166) Flavius Sabinus, der Bruder Vespasians (auf ihn wird mit größter Wahrscheinlichkeit wegen der zweifellosen Ergänzung (Vesp)asiano fratre bezogen die akephale Inschrift CIL VI 31 293 = Bull. com. 1883, 224 = Not. d. scavi 1882, 411), war der ältere Sohn des Flavius Sabinus Nr. 165, der als Steuerpächter es zu ansehnlichem Vermögen gebracht hatte; sein jüngerer Bruder war der nachmalige Kaiser Vespasianus (Suet. Vesp. 1). Da dieser (Suet. Vesp. 2) 9 n. Chr. geboren wurde, so haben wir des Flavius Sabinus Geburt früher anzusetzen. Da Tacitus bei Erwähnung seines Todes im J. 69 (hist. III 75) sagt quinque et triginta stipendia in re publica fecerat, so ist es wahrscheinlich, daß er im J. 34 n. Chr. seine Ämterlaufbahn begonnen hat; demnach hat er damals den latus clavus erhalten und da hierfür das 25. Lebensjahr erforderlich war, so ist er 8 n. Chr. geboren. Im J. 53 (Dio XL 20) kämpfte er als ὑποστρατηγός unter seinem Bruder Vespasian in Britannien und zwar schon als Praetorier; denn noch unter Claudius war er wohl auf Veranlassung des Narcissus, dessen Gunst sich die Brüder erfreuten, als Legatus Aug. pro praetore nach Moesien geschickt worden, wo er sieben Jahre verblieb (Tac. hist. III 75). Im J. 56 (Plin. n. h. VII 62. Tac. ann. XIII 30) wurde er Praefectus urbi. Doch muß er nach der Inschrift CIL VI 31 293 (leg. divi Cla)udi pro praetore provinc(iae Moesiae, cur. census) Gallici, praef. urbi (iterum) noch vorher curator census Gallici gewesen sein; die Abhaltung eines Census in Gallien und Britannien unter Claudius ist auch sonst bezeugt; vgl. Hirschfeld Röm. Verw.-Gesch. 56. Danach ergibt sich: 34–43 Ämter bis auf die Praetur, 43 in Britannien, nach 43 sieben Jahre lang Statthalterschaft in Moesien, vor 56 noch Curator census Gallici und erstes Consulat, 56–69 Praefectura urbi, daher ist die Datierung seiner Statthalterschaft in Moesien bei Liebenam Verw.-Beamten 268 falsch. Nach Tac. hist. III 75 war er zwölf Jahre Praefectus urbi, und zwar erhielt er diese Stelle nach dem Tode des L. Volusius (Plin. und Tac. a. a. O.) im J. 56 (Prosop. imp. Rom III 483 nr. 661). Nun wird aber Tac. ann. XIV 42 erzählt, daß im J. 61 Pedanius Secundus (Prosop. III 20 nr. 146) während seiner Praefectura urbis durch den Racheakt eines Sklaven getötet wurde; um diese zwei einander widersprechenden Nachrichten in Einklang zu bringen, nahm Borghesi Oeuvres III 327 an, es sei bei Tac. a. a. O. entweder XII in VII oder in totidem zu ändern, während wohl mit Mommsen St.-R. 1062, 3 daran zu denken ist, daß er dieses Amt eben nicht in einer Folge, sondern in zwei Intervallen bekleidete. Galba entkleidete ihn (Plut. Otho 5) dieses Amtes, offenbar weil er in ihm einen Parteigänger des Vespasianus erblickte; doch am 15. Januar 69 erhielt er nach dem Straßenkampfe, in dem Galba gefallen war und das Volk sich für Otho entschied, sein Amt wieder, ohne daß es vielen entging, daß sie hierin Vespasian dienten, Tac. hist. 46. Von Otho wurde ihm auch das Consulat für den 1. Juli 69 zugeteilt. Tac. hist. I 27. Als Otho bei Bedriacum gefallen war, hielt er die Ordnung in der Stadt aufrecht, indem er die Truppen sofort für den siegreichen Vitellius vereidigte
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(Tac. hist. II 55), wie dies auch im Orient Vespasian tat, Tac. hist. II 74. Auch gegen Cornelius Dolabella (Prosop. I 444 nr. 1090), der nach Othos Tod, wohl als Prätendent, in Rom erschien, schritt er im Sinne der Ordnung ein, Tac. hist. II 68. Als Vespasianus am 3. Juli 69 zum Imperator im Orient ausgerufen war und auf das Gerücht von seiner Erhebung Caecina an der Spitze der germanischen Legionen gegen die Flavianer geschickt wurde, hatte Fl. Sabinus ihn bereits für die Flavische Sache gewonnen, Tac. hist. II 99 (credidere plerique Flavii Sabini consiliis concussam Caecinae mentem), vgl. III 9. Obwohl er beim Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Vespasian und Vitellius Gelegenheit gehabt hätte, sich aus Rom zu entfernen – Antonius Primus bot ihm und dem gleichfalls in Rom verweilenden Sohn des Vespasian