84) Cn. Domitius Tullus. Quellen: 1. Inschrift aus Foligno CIL XI 5211 = Dessau 991, die Inschrift ist im Anfange verstümmelt, doch ist die Beziehung auf Tullus sicher; der Anfang ist mit Hülfe von CIL XI 5210 zu ergänzen; 2. Cippus aus Rom, Bull. com. 1882, 161 nr. 560; 3. Ziegelstempel CIL XV, Hauptmasse nr. 990–1007, ferner nr. 116–120. 258–262; 4. gelegentliche Erwähnungen bei Plinius und Martialis. Litteratur: vgl. Nr. 65, ferner Wilmanns Exempla 1149 und Pros. Rom. II 23 nr. 143. Der vollständige Name ergiebt sich durch den des Bruders Lucanus als Cn. Domitius Sex. fil. Vel(ina) Afer Titius Marcellus (?) Curvius Tullus. Über seine Abstammung vgl. Nr. 65. Als der jüngere der Brüder wird er wohl nicht viel vor 42, der Zeit der Adoption, geboren sein; dazu passt dann gut das, was sich sonst chronologisch aus seinem Leben
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bestimmen lässt. Wie sein älterer Bruder schlug auch er die Laufbahn der Senatorensöhne ein. Nach der Inschrift war er zuerst Xvir stlitibus iudicandis. Wie Lucanus diente er als Tribunus militum in der Legio V Alaudae. Wohl noch unter Nero war er quaestor Caes. Aug. Der Name des Kaisers ist in der Inschrift mit Absicht unterdrückt (vgl. Wilmanns Exempla 1149 A. 6). Nach dem Volkstribunat erfolgte seine adlectio interpatricios 73 (hier und weiterhin vgl. den Art. über Cn. Domitius Lucanus Nr. 65). Unmittelbar darauf zog er als Befehlshaber aller Hülfstruppen nach Germanien in den Krieg des Cn. Pinarius Clemens. Gleichzeitig war er praetor designatus und zwar als candidatus principis. Noch während des Feldzuges, also wohl nicht vor 73/74, wurde er Commandant der in Africa, bezw. Numidien stehenden Heeresabteilung (CIL XI 5211 praef. au[xiliorum omnium.] adversus Germanos, qui cum esset [in Germania] candidatus Caesaris praetor designatus, missus est ab imperatore Vespasiano Augusto legatus pro praetore ad exercitum, qui est in Africa, et apsens inter praetorios relatus). Nach Beendigung des Germanenkrieges war er wie sein Bruder decoriert worden (donato ab imperatore Vespasiano Aug. et Tito Caesare Augusti f. coronis murali vallari aurea, hastis puris III, vexillis III, CIL XI 5211). In seiner Commandantenstellung in Africa kann er nicht, wie Liebenam (Forsch. z. Verw. I 304), der den Feldzug des J. 70/71 im Auge hatte, meinte, der unmittelbare Nachfolger des Valerius Festus (CIL V 531) gewesen sein, der bereits 70 diesen Posten verliess. Wie lange Tullus in Africa blieb, ist ungewiss. Nach der allgemeinen Annahme, der zufolge Lucanus ihn ablöste, müsste er nach ganz kurzer Zeit abberufen worden sein. Ist die oben S. 1429 aufgestellte Ansicht richtig, so blieb er bis 76 in Africa, bis P. Egnatius Catus an seine Stelle trat (vgl. Pallu de Lessert a. a. O.). Während seiner Abwesenheit wurde er unter die praetorii versetzt (Mommsen St.-R. II³ 943, l. I³ 516, 2). Dass die Stellung, in der er und sein Bruder nach den Inschriften in Africa waren, dieselbe ist, und nicht etwa wegen der geringen Verschiedenheiten im Titel bei Lucanus an eine Thätigkeit financieller Art zu denken ist, ist bei der sonstigen Verwendung des Lucanus wahrscheinlich und daher mit Unrecht angezweifelt worden (etwas anders Pallu de Lessert Fastes a. a. O.). Nach der Commandostelle in Africa (vgl. Wilmanns 1147 A. 2) wurde er Consul. Jedenfalls hatte er damals schon das Minimalalter überschritten (Mommsen St.-R. I³ 574). Damals wird er auch die Würde eines Fetialis erhalten haben. Er wurde endlich, sicherlich erst unter Domitian wegen des 5jährigen Minimalintervalls zwischen Consulat und Proconsulat (Mommsen St.-R. II¹ 248), und zwar mit Berücksichtigung der für Lucanus dargelegten historischen Verhältnisse, in der ersten Zeit der Regierung des Domitian (vor 93/94, dem Todesjahre seines Bruders) Proconsul in Africa. Dieses Amt und damit auch das Consulat (vgl. Mommsen St.-R. II³ 244) ergeben sich aus CIL XI 5210 (legato eiusdem provinciae [scil. Africae] Tulli fratris sui). In dieser Stellung wurde er zunächst von seinem Bruder als Legaten unterstützt, dann
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abgelöst. Er überlebte den Lucanus; denn er starb erst 108/9, wie sich aus Plin. ep. VIII 18, 1, der seinen Tod berichtet, ergiebt.
Über die Privatverhältnisse des Tullus belehrt uns Plin. a. a. O. Tullus, der nach dem Tode des Lucanus dessen Universalerbe geworden war, vereinigte ein ungeheures Vermögen in seiner Hand. Dieses setzte sich aus der Erbschaft des Domitius Afer, des Curtilius Mancia und dem gemeinsamen Vermögen der beiden Brüder zusammen. Sein fabelhafter Reichtum erhellt aus Plin. VIII 18, 11 (vgl. hierzu Friedländer S.-G. III¹ 134. 212). Zur Universalerbin dieses Besitzes setzte Tullus seine Adoptivtochter Domitia Lucilla ein, doch bedachte er auch seine Enkel und seine Urenkelin (vgl. hierüber Nr. 104). Tullus hatte erst in hohem Alter, als er bereits gelähmt war, geheiratet, und zwar eine Witwe aus vornehmer Familie. Sie brachte vielleicht Kinder aus ihrer ersten Ehe in die Ehe mit. Tullus wurde von ihr liebevoll gepflegt. Er hinterliess ihr im Testament ein beträchtliches Legat an Vermögen und Grundbesitz (Plin. ep. VIII 18, 8). Über die Arbeiter und Freigelassenen des Lucanus und Tullus vgl. Dressel Unters. 24ff. 48ff.