2) Feronia (Fērōnia Verg. Hor. Sil. Ital., Φηρωνία Ptolem. III 1, 43. 3, 4; aber Φερωνία oder -νεία Strab. Dion. Hal.; Feronea CIL I 1307[1] = IX 4875), italische Göttin wahrscheinlich etruskischen Ursprunges (W. Schulze Zur Gesch. lat. Eigennamen 165), deren Dienst bei Etruskern, Umbrern, Picentern, Sabinern, Vestinern und Volskern nachweisbar ist; auch der Ortsname F. in Sardinien (Nr. 1) geht vielleicht auf etruskischen Einfluß zurück. Der Hauptsitz ihres Kultes scheint der heilige Hain der Göttin bei Capena am Soracte im südlichen Etrurien (lucus Capenatis Cato frg. 30 Peter; lucosque Capenos Verg. Aen. VII 697), später als eigener Ort Lucus Feroniae (s. d.) genannt (Bormann CIL XI p. 570f.),[2] gewesen zu sein. Leider wissen wir von den Formen und Einzelheiten des dortigen Gottesdienstes nichts, da die Angabe des Strabon V 226, daß die Geweihten der Göttin mit nackten Füßen unbeschädigt über glühende Kohlen gewandelt seien, offenbar auf Verwechslung mit dem benachbarten Kulte des (gemeinhin als Apollo bezeichneten) Gottes vom Soracte (s. d.) beruht; wir erfahren nur, daß das Heiligtum in hohem Ansehen stand (Prodigien Liv. XXVII 4, 14f. XXXIII 26, 7) und große Reichtümer besaß (Liv. XXVI 11, 8f. templum ea tempestate inclutum divitiis. Capenates aliique qui accolae eius erant, primitias frugum eo donaque alia pro copia portantes multo auro argentoque id exornatum habebant; Plünderung durch Hannibal im J. 543 = 211, Liv. a. a. O. Sil. Ital. XIII 83ff.), sowie daß mit dem Jahresfeste ein großer Markt für die benachbarten Volksstämme verbunden war (Liv. I 30, 5. Dion. Hal. III 32, 1. Strab. a. a. 0,). Aus der Nähe stammt die Weihinschrift eines Hermeros Ti. Claudii Caisaris Aug. Germanici ser(vus) Thiamidianus an F. aus Nepet, CIL XI 3199,[3] während in dem stark mit etruskischen Einflüssen durchsetzten Praeneste Verehrung der F. sich nicht nachweisen läßt (denn die Inschrift Orelli 1756 = CIL XIV 284*[4] ist gefälscht); aber in der von Vergil Aen. VIII 561ff. nach Varro wiedergegebenen Erzählung von Herulus, dem mit dreifachem Leben ausgestatteten Sohne der F., steckt nach W. Schulze a. a. O. vielleicht ein Stück lokaler Tradition. In der unmittelbaren Nachbarschaft
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des capenatischen Heiligtums, im alten Sabinergau (darum rechnet Varro de l. l. V 74 F. zu den Gottheiten sabinischer Herkunft und prägte P. Petronius Turpilianus, dessen Geschlecht von Sabinern abzustammen behauptete, den Kopf der F. auf seine Münzen, s. u.), lag die aus mehreren archaischen Inschriften (CIL I 1307–1309[1] = IX 4873–4875) bekannte Kultstätte von Trebula Mutuesca (zu ihr gehört vielleicht der rätselhafte picus Feronius bei Fest. p. 197, der dann mit dem picus Martius von Tiora Matiene bei Dion. Hal. I 14, 5 zusammenzustellen wäre), während vereinzelte Zeugnisse über den ganzen nordöstlichen Teil des mittleren Italien verstreut sind: so kennen wir ein delubrum Feroniai bei Amiternum (CIL I 1291[5] = IX 4321; vgl. IX 4180), eine flam(inica) Feron(iae) municipi Septemp(edani) in Septempeda (CIL XI 5711f.),[6] Weihinschriften aus Aveia (CIL IX 3602),[7] Tuficum (CIL XI 5686[8] a), Pisaurum (CIL I 169[9] = XI 6299). Abgesondert weiter südlich liegt das Heiligtum bei Tarracina (F. dort als Ortsname bei Tac. hist. III 76. Geogr. Rav. IV 34 p. 277, 6; nach Dion. Hal. II 49, 5 Gründung überseeischer Einwanderer aus Sparta, welche den Ort ἀπὸ τῆς πελαγίου φορήσεως zunächst Φορωvίa nennen, woraus dann Φερωνία wird), mit einem heiligen Hain (Verg. Aen. VII 800 viridi gaudens Feronia luco und dazu Serv.; durch Verwechslung von lucus und lacus ist bei Vib. Seq. p. 153. 