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RE:Fascinum

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Schutzmittel gegen Zauber und böse Blicke, ein Amulett oder Phallus
Band VI,2 (1909) S. 20092014
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Fascinum, Fascinare, stammverwandt mit βασκαίνειν (Vaniček Etym. Wörterb.2 II 117. Prellwitz Etym. Wörterb.2 74), bedeutet bezaubern, fascinum (oder fascinus) der Zauber. In dieser eigentlichen Bedeutung kommt das Wort aber selten vor (z. B. Symmach. ep. I 7: nullo fascino felicitas publica mordeatur), die gewöhnliche ist Schutzmittel gegen den Zauber, Amulett. Diese im ersten Augenblick befremdende Tatsache erklärt sich aus dem innersten Wesen des Zaubers; auch der Gegenzauber ist nicht nur gleichfalls Zauber, sondern nach überall verbreiteter Anschauung erfolgt die Aufhebung eines Zaubers durch eine gleiche oder verwandte Wirkung wie der Zauber selbst.

Nicht jede beliebige Art des Zaubers verstand man aber unter F., sondern speziell den kunstlosen, aber darum um so unheimlicheren durch den bösen Blick oder böse Worte, den jeder ausüben kann und dem man daher auf Schritt und Tritt ausgesetzt ist. O. Jahns grundlegende Abhandlung über den Aberglauben des bösen Blicks in den Ber. Sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1855, 28ff. ist noch heute nach keiner Richtung übertroffen; ich zitiere sie im folgenden kurz mit Jahn und verweise damit zugleich auf die dort angeführten und zum Teil ausgeschriebenen Zitate.

Der böse Blick des Neidischen wirkt verzehrend, das Glück, auf das er fällt, vernichtend. Wie sehr man ihn im Altertum fürchtete, zeigen uns die vielen Vorkehrungen dagegen, die uns literarisch überliefert und in Form von Amuletten in unglaublicher Fülle erhalten sind; und wie ernst man seine Wirkung nahm, lehrt sowohl Demokrits auf seine Lehre von den εἴδωλα gegründete Auffassung, wie die späteren Versuche, sie auf dem Wege der Emanation zu erklären (Plut. quaest. symp. V 7. Jahn 32ff.). Man kann auch ohne Absicht durch seinen Blick schaden, Eltern ihren eigenen Kindern; einzelne Menschen, ja ganze [2010] Geschlechter (Jahn 35. Riess o. Bd. I S. 83) galten als mit dem bösen Blick behaftet. Selbst bei ganz kleinen Kindern glaubte man ihn gelegentlich wahrzunehmen (Aug. conf. I 7), sogar bei Tieren (Jahn 36) – bei allen Wesen, in deren Blick oder Augenstellung etwas Eigentümliches lag, das im Beschauer den Eindruck häßlicher Gesinnung hervorrief (Wuttke Dtsch. Volksabergl.3 § 220). Noch heute ist diese Anschauung überall im Volksglauben zu finden (Wuttke § 389. 396. Bieńkowski Eranos Vindob. 293, 3) und die Furcht vor diesem Zauber besonders im Süden eine große. Der faszinierende Blick ist, wenngleich in veränderter Bedeutung, ja auch uns nicht unbekannt.

Die Art, wie man sich gegen die Faszination schützte, ist einfach, einfach und ursprünglich, wie der Zauber selber. Sie besteht in Mitteln, die das Böse zurückschleudern oder abwenden. Diese können einmalige, nur im Moment wirksame, und dauernde sein; Geberden, die der Mensch im Augenblick, da er bösen Einfluß merkt oder vermutet, selbst ausführt, wie das Ausstrecken des Mittelfingers (des digitus infamis) und die Geberde der fica (s. u.), und Amulette, die nicht nur dauernde Wirkung haben, sondern auch verborgen den bösen Blick abzuwehren vermögen. Amulette besitzen entweder eine von Natur ihnen innewohnende apotropäische Kraft, oder sie sind Erzeugnisse menschlicher Kunst, deren Wirkung auf einer mit ihrer Darstellung verbundenen abergläubischen Vorstellung beruht. Zu den natürlichen Amuletten gehören Edelmetalle und Edelsteine (deren Heilkraft hierin ebenfalls ihre Erklärung findet), desgleichen die Koralle und der Bernstein (Jahn 43, 50. 51. Riess Bd. I S. 50ff.). Sie geben ihrem Träger das Gefühl der Sicherheit gegen jeden zauberischen Einfluß; der Schmuck diente ursprünglich nicht nur einer ästhetischen Befriedigung, sondern hatte eine viel ernstere Bedeutung. Auch bestimmte Pflanzen galten als zauberabwehrend; ihre Kraft hatte man durch Tiere gelernt, die sie, wie man annahm, zu solchem Zweck verwandten (Aelian. hist. an. I 35. Geop. XV 1. Jahn 36). Die baccaris nennt Vergil als Mittel gegen die Macht der mala lingua, Ecl. 7, 27.

