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RE:Cluvius 12

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Rufus Historiker
Band IV,1 (1900) S. 121125
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12) Cluvius Rufus. a) Name. An den meisten Stellen finden sich beide Namen des C.; nur Cluvius wird er genannt bei Tac. ann. XIII 20. XIV 2. Plin. epist. IX 19, 5; Κλούιος (in den Hss. Κλούιτος) bei Joseph. ant. XIX 91. 92. Nach Analogie von Nr. 11 und Nr. 13 lässt sich vielleicht vermuten, dass sein Praenomen Publius lautete; der Vorname Marcus, der ihm von Neueren öfter beigelegt wird, beruht nicht auf antiker Überlieferung.

b) Leben. C. war Senator (vielleicht entstammte er dem plebeischen Geschlechte der Cluvii, o. Nr. 1f.) und gelangte schon vor dem J. 41 zum Consulat; denn bereits als Consular befand er sich am Tage von Caligulas Ermordung (24. Januar 41) im Theater und empfing Kunde von dem geplanten Mordversuch, ohne doch zum Verräter an den Verschworenen zu werden (Joseph. ant. XIX 91. 92; allerdings ist auffällig, dass C., dessen politische Wirksamkeit in weit spätere Zeit fällt, den Consulat so früh erlangt habe; möglicherweise ist die Angabe des Josephus irrig, obwohl oder vielleicht gerade weil er hier aus C. selbst schöpfte, vgl. auch o. Bd. III S. 1384 zu Tac. hist II 37; die Ergänzung der Inschrift CIL X 826 [Cl]uvio P. Clodio cos. – noch bei Fabia Les sources de Tacite 376 – ist unrichtig, vgl. Mommsen zu der Inschrift). Wir begegnen dem C. wieder im J. 65; damals diente der Consular dem Kaiser als Herold bei den zweiten Neronien, als Nero das erstemal in Rom öffentlich auftrat (Suet. [122] Nero 21; vgl. Schiller Nero 198f.). Dasselbe Amt übte C. bei Neros Künstlerreise durch Griechenland (im J. 66/67) aus (Dio LXIII 14, 3; vgl. Schiller 245ff.). Reich und durch Beredsamkeit berühmt, galt er viel in Neros Kreise, hat aber seinen Einfluss nie zum Verderben seiner Standesgenossen ausgenützt (Tac. hist. IV 43). Seine Stellung mag der Petrons ähnlich gewesen sein, nur dass C. es verstanden hat, auch Nero zu überdauern. Zu Anfang des J. 69 erscheint C. als Galbas Nachfolger in der Verwaltung von Hispania Tarraconensis (Tac. hist. I 8; vielleicht unterstanden ihm provisorisch auch Baetica und Lusitanien, vgl. Tac. hist. II 58. 65 und E. Wolff zu Tac. hist. I 8); vermutlich ist er von Nero nach Galbas Erhebung zum Statthalter ernannt, von Galba, als er sich diesem zuwendete, in seiner Stellung bestätigt worden (vgl. Gercke Jahrb. f. Philol. Suppl.-Bd. XXII 256). Nach dem Ende Galbas (15. Januar 69) neigte er anfangs zu Otho und wurde dafür von diesem in einem Edict belobt (Tac. hist. I 76, vgl. I 62. Plut. Otho 3), schloss sich jedoch bald der Partei des Vitellius an (Tac. I 76). In dieser Zeit des Schwankens liess C. in amtlichen Schriftstücken keinen Kaisernamen nennen (Tac. hist. II 65, vielleicht enthält Plut. Otho 3 seine Rechtfertigung), was ihm nachher die Beschuldigung zuzog, mit dem Plane der eigenen Erhebung umgegangen zu sein (Tac. a. a. O.). Doch zeigte er seinen Eifer für die Sache des Vitellius, indem er den Procurator der beiden Mauretanien, Lucceius Albinus, der zu Otho hielt, unschädlich machte und dadurch dessen Provinzen für Vitellius gewann (Tac. hist. II 58. 59). Trotz dieses Verdienstes entging C. nicht der Anklage wegen seines früheren zweideutigen Verhaltens, die der kaiserliche Freigelassene Hilarius gegen ihn erhob. Zu seiner Verantwortung fand sich C. bei Vitellius, der eben von Lugudunum aufgebrochen war, ein; er erlangte die Bestrafung seines Anklägers und behielt die Stellung des Statthalters in Spanien, das er allerdings fortan abwesend verwaltete (Tac. II 65). Der Umgebung des Kaisers zugeteilt, nahm er, wie es scheint, von nun an eine Vertrauensstellung bei Vitellius ein. Als dieser mit Flavius Sabinus die für sein Schicksal entscheidende Zusammenkunft im Apollontempel hatte (Mitte December 69), waren C. und Silius Italicus die einzigen Zeugen (Tac. III 65), C. wohl von Seiten des Vitellius, Silius von Seiten des Sabinus. Unmittelbar nach dem Siege der Flavianer scheint C. seine Statthalterwürde niedergelegt zu haben; um den 1. Januar 70 war Hispania citerior ohne Legaten (Tac. IV 39, doch kann discessu Cluvii Rufi vacua auch nur besagen, dass C. nicht selbst in der Provinz weilte, Fabia 377; die Conjectur Nipperdeys Einl. I⁹ 27, decessu statt discessu [wiederholt von Baier Tac. und Plut. Pr. 1893, 8f.], ist von Mommsen Herm. IV 319 mit Recht zurückgewiesen worden). Dass C. wohl noch geraume Zeit unter Vespasian lebte, wird durch seine schriftstellerische Thätigkeit (s. u.) und durch das Gespräch mit Verginius Rufus, das Plinius (epist. IX 19, 5) überliefert, wahrscheinlich gemacht. Ein Tochterenkel des C. war vielleicht C. Marius Marcellus Octavius P. Cluvius Rufus (Nr. 13, vgl. Mommsen 318, 1). Als vir facundus et pacis artibus, bellis [123] inexpertus wird C. von Tacitus (hist. I 8) bezeichnet, seine Rednergabe und Ehrenhaftigkeit rühmte Helvidius Priscus im Senate (Tac. IV 43).

