RE:Bucellarii
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Gefolgsleute v. Königen u. berühmten Kämpfern | |||
Band III,1 (1897) S. 934–939 | |||
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Bucellarii, griechisch umschrieben durch δορυφόροι καὶ ὑπασπισταί (Prokop. 73 C. 75 C. 254 B. C und sonst), οἱ τῷ δεῖνι ἑπόμενοι (Prokop. 487 B verglichen mit 493 A. 529 A. D. 641 C und sonst), ὀπαδοί (Agath. I 15. 19. II 8. IV 21), μισθοφόροι οἰκεῖοι (Malch. frg. 18, FHG IV 127) oder παῖδες (Agath. III 16. Malal. Herm. VI 369). Da das letzte Wort dem deutschen ,Degen‘ dem Sinne nach vollständig entspricht und auch die übrigen griechischen Bezeichnungen der B. in ganz derselben Weise auf die germanischen Gefolgsleute angewandt werden (δορυφόροι Prokop. 197 C. 204 B. 344 A. 375 D. 469 C. 483 D; ὑπασπισταί Prokop. 664 D; ἑπόμενοι Prokop. 549 D; ὀπαδοί Agath. II 14), so ist anzunehmen, dass die deutsche und die römische Institution identisch waren, was durch ihre Übereinstimmung bis in die kleinsten Einzelheiten hinein bestätigt wird.
Die altgermanischen Degen kennen wir vorzugsweise aus Tac. Germ. 13. 14 und dem Beowulf (A. Koehler Germania XIII 148). Lateinisch werden sie bald comites (Tac. a. O. Amm. XVI [935] 12, 60), bald clientes genannt (Tac. ann. I 57. II 45. XII 30), was ihre Doppelstellung teils als Kampfgenossen ihres Herrn, teils als abhängige Bedienstete gut bezeichnet. Es sind Männer und Jünglinge aller Stände, teils sogar von hohem Adel, die sich Königen oder auch angesehenen Privatleuten, namentlich berühmten Kriegern, eidlich zur Treue verpflichtet haben. Ihre Zahl kann sehr verschieden sein; bei dem Alamanenkönig Chnodomar werden 200 genannt (Amm. a. O.); dagegen begleiten Amalafrida, die Schwester des Ostgothenkönigs Theoderich, als sie dem Vandalenkönige Trasamund vermählt wird, 1000 δορυφόροι mit 5000 bewaffneten Knechten (Prokop. 197 C). Die Degen dienen ihrem Herrn im Kampfe als Leibwache (Tac. Germ. 14. Prokop. 664 D. Agath. II 14) und betrachten es als die höchste Schmach, wenn es ihnen nicht gelingt, sein Leben zu schützen. Als Segest zu den Römern, Inguiomar zu Marbod übergeht, zögern sie nicht, ihrem Führer zu folgen (Tac. ann. I 57. II 45); mit König Vannius gehen sie in die Verbannung (Tac. ann. XII 30), und mit Chnodomar übergeben sie sich in die römische Gefangenschaft. Natürlich bedenken sie sich auch nicht, Mordbefehle des Herrn auszuführen (Prokop. 375 D). Anfangs sind sie auch beim Mahle die Bankgenossen ihres Führers; bei den ostgothischen Königen dagegen wohnen sie zwar auch noch den Mahlzeiten bei, aber stehend und ohne an ihnen teil zu nehmen (Prokop. 470 A). Von ihrem Herrn erhalten sie die Nahrung und gelegentliche Geschenke, deren Wert sich nach seinem Reichtum und seiner Freigebigkeit richtet. Ausserdem sind viele, wenn auch nicht alle, aus seinen Mitteln bewaffnet und mit Pferden versehen (Tac. Germ. 14. Cod. Euric. 310 bei K. Zeumer Leges Visigothorum antiquiores 13). Denn beritten sind sie alle, schon weil ihr Herr selber zu Rosse in den Kampf zieht und sie in seinem steten Geleite an Schnelligkeit der Bewegung nicht hinter ihm zurückstehen dürfen (Tac. Germ. 14; ann. II 11. Amm. XVI 12, 35. Müllenhoff Ztschr. f. deutsch. Altert. X 553. Brunner Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechts 41. 