XXVI 9 als Punkt der Marschroute Hannibals gegen Rom (211). Die verdächtige Angabe des Liber col. Feldm. 234 (Gavis, oppidum lege Sullana munitum; ager eius militi ex occupatione censitus est. iter populo non debetur) läßt sich nur in der Beschränkung auf bloße Landanweisung an Veteranen halten (Mommsen Herm. XVIII 174). Die Nachrichten aus der folgenden Zeit zeigen, daß der Ort sehr heruntergekommen ist. Cicero kann im J. 54 (pro Planc. 23) sagen, daß sich aus G. kaum Leute zum Empfang des Opferfleisches beim Latinerfeste melden könnten. Daß die Bewohnerzahl arg zusammengeschmolzen war, zeigt Dion. Hal. IV 53; nur die an der Hauptstraße liegenden Viertel waren zu seiner Zeit bewohnt. Die sonst wenig geachteten Tabernarii sind in der Gemeindeverwaltung tätig (CIL XIV 2793).[2] Die Verödung des Ortes ist sprichwörtlich geworden (Horat. ep. I 11, 7. Prop. IV 1, 34. Lucan. VII 392. Iuv. 3, 192. 6, 56. 7, 4. 10, 100). Unter Hadrian zeigt sich größere Bautätigkeit (Wasserleitung CIL XIV 2797).[3] Der Ort hat ins Mittelalter hinein bestanden und der Name sich lange erhalten, was sich aus verschiedenen Nachrichten ergibt, welche zuletzt CIL XIV p. 2791[4] und von Pinza a. a. O. 323 angeführt werden. Die Angabe der Horazkommentatoren zu ep. I 11, 7: Gabii vicus in Sabinis iuxta Lucretilem montem (m. Gennaro) scheint auf einem bloßen Fehler zu beruhen und nicht etwa auf einer Verwechslung des von Horaz gemeinten G. an der Praenestina mit einem gleichzeitig bestehenden im Sabinergebiet; ein solches wird für das Mittelalter angenommen (CIL XIV p. 2792.[4] G. Tomasetti Archivio d. società Rom. di stor. patr. XXIX 69. Die Stelle der Acta S. Getulii, Acta SS. Iun. II 265 beweist meines Erachtens nichts, die Urkunde des Klosters Farva vom J. 1017 konnte ich nicht einsehen). Von lokalen Kulten sind die der Hera (Verg. Aen. VII 682), der Venus Vera Felix Gabina (CIL XIV 2793)[2] und des Apollon (Liv. XLI 16) zu nennen. In der Umgebung des Municipium wurde ein
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trefflicher Baustein vulkanischen Ursprungs, der Peperin saxum Gabinum, gebrochen und hauptsächlich in Rom verwendet (Strab. V 238. Tac. ann. XV 43). Kalte Quellen, die in der Gegend auftreten, dienten Heilzwecken (Strab. V 238. Horat. ep. I 15, 9. Iuv. 7, 4. Horazschol. zu ep. I 11, 7). Literatur: Visconti Monumenti Gabini, Rom 1797 (Mailand 1835). Fea Discussione fisica etc. sulla città di Gabii e suo lago (Rom 1824, von mir nicht gesehen). Abeken Sopra gli antichi tempi di Gabii etc. Ann. d. inst. 1840, 23ff. Dessau CIL XIV p. 278f.[5] Pinza Gabii ed i suoi monumenti, Bull. com. XXXI 1903, 320ff. Ashby Gabii and its Neighbourhood, Papers of the brit. school at Rome 1902, 180ff., beide Abh. mit Karten. Nissen Ital. Landesk. II 2, 602. G. Tomasetti Della Campagna Romana, Arch. d. società Rom. di stor. patr. XXIX 1906, 65ff.