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RE:Aristippos 8

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aus Kyrene, Autor z. Zt. des Sokrates, Philosoph
Band II,1 (1895) S. 902906
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8) Aus Kyrene, Sohn des Aritadas (Suid.), kam nach Athen κατὰ κλέος Σωκράτους (Aischines bei Diog. Laert. II 65. Plut. de curiosit. 2), wurde von dessen Persönlichkeit und Unterredungen lebhaft angezogen und bewahrte ihm auch hernach aufrichtige Verehrung (Aristot. rhet. II 23, 1398b 29), ohne sich jedoch seiner Philosophie anzuschliessen. Das Verhältnis seiner Lehre zu der des Protagoras legt die Vermutung nahe, dass er auch dessen persönlichen Unterricht genossen hat, und das wird zur Gewissheit, wenn wirklich (s. u.) Plat. Theaet. 152c (τοῖς δὲ μαθηταῖς ἐν ἀπορρήτῳ τὴν ἀλήθειαν ἔλεγεν, vgl. die ähnlichen Wendungen 156d ff.) auf A. bezogen werden darf. Dann kann dieser, da Protagoras wahrscheinlich 411 starb, nicht viel später als 435 geboren sein (wie aus weniger zwingenden Gründen auch H. v. Stein De philosophia Cyrenaica, Gött. 1855, annimmt). Dazu stimmt, dass A. nach der Anekdote Diog. Laert. II 83 älter als der Sokratiker Aischines war, und dass er, nach Phanias bei Diog. Laert. II 65, zuerst von den Schülern des Sokrates, wie es scheint, noch bei Lebzeiten des Meisters, als ‚Sophist‘ auftrat. Ob die Bemerkung Platons (Phaedo 59c) über [903] seine Abwesenheit am Todestage des Sokrates den herben Tadel wirklich einschliessen soll, den man (Diog. Laert. II 65. III 36. Demetr. de eloc. 288) herausgelesen hat, ist ungewiss. Dagegen ist der Vorwurf Xenophons (mem. I 2, 60) wider solche, die das von Sokrates Empfangene an andre teuer verkauften, um so wahrscheinlicher auf ihn zu beziehen, als sich Xenophon auch anderwärts (besonders mem. II 1) entschieden feindselig gegen A. stellt. Ein gleiches würde man von Antisthenes von vornherein annehmen; die angeblich zwischen ihm und A. gewechselten Briefe (Socratis et Socraticorum etc. epist. rec. ill. I. C. Orellius, Lpz. 1815, auch Hercher Epistologr. gr., ep. 8. 9, vgl. 11. 12. 13) sowie eine Notiz des Suidas setzen es voraus; und dass der Gegensatz des Charakters und der Lehre zwischen beiden Männern auch in ihren Schriften zum Ausdruck kam, ist auch ohne directe Bezeugung anzunehmen. Vielleicht nur Combination ist, dass A. sich nach dem Tode des Sokrates mit dessen übrigen Getreuen eine Zeit lang in Megara aufgehalten habe (Socr. ep. 16. 29. Diog. Laert. II 62). Seit dieser Zeit finden wir ihn nach Sophistenart umherreisend. Um seine Unabhängigkeit zu wahren, mochte er sich an kein Gemeinwesen dauernd binden, sondern zog vor, überall Gastrecht zu geniessen (Xen. mem. II 1, 13 ἀλλ’ ἐγώ τοι … οὐδ’ εἰς πολιτείαν ἐμαυτὸν κατακλείω, ἀλλὰ ξένος πανταχοῦ εἰμι). Glaubhaft erwähnt wird, ausser jenem Aufenthalt in Aigina, auf den sich Platon (Phaed. a. O.) bezieht, ein Zusammenleben mit Laïs in Korinth (Diog. Laert. II 74. Hermesianax bei Athen. XIII 599b u. a.), eine Gefangenschaft beim Satrapen Artaphernes in Asien (Diog. Laert. II 79), und besonders ein wie es scheint wiederholter und andauernder Verkehr am syrakusischen Hof. Die zahlreichen darauf bezüglichen Anekdoten lassen meist nicht erkennen, ob es sich um den älteren oder jüngeren Dionysios handelt; wahrscheinlich hat er mit beiden verkehrt, wie Lucian. vit. auct. 12; mort. dial. 20, 5 vorauszusetzen scheint. Vom älteren Dionysios spricht Schol. Lucian. Menipp. 13 sowie Hegesandros bei Athen. XII 544c (der dort erwähnte Antiphon fand noch unter Dionysios I. seinen Tod); vom jüngeren Plut. Dion 19, wonach A. mit Platon noch bei dessen drittem Besuch in Syrakus (361) zusammengetroffen wäre. Damit stimmt überein, dass Diodor. XV 76 den A. Ol. 103, 3 (366) als lebend erwähnt. Nach dem angeblichen Briefe des A. an seine Tochter Arete (Socr. ep. 29) wäre A. noch während der Regierung des Dionysios II. (die 356 ihr Ende erreichte) auf der Heimreise von Syrakus in Lipara erkrankt und wohl auch dort gestorben. Dass er übrigens seine letzte Lebenszeit vorwiegend in der Heimat (wo er jedenfalls begütert war) verbrachte, folgt am sichersten daraus, dass er dort jene Tochter, sowie eine durch mehrere Generationen blühende Philosophenschule (der Kyrenaiker oder Hedoniker) hinterliess, deren hervorragendste Mitglieder (der jüngere A., Sohn der Arete, Theodoros und Annikeris) gleichfalls aus Kyrene stammten. Als directe Schüler des A. werden bei Diog. Laert. II 86 ausser Arete noch Aithiops aus Ptolemais und Antipatros aus Kyrene genannt; bei Suid. s. Ἀννίκερις erscheint als γνώριμος des A. [904] auch Paraibates, der aber nach Diogenes vielmehr Enkelschüler des Antipatros war (s. Annikeris).

