Photographische Nachtbilder
[227] Photographische Nachtbilder. (Zu dem Bilde S. 228.) Wie wunderbar, geradezu märchenhaft schön erscheinen uns oft Landschaften in der Nacht, namentlich wenn der Mond zwischen den Wolken hervorbricht und seine silbernen Strahlen auf Mauern und Felsen erglänzen läßt oder sie in Wasserflächen spiegelt. Die Maler waren wohl imstande, diese berückenden Stimmungsbilder auf der Leinwand festzubannen, die Photographen konnten die Aufnahmen von Nachtlandschaften erst in der Neuzeit versuchen, nachdem man gelernt hatte, lichtstarke Objektive und hochempfindliche Platten herzustellen. Aber trotz aller Fortschritte der Technik sind solche Aufnahmen mit vielen Mühen verbunden; ist doch das Mondlicht 300 000mal schwächer als das Sonnenlicht. So brauchte man auch anfangs 7 bis 9 Stunden zur Aufnahme einer Mondlandschaft, bis bei der Wahl besserer Platten und Objektive die Expositionszeit auf 2 Stunden und weniger verkürzt wurde. Das war ein unbequemes Arbeiten und die Photographen griffen darum zu einem [228] Hilfsmittel, um in ihre Landschaftsbilder Mondscheineffekte hineinzuzaubern. Sie photographierten die Landschaft mit sehr kurzer Expositionszeit bei Sonnenlicht frühmorgens oder am Abend und stellten ihre Apparate gegen die Sonne auf, gerade wenn diese von einer Wolke verhüllt werden sollte. Wurde eine so aufgenommene Platte nach bestimmten Regeln entwickelt, so zeigte sie in der That alle Effekte des Mondscheins. Die meisten photographischen Mondscheinlandschaften, die im Handel zu haben sind und unsere Bewunderung erregen, sind auf diese Weise entstanden.
Die Photographie wird indessen immermehr vervollkommnet, und in den letzten Jahren haben ihre Jünger mit Erfolg versucht, wirkliche Nachtbilder in verhältnismäßig kurzer Zeit auf ihren Platten festzuhalten. So ist es W. A. Fraser in New York gelungen, wirkliche Mondscheinlandschaften bei einer Expositionszeit von nur 10 Minuten aufzunehmen. Neuerdings hat Alfred Stieglitz, Mitglied des Cameraklubs in New York, treffliche Aufnahmen von Straßenbildern bei Nacht veranstaltet. Dank einer sorgfältigen Auswahl von Platten und Objektiven erhielt er wirkungsvolle Ansichten bei einer Expositionszeit, die kürzer als eine Minute war.
Er photographierte vor allem einige Straßen New Yorks in der künstlichen Abendbeleuchtung. Der Schein der elektrischen Lampen und Gaslaternen erzeugt wunderbare Reflexe, die höchst originell wirken, wenn nach einem Regen das Pflaster feucht ist und merkwürdige Lichtspiegelungen entstehen läßt. Neuerdings hat die die Zeitschrift „Scribners Magazine“ eine Reihe von Aufnahmen aus der 5. Avenue in New York gebracht. Das obenstehende Bild mag als Probe der gelungenen nächtlichen Landschaftsphotographie gelten. Es wurde von Alfred Stieglitz an einem Januartage vorigen Jahres um 9 Uhr 30 Minuten abends bei einer Expositionsdauer von nur 55 Sekunden aufgenommen. *