Bei den künstlichen Amuletten können wir verschiedene Gruppen unterscheiden. Es ist eine primitive Anschauung, daß dieselbe Kraft, die eine Wirkung ausübt, sie auch wieder aufzuheben vermag; besonders im Zauber hat sich diese Anschauung lebendig erhalten, wie wir oben schon bei der Bedeutung von F. als Zauber und Gegenzauber gesehen haben. So tritt uns unter den Abwehrmitteln gegen den bösen Blick besonders oft die Darstellung eines Auges entgegen: Auge gegen Auge. Allgemein bekannt ist seine häufige Verwendung zum Schmuck von Trinkschalen, meist zusammen mit dem Gorgoneion; es soll den Genießenden gegen jeden bösen Einfluß schützen. In demselben Sinne ist es als Emblem bei Schiffen verwandt, am Bug des Fahrzeugs; desgleichen an Schilden, Geräten und Schmuckgegenständen (Jahn 63f.).

Einen offenen Angriff gegen die feindlichen Mächte bedeuten die schreckenerregenden Gesichtsmasken, vor allem die Fratze der Gorgo (Roschers [2011] Myth. Lex. I 1697). Die verzerrten Gesichter lähmen durch ihren potenzierten Ausdruck den bösen Blick; in demselben kriegerischen Sinne finden wir oft ein Stierhaupt, die Verkörperung unbeugsamer Kraft, als Amulett verwandt (Jahn 57ff.). Überall brachte man diese unheilabwehrenden Embleme an, an Mauern, Toren und Gebäuden (Jahn 74), an Geräten (o. Bd. I S. 1987), an der Kleidung und am Schmuck (Stephani C. R. 1865, 70. 1870–1871, 204).

Aber nicht bloß abwehrende, sondern auch abwendende Mittel standen in hoher Geltung. Der Glaube an ihre Wirkung gründete sich auf die Anschauung, daß der böse Blick sich von seinem Opfer ablenken läßt durch seltsame (ἄτοπα) oder lächerliche (γελοῖα) Darstellungen, obszöne, von denen das Auge aus Scham ohne weiteres sich abwendet, oder Karrikaturen, die zum Lachen zwingen und dadurch die Kraft des Zaubers lähmen (Plut. quaest. symp. V 7, 3: ἑλκομένης διὰ τὴν ἀτοπίαν τῆς ὄψεως, ὥστε ἧττον ἐπερείδειν τοῖς πάσχουσιν. Jahn 66. 86ff.). Zum Lachen reizende Mißbildungen, als βασκάνια oder προβασκάνια bezeichnet, brachten die Handwerker vor ihren Werkstätten an, um ihre Arbeit vor bösem Einfluß zu bewahren (Phryn. bei Bekker Anecd. 30, 5. Pollux VII 108: ἔθος ἧν, γελοῖά τινα καταρτᾶν ἢ ἐπιπλάττειν ἐπὶ φθόνου ἀποτροπῇ, vgl. Jahn Ber. Sächs. Gesellsch. 1854, 45ff.); die häufigen Darstellungen von Pygmäen und Zwergen haben wohl auch eine apotropäische Bedeutung gehabt. Die weiteste Verbreitung aber zur Abwendung des bösen Blickes hat der Phallus gefunden, der so häufig mit dieser Bestimmung verwandt wurde, daß man bei dem Wort F. vorwiegend an ihn denkt, damit sogar das membrum virile in Natur bezeichnen konnte (Horat. epod. 8, 18. Porphyrio dazu: fascinum pro virili parte posuit, quoniam praefascinandis rebus haec membri difformitas apponi solet.). Dies F. begegnet uns überall: an Häusern und Toren (Preller Röm. Myth. II3 50, 1. 68, 1. 255), an öffentlichen Plätzen, oft in kolossaler Gestalt, an den Geräten des täglichen Lebens, wie Gefäßen und Lampen, an der Kleidung und besonders beim Schmuck, an Ringen, Spangen usw. (Jahn 68. 74); auch allein wurde es an einem Henkel getragen (Jahn 73). Gelegentlich erscheint der Phallus wie ein Tier gebildet, mit Flügeln und Krallen ausgestattet (Jahn 76); offenbar glaubte man seine Wirkung dadurch zu verstärken. Aus demselben Grunde finden wir an phallischen Amuletten Schellen angebracht, da der Klang des Metalls als wirksam gegen gespenstische Einflüsse galt. Unsere Kinderklappern sind ursprünglich nicht nur Spielzeug gewesen.