Vom persönlichen Charakter des A. geben die zahlreich, obwohl im einzelnen ganz unsicher überlieferten Züge und Witzworte ein deutliches, im ganzen wohl übereinstimmendes Bild. Gewandt sich sein Leben nach Wunsch zu gestalten, doch auch in unerwünschte Lagen sich heiter zu finden; lebensfroh ohne Todesangst, genussliebend ohne beherrschende Leidenschaft; liebenswürdig im Umgang ohne wirkliche Hingabe, scharfsichtig für die Schwächen der Menschen, doch ohne Trieb, sich um ihre Besserung zu bemühen; hochgebildet und einsichtig ohne nachhaltiges wissenschaftliches Interesse wie ohne Pedanterie, grundsätzlich dem Augenblick lebend, unnützer Grübelei abhold, scheint er weniger Philosoph im wissenschaftlichen Sinne als ein Virtuos des Lebenskunst gewesen zu sein. Selbst die gehässige Fama ist gnädig mit ihm umgegangen; ausser der in den Berichten wohl übertriebenen Genusssucht wird ihm eigentlich nur die andauernde Gunst der syrakusischen Herrscher zum Vorwurf gemacht, die seinem schlagfertigen Witz selbst ein gewisses Mass von Freimut gern verziehen (günstig urteilen über ihn z. B. Horat. ep. I 1, 18. 17, 24. Cic. de off. I 148).

Von Schriften des A. führt Diog. Laert. II 83ff. zuerst ohne Quellenangabe drei Bücher Geschichte Libyens, dem Dionysios gewidmet, und ein Buch enthaltend 25 Dialoge, teils in attischer, teils in dorischer Mundart, an; unter den darauf mitgeteilten 23 Titeln sind aber mehrere, die auf Dialoge nicht passen, so ein Brief an seine Tochter Arete (der erhaltene ist jedenfalls unecht) und drei Chrien (vgl. Diog. Laert. IV 40). Nach einigen, heisst es weiter, habe A. (ausserdem? oder nur?) 6 Diatriben, wieder nach andern, worunter Sosikrates, gar nichts geschrieben; nach Sotion und Panaitios gehöre eine Anzahl Schriften ihm an: unter den 19 hier aufgezählten mehrere der vorgenannten 23, die 6 Diatriben, und einige neue Titel. Dieser letzten Angabe widerspricht nicht, dass Panaitios[WS 1] nach Diog. Laert. II 64 sokratische Dialoge von A. nicht kannte oder nicht anerkannte; die von ihm in Übereinstimmung mit Sotion für echt gehaltenen Schriften müssen nämlich nicht Dialoge, insbesondere sokratische, d. h. solche, in denen Sokrates auftrat, gewesen sein (Zeller Philos. d. Gr. IIa⁴ 344, 1. Susemihl Rh. Mus. XXVI 338ff.). Die Diatriben übrigens kennt als echt schon Theopompos, der dem Platon Entlehnungen daraus vorwirft (Athen. XI 508c). Aus Demetr. de eloc. 296 möchte man schliessen, dass A. sich der dialogischen Form nicht oder doch nicht regelmässig bedient, sondern, auch darin von den übrigen Sokratikern abweichend, die directe Darlegung vorgezogen hat. Über das von Diog. Laert. mehrmals citierte, unter A.s Schriften aber nicht aufgeführte, frühestens der zweiten Hälfte des 3. Jhdts. v. Chr. angehörige Schandbuch Ἀρίστιππος περὶ παλαιᾶς τρυφῆς s. v. Wilamowitz-Moellendorff Philol. Unters. IV 48ff. A. ist, wie es scheint, in späterer Zeit wenig gelesen worden; wir besitzen von ihm fast kein einziges sicheres Fragment (allenfalls Stob. flor. 17, 18. 37, 25. 