10 Riese Feronia Terracinae unter die lacus geraten), einer Quelle (Hor. sat. I 5, 24 und dazu Porph. hodieque autem paulum citra Tarracinam fons Feroniae est) und einem Tempel (Plin. n. h. II 146 inter Tarracinam et aedem Feroniae. Ps. Acr. zu Hor. sat. I 5, 24: fanum Feroniae est in tertio miliario a Tarracina); in diesem stand ein Sessel mit der Inschrift bene meriti servi sedeant, surgant liberi (vgl. Buecheler Rh. Mus. XLI 1f.), auf dem die Freigelassenen mit geschorenem Haupte das Zeichen der Freiheit, den pilleus, zu empfangen pflegten (Serv. Aen. VIII 564). Diese Beziehung der Freigelassenen zu F. besteht auch im stadtrömischen Gottesdienste: denn als im J. 537 = 217 auf Grund schwerer Prodigien unter andern Sühnungen beschlossen wurde, daß die römischen Matronen aus freiwilligen Beiträgen der Iuno Regina vom Aventin ein Weihgeschenk darbringen sollten, wurde hinzugefügt, daß die libertinae in gleicher Weise unter sich eine Geldsammlung veranstalten sollten, unde Feroniae donum daretur (Liv. XXII 1, 18; auch die einzige erhaltene stadtrömische Weihung an F. CIL VI 147[10] rührt von einer ancilla her). Der Tempel, den diese Anordnung voraussetzt, lag auf dem Marsfeld (Fast. Arval. z. 13. November: Feroniae in [ca]mp(o), vgl. Mommsen CIL I2 335.[11] Hülsen-Jordan Topogr. I 3, 483) und war ebenfalls mit einem heiligen Haine verbunden (Grabschrift eines Epigonus Volusianus operi(s) exactor ab luco Feroniae Notiz. d. Scavi 1905, 15). Außerhalb der Grenzen Mittelitaliens begegnet uns F. nur an einer Stelle, in Aquileia (denn die Altäre von Montona CIL V 412[12] Iunoni, Feron[iae] und von Teurnia in Noricum CIL III Suppl. 13519[13] Feroniae, Iano können als von Aquileia beeinflußt angesehen werden), wo nicht
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nur mehrfach Weihinschriften erhalten sind (CIL V 776.[14] 8218), sondern namentlich auch das Collegium der Feronienses aquatores (CIL V 8[15] 307f.) uns entgegentritt: vergleichen wir damit die stadtrömische Verehrung der Iuturna (s. d.) durch diejenigen Handwerker, qui artificium aqua exercent (Serv. Aen. XII 139), so läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß F. hier als Quellgöttin gefaßt wurde, wozu ihre Verehrung in Hainen und an Quellen sehr wohl passen würde; damit käme also die Erklärung des Serv. Aen. VIII 564 Feronia mater nympha Campaniae zu Ehren. Jedenfalls widersprechen einer solchen Deutung weder das ganz uncharakteristische Bild (Kopf mit Zackenkrone und Halsband) der Göttin auf den von P. Petronius Turpilianus um 734 = 20 geschlagenen Gold- und Silbermünzen (Babelon Monn. de la républ. II 395ff.) noch die Erklärungsversuche der Alten selbst, die deutlich nur auf Hypothesen beruhen; so hat für Varros Deutung auf Libertas (Serv. Aen. VIII 564 Varro Libertatem deam dicit, Feroniam quasi Fidoniam) offenbar die Beziehung der Göttin zu den Freigelassenen die Grundlage gebildet, für die Erklärung als Iuno Virgo die Nachbarschaft mit dem jugendlichen Iuppiter Anxur von Tarracina (Serv. Aen. VII 799 circa hunc tractum Campaniae colebatur puer Iuppiter, qui Anxyrus dicebatur, quasi ἄνευ ξυροῦ, id est sine novacula, quia barbam nu mqua ni rasisset, et Iuno Virgo, quae Feronia dicebatur), während die Übertragungen des Namens ins Griechische als Ἀνθοφόρος, Φιλοστέφανος (πολυστέφανος Corp. gloss. lat. II 71, 30. III 9, 27. 290, 72) oder Φερσεφόνη (Dion. Hal. III 32, 1; vgl. auch Corp. gloss. lat. V 456, 23. 500, 47 dea agrorum sive inferorum; IV 238, 25. 342, 18. V 599, 27 dea agrorum) den Stempel willkürlicher Erfindung an sich tragen. Entsprechend dem Fehlen ausreichenden Beweismateriales gehen deshalb auch die Deutungsversuche der Neueren weit auseinander; vgl. A. Kuhn Herabkunft des Feuers 30ff. Mannhardt Antike Wald- und Feldkulte 327ff. W. Deecke Falisker 97ff. Steuding in Roschers Mythol. Lexik. I 1477ff. C. Pascal Studi di antichità e mitologia 156. D. Vaglieri bei Ruggiero Dizion. epigr. III 56f. Wissowa Religion und Kultus d. Römer 131ff.