c) Schriftstellerische Thätigkeit. Durch Plut. Otho 3 wird erwiesen, dass der Historiker C. mit dem Senator identisch ist (vgl. überdies die Charakterisierung bei Tac. I 8). C.s Geschichtswerk führte den Titel historiae (Plin. epist. IX 19, 5; die Fragmente s. bei Peter Hist. Rom. fragm. 313f.), war demnach in lateinischer Sprache geschrieben und wurde wohl unter Vespasians Regierung verfasst, kaum gleich im Beginne derselben, wie Gercke (a. a. O. 253) annimmt (vgl. Groag Jahrb. f. Philol. Suppl.-Bd. XXIII 776, 3). Es wird von Tacitus in den Annalen zweimal citiert, das einemal (XIII 20) neben dem älteren Plinius für Vorgänge am Hofe Neros aus dem J. 55, das anderemal (XIV 2) zum J. 59 für den angeblichen Incest Agrippinas und Neros, beidemal im Gegensatz zu Fabius Rusticus. Wie aus Plin. epist. IX 19, 5 hervorgeht, war auch die Thätigkeit des Verginius Rufus im J. 68 zur Zeit von Neros Untergang in den Historien des C. behandelt. Endlich dürfte, wie Mommsen (Herm. IV 320, dagegen Clason Tac. und Suet. 38f.) und Gutschmid (Kl. Schr. IV 351) wohl mit Recht vermuten, auch die Erzählung von Caligulas Ende (ant. XIX 17–200) und der eng anschliessende Bericht über Claudius Erhebung (XIX 212–273) bei Josephus dem C., dessen darin für ein geringfügiges Factum Erwähnung geschieht (XIX 91. 92), entnommen sein (abweichend Herzog Staats-Verf. II 263, 2). Dagegen enthält die Angabe einer Thatsache aus der Regierungszeit Othos, die den C. selbst betraf (Plut. Otho 3, s. o.), kaum den Beweis, dass er auch Othos (und Galbas) Principat erzählte, vielmehr wird er in der Geschichte Neros davon gesprochen haben (Fabia 181. Groag 775; Baier 7 denkt an eine mündliche Äusserung des C). Demnach begannen C.s Historien mutmasslich mit Caligulas Erhebung oder einem noch früheren Zeitpunkte und schlossen mit dem Ende des J. 68 (s. u.), so dass Tacitus Historien ihre unmittelbare Fortsetzung gebildet hätten (Baier 9).