49, 22 und eine vereinzelte [905] Notiz über den Bedeutungsunterschied von θάρσος und θράσος, Eustath. u. Schol. zu Il. V 2 und Schol. Apollon. Rhod. II 77; auch das Paradigma bei Demetr. de eloc. 296 wird einer Schrift des A. entnommen sein. Alles Übrige, was, nach dem Vorgang J. C. Orellis Opusc. Graec. sententiosa vol. II, Mullach Fragm. philos. Graec. II 405ff. meistenteils aus Diog. Laert. und Stob. zusammengetragen hat, sind Bonmots, die wohl nur hier und da (z. B. Clem. Alex. paedag. 176d, vgl. Diog. Laert. II 76. Ael. var. hist. VII 3) an eine litterarische Vorlage anknüpfen. Desgleichen scheint den Sokratikerbriefen, von denen nr. 9. 11. 13. 16. 29 (auch bei Mullach) den Namen des A. tragen, wenig Echtes zu Grunde zu liegen. Dagegen ist A. in den Philosophenschulen der nächsten Generationen offenbar wohl gekannt. Nicht blos Aristoteles (metaph. III 996a 32; vgl. XIII 1078a 33) hat wohl eine veröffentlichte Schrift vor Augen; auch eth. Nicom. VII 1152b 12. 13. 1153a 13 bezieht sich (nach Zeller Arch. f. Gesch. d. Philos. I 172ff.; Philos. d. Gr. IIa⁴ 352, 1) wahrscheinlich auf ihn; sondern schon Platon hat (wie Schleiermacher u. a. aufgestellt, neuerlich Dümmler Akademika 173ff., vgl. Antisthenica 56ff., und eingehend Natorp Arch. f. Gesch. d. Philos. III 347ff. gezeigt, seitdem auch Zeller Philos. d. Gr. I⁵ 1098ff. anerkannt hat) die Erkenntnislehre des A. im Theaitetos (bes. 156a ff.) ausführlich dargestellt und beurteilt, seine Ethik im Staat (505b. 583c. e) und Philebos (42e. 53c) wenigstens berührt (während die ganze Kritik des Hedonismus im Philebos allerdings nicht gegen ihn, sondern nach Aristot. eth. Nic. X 2 wahrscheinlicher gegen Eudoxos gerichtet ist); auch im grösseren Hippias hat Dümmler Akad. 179ff. Beziehungen auf A. angenommen. Aber auch die Polemik Xenophons (mem. II 1. III 8) wird man am natürlichsten auf Schriften des A. beziehen. Sodann haben Speusippos (Diog. Laert. IV 5) und Stilpon (ebd. II 120) gegen ihn geschrieben, Epikuros (nach Diog. Laert. X 4. Euseb. pr. ev. XIV 763d u. a. Usener Epic. 293) nicht ganz wenig von ihm entlehnt. Nach dem allen ist nicht anzunehmen (was man aus Euseb. a. O. ἀλλ’ οὐδὲν μὲν οὗτος ἐν τῷ φανερῷ περὶ τέλους διελέξατο κτλ. fälschlich geschlossen), dass A. seine Lehre nur mündlich überliefert und erst der gleichnamige Enkel sie auch schriftstellerisch vertreten habe. Vielmehr wird alles Wesentliche, was von der Lehre der Kyrenaiker (s. d.) überliefert ist, auf den älteren A. zurückgehen. Seine Beziehungen in der Erkenntnistheorie zu Protagoras und Demokritos, in der Ethik zu dem letzteren, die Stellung Platons zu A. und die Abhängigkeit des Epikuros von ihm sucht Natorp (Arch. f. Gesch. d. Philos. III 347ff. 515ff.; Die Ethika des Demokritos 1893, Kap. 5. 6. 8) klarzustellen. Allgemein handeln über ihn Amad. Wendt De philosophia Cyrenaica (Comm. soc. Gotting. VIII 1841, vgl. Gött. gel. Anz. 1835, 2, 769ff.). H. v. Stein De philosophia Cyrenaica p. I de vita Aristippi, Gott. 1855, aus dem Mullach Fr. philos. gr. II 397ff. sein Material hat. Thrige Res Cyrenensium, Hafniae 1828, 19f. 356ff. hebt mit Recht den Zusammenhang des Charakters und der Lehre des A. mit dem üppigen Leben der damals blühenden [906] Pflanzstadt hervor. Vgl. ferner Brandis Handb. d. Gesch. d. gr.-röm. Philos. IIa 90ff. und Gesch. d. Entw. d. griech. Philos. I 251ff. Zeller Philos. d. Gr. IIa⁴ 336ff. Ziegler Gesch. d. Ethik I. Köstlin Gesch. d. Ethik. I.

[Natorp. ]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Painatios.