43). Das Verhältnis ist von beiden Seiten jederzeit löslich, ja manche vornehme Jünglinge gehen es nur ein, um im Dienst eines berühmten Recken ihre erste Lehrzeit durchzumachen und später selbst ein Gefolge um sich zu sammeln (Tac. Germ. 13). In der Regel aber dauert es lebenslänglich, ja in späterer Zeit wird es sogar erblich. Bei den Westgothen muss der Degen, wenn er aus dem Dienste seines Patrons oder der Kinder desselben austreten will, nicht nur die Geschenke, sondern auch die Hälfte desjenigen, was er sich als Gefolgsmann selbst erworben hat, dem Herrn oder dessen Erben ausliefern. Stirbt er, so bleiben seine Kinder in dem alten Dienst, und der Herr hat über die Hand seiner Tochter zu verfügen (Cod. Euric. 310). Innerhalb der grösseren Gefolge gab es Rangklassen, die der Führer nach freiem Willen bestimmte (Tac. Germ. 14); regelmässig scheinen es zwei gewesen zu sein. So nennt Ammian neben den 200 Comites des Chnodomar drei amici iunctissimi, und das Beowulfslied scheidet die ,Tugend‘ und die ,Jugend‘. An der Spitze der ganzen Masse steht ein Obmann, [936] der bei den Franken den Titel maior domus führt, da das Gefolge eben als Teil des Hausgesindes (domus) betrachtet wird. Den Königen waren diese kriegerischen Scharen übermächtiger Privatleute natürlich immer ein Dorn im Auge, und bei einzelnen germanischen Stämmen gelang es ihnen wirklich, den Besitz eines Gefolges zum königlichen Reservatrechte zu machen. Bei den Vandalen war es ein Zeichen des Aufruhrs, wenn ein Privatmann sich Leibwächter zulegte (Prokop. 204 B); dagegen kommen sie bei den Ostgothen auch bei niederen Kriegsführern vor (Prokop. 344 A. Agath. II 14), und bei den Westgothen scheinen sie noch weiter verbreitet gewesen zu sein (Cod. Euric. 310). Brunner Deutsche Rechtsgeschichte I 137; Forschungen zur Gesch. d. deutschen u. französischen Rechtes 76. R. Schröder Lehrbuch d. deutschen Rechtsgeschichte² 31. A. Köhler Germania XIII 148. Seeck Geschichte des Untergangs der antiken Welt I 202. 218.
Dies germanische Institut fand im römischen Reiche schon unter Caracalla Nachahmung, indem der Kaiser für sich das Corps der protectores schuf; doch veränderte dasselbe bald seinen Charakter und verlor fast jede Ähnlichkeit mit dem deutschen Urbilde (s. Domestici). Im 3. Jhdt. wird auch einmal ein protector praefecti praetorio erwähnt (CIL VI 3238). Danach legten auch einzelne Unterthanen sich Leibwächter zu; doch scheint dies gefährliche Unterfangen bald sein Ende gefunden zu haben. Aber unter der schwachen Regierung des Arcadius und Honorius erscheinen diese privaten Gefolge von neuem (Olymp. frg. 7). Der erste, bei dem sie sich nachweisen lassen, ist der Praefectus praetorio Orientis Rufinus im J. 395 (Claud. in Ruf. II 75), der auch im übrigen eine so lebhafte Vorliebe für die Germanen hegte, dass er zeitweilig selbst ihre Tracht anlegte (Claud. in Ruf. II 79). Später breitet sich das Gefolgswesen immer weiter aus, und unter Iustinian findet sich bei allen Officieren (Prokop. 206 D. 272 B. 280 D. 288 A. 296 A. 300 C. 302 D. 383 D. 407 A. D. 418 D. 477 C. 493 D. 505 B. 644 C. Agath. I 15 und sonst) und bei sehr vielen Civilbeamten (Prokop. 75 C; hist. arc. I 4 p. 13 A) eine grössere oder kleinere Zahl von solchen Trabanten. Belisar besass 7000 (Prokop. 467 C), und auch bei andern kommen 1000 und mehr vor (Prokop. 75 C. 529 A); doch waren dies Ausnahmen. Bei geringeren Beamten werden es oft wohl nur ein paar Leute gewesen sein, die zum Schutze ihres Herrn gerade genügten. Es kam im 5. Jhdt. sogar vor, dass Privatleute in ihren städtischen Häusern oder auf ihren Gütern bewaffnete Banden unterhielten; denn Kaiser Leo musste es verbieten (Cod. Iust. IX 12, 10).