Besonders beliebt war der Phallus als Amulett für Kinder (Varro de l. l. VII 5. Plin. n. h. XXXVIII 39. Jahn 70), die ebenso ahnungslos wie wehrlos gegen die ihnen drohende Gefahr in besonderem Grade eines Schutzes dagegen bedurften. Die bulla legten die römischen Knaben erst mit dem Eintritt der Mannbarkeit ab (Jahn 44); Kirchenschriftsteller erwähnen eine eigene Göttin Cunina, quae infantes in cunis tuetur ac fascinum submovet (Jahn 40, 41. Roschers Myth. Lex. II 196). Auch das Vieh wurde als besondere der Faszination unterworfen betrachtet [2012] (Jahn 40, 40) und als das kostbarste Besitztum des Bauern ebenfalls durch Amulette geschützt. Aber auch der Mann auf der Höhe seiner Macht und des Glückes konnte dieses Schutzes nicht entraten; so wurde ein Phallus als F. (medicus invidiae) unter dem Wagen des Triumphators angebracht (Plin. XXVIII 39. Preller Röm. Myth. I3 230), der auf der höchsten Stufe menschlicher Größe aller Blicken ausgesetzt den Neid geradezu herausforderte. Wenn Plinius an dieser Stelle vom fascinus hinzufügt: qui deus inter sacra Romana Vestalibus colitur, so ist hier natürlich nicht an das Amulett, sondern an einen Kult des Phallus als eines Dämons der Fruchtbarkeit zu denken (vgl. Preuner Hestia-Vesta 411, 5. Gilbert Stadt Rom II 211), an eine vielleicht dem Mutunus Tutunus verwandte Gottheit (Preller Röm. Myth. II3 218. Wissowa Ges. Abh. 325). Obwohl F. den Phallus eigentlich nur im Sinne des gegen Zauber schützenden Amuletts bezeichnet, ist doch, wie wir schon oben sahen, bald eine völlige Gleichsetzung beider Worte erfolgt. Segen spenden und Unheil abwenden lassen sich ja in Wirklichkeit nicht von einander trennen; im Kultus des Liber wurde sowohl der aktiven wie der passiven Natur des F. Rechnung getragen (Preller R. Myth. II3 49. Jahn 71, 162).

Sehr selten begegnet eine Abbildung der weiblichen Scham als Amulett, meist verwandte man damit gleichbedeutende Symbole wie die Muschel oder eine Darstellung der fica, einer Geberde, bei der der Daumen der Faust zwischen Zeige- und Mittelfinger herausgestreckt wird. Oft sehen wir den Phallus und eine Hand in dieser Geberde zu einem Amulett verbunden (Jahn 80ff. Riess o. Bd. I S. 85).

Alle diese Amulette finden sich in der verschiedensten Größe und aus dem verschiedensten Material gebildet; die zum Tragen bestimmten wurden sowohl an Schmucksachen angebracht, als auch allein getragen, einzeln oder zu ganzen Schnüren vereint, da der Abergläubische sich von einer Häufung seiner Schutzmittel eine um so intensivere Wirkung versprach. Ihrer Kraft tut es keinen Abbruch, wenn sie auch verborgen aufgestellt oder getragen wurden (Jahn 73); ihre zauberabwehrende Macht stand so außer Zweifel, daß ihr bloßes Vorhandensein als wirksam galt, obwohl des Neides Blicke gar nicht an ihnen abgleiten konnten.

