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RE:Furius 37

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bibaculus, M. Dichter des 1. Jh. v. Chr.
Band VII,1 (1910) S. 320322
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GND: 102383154
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37) M. Furius Bibaculus ist nach Hieronymus 103/2 v. Chr. zu Cremona geboren. Nipperdey Opusc. 500 will das Datum um wenigstens 20 Jahre herunterdrücken, weil F. bei Suet. de gramm. 11 von der summa prope senecta des Valerius Cato spricht, der zur Zeit der Sullana licentia pupillus war (Suet. a. a. O.); zu einem ähnlichen Ergebnis scheint der Vers über Orbilius zu führen Orbitius ubinam est, litterarum oblivio? (Suet. 9; vgl. den βιβλιολάθας Didymos), wenn auch dieser sein Gedächtnis ,schon lange‘ (iam pridem) vor seinem Tode (gegen 13 v. Chr.) verloren haben soll. Bibaculus ist in fast allen für ihn unter vollem Namen bezeugten Resten ausgesprochener Neoteriker. Die von Sueton a. a. O. erhaltenen Hendekasyllaben sind von zärtlicher Bewunderung für Valerius Cato erfüllt und zugleich frei vom Einfluß der Derivationstheorie. Als Iambendichter wird Bibaculus mit Catull zusammengestellt (Quintil. X 1, 96. Diomed. G. L. I 485, 11); seine Angriffe richten sich wie die des Catull (und Calvus) auch gegen die allerhöchste Person (Tac. ann. IV 34 carmina Bibaculi et Catulli referta contumeliis Caesarum leguntur; sed ipse divus Iulius, ipse divus Augustus et tulere ista et reliquere). Persönliche Beziehungen des Bibaculus zu Catull lassen sich nicht sicher nachweisen; daß er der von Catull wiederholt angeredete F. sei, kann aus einer gewissen Ähnlichkeit von Catull. 26 mit Bibac. frg. 2 Baehr. kaum erschlossen werden (Heidel Class. Rev. XV 1901, 215ff.; s. aber auch weiter unten). Sicher bezeugt ist außer jenen nugae für unsern F. ein Werk lucubrationes, in dem er sich als facetissimus erwies. So Plin. n. h. [321] praef. 24, der den Scherz anknüpft, den Titel habe der Verfasser wohl gegeben quia Bibaculus erat et vocabatur. Aus diesem liber Furii Bibaculi wird die Mitteilung über einen Witz Ciceros stammen, den er bei der Herausgabe der Rede pro Flacco unterdrückte (Macrob. II 1, 13).

Aber zu den nugae und lucubrationes treten zweifellos auch Epen. Der Alpinus des Horaz (s. Nr. 33) hat den Tod Memnons beschrieben (wofür Horaz mit bekannter dichterischer Wendung sagt: er hat ihn umgebracht: vgl. z. B. Gronov in Stat. silv. diatr. 207ff.); also hat er wohl ein Epos Aithiopis (oder auch ein Epyllion) verfaßt. Sodann hat er die Alpen und das Rheindelta geschildert (denn unverständlich ist bei Hor. Sat. I 10, 36 sowohl defingit als diffingit, einzig richtig diffindit Rheni luteum caput, worauf ein Teil der Überlieferung führt: ,er zerspaltet das lehmige Haupt des Rheins‘ mit komischer Anwendung derselben Figur, von der eben bei iugulat Memnona die Rede war, und mit Parallelismus der beiden mörderischen Anwandlungen; vgl. L. Müller und G. Friedrich a. a. O.). Wenn die Art des Gedichtes, in der diese Schilderung vorkam, an sich zweifelhaft sein könnte, so macht Acro zu sat. II 5, 40 die genaue Angabe: Furius Bibaculus in pragmatia belli Gallici. Nipperdey stößt sich an dem Ausdruck pragmatia; mir scheint er, mag auch der Dichter selbst sein Gedicht anders genannt haben, nur geeignet, die Glaubwürdigkeit unserer Quelle zu erhöhen: denn sachlich paßt er hier so vortrefflich, wie wenn Polybios sein Werk πραγματεία nennt. Den eigentlichen Titel kann man aus Schol. Veron. Aen. IX 379 entnehmen, wo zwar der Dichtername verloren ist, aber das Zitat in annalibus belli Gallici: hic qua ducebant vastae divortia fossae keinen Zweifel läßt, daß es sich um des Furius Bibaculus pragmatia belli Gallici handelt.