Diese Privatsöldner scheinen ursprünglich comites geheissen zu haben (Malalas im Herm. VI 369. Not. dign. Or. V 29–31. VI 28. 31. VII 25. VIII 25. 26; Occ. VI 43. 50. 75. VII 159. 163), doch kam schon sehr früh für sie der Spitzname B. auf, der bald auch in den offiziellen Sprachgebrauch eindrang (Not. dign. Occ. VII 25. Cod. Iust. IX 12, 10). Das Wort ist abgeleitet von bucella, der Bissen, später ein kleines Weizenbrot, das feiner war als die gewöhnlichen (Cod. Theod. XIV 17, 5 mit der Anm. Gothofreds). Die Krieger führen also davon ihren Namen, dass sie [937] nicht das Commissbrot der kaiserlichen Annona, sondern die Feinbrötchen vornehmer Herren essen (Schol. Basilic. 60, 18, 29: οἱ τὸν ἄρτον τινὸς ἐσθίοντες ἐπ αὐτῷ τούτῳ τῷ παραμένειν αὐτῷ). Sie werden dadurch als Tischgenossen ihrer Gebieter charakterisiert, was sie in den kleineren Gefolgen wohl auch tatsächlich waren (vgl. Prokop. 207 B). Bei den Mahlzeiten grosser Herren dagegen pflegten sie nur hinter dem Speisesofa derselben zu stehen (Prokop. 303 A; vgl 281 C. 304 A), und es war eine besondere Gnade, wenn ihnen die Speisereste übergeben wurden, um sie draussen zu verzehren (Prokop. 304 A). Doch werden sie immer zum Hause (οἰκία) ihres Gebieters gerechnet (Prokop. 467 C. 205 A. 243 B. 256 D. 271 D. 305 A. 356 A. 392 B. Agath. Ι 19) und oft mit dessen Sclaven und persönlichen Dienern zusammen genannt (Agath. I 19. II 8. IV 21. Menand. frg. 9). Ihr Obmann scheint daher, wie bei den Franken, den Titel maior domus zu führen; wenigstens weisen darauf die griechischen Umschreibungen hin: ὁ τῇ τοῦ δεῖνος οἰκίᾳ ἐφεστώς (Prokop. 455 C. 551 D), ὁ τῶν οἰκοτρίβων ὀπαδῶν πρωτοστάτης (Agath. I 19), ὁ τῶν ὀπαδῶν ἐπιστάτης) (Agath. II 8), ὁ πρωτοστάτης τοῦ θητικοῦ καὶ οἰκετικοῦ) (Menand. frg. 9).
Für die Verpflegung der B. zu sorgen, ist Sache des Herrn (Agath. IV 22); ein grosses Gefolge setzt daher immer ein bedeutendes Privatvermögen voraus. Belisar besass einen eigenen ἐπιμελετὴς τῆς περὶ τὴν οἰκίαν δαπάνης, der gleich den Unterofficieren, welche die Verpflegung der kaiserlichen Truppen besorgten, den Titel Optio führte (Prokop. 217 B). Bei den kleineren Leibwachen werden aber solche Beamte wohl überflüssig gewesen sein. Auch die Pferde stellte der Herr seinen Mannen (Prokop. 207 C), denn sie waren alle beritten (Prokop. 467 C. 559 A); ob auch die Waffen, ist nicht überliefert.
Die B. setzen sich aus allen möglichen Nationen zusammen, doch scheint die Hauptmasse aus Hunnen und namentlich aus Gothen bestanden zu haben (Benjamin 32–34). Ihre Anwerbung nennt Prokop (75 C) ἑταιρίζεσθαι ,sich zum Genossen machen‘, wie auch der einzelne Mann mitunter der ἑταῖρος seines Herrn genannt wird (Prokop. 378 A). Manchmal geschieht sie in der Weise, dass ein Soldat aus den Truppen des Kaisers, der sich hervorgethan hat, von dem Führer in sein Gefolge aufgenommen wird; dies gilt also für eine Auszeichnung (Prokop. 649 D; vgl. 559 A). Mitunter traten auch die B. geringerer Officiere in den Dienst der höheren über (Prokop. 281 B. 558 D). So sind die obersten Feldherren im stande, sich als Leibwache ein ganz hervorragendes Elitecorps zu bilden, das in sich die tüchtigsten Elemente des ganzen Heeres vereinigt. Die B., welche Belisar über den Tigris schickt (Prokop. 133 B), werden οἱ τῶν στρατιωτῶν μαχιμώτατοι genannt (134 D), und ähnliche Äusserungen begegnen oft (467 C. 652 A. 217 B. 405 D. 418 D). Die Bücher des Prokop sind voll von Heldenthaten, die einzelne B. ausgeführt hatten.