Die Untersuchung der Spuren, die das Werk des C. hinterlassen hat, ist oft und in verschiedenem Sinne geführt worden. Während Clason (5ff.) und Fabia (402ff.) in ihm die Hauptquelle des Tacitus für den zweiten Teil der Annalen sehen, weist ihm Gercke (230ff.) nur eine secundäre Rolle neben Plinius zu. Thatsächlich gab es keine Hauptquelle der Annalen; dass aber unter den Vorlagen des Tacitus C. einen hervorragenden Rang einnahm, beweist schon die Art, wie er citiert wird. Nach Mommsens (322f.) und Schillers Meinung (Nero 23) war C. auch die Primärquelle der suetonischen Biographien des Claudius und Nero (abweichend Clason 27. 51) und eventuell der entsprechenden Partien des dionischen Geschichtswerkes. Man hat ihn ferner für den Historiker gehalten, den Tacitus in den ersten Büchern der Historien, Plutarch im Galba und Otho und Sueton im Galba, Otho, Vitellius gemeinsam benützten (Peter Quellen Plutarchs 40f. Mommsen 318ff.); doch dürfte die Stelle, auf die sich diese Annahme stützt, Plut. Otho 3, mit Suet. Otho 7 und Tac. hist I 78 verglichen, [124] eher beweisen, dass C. dem Tacitus, Sueton und Plutarch nicht selbst vorlag, sondern ein Autor (nach Nissen, Fabia und Gercke Plinius, nach Baier Vipstanus Messala, nach Groag vielleicht Fabius Rusticus), der den C. schon benützt hatte (Nissen Rh. Mus. XXVI 1871, 507ff., dagegen Beckurts Zur Quellenkritik des Tac. Suet. und Dio, 1880, 67; vgl. zu Plut. Otho 3 Fabia 173f. Groag 775, zu Tac. hist. I 76 Groag 764, 1; bemerkenswert ist eine gewisse Abneigung des Autors der gemeinsamen Quelle gegen C., vgl. Tac. II 58. 65). Fabia (176ff.) hat wahrscheinlich gemacht, dass C.s Werk gar nicht so weit reichte; Gercke (237ff.) polemisiert zwar dagegen und weist dem C. auch hier die Rolle einer Secundärquelle nach Plinius zu, doch ist gewiss, dass C. wenigstens die Vorgänge vor dem Untergang des Vitellius nicht mehr dargestellt hat (vgl. zu Tac. III 65 Wolff in seiner commentierten Ausgabe. Fabia 176. 179f. Groag 776, 3). Die Benützung des C. in der Tragoedie Octavia behauptet Nordmeyer (Jahrb. f. Philol. Suppl. XIX 280f.), bestreitet Gercke (196f.). Endlich war C. vermutlich der römische Gewährsmann des Josephus (Mommsen 322. Gercke 253. 258f.), wenngleich dieser für neronische Zeit auch aus eigener Kunde schöpfen konnte.

Des C. Werk war eine Zeitgeschichte, der die hohe Stellung des Verfassers, seine Erfahrung, seine bei aller Geschmeidigkeit vornehme Art, seine Eloquenz vorzüglichen Wert verleihen mussten. Den Mittelpunkt der Schrift bildete wohl die Hofgeschichte (vgl. Tac. ann. XIII 20. XIV 2). Die Untersuchung ihrer Eigenart hätte auszugehen von dem Stück aus C., das wir wahrscheinlich bei Josephus (s. o.) erhalten haben. Hier finden wir eine äusserst detaillierte Erzählung, in welche Reden verflochten sind (vgl. ant. XIX 38ff. 54ff. 78ff. 167ff. 242ff.), eine ausgeprägt monarchische Gesinnung, bei welcher die senatorischen Standesgenossen keineswegs gut wegkommen (vgl. XIX 162. 224. 250. 228: ὁ ... δῆμος ... τῶν πλεονεξιῶν αὐτῆς [τῆς βουλῆς] ἐπιστόμισμα τοὺς αὐτοκράτους εἰδώς). Trotz solcher Denkungsart wird Cassius Chaerea mit warmer Anteilnahme, Caligula als Despot, Claudius als Schwächling dargestellt. Dass das Urteil über Nero, dem C. persönlich am nächsten stand, günstiger ausfiel, vermutet Gercke (200ff. 254ff.) vielleicht mit Recht, wenngleich die auszeichnende Art, in der Helvidius Priscus des C. gedachte (Tac. IV 43), nicht dafür zu sprechen scheint (vgl. Schiller Nero 11; über die angebliche Animosität des C. gegen die Flavier [Gercke 244ff.] vgl. Groag 776, 3). Dass sich C. in seiner geschichtlichen Auffassung durch persönliche Beziehungen nicht beirren liess und die Fides historica betonte, zeigt sein Gespräch mit Verginius Rufus (Plin. epist. IX 19, 5, vgl. Gercke 240ff. Groag 780, 1).

Plutarch citiert den C. auch für die Entstehung des Wortes histrio (quaest. Rom. 107); man führt dieses Citat auf die Historien des C. zurück und sieht darin ein Zeugnis für die Neigung des Historikers zu antiquarischen Rückblicken (Mommsen 320, 1). Denkbar wäre jedoch auch, dass dieses Citat einer eigenen Schrift des C. über Theaterwesen entnommen ist; es würde sich dann vielleicht erklären, weshalb Nero bei seinem [125] Auftreten im Theater gerade den C. zum Interpreten seiner künstlerischen Absicht wählte.

Litteratur: Mommsen Herm. IV 318ff. Nipperdey-Andresen Tac. ann. Einl.⁹ 27. Teuffel-Schwabe R. Litt.-Gesch. II⁵ 764f. Schanz R. Litt.-Gesch. II 382. Büdinger Universalhistorie 199, 2. 201, 1. Wachsmuth Einl. in das Stud. d. alt. Gesch. 446. 680. Peter Geschichtl. Litt. II 41f. Fabia 376ff. Gercke 252ff. Klebs Prosopogr. I 426 nr. 958.

[Groag. ]