Also, da auch für die Aethiopis von Acro zu Sat. I 10, 36 ausdrücklich Bibaculus als Dichter angegeben wird, kommen auf dessen Konto die zwei Epen Aethiopis und annales belli Gallici. Das ist eine durch Porphyrio und Ps.-Acro bezeugte Tatsache, und ich vermag absolut nicht zu sehen, womit man dies Zeugnis erschüttern könnte. Doch nicht etwa mit der kühnen Behauptung, die (15 Stück) Hendekasyllaben wiesen Bibaculus als so vorzüglichen Dichter aus, daß man ihm das cana nite conspuet Alpes nicht zutrauen könne? Und doch auch wohl mit der andern nicht, ein Neoteriker habe kein Epos über den gallischen Krieg schreiben können? Man scheint sich freilich heute die Neoteriker vielfach unter ausnahmslosen Gesetzen lebend vorzustellen (z. B. ,niemand darf mehr als ein Epyllion schreiben‘); man rechnet dabei aber wohl zu wenig mit dem Individualismus und der Entwicklungsfähigkeit eines Dichters, der ein längeres Leben oder mehr Raketensatz besaß als andere Neoteriker (man denke z. B. an Varro vom Atax).

Über den Stoff der Aethiopis ist schon gesprochen. Die annales belli Gallici müssen Caesars Kriege behandelt haben, und Bibaculus mag also nach bekannter hellenistisch-römischer Sitte (s. o. Bd. V S. 2591, 25ff.) selbst Teilnehmer an Caesars Zügen gewesen sein (ob es mehr als Zufall ist, [322] daß Catull sich der Begleitung seines F. gewiß hält, sive trans altas gradietur Alpes Caesaris visens monumenta magni, Gallicum Rhenum, horribile aequor ultimosque Britannos, 11, 9ff.?). Daß Bibaculus Caesars Kriege besang und daneben Spottgedichte auf ihn (oder Augustus?) machen konnte (s. Tacitus o. S. 320, 56), wird nicht verwunderlich finden, wer bedenkt, daß das Leben die Dinge nicht auf einer Druckseite zusammenpreßt.

Daß das Gedicht über den gallischen Krieg den Anschluß an Ennius nicht verleugnete, ergibt sich erstens aus der Geschichte des älteren römischen Epos überhaupt (s. o. Bd. V S. 2616, 4ff.), dann aber noch insbesondere aus dem Titel annales. Damit scheint nun auch für die letzte hier einschlagende Frage etwas gewonnen. Macrobius zitiert im sechsten Buch als Quelle Vergils acht Fragmente aus dem ersten bis elften annalis eines F. Daß es sich hier um jene annales belli Gallici handelt, hat alle Wahrscheinlichkeit, und es stimmen dazu die greifbaren Enniusimitationen in jenen Fragmenten (o. Bd. V S. 2616, 17ff.). Solche fehlen, soviel ich sehe, in den Resten des Furius Antias, für die auch der Titel annales nicht bezeugt ist. Auch zeigen die Bruchstücke des Furius Antias nie Enjambement, die der annales auffallend häufig. Das ist immerhin etwas wie ein Beweis dafür, daß die von Macrobius überlieferten Verse nicht dem Furius Antias gehören; inhaltlich könnten sie freilich ungefähr in jedem historischen Epos gestanden haben.

Literatur: Außer dem im Lauf der Darstellung Angeführten A. Weichert Poetarum latinorum reliquiae, Leipzig 1830, 331ff. G. B. Camozzi Riv. di fil. XVI (1888), 161ff.