Die B. verpflichten sich ihrem Herrn durch einen Eid, in den aber auch Treue gegen den Kaiser eingeschlossen wird (Prokop. 281 A. 459 D. Coripp. Joh. IV 226). Doch kann das Verhältnis darum doch von beiden Seiten gelöst werden. Ist [938] der Herr mit seinem Gefolgsmann unzufrieden, so verbannt er ihn von seinem Angesicht (Prokop. 440 A). Und dieser wiederum kann in andere Dienste gehen (Prokop. 281 B. 558 D) oder auch sich selbständig machen (Prokop. 630 A). Namentlich geschieht dies, wenn er zum Officier befördert wird, was bei den Gefolgsleuten der obersten Feldherrn nicht selten vorkam (Prokop. 133 B, vgl. 442 B. 282 D, vgl. 295 C. 257 A. 552 A. 555 D). Manche von ihnen, wie Belisar und Sittas, sind zu den höchsten militärischen Würden emporgestiegen (Prokop. 34 D, vgl. 459 D).
Aber wenn solche Lösungen des Abhängigkeitsverhältnisses auch oft genug vorkamen, so müssen sie doch als Ausnahmen gelten. In der Regel war es so fest, dass es geradezu nach Analogie des Eigentums behandelt werden konnte. Dies geht so weit, dass wenn das Vermögen eines hohen Officiers confisciert wird, der Kaiser sich auch seine B. aneignet (Prosp. chron. 1375) oder sie seinen Günstlingen verschenkt (Prokop. hist. arc. 4 p. 13 A). Auf diese Weise sind wohl auch jene comites der Not. dign. aus Privatgefolgen zu kaiserlichen Truppencorps geworden, und da es durchgängig Elitescharen waren, nehmen sie in den Verzeichnissen der Reiterei meist die ersten Stellen ein (S. 936).
Die B. zerfallen in zwei Rangklassen, von denen die höhere von Prokop δορυφόροι, lateinisch wohl armigeri, die niederigere ὑπασπισταί genannt wird. Ihr Zahlenverhältnis scheint ähnlich gewesen zu sein, wie bei den amici und comites des Chnodomar (S. 935); denn oft werden Corps von einigen hundert Hypaspisten unter Führung von einem bis drei Doryphoren ausgesandt (Prokop. 133 B. 216 C. 222 A. 229 B. 351 C. 377 B. 378 A. 390 C. 405 D. 416 B. 490 A). In den Gefolgen der niedrigeren Officiere fehlten vielleicht die Hypaspisten ganz. Sie werden nur bei zwei militärischen Beamten, die nicht Magistri militum sind, erwähnt (407 A. D. 505 B); aber beide bezeichnet Prokop (319 C) als unter ihren Genossen hervorragend; sie mögen also ein außergewöhnlich grosses Gefolge besessen haben.
Einzelne von den B., namentlich von den Doryphoren, befinden sich nicht nur bei der Mahlzeit (S. 937), sondern auch sonst regelmässig in der Umgebung ihres Herrn (Prokop. 644 C). Im Kriege lagern sie bei ihm (Prokop. 443 A), in der Schlacht steht er in ihrer Mitte (Agath. II 8. Coripp. Joh. VI 533. Prokop. 240 C und sonst), und einer von ihnen ist der Träger des Feldherrnbanners (Prokop. 238 A. 240 C. 241 B. 256 D). Sie dienen ihrem Führer als Leibwache und setzen für ihn mit grosser Kühnheit ihr Leben ein (Prokop. 279 D. 289 C. 356 A. 453 B. 595 B. Agath. I 15. II 14. Coripp. Joh. IV 923. Marc. chron. 520). Ja selbst die Blutrache für ihn, wenn er gefallen ist, betrachten sie als ihre Pflicht. So töteten B. des Aëtius den Kaiser Valentinian III., der ihren Herrn erschlagen hatte (Mommsen Chronica minora I 303. 483. II 86. Greg. Tur. h. Franc. II 8), und der Gothe Ostrys kämpfte nach dem Tode Aspars mit grösstem Mut, um den Feldherrn zu rächen (Theoph. 5964. Malal. a. O.). Als Vertrauensmänner ihrer Führer wurden die Doryphoren oft mit schwierigen und verantwortungsreichen Sendungen beauftragt (Prokop. 43 B.), [939] namentlich leiteten sie an der Spitze selbständiger Abteilungen oft gesonderte Operationen (Prokop. 26 C. 34 C. 52 C. 133 B. 138 B. 216 C. 222 A. 229 B. 282 D. 326 B. 351 C. 377 B. 378 A. 390 C. 391 A. 396 A. B. 405 D. 416 B. 490 A. 499 D. 531 A. 534 C. 550 C. 553 D). Dass sie daneben auch zur Vollziehung von Mordbefehlen benutzt werden, ist in jenen Zeiten selbstverständlich (Prokop. 408 B. Agath. I 12). Mommsen Herm. XXIV 233. C. Benjamin De Iustiniani imperatoris aetate quaestiones militares, Berlin 1892. Seeck Ztschr. d. Savigny-Stiftung, Germ. Abt. XVII 97.