Domitianus die Mittel hierzu – hielt er treu auf seinem Posten als Anwalt der Flavischen Sache aus (Tac. hist. III 59), vielleicht auch, weil er dem Antonius nicht recht traute; deshalb sagt Tacitus Sabinus inhabilem labori et audaciae valetudinem causabatur. Als die 4 Flavischen Legionen Ober- und Mittelitalien bereits besetzt hielten und die Soldaten des Vitellius sich bei Narnia zum großen Teile ergeben hatten, wandte sich (Tac. hist. III 64) die städtische Nobilität an Flavius Sabinus mit der Aufforderung, er solle offen gegen Vitellius auftreten; F. zögerte, sein Zögern wurde mannigfach gedeutet, auch als Eifersucht gegen den Bruder (Tac. hist. III 65); doch wohl mit Unrecht; es scheint vielmehr, daß F. Wert darauf legte, dem Vespasian einen unblutigen Einzug in Rom zu sichern. So betrat er den Weg der Verhandlungen, der auch im Sinne des Vespasian lag, denn schon Mucianus und Antonius hatten ihn betreten (Tac. hist. III 63). Es kam nach wiederholten Verhandlungen eine Vereinbarung im Apollotempel zu Rom zustande, Zeugen waren Cluvius Rufus und Silius Italicus, Tac. hist. III 65. Nach Sueton (Vesp. 15. Vict. Caes. 8) hatte sich Vitellius nebst freiem Geleite 100 Millionen Sesterzen ausbedungen. So schien das Ziel des Flavius Sabinus erreicht, vgl. Tac. a. a. O. 66 quod si tam facile suorum mentes flexisset Vitellius quam ipse cesserat, incruentam urbem Vespasiani exercitus intrasset. Als aber Vitellius am 18. Dezember seine Soldaten berief, um offiziell die Regierung niederzulegen, sah er sich durch ihr und des Volkes Drängen genötigt, in das Palatium zurückzukehren. Um Flavius Sabinus, der, wohl Unruhen befürchtend, Truppen konsigniert hatte (Tac. a. a. O. 69 scripseratque Flavius Sabinus cohortium tribunis, ut militem cohiberent), hatte sich mittlerweile ein großer Teil der Senatoren, Ritter und Soldaten versammelt. Auf das Gerücht von der Bewegung des Volkes für Vitellius stürmte die bewaffnete Macht gegen die germanischen Cohorten des Vitellius und es kam zum Straßenkampf. Sabinus setzte sich mit seinem Anhang (so Tac. a. a. O. 69, nach Joseph. bell. Iud. IV 645 erst abends) auf dem Capitol fest, wo er belagert wurde.
In der Nacht brachte er noch seine Kinder und seinen Neffen Domitianus aufs Capitol (so Tac. a. a. O., etwas anders Joseph. a. a. O. 646).
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Am nächsten Tage suchte er zu verhandele, doch ohne Erfolg, es kam zum Sturm aufs Capitol, das in Brand aufging. Flavius Sabinus wurde gefesselt vor Vitellius gebracht und dem Drängen des Volkes, das seinen Tod heischte, geopfert. Er wurde gelyncht, das Haupt vom Rumpf getrennt, der Leichnam zur gemonischen Treppe geschleift. Das geschah (Joseph. a. a. O. 647ff.) am 20. Dezember (vgl. Tac. hist. III 69–74. 85. Suet. Vit. 15; Dom. 1. Dio LXV 17. Vict. Caes. 8. Eutrop. VII 15. Oros. VII 8. Syncell. 645, 9).
Als der Senat offiziell Vespasianus als Regenten anerkannt hatte, wurde ihm auf Domitians Antrag (Tac. hist. IV 47) ein Ehrenbegräbnis zuerkannt (nach der Inschrift CIL VI 31 293 war der Antragsteller Vespasian selbst), auch wurde die Aufstellung seiner Statue auf dem Forum beschlossen.
Politische Bedeutuug: Der Bericht des Tacitus ist nicht einheitlich (bezw. seine Quellen), er hat die Bedeutung des Flavius Sabinus für die Aufrichtung der Herrschaft der Flavier nicht erkannt, indem er ihm auch egoistische Motive zuschreibt, hist. III 65 erant qui occultis suspicionibus incesserent, tamquam invidia et aemulatione fortunam fratris moraretur. Joseph. IV 598 sah ein, daß Flavius Sabinus mit Domitianus die Stütze des Vespasian in Rom war.
Charakter: Tac. hist. III 75 charakterisiert ihn mit den Worten: domi militiaeque clarus, innocentiam iustitiamque eius non argueres. sermonis nimius erat, id unum .. calumniatus est rumor. in fine vitae alii segnem, multi moderatum et civium sanguinis parcum credidere. Infolge seines Reichtums galt er, wie Tac. a. a. O. erzählt, vor der Erhebung des Vespasian als das eigentliche Haupt der Familie, er hatte auch Vespasian materiell unterstützt (Tac. hist. III 65).