Könnte noch ein Zweifel daran bestehen, ob die Bedeutung dieser Amulette richtig erkannt worden ist, so heben ihn vollständig eine Anzahl von Darstellungen, die uns in der Mitte ein Auge zeigen, das von allen Seiten in der verschiedensten Weise bedroht wird; Tiere gehen auf es los, ein Hund, Bär, Hirsch, Rabe, eine Schlange u. a., ein Retiarius greift es mit dem Dreizack, ein Gladiator mit dem Schwert an (hier und da erscheint es bereits von einer Lanze oder Dolchen durchbohrt), ein Blitzbündel schwebt über ihm, ein Phallus richtet sich ihm entgegen, ein Mann beweist ihm durch eine unmißverständliche Geberde seine höchste Verachtung (Jahn Taf. 3. Bieńkowski a. a. O. 285ff.). Ein ganzes Heer also zieht hier gegen das böse Auge zu Felde und deutet so mit großem Aufwand an, daß des [2013] Neidischen Blick hier seine Macht verloren habe. Darstellungen dieses Inhalts finden sich sowohl auf kleinen zum Tragen bestimmten Amuletten, als auch in großen Dimensionen, auf Reliefs, die zur Einfügung in eine Mauer bestimmt waren, und als Mosaik auf dem Fußboden am Eingang eines Kybeleheiligtums (Bieńkowski 286).

Auch gegen das böse Wort oder das in seinen Wirkungen ihm gleichkommende zu große Lob mag man solche Amulette als wirksamen Schutz betrachtet haben: kleine Figürchen, die durch die Geberde des den Mund schließenden Fingers symbolisch zum εὐφημεῖν aufforderten (Jahn 47ff.), mögen auch hierher gehören. Näher lag es, eine unheilbedeutende Äußerung durch eine sofortige mündliche Gegenwehr zu entkräften. Lob suchte man abzuschwächen durch den Ausruf ἀβασκάντως, infascinate = absit invidia verbo, unverrufen; beliebt war die öfters bei Plautus und sonst vorkommende Form praefiscine oder praefiscini. Pol tu ad laudem addito praefiscini, ne puella fascinetur heißt es in der Setina des Titinius (Charis. p. 189); es ist offenbar ein volkstümlicher Ausdruck, der besonders in der Kinderstube zu Hause war. Einen bösen Wunsch gab man entweder zurück (εἰς κεφαλὴν σοί, Plat. Euthyd. 283 E. Cic. ad Att. VIII 5, 1. Jahn 61. Lafaye Dict. des ant. II 986), oder man wehrte sich dagegen durch das kräftige Mittel des Ausspeiens; Ausspeien ist die gewöhnlichste Art, seine Verachtung zu bezeigen. Was man anspeit, betrachtet man als tief unter sich stehend, und seiner Macht fühlt man sich nicht mehr unterworfen; hierauf gründet sich wohl die Vorstellung von der zauberbrechenden Macht des Speiens. Plin. XXVIII 35 despuimus comitiales morbos, hoc est, contagia regerimus, simili modo et fascinationes repercutimus (Jahn 85). Einem andern Vorstellungskreis gehört die Anschauung an, daß man durch Auspeien der eigenen Person (εἰς κόλπον πτύειν) einen Zauber brechen könne; hier liegt zu Grunde die Idee, daß die Selbsterniedrigung eine Sühne sei (Jahn 83) und der Neid dadurch gegenstandslos gemacht werde. Wahrscheinlich ist auch aus dieser Anschauung heraus zu erklären der Gebrauch, sich den Staub vom Boden auf die Stirn zu streichen (ὀφθαλμὸν ἀποστρέφει καὶ βασκανίαν καὶ φθύνον, Joh. Chrysost. in epist. I ad Corinth. 12, 7. Jahn 82). Das Kind, das von dem bösen Blick nichts ahnte, mußte sich solche Vorkehrungen dagegen von andern gefallen lassen: lingua detersa fronte mulieres amputare se infantibus putant fascinum (Acro zu Horat. epod. 8, 8). Auch bei Tieren glaubte man diese Vorsicht wahrzunehmen; von den Tauben erzählt Aelian. v. h. I 15: τῶν νεοττῶν γενομένων, ὁ ἄρρην ἐμπτύει αὐτοῖς, ἀπελαύνων αὐτῶν τὸν φθόνον, ὡς φασὶν ἵνα μὴ βασκανθῶσι.

Wer im Aberglauben nur die aus dem Gebiet lebendigen religiösen Bewußtseins herabgesunkene Vorstellung vom Übersinnlichen erkennt (Riess o. Bd. I S. 29), wird die eigentümliche Erscheinung nicht zu erklären vermögen, daß die Götter bei den eben behandelten abergläubischen Gebräuchen fast ganz zurücktreten. Jahn (46, 56) hat bereits hervorgehoben, daß die vorzugsweise als unheilabwendend verehrten Gottheiten sich hier nicht nachweisen lassen; aber die einheimischen [2014] Gottheiten fallen – wenn wir von der Dea Cunina absehen – hier überhaupt aus. Wollte man die apotropäischen Tiere als göttliche in Anspruch nehmen und im Blitz ein göttliches Attribut erkennen, so würde man dem ganz unwahrscheinlichen Schluß nicht entgehen können, daß die heiligen Tiere oder Attribute für wirksamer als die Gottheiten selbst gegolten hätten. Vgl. Dilthey Arch.-epigr. Mitt. II 47. 48. Die von Jahn (101ff.), Dilthey a. a. O. und Blinkenberg Archäol. Studien 1904, 67ff. behandelten Votivhände, die neben apotropäischen Tieren und Symbolen Bilder von Gottheiten zeigen, dienten, wenn ihre Erklärung auch noch manche Schwierigkeit bietet, sicher nicht nur der Abwendung eines Zaubers; wo die Darstellungen deutlich reden, bedeuten sie einen Dank an die Gottheit für ihren Beistand zur Erreichung eines Zieles oder für Errettung aus der Not. Göttlicher Segen erscheint also hier wirksam neben der zauberabwehrenden Macht von Tieren und Symbolen: jeder Teil hat das Seine zu dem glücklichen Erfolg beigetragen.

Fremde Gottheiten begegnen in späterer Zeit öfters auf Amuletten, die bestimmt der Abwehr des bösen Blickes galten (Jahn 46ff.), außer Sarapis besonders Harpokrates, dieser freilich nur infolge der ihm eigentümlichen Geberde, die man als Warnung auslegte, ein unzeitiges oder böses Wort auszusprechen (vgl. o. S. 2013). Abgesehen aber davon, daß fremde Gottheiten im Zauber stets eine besondere Rolle gespielt haben (Jahn 46), können diese Ausnahmen nur bestätigen, daß die eigentliche Abwehr dieses Zaubers nicht auf religiösem Gebiet lag; auch der heutige Volksaberglaube operiert mit andern Mitteln dagegen, wenngleich er daneben gelegentlich auch vom Zeichen des Kreuzes Gebrauch macht.

Der Aberglaube ist keine überwundene Stufe des religiösen Bewußtseins, sondern begrifflich von der Religion bestimmt zu trennen. Er ist der Glaube an außergöttliche Naturkräfte, an geheimnisvolle, der göttlichen Macht nicht untergeordnete Gewalten, gegen die der Gott desselben Schutzes bedarf, wie der Mensch; ein Glaube, älter als alle Religion, der sich bis in unsere Tage kraftvoll genug erwiesen hat, um – wenn auch im verborgenen – aller religiösen und wissenschaftlichen Aufklärung Trotz zu bieten. Überall aber ist er naturgemäß in engste Berührung mit religiösen Vorstellungen getreten; auf dem hier behandelten Gebiet vor allem mit der Vorstellung vom Neid der Götter, die ein zu großes menschliches Glück nicht dulden (βάσκανος δαίμων, Jahn 37); der Glaube an die Wirkung der Selbsterniedrigung spielt ganz ins religiöse Gebiet hinüber. Bei seiner Neigung zur Personifikation hat sich der Hellene sogar einen Dämon Φθόνος geschaffen (Jahn 38); erscheint hier die Grenze von Religion und Aberglauben ganz verwischt, so ist um so charakteristischer die Bestimmtheit, mit der sie unbewußt bei der Wahl der Abwehrmittel gegen den Zauber